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Informationen zum Dokument  BGer K 87/2001  Materielle Begründung
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BGer K 87/2001 vom 27.08.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
K 87/01
 
Urteil vom 27. August 2003
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber Schmutz
 
Parteien
 
B.________, Beschwerdeführer,
 
gegen
 
SUPRA Krankenkasse, Chemin de Primerose 35, 1007 Lausanne, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Weinfelden
 
(Entscheid vom 2. Mai 2001)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.________ war mitsamt Ehefrau und Kindern seit April 1996 bei der SUPRA Krankenkasse (nachfolgend: Kasse) obligatorisch krankenpflegeversichert. Wegen Differenzen über die Prämienhöhe stellte er im April 1998 die Beitragszahlungen ein und kündigte im November 1998 sämtliche Versicherungsverhältnisse vorsorglich auf den 31. Dezember 1998. Die Kasse wies ihn am 25. Januar 1999 schriftlich darauf hin, dass säumige Versicherte erst aus dem Versicherungsverhältnis entlassen werden dürften, wenn die Ausstände vollständig bezahlt seien. Mit Schreiben vom 7. April 2000 klärte sie den Versicherten zudem auf, die Mitgliedschaften bestünden weiter, bis Versicherungsbestätigungen anderer Versicherer vorgelegt würden. Den selben Hinweis enthielten auch die Schreiben der Kasse vom 15. Juni 1999, 28. Juli 1999 und 18. Oktober 1999, welche sie indessen nicht an die Adresse des Versicherten schickte. Mit Zahlungsbefehlen vom 3. Juli 2000 liess sie B.________, die Ehefrau A.________ und die Kinder C.________, D.________, E.________ und F.________ für ausstehende Prämien betreiben. Den von B.________ jeweils erhobenen Rechtsvorschlag beseitigte sie mit Verfügungen vom 24. Juli 2000. In ihrem Einspracheentscheid vom 8. September 2000 hielt sie fest, die Versicherungen würden bis zur Mitteilung des neuen Versicherers über die Weiterversicherung bestehen bleiben, und bis dahin seien die Prämien weiterhin geschuldet und würden nicht rückwirkend geändert.
 
B.
 
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau (als Versicherungsgericht) mit Entscheid vom 2. Mai 2001 teilweise gut. Es verpflichtete die Kasse dazu, die Prämien ab dem 1. Januar 1998 neu zu berechnen.
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt B.________, die Kasse sei zu verpflichten, bei der Neuberechnung der Prämien höchstens die Beträge anzurechnen, welche bei der jeweils günstigsten Krankenkasse zu bezahlen gewesen wären, und die betreffende Forderung mit den auf dem Betreibungsweg bereits erhobenen Prämien zu verrechnen. Im Sinne eines Eventualantrages ersucht er darum, die Kasse zu einer angemessenen Schadenersatzzahlung zu verurteilen, subeventualiter beantragt er die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz.
 
Während die Kasse auf teilweises Nichteintreten und im Übrigen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
 
2.
 
2.1 Vorliegend steht nicht mehr in Frage, dass der Beschwerdeführer mitsamt Ehefrau und Kindern auch über das Datum der Kündigung der Versicherungsverhältnisse hinaus bei der Kasse versichert blieb, da kein neuer Versicherer mitteilte, dass die betreffenden Personen bei ihm ohne Unterbrechung des Versicherungsschutzes versichert seien (Art. 7 Abs. 5 KVG). Die damals in Kraft stehende Vorschrift in Art. 9 Abs. 3 KVV, wonach bei Säumigkeit von Geldforderungen der Versicherer nicht gewechselt werden konnte, wurde vom Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom 29. Juni 1999 als gesetzwidrig erklärt (BGE 125 V 266) und trat Ende Dezember 2002 formell ausser Kraft (AS 2002 3908).
 
2.2 Streitig ist die Höhe der aufgelaufenen Beitragsschuld. Die Vorinstanz hat dem insoweit Rechnung getragen, als sie die Sache zur Neuberechnung der Prämien ab 1. Januar 1998 an die Kasse zurückwies. Dabei hat sie den vom Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren erneut geltend gemachten Anspruch zu Recht verneint, höchstens diejenigen Beiträgen entrichten zu müssen, die für die entsprechende Periode bei der jeweils günstigsten Krankenkasse zu bezahlen gewesen wären. Wie die kantonale Instanz richtig festgehalten hat, sind während des Andauerns des Versicherungsverhältnisses bei einer Kasse die für diese massgebenden Prämien zu entrichten (Art. 61 Abs. 1 KVG).
 
3.
 
Eine allfällige Differenz zu niedrigeren Prämien bei einem anderen Versicherer könnte allenfalls als Schadenersatz geltend gemacht und mit den anstehenden Prämien verrechnet werden. Dabei stellen sich die Fragen nach einer Rechtsgrundlage für eine solche Forderung und nach einem eine Haftung begründenden Verhalten der Kasse.
 
Das Eidgenössische Versicherungsgericht ist zur Beurteilung von Schadenersatzansprüchen im Zusammenhang mit Pflichtverletzungen eines Krankenversicherers zuständig (noch nicht in der Amtlichen Sammlung publiziertes Urteil V. vom 17. Juli 2003 [K 86/01], Erw. 4).
 
4.
 
Es fragt sich, ob der Beschwerdeführer allenfalls auf Grund des öffentlich-rechtlichen Vertrauensschutzes den Anspruch auf Bezahlung einer allfälligen Differenz zu niedrigeren Prämien bei einem anderen Versicherer als Schadenersatz geltend machen könnte. Ein haftungsbegründendes Verhalten der Kasse könnte darin gesehen werden, dass sie den Versicherten nur auf den Austrittsverhinderungsgrund der Zahlungsausstände hinwies, nicht aber (bzw. erst am 7. April 2000) auf das Erfordernis der Aufnahmebestätigung eines neuen Versicherers (Erw. 2.1). Es ist ohne weiteres davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die vorherigen Mitteilungen nicht erhalten hat. Aus dem Hinweis auf nur eine der damals geltenden Austrittsvoraussetzungen (vollständiges Bezahlen sämtlicher Ausstände) durfte der Beschwerdeführer schliessen, dass dies die einzige sei.
 
4.1 Der in Art. 9 BV verankerte Grundsatz von Treu und Glauben schützt den Bürger und die Bürgerin in ihrem berechtigten Vertrauen auf behördliches Verhalten und bedeutet u.a., dass falsche Auskünfte von Verwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung der Rechtsuchenden gebieten. Gemäss Rechtsprechung und Doktrin ist eine falsche Auskunft bindend,
 
1. wenn die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat;
 
2. wenn sie für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder wenn die rechtsuchende Person die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte;
 
3. wenn die Person die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres erkennen konnte;
 
4. wenn sie im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können;
 
5. wenn die gesetzliche Ordnung seit der Auskunftserteilung keine Änderung erfahren hat (BGE 127 I 36 Erw. 3a, 126 II 387 Erw. 3a; RKUV 2001 Nr. KV 171 S. 281 Erw. 3b, 2000 Nr. KV 126 S. 223, Nr. KV 133 S. 291 Erw. 2a; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 121 V 66 Erw. 2a mit Hinweisen).
 
4.2 Eine Berufung auf den Vertrauensschutz ist nicht nur bei Erteilung einer falschen Auskunft, sondern auch bei unterlassener Auskunftserteilung möglich, sofern eine bestimmte gesetzlich oder nach den besonderen Umständen des Einzelfalles gebotene Auskunft im konkreten Anwendungsfall unterblieben ist (BGE 124 V 220 Erw. 2b/aa, 113 V 70 Erw. 2; ARV 2002 Nr. 15 S. 115 Erw. 2c, 2000 Nr. 20 S. 98 Erw. 2b). Dabei gelten die vorstehend aufgezählten Kriterien sinngemäss (BGE 113 V 70 Erw. 2, 112 V 119 Erw. 3).
 
4.3 Eine Schadenersatzpflicht wegen unterlassener Auskunfterteilung ist vorliegend zu verneinen. Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer auch nach richtiger Aufklärung (vor Erlass von Zahlungsbefehlen und Einspracheentscheid) sich keinem anderen anerkannten Versicherer anschloss, ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu schliessen, dass die unterlassene Aufklärung für den Nichtbeitritt zu einem anderen Versicherer (Disposition) nicht kausal war.
 
4.4 Die Aussage der Kasse in ihrem (unvollständigen) Auskunftsschreiben vom 29. Januar 1999, wonach der bisherige Versicherer säumige Versicherte nur dann aus dem Versicherungsverhältnis entlassen darf, wenn sämtliche ausstehenden Prämien oder Kostenbeteiligungen bezahlt sind, war nach der damaligen Rechtslage richtig (vgl. Erw. 2). Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Berufung auf den Vertrauensschutz bei falschen Auskünften einer Behörde sind damit auch in diesem Punkte nicht erfüllt. Der Beschwerdeführer hat keinen Schadenersatzanspruch, weshalb offen bleiben kann, ob ein solcher mit ausstehenden Prämien verrechnet werden kann.
 
5.
 
Auch die beschwerdeweise erhobene Forderung, die Kasse sei durch eine Ergänzung des vorinstanzlichen Entscheiddispositivs ausdrücklich zu verpflichten, die auf dem Betreibungsweg bereits erhobenen Prämien zu verrechnen, ist abzuweisen. Die Kasse wird in Nachachtung des Entscheides der Vorinstanz eine Zusammenstellung vorzunehmen haben, welche mögliche Beitragsreduktionen auf Grund von Ausbildung oder anderweitig bestehender Unfalldeckung berücksichtigt und die geleisteten Prämienzahlungen sowie die Ausstände umfasst.
 
6.
 
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Entsprechend dem Prozessausgang gehen die Kosten zu Lasten des Beschwerdeführers (Art. 156 in Verbindung mit Art. 135 OG).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Sie sind durch den geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 1000.- gedeckt; der Differenzbetrag von Fr. 500.- wird zurückerstattet.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 27. August 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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