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Informationen zum Dokument  BGer U 260/2002  Materielle Begründung
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BGer U 260/2002 vom 02.09.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
U 260/02
 
Urteil vom 2. September 2003
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiberin Hofer
 
Parteien
 
C.________, 1950, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Hannelore Fuchs, Oberer Graben 44, 9000 St. Gallen,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Weinfelden
 
(Entscheid vom 3. Juli 2002)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1950 geborene C.________ war seit August 1989 bei der X.________ AG als ungelernter Maler in der Spritzerei tätig und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 4. Oktober 1992 glitt er in der Badewanne aus und stürzte auf die rechte Schulter. Dr. med. A.________ diagnostizierte im Zeugnis vom 17. Oktober 1992 eine Schulterprellung rechts. Am 9. Oktober 1992 konnte die Behandlung abgeschlossen und am folgenden Tag die Arbeit wieder vollumfänglich aufgenommen werden. Ende Oktober 1992 musste der Versicherte sich wegen Schulterschmerzen nochmals in ärztliche Behandlung begeben, was der SUVA am 19. November 1992 gemeldet wurde.
 
Nachdem die Schulterbeschwerden ab Oktober 1996 mittels Cortison und Antirheumatika therapeutisch nicht mehr angegangen werden konnten und Dr. med. B.________ ein Impingement der teillädierten Rotatorenmanschette diagnostiziert hatte, liess C.________ der SUVA am 17. Dezember 1996 einen Rückfall zum Unfall vom 4. Oktober 1992 melden. Auf Ende Dezember 1996 wurde das bisherige Arbeitsverhältnis aufgelöst, da die Arbeitgeberfirma in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet und praktisch das gesamte Personal entlassen musste. In der Folge war der Versicherte arbeitslos. Am 11. März 1997 wurde in der Klinik für Orthopädische Chirurgie des Spitals S.________ eine Schulteroperation durchgeführt. Nachdem auch eine Anmeldung bei der Invalidenversicherung erfolgt war, liess die IV-Stelle von November 1998 bis 1. August 1999 im Abklärungszentrum Z.________ die berufliche Eingliederungsfähigkeit prüfen und ein Arbeitstraining im Bereich Montage durchführen. Am 21. September 1999 und am 23. März 2000 musste die Schulter abermals operiert werden. Der Kreisarzt der SUVA, Dr. med. K.________, nahm am 15. März 2001 die Abschlussuntersuchung vor. Gestützt auf den entsprechenden Bericht und nach Durchführung erwerblicher Abklärungen stellte die SUVA gemäss Schreiben vom 30. Juli 2001 die Heilbehandlung und die Taggeldleistungen per 31. Juli 2001 ein. Mit Verfügung vom 14. August 2001 sprach sie C.________ ab 1. August 2001 eine Invalidenrente für eine Erwerbsunfähigkeit von 25 % sowie eine Integritätsentschädigung von 7.5 % zu. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 16. Januar 2001 (recte: 2002) fest.
 
B.
 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 3. Juli 2002 ab.
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt C.________ beantragen, es sei ihm eine Invalidenrente für einen Invaliditätsgrad von 50 % zuzusprechen. Zudem lässt er um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung ersuchen.
 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die massgebenden gesetzlichen Bestimmungen über die Voraussetzungen des Rentenanspruchs (Art. 18 Abs. 1 UVG) und über die Invaliditätsbemessung nach der Methode des Einkommensvergleichs (Art. 18 Abs. 2 UVG) sind im Einspracheentscheid und teilweise auch im vorinstanzlichen Entscheid enthalten. Darauf wird verwiesen.
 
Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier: 16. Januar 2002) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).
 
2.
 
Nach dem Bericht des Kreisarztes der SUVA vom 15. März 2001 ist der Beschwerdeführer aufgrund des Verletzungsmusters bei Elevationen oberhalb der Horizontalen behindert, insbesondere wenn dabei noch Kraftleistungen erbracht werden müssen. Für alle anderen Tätigkeiten, vorwiegend mit hängendem Arm oder auf Tischhöhe, sei er bezüglich Leistung und Präsenzzeit vollumfänglich einsatzfähig. Eine anderslautende Zumutbarkeitsbeurteilung ist nicht aktenkundig. Soweit in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht wird, der Hausarzt Dr. med. B.________ gehe nicht nur von einer vollumfänglichen Berufs-, sondern auch in allen anderen Tätigkeitsbereichen von einer weitgehenden Arbeitsunfähigkeit aus, weshalb ein entsprechender Arztbericht einzuholen sei, kann dem nicht gefolgt werden. Allein gestützt auf diese im letztinstanzlichen Verfahren erstmals geltend gemachte und im Übrigen nicht näher begründete Annahme, bezüglich welcher auch nicht klar ist, auf welchen Zeitpunkt sie sich bezieht, besteht kein Anlass, die Beurteilung des Dr. med. K.________ in Zweifel zu ziehen.
 
3.
 
3.1 Streitig ist die Ermittlung des Valideneinkommens, welches die SUVA auf Fr. 56'225.- berechnet hat, indem sie gestützt auf die Angaben des Schweizerischen Maler- und Gipserunternehmer-Verbandes von einem Monatslohn von Fr. 4325.- ausging.
 
Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, durch regelmässige Leistung von Überstunden und eine Nebenbeschäftigung als Firmenchauffeur habe er einen Zusatzverdienst von über Fr. 13'000.- erzielen können. Es sei daher vom Einkommen bei der letzten Tätigkeit von insgesamt rund Fr. 70'000.- auszugehen. Wie die Erhebungen des Maler- und Gipserunternehmer-Verbandes zeigten, bewege sich dieser Lohn im Rahmen des Marktüblichen. Demgemäss habe ein Maler mit langjähriger Berufserfahrung im Jahre 2001 ein monatliches Einkommen von Fr. 5166.- erzielen können, was ein hypothetisches Valideneinkommen von rund Fr. 65'000.- ergeben würde.
 
3.2 Bei der Ermittlung des hypothetischen Einkommens ohne Invalidität ist entscheidend, was die versicherte Person im massgebenden Zeitpunkt nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit als Gesunde tatsächlich verdienen würde. In der Regel wird dabei beim zuletzt erzielten, nötigenfalls der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung angepassten Verdienst angeknüpft. Dies beruht auf der empirischen Feststellung, wonach die bisherige Tätigkeit im Gesundheitsfall weitergeführt worden wäre (RKUV 1993 Nr. U 168 S. 100 Erw. 3b). Da die Arbeitgeberfirma aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der bisherigen Form weitergeführt wurde und praktisch allen Arbeitnehmern kündigte, ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer dort auch ohne gesundheitliche Schwierigkeiten nicht mehr weiter beschäftigt worden wäre. Es ist daher von dem auszugehen, was er aufgrund seiner beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Umstände auf dem ihm offen stehenden (ausgeglichenen) Arbeitsmarkt zu erwarten gehabt hätte. Dabei ist grundsätzlich das durchschnittliche Lohnniveau in einer bestimmten Branche und in der konkreten beruflichen Situation massgebend. Ein Spitzenlohn darf nur angenommen werden, wenn ganz besondere Umstände eindeutig hiefür sprechen (ZAK 1980 S. 593 mit Hinweisen).
 
3.3 Gemäss schriftlicher Auskunft des Schweizerischen Maler- und Gipserunternehmer-Verbandes vom 6. Juli 2001 betrug der tarifäre Minimallohn für einen Hilfsmaler Fr. 3850.-. Je nach Leistung und Berufserfahrung könne sich dieser auf Fr. 4000.- bis Fr. 4300.- erhöhen. In der Kategorie "Berufsarbeiter" liege der Minimallohn bei Fr. 4025.-, wobei der Marktlohn in der Region Y.________ je nach Qualifikation und Berufserfahrung um Fr. 150.- bis Fr. 300.- höher liege. Zu berücksichtigen sei zudem, dass Anspruch auf einen 13. Monatslohn besteht. Es ist daher anzunehmen, dass der Beschwerdeführer, welcher über keine Berufsausbildung, jedoch über eine gewisse Berufserfahrung verfügt, bei einem neuen Arbeitgeber als Maler ein monatliches Einkommen in der Grössenordnung von Fr. 4325.- erhalten hätte. Dass er dort ebenfalls ein erhebliches Zusatzeinkommen aus Überstunden und Mehrleistungen mit Fahrten hätte erzielen können, ist nicht anzunehmen. Mit SUVA und Vorinstanz ist daher von einem hypothetischen Valideneinkommen von Fr. 56'225.- im Jahre 2001 auszugehen.
 
4.
 
4.1 Bezüglich des trotz der gesundheitsbedingten Behinderung in einer leidensangepassten Tätigkeit zumutbarerweise noch erzielbaren Verdienstes haben SUVA und Vorinstanz auf die Dokumentation über Arbeitsplätze (DAP) abgestellt. Die SUVA ermittelte das Invalideneinkommen, indem sie aufgrund von fünf DAP-Unterlagen vom Durchschnitt von Fr. 42'600.- ausging. Das kantonale Gericht hat diese Bemessung ebenfalls bestätigt. Bei den herangezogenen Arbeitsplätzen handelt es sich um Tätigkeiten als Lackierer (DAP-Nr. 1676), Verpackungsmitarbeiter (DAP-Nr. 2919 und Nr. 3385), Mitarbeiter in einer Schlachterei (DAP-Nr. 3461) und in einer Stickerei (DAP- Nr. 5584). Der Beschwerdeführer bezweifelt, dass es sich dabei tatsächlich um leidensangepasste Arbeitsmöglichkeiten handelt. Unklar sei auch, ob dies nicht nur Marktnischen seien, zumal ein vergleichsweise hoher Lohn angeführt werde. Wie es sich damit verhält kann offen bleiben, weil sich die Invaliditätsbemessung auch bei Anwendung der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) als rechtens erweist.
 
Lässt sich das Invalideneinkommen nicht konkret ermitteln, weil die versicherte Person die restliche Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit nicht zumutbarerweise voll ausnützt, so können nach der Rechtsprechung Tabellenlöhne herangezogen werden. Wird im vorliegenden Fall auf die LSE abgestellt, ist jeweils vom Zentralwert (Median) der standardisierten Bruttolöhne (Tabellengruppe A) auszugehen (BGE 126 V 76 Erw. 3b/bb). Zum Ausgleich lohnmindernder Faktoren kann vom Tabellenlohn ein Abzug vorgenommen werden, welcher unter Berücksichtigung sämtlicher persönlicher und beruflicher Umstände (leidensbedingte Einschränkung, Alter, Dienstjahre, Nationalität/Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad) nach pflichtgemässem Ermessen zu schätzen ist, wobei der Abzug höchstens 25 % beträgt (BGE 126 V 79 Erw. 5b/aa-cc).
 
4.2 Im vorliegenden Fall ist vom monatlichen Bruttolohn von Arbeitnehmern im privaten Sektor für Tätigkeiten im Anforderungsniveau 4 (einfache und repetitive Tätigkeiten) von Fr. 4437.- (LSE 2000, S. 31, Tabelle TA1) auszugehen. Umgerechnet auf die betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit im Jahre 2000 von 41.8 Stunden (Die Volkswirtschaft 1/2003, S. 94 Tabelle B 9.2) ergibt sich ein Jahreseinkommen von Fr. 55'640.-. Da für den Einkommensvergleich die Verhältnisse im Zeitpunkt des Beginns des Rentenanspruchs massgebend sind (BGE 128 V 174) ist dieses der Nominallohnentwicklung im Jahr 2001 anzupassen (2.5 %; Die Volkswirtschaft 1/2003, S. 95 Tabelle B 10.3), was Fr. 57'031.- ergibt.
 
Vom Tabellenlohn ist ein leidensbedingter Abzug vorzunehmen, weil der Beschwerdeführer auch im Rahmen einer leichteren Tätigkeit eingeschränkt ist und zusätzlich Pausen einzulegen sind, was sich erfahrungsgemäss lohnmindernd auswirken kann. Selbst wenn der maximalzulässige Abzug von 25 % vorgenommen würde - was bezogen auf die Behinderung des Beschwerdeführers allerdings als überaus grosszügig erscheint -, ergäbe sich noch ein Invalideneinkommen von Fr. 42'773.-. Wenn SUVA und Vorinstanz ein Invalideneinkommen von Fr. 42'500.- ermittelt haben, lässt sich dies somit nicht beanstanden.
 
4.3 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird geltend gemacht, beim Arbeitstraining im Rahmen der Abklärungen der Invalidenversicherung habe der Versicherte bei einer leidensangepassten, nicht kraftorientierten, feinmotorischen Arbeit eine Leistung von lediglich 70 % bis 80 % erbringen können. Gemäss Abschluss-Bericht des Berufsberaters der IV-Stelle vom 20. Juli 1999 erzielte der Versicherte bei nicht kraftorientierten feinmotorischen Arbeiten eine überdurchschnittliche Qualität, welche in der freien Wirtschaft einer Leistung von 70 % bis 80 % bei voller Präsenzzeit entsprechen würde. Die Einschränkung sei durch die Notwendigkeit vermehrter Pausen bedingt, in denen der Versicherte die Körperstellung ändern und Entlastungsbewegungen durchführen könne. Da sich aus ärztlicher Sicht lediglich eine Behinderung bei Elevationen oberhalb der Horizontalen ergibt, wird mit einem grosszügigen Abzug für die einzuschaltenden Pausen den gesundheitlichen Einschränkungen hinreichend Rechnung getragen.
 
4.4 Aus dem Vergleich des Valideneinkommens von Fr. 56'225.- mit dem Invalideneinkommen von Fr. 42'500.- resultiert ein Invaliditätsgrad von 24,41 %.
 
5.
 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist zu entsprechen (Art. 152 Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist und auch die übrigen rechtsprechungsgemässen Voraussetzungen erfüllt sind (BGE 128 I 232 ff. Erw. 2.5, 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwältin Hannelore Fuchs, St. Gallen, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, als Versicherungsgericht, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 2. September 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
 
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