VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 8G.73/2003  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 8G.73/2003 vom 07.07.2003
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8G.73/2003 /pai
 
Urteil vom 7. Juli 2003
 
Anklagekammer
 
Besetzung
 
Bundesrichter Karlen, Präsident,
 
Bundesrichter Fonjallaz, Marazzi,
 
Gerichtsschreiber Monn.
 
Parteien
 
Generalprokurator des Kantons Bern, 3001 Bern,
 
Gesuchsteller,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Bielstrasse 9, 4509 Solothurn, Gesuchsgegnerin.
 
Gegenstand
 
Bestimmung des Gerichtsstandes in Sachen A.________.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.________ wird unter anderem vorgeworfen, er habe in den Kantonen Solothurn und Bern Brandstiftungen begangen. Am 24. November 2002, um ca. 22.05 Uhr, soll er in Solothurn/SO und wenige Stunden später, am 25. November 2002, um ca. 01.15 Uhr, in Biel/BE je ein Fahrzeug in Brand gesetzt haben.
 
Bereits wenige Tage zuvor, am 17. November 2002, um ca. 05.20 Uhr, hatte sich in Lyss/BE eine Brandstiftung an einem Fahrzeug ereignet.
 
Die Behörden der Kantone Solothurn und Bern führten in der Folge seit Januar 2003 Gerichtsstandsverhandlungen. Sie konnten sich jedoch nicht einigen.
 
B.
 
Der Generalprokurator des Kantons Bern wendet sich mit Eingabe vom 22. Juni 2003 an die Anklagekammer des Bundesgerichts und beantragt, es sei der Kanton Solothurn für die Verfolgung und Beurteilung von A.________ für berechtigt und verpflichtet zu erklären (act. 1).
 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn beantragt in ihrer Stellungnahme vom 24. Juni 2003, das Gesuch des Generalprokurators sei abzuweisen und die Behörden des Kantons Bern seien für die Verfolgung und Beurteilung aller strafbaren Handlungen des A.________ berechtigt und verpflichtet zu erklären (act. 5).
 
Die Kammer zieht in Erwägung:
 
1.
 
Soweit die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn am Rande geltend macht, A.________ komme für die Brandstiftung in Lyss vom 17. November 2002 sowie für weitere, ebenfalls lange vor dem Brand in Solothurn verübte und ermittelte Brandstiftungen als Täter in Frage (act. 5 S. 3), ist darauf nicht einzutreten. Nach ständiger Rechtsprechung der Anklagekammer genügt ein Gesuch um Bestimmung des Gerichtsstands in inhaltlicher Hinsicht den Anforderungen nur dann, wenn ihm ohne Durchsicht der kantonalen Akten die wesentlichen Tatsachen entnommen werden können (BGE 121 IV 224 E. 1 mit Hinweis; kürzlich bestätigt im Urteil 8G.15/2003 vom 9. Mai 2003 E. 1.1). Dies gilt auch für eine Stellungnahme zu einem Gesuch, soweit darin gerichtsstandsrelevante Behauptungen aufgestellt werden. Aus welchen Gründen A.________ für die von der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn erwähnten Taten in Frage kommen könnte, ist dem kurzen Hinweis in der Stellungnahme vom 24. Juni 2003 nicht zu entnehmen.
 
2.
 
Es ist unbestritten, dass die Brandstiftung in Solothurn wenige Stunden vor derjenigen in Biel begangen wurde. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn stellt sich jedoch auf den Standpunkt, nicht der Zeitpunkt der Tat, sondern derjenige der ersten Ermittlungshandlung gegen einen bereits bekannten oder noch unbekannten Täter sei für die Bestimmung des Gerichtsstands massgebend. Die Kantonspolizei Solothurn habe nach einem Gespräch mit dem Besitzer des brennenden Fahrzeugs vorerst eine technische Ursache der Brandentstehung vermutet. Erst durch einen Hinweis auf den Täter durch die Einsatzzentrale Biel habe sich am 25. November 2002, um 04.22 Uhr, der Verdacht auf eine strafbare Brandstiftung ergeben. Gegen A.________ sei demnach im Kanton Solothurn frühestens zu diesem Zeitpunkt eine Untersuchung angehoben worden. Demgegenüber seien die Ermittlungen in Biel durch die Verhaftung des geständigen Täters bereits um 01.15 Uhr abgeschlossen gewesen. Bei dieser Sachlage sei die Untersuchung zuerst im Kanton Bern angehoben worden, weshalb dieser Kanton zuständig sei (act. 5 S. 2).
 
Es trifft zu, dass in einem Fall wie dem vorliegenden der Ort für die Bestimmung des Gerichtsstands massgebend ist, an dem die Untersuchung zuerst angehoben worden ist (Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB). Die Untersuchung ist angehoben, wenn die Polizei durch die Vornahme von Erhebungen oder in anderer Weise zu erkennen gibt, dass sie jemanden, sei er ihr bereits bekannt oder noch unbekannt, einer strafbaren Handlung verdächtigt (BGE 114 IV 76 E. 1; bestätigt im Urteil G.30/1990 vom 28. Juni 1990 E. 2; Schweri, Interkantonale Gerichtsstsandsbestimmung in Strafsachen, Bern 1987, N 127).
 
Die Anklagekammer geht von den Akten aus, die ihr vorliegen. Relevant für den vorliegenden Fall sind somit die mit einiger Verspätung erstellte Strafanzeige der Kantonspolizei Solothurn vom 11. März 2003 sowie die bereits am 26. November 2002 erstellten fotografischen Aufnahmen des beschädigten Fahrzeugs. Diesen Unterlagen ist zu entnehmen, dass A.________ zunächst mit einem Hammer die rechte hintere Fensterscheibe vollständig zertrümmerte, um sich so den Zugang zum Fahrzeug zu verschaffen und dieses in der Folge beim Führersitz anzuzünden (Anzeige S. 1; Aufnahme Nr. 6). Der Polizei ist sofort aufgefallen, dass die Fensterscheibe hinten rechts nicht wegen der Hitzeeinwirkung geborsten sein konnte, weil aufgrund des Spurenbildes unschwer zu erkennen war, dass der Brand seinen Anfang im vorderen Teil der Fahrgastzelle genommen hatte (Anzeige S. 3). Die Fensterscheibe musste folglich eingeschlagen worden sein, und dies war - wie auch aus den fotografischen Aufnahmen ersichtlich ist - für die Polizei erkennbar. Bei dieser Sachlage kann ernstlich nicht behauptet werden, dass für die Polizei zunächst primär eine technische Ursache im Vordergrund gestanden hätte. Der Anzeige ist denn auch ganz klar zu entnehmen, dass die Polizei aufgrund des Spurenbildes eine technische Ursache "mit Sicherheit" ausschloss (Anzeige S. 2). Es ist nicht ersichtlich, gestützt auf welche anderen Unterlagen die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn zu einem anderen Ergebnis kommt. Dass die Behörden des Kantons Solothurn erst um 04.22 Uhr von der Person des Täters Kenntnis erhielten, ist irrelevant, weil der Verdacht gegen eine unbekannte Täterschaft ausreicht.
 
Aus dem genannten Grund wurde die Untersuchung zuerst im Kanton Solothurn angehoben, weshalb das Gesuch des Generalprokurators des Kantons Bern gutzuheissen ist.
 
Demnach erkennt die Kammer:
 
1.
 
Das Gesuch des Generalprokurators des Kantons Bern wird gutgeheissen, und die Behörden des Kantons Solothurn werden berechtigt und verpflichtet erklärt, die A.________ vorgeworfenen strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 7. Juli 2003
 
Im Namen der Anklagekammer
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).