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Informationen zum Dokument  BGer I 466/2002  Materielle Begründung
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BGer I 466/2002 vom 28.07.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 466/02
 
Urteil vom 28. Juli 2003
 
II. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Grunder
 
Parteien
 
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
B.________, 1963, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Alex Beeler, Frankenstrasse 3, 6003 Luzern
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
 
(Entscheid vom 28. Mai 2002)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1963 geborene B.________ stellte am 7. Januar 1994 wegen eines (unfallbedingten) Rückenleidens und Nervosität ein Gesuch um Umschulung auf eine neue Arbeitstätigkeit sowie um Ausrichtung einer Invalidenrente. Die IV-Stelle Luzern holte unter anderem ein Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) X.________ vom 21. Dezember 1995 sowie einen Bericht der Klinik H.________ vom 18. Oktober 1994 ein und zog die Akten der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt bei. Mit Verfügung vom 13. Juni 1996 lehnte sie das Leistungsbegehren ab. Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher B.________ die Zusprechung von beruflichen Eingliederungsmassnahmen beantragen liess, hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern in dem Sinne gut, dass es die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit sie nach Durchführung des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens über den Anspruch auf berufliche Massnahmen neu befinde (Entscheid vom 25. November 1997). Die IV-Stelle holte einen Bericht des Dr. med. I.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 7. Januar 1999 ein, veranlasste eine Abklärung bei der Stiftung Y.________, BEFAS Berufliche Abklärungsstelle, vom 26. März 2001 und zog die Akten der SUVA bei, die wegen der Folgen eines Verkehrsunfalles vom 27. Juli 2000 Leistungen erbracht hatte. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren lehnte sie mit Verfügung vom 10. September 2001 den Anspruch auf eine Invalidenrente ab.
 
B.
 
Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher B.________ das Rechtsbegehren stellen liess, es sei ihm eine ganze, eventualiter eine halbe Invalidenrente zuzusprechen, hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern in dem Sinne gut, dass es die Verwaltungsverfügung aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, neu verfüge (Entscheid vom 28. Mai 2002).
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die IV-Stelle Luzern die Aufhebung des vorinstanzlichen Rückweisungsentscheids.
 
B.________ schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung. Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Nach der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts stellt der Rückweisungsentscheid einer kantonalen Rekursinstanz eine im Sinne von Art. 128 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 OG und Art. 5 VwVG mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht anfechtbare Endverfügung dar. Anfechtbar ist grundsätzlich nur das Dispositiv, nicht aber die Begründung eines Entscheides. Verweist indessen das Dispositiv eines Rückweisungsentscheides ausdrücklich auf die Erwägungen, werden diese zu dessen Bestandteil und haben, soweit sie zum Streitgegenstand gehören, an der formellen Rechtskraft teil. Dementsprechend sind die Motive, auf die das Dispositiv verweist, für die Behörde, an die die Sache zurückgewiesen wird, bei Nichtanfechtung verbindlich. Beziehen sich diese Erwägungen auf den Streitgegenstand, ist somit auch deren Anfechtbarkeit zu bejahen (BGE 120 V 237 Erw. 1a mit Hinweis).
 
2.
 
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze über den Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG) sowie die Invaliditätsbemessung bei Erwerbstätigen nach der Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig sind auch die Ausführungen zur Aufgabe des Arztes oder der Ärztin bei der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4).
 
Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 10. September 2001) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).
 
3.
 
3.1 Das kantonale Gericht ist in Würdigung der medizinischen Akten zum Schluss gelangt, dass Anhaltspunkte für einen psychischen Gesundheitsschaden vorlägen, weshalb eine psychiatrische Beurteilung indiziert sei. In dem zu Handen der SUVA erstatteten Gutachten vom 7. März 2001 habe Dr. med. M.________, Leitender Arzt Neurologie am Spital L.________, hinsichtlich der Angaben des Versicherten eine erhebliche Diskrepanz festgestellt, die in Berücksichtigung der möglichen und geltend gemachten Verschlechterung des Gesundheitszustandes auf eine psychische Störung hinweise und den organisch bedingten Beschwerden nach Distorsionstrauma der Halswirbelsäule zumindest gleichwertig sei. Bereits die Ärzte der Klinik N.________ hätten während des Aufenthalts des Versicherten vom 7. März bis 15. April 1994 eine Enuresis nocturna auf wahrscheinlich psychogener Grundlage bei einem infantil strukturierten Kosovo-Albaner mit Neigung zu vegetativer Dystonie, regressiven Verhaltensweisen, hysteriformer Aggravation somatischer Beschwerden und Pseudologien beobachten können (Bericht des psychosomatischen Konsiliums vom 28. März 1994). Die Klinik H.________ habe zudem eine Anpassungsstörung mit depressiver Verstimmung (reaktive Depression) diagnostiziert (Bericht vom 6. September 1994). Der von der MEDAS konsiliarisch beigezogene Psychiater habe diesen Umständen nicht Rechnung getragen, sodass auf das Gutachten vom 21. Dezember 1995 nicht abgestellt werden könne. Die Sache sei daher an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie eine psychiatrische Begutachtung veranlasse.
 
3.2 Die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde sind nicht geeignet, zu einer anderen Beurteilung zu führen. Offensichtlich fehl geht der Einwand, die Schlussfolgerung des Dr. med. M.________ (Symptomausweitung) könne nicht mit einem psychischen Leiden gleichgesetzt werden, geht es eben darum, die Hinweise dieses Arztes zu überprüfen und fachärztlich abzuklären. Sodann ist nicht entscheidend, ob die vorinstanzliche Beweiswürdigung der aus den Jahren 1994 und 1995 stammenden medizinischen Berichte zutreffend ist. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass sich in der Zeitspanne bis zum Erlass der Verfügung vom 10. September 2001 der psychische Gesundheitszustand möglicherweise verändert hat, wofür einerseits die Stellungnahme des Dr. med. M.________ spricht als auch die Vorbringen des Beschwerdegegners im vorinstanzlichen Verfahren, wonach er in Behandlung bei Dr. med. C.________, Psychiatrisches Ambulatorium, steht. Weder der Arzt der BEFAS (Bericht vom 26. März 2001) noch Dr. med. I.________ (Bericht vom 7. Januar 1999) haben eine neue medizinische Beurteilung abgegeben. Zusammengefasst kann an Hand der medizinischen Akten nicht zuverlässig beurteilt werden, ob der Versicherte im für die Beurteilung massgeblichen Zeitpunkt bei Verfügungserlass an einer psychischen Krankheit litt, die Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit hat. Dem nicht zu beanstandenden vorinstanzlichen Rückweisungsentscheid ist nur beizufügen, dass die IV-Stelle nach erfolgter Abklärung des psychischen Gesundheitsschadens entsprechend dem kantonalen Erkenntnis vom 25. November 1997 auch über das Gesuch um berufliche Eingliederungsmassnahmen zu befinden haben wird.
 
4.
 
Dem Ausgang des letztinstanzlichen Verfahrens entsprechend steht dem Versicherten eine Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 1 OG); damit erweist sich sein Antrag auf Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung als gegenstandslos.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Die IV-Stelle Luzern hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 28. Juli 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
i.V.
 
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