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Informationen zum Dokument  BGer I 212/2003  Materielle Begründung
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BGer I 212/2003 vom 28.08.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 212/03
 
Urteil vom 28. August 2003
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber Flückiger
 
Parteien
 
M.________, 1959, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Lechmann, Gäuggelistrasse 16/ Brunnenhof, 7002 Chur,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Graubünden, Ottostrasse 24, 7000 Chur, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur
 
(Entscheid vom 14. Januar 2003)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügung vom 29. Januar 1999 sprach die IV-Stelle Graubünden dem 1959 geborenen M.________ für die Zeit ab 1. Juni 1998 eine halbe (Härtefall-)Rente der Invalidenversicherung auf Grund eines Invaliditätsgrades von 43 % zu. Im Rahmen eines im Dezember 2001 eingeleiteten periodischen Revisionsverfahrens lehnte es die Verwaltung mit Verfügung vom 2. September 2002 ab, die Rente zu erhöhen.
 
B.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden ab (Entscheid vom 14. Januar 2003).
 
C.
 
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei ihm ab 1. Dezember 2001 eine Invalidenrente auf der Basis eines Invaliditätsgrades von mindestens 67 %, eventuell mindestens 50 %, zuzusprechen; eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz, subeventualiter an die IV-Stelle zurückzuweisen.
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die IV-Stelle (in der vorinstanzlichen Vernehmlassung vom 21. Oktober 2002) und das kantonale Gericht haben die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG), die Ermittlung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 104 V 136 Erw. 2a und b), die Rentenrevision (Art. 41 IVG), insbesondere die dabei zu vergleichenden Sachverhalte (BGE 125 V 369 Erw. 2 mit Hinweis) und relevanten Umstände (BGE 117 V 199 Erw. 3b, 113 V 275 Erw. 1a, je mit Hinweisen), die Aufgabe des Arztes oder der Ärztin im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4, 115 V 134 Erw. 2, 114 V 314 Erw. 3c, 105 V 158 Erw. 1) sowie den Beweiswert und die Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 2. September 2002) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).
 
2.
 
Streitig und zu prüfen ist, ob die dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom 29. Januar 1999 zugesprochene halbe (Härtefall-)Rente revisionsweise zu erhöhen ist. Dies hängt davon ab, ob sich der Invaliditätsgrad zwischen dem Erlass dieser Verfügung und derjenigen vom 2. September 2002 in einer für den Rentenanspruch erheblichen Weise verändert hat.
 
2.1 Der Beschwerdeführer, der ab 1. März 1990 vollzeitlich - mit zwischenzeitlicher gesundheitsbedingter Reduktion - als Lastwagenchauffeur gearbeitet hatte, ist seit Ende 1998 ausschliesslich als Hausmann tätig. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese Umstellung aus gesundheitlichen Gründen erfolgte und der Versicherte als Gesunder weiterhin einer vollzeitlichen Erwerbstätigkeit nachginge. Verwaltung und Vorinstanz haben deshalb den Invaliditätsgrad für beide relevanten Zeitpunkte zu Recht auf Grund eines reinen Einkommensvergleichs bemessen (Art. 27bis Abs. 2 IVV). Dies ist denn auch unbestritten.
 
2.2
 
2.2.1 Bei Erlass der Verfügung vom 29. Januar 1999 ging die IV-Stelle in medizinischer Hinsicht davon aus, die Tätigkeit als Lastwagenchauffeur sei für den Beschwerdeführer nicht mehr geeignet. Dagegen sei ihm eine Tätigkeit zum Beispiel als Mitarbeiter in einem Parkhaus zumutbar, wo er eine Arbeitsleistung von 75 % erbringen könnte. Die Verwaltung stützte sich dabei auf zwei Stellungnahmen des Dr. med. X.________, Stv. Leitender Arzt, des Spitals Y.________ vom 8. September 1997 und 8. Juli 1998. Dr. med. X.________ diagnostizierte ein chronisches Lumbovertebralsyndrom bei Spondylolyse/-olisthesis L4/5 Grad I, Osteochondrose L3/4 sowie lumbo-sakraler Übergangsstörung mit Sakralisation von L5 bei Status nach drei operativen Eingriffen vom 9. Juli 1993, 9. März 1994 sowie 18. Juli 1997. Die medizinisch-theoretische Arbeitsfähigkeit als Lastwagenchauffeuer bezifferte er auf 50 %, diejenige in einer behinderungsgerechten Tätigkeit (Wechselbelastung, kein wiederholtes Heben und Tragen von Lasten über 10 kg) auf 75 % (zwei Mal drei Stunden pro Tag).
 
2.2.2 Im weiteren Verlauf erstattete Dr. med. X.________ am 17. Februar 2000 ein ärztliches Zeugnis. Darin führt er aus, der Versicherte leide nach mehreren operativen Eingriffen an der unteren Lendenwirbelsäule (LWS) weiterhin an starken chronischen lumbalen Rückenschmerzen infolge massiver Verspannungen der autochthonen Rückenmuskulatur im Lumbalbereich. Die Wirbelsäulenbeweglichkeit und -belastbarkeit sei deutlich eingeschränkt. Der Versicherte sei der Meinung, dass der durch die IV festgelegte Invaliditätsgrad von 43 % zu gering sei, und wünsche deshalb eine vorzeitige Rentenrevision. Nachdem die Verwaltung auf das mit diesem Zeugnis begründete Gesuch um Rentenrevision nicht eingetreten war, holte sie im Rahmen der im Dezember 2001 eingeleiteten amtlichen Revision einen Bericht des Dr. med. G.________, Innere Medizin FMH vom 29. Januar 2002 und eine Stellungnahme des IV-Stellenarztes Dr. med. K.________ vom 9. April 2002 ein. Der Beschwerdeführer liess ein Schreiben des Prof. Dr. med. B.________, Wirbelsäulen- und Rückenmarkschirurgie, Klinik S.________, vom 28. Juni 2001 einreichen. Prof. Dr. med. B.________ erklärt, es sei "ganz unverständlich", dass der Beschwerdeführer trotz der Veränderungen seiner Wirbelsäule als Lastwagenfahrer nicht vollinvalid erklärt worden sei. Dr. med. G.________ stellt dieselbe Diagnose wie Dr. med. X.________ in seinen Berichten vom 8. September 1997 und 8. Juli 1998. Er führt aus, der Gesundheitszustand sei "sich verschlechternd". Die BWS- / LWS-Beweglichkeit sei in allen Richtungen deutlich eingeschränkt. Dabei bestehe eine vollständige Streckhaltung der LWS und der unteren BWS. Der Beschwerdeführer sei als Lastwagenchauffeur zu 100 % arbeitsunfähig. Für eine behinderungsgerechte Arbeit (teils sitzend, teils stehend; ohne repetitives Heben von Gewichten über 5 kg; ohne gebückte Arbeiten und ohne Arbeiten mit Drehbewegungen der Wirbelsäule) bestehe eine Arbeitsfähigkeit von höchstens 40 %. Der IV-Arzt Dr. med. K.________ erklärt mit Bezug auf den Bericht des Dr. med. G.________ vom 29. Januar 2002, seines Erachtens habe sich hier gesundheitlich nichts verändert; es sei weiterhin von einer 50 %igen Arbeitsunfähigkeit im angestammten Beruf auszugehen.
 
2.2.3 Die IV-Stelle verneint eine relevante Veränderung in erster Linie mit dem Argument, Dr. med. X.________ (Berichte vom 8. September 1997 und, darauf verweisend, 8. Juli 1998) und Dr. med. G.________ (Stellungnahme vom 29. Januar 2002) hätten exakt dieselbe Diagnose gestellt. Der Gesundheitszustand sei damit unverändert geblieben, und die abweichenden Aussagen zur Arbeitsfähigkeit stellten lediglich unterschiedliche Beurteilungen des im Wesentlichen gleich gebliebenen Sachverhalts dar. Die Vorinstanz schloss sich dieser Betrachtungsweise an mit der Ergänzung, dem Bericht des Dr. med. G.________ könne ebenso wenig wie dem Schreiben des Prof. Dr. med. B.________ entnommen werden, dass sich der Gesundheitszustand seit dem Erlass der Verfügung vom 19. Januar 1999 verändert hätte. Selbst wenn dem jedoch so wäre, sei der gegenteiligen Beurteilung durch den IV-Stellenarzt der Vorrang einzuräumen. Der Beschwerdeführer sei als Lastwagenchauffeur zu 100 % arbeitsunfähig, als Mitarbeiter in einem Parkhaus dagegen weiterhin zu 75 % arbeitsfähig.
 
Dieser Argumentation kann, wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, nicht gefolgt werden. Die ihr zu Grunde liegende sinngemässe Aussage, eine zu verschiedenen Zeitpunkten gestellte übereinstimmende Diagnose bedeute, dass sich der Gesundheitszustand für die Beurteilung des Invaliditätsgrades nicht verändert habe, ist nur mit Einschränkungen richtig, kann sich doch das diagnostizierte Leiden sowohl in seiner Intensität als auch in seinen Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit durchaus verändern. Vorliegend kann eine Veränderung angesichts der deutlich von einander abweichenden Aussagen nicht ausgeschlossen werden. Der Bericht des Dr. med. G.________ vom 29. Januar 2002 enthält denn auch die Aussage, der Gesundheitszustand verschlechtere sich. Es rechtfertigt sich nicht, der Stellungnahme des IV-Stellenarztes vom 9. April 2002, welche lediglich aus der ohne Begründung gemachten Aussage besteht, seines Erachtens habe sich gesundheitlich nichts verändert, ohne weiteres den Vorrang vor der hausärztlichen Einschätzung einzuräumen, zumal Prof. Dr. med. B.________s Schreiben vom 28. Juni 2001 Aussagen enthält, welche mit denjenigen des Dr. med. G.________ vereinbar sind. Unter den gegebenen Umständen erlaubt die medizinische Aktenlage entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts keine hinreichend zuverlässige Beurteilung der Frage, ob während des relevanten Zeitraums eine Veränderung des Gesundheitszustandes bzw. von dessen Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit eingetreten sei. Die Sache ist daher zur Ergänzung der entsprechenden Abklärungen an die IV-Stelle zurückzuweisen.
 
3.
 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Entsprechend dem Prozessausgang steht dem Versicherten eine Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 1 OG).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 14. Januar 2003 und die Verwaltungsverfügung vom 2. September 2002 aufgehoben werden und die Sache an die IV-Stelle des Kantons Graubünden zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch neu verfüge.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Die IV-Stelle des Kantons Graubünden hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
4.
 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, der Ausgleichskasse des Kantons Graubünden und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 28. August 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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