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Informationen zum Dokument  BGer I 44/2003  Materielle Begründung
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BGer I 44/2003 vom 27.06.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 44/03
 
Urteil vom 27. Juni 2003
 
II. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Ackermann
 
Parteien
 
B.________, 1948, Beschwerdeführerin, vertreten durch Herrn lic.iur. Max S. Merkli, Praxis für Sozialversicherungsrecht, Schaffhauserstrasse 345, 8050 Zürich,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn
 
(Entscheid vom 2. Dezember 2002)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.________, geboren 1948, arbeitete ab Dezember 1991 als teilzeitweise angestellte Servicemitarbeiterin in einem Gästehaus der Firma S.________ und ab Juni 1998 im Nebenerwerb als Schmuckberaterin für die Firma X.________. Am 19. März 1999 erlitt sie einen Autounfall, worauf der Hausarzt eine Commotio cerebri und ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule diagnostizierte. Nachdem sie ihre Stelle bei der S.________ per Ende Januar 2000 gekündigt hatte, meldete sich B.________ am 27. März 2000 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an, worauf die IV-Stelle des Kantons Solothurn die (umfangreichen) Akten des Unfallversicherers sowie die polizeilichen Unterlagen zum Unfall von März 1999 einholte. Die Verwaltung zog im Weiteren je einen Bericht der beiden Arbeitgeber (S.________ vom 25. Mai 2000, X.________ vom 6. Juni 2000) sowie des Hausarztes Dr. med. F.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 13. Juni 2000 bei. B.________ gab auf Ende März 2001 ihre Beratertätigkeit für die X.________ auf, fand jedoch ab dem 14. April 2001 eine Arbeitsstelle im Umfang von 50% im Frühstücksservice des Hotels K.________, nachdem sie dort - im Rahmen der beruflichen Eingliederung durch die Invalidenversicherung - ab Mitte Februar 2001 einen zweimonatigen Arbeitsversuch absolviert hatte. Nach durchgeführtem Vorbescheid lehnte die IV-Stelle mit Verfügung vom 20. Juli 2001 den Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung ab, da in Anwendung der gemischten Bemessungsmethode ein Invaliditätsgrad von unter 40% vorliege.
 
B.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 2. Dezember 2002 ab, nachdem es in Rahmen des Beweisverfahrens unter anderem eine Instruktionsverhandlung durchgeführt hatte.
 
C.
 
B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der Verwaltungsverfügung sei ihr ab dem 1. März 2000 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zuzusprechen.
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 20. Juli 2001) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar.
 
2.
 
Zutreffend sind die Darlegungen der Vorinstanz über den Begriff der Invalidität (Art. 4 IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG), die Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG), bei nichterwerbstätigen Versicherten nach der spezifischen Methode (Art. 5 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 sowie Abs. 2 IVV in der am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Fassung) und bei Teilerwerbstätigen nach der gemischten Methode (Art. 27bis Abs. 1 IVV in der seit 1. Januar 2001 geltenden Fassung in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 IVG und Art. 27 IVV sowie Art. 28 Abs. 2 IVG). Dasselbe gilt für die Grundlagen des Entscheids über die anwendbare Bemessungsmethode (BGE 125 V 150 Erw. 2c, 117 V 194 Erw. 3b, je mit Hinweisen) und die Aufgabe der Ärzte bei der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4). Darauf wird verwiesen.
 
3.
 
Streitig ist der Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung und in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage der anwendbaren Methode zur Festlegung des Invaliditätsgrades.
 
3.1 Das kantonale Gericht ist davon ausgegangen, dass die Versicherte ohne Eintritt des Gesundheitsschadens den bisherigen Umfang (ca. 20 bis 30%) ihrer Erwerbstätigkeit erhöht hätte, indem sie die Tätigkeit im Gastgewerbe auf 50% ausgebaut und die Nebentätigkeit als Schmuckberaterin im bisherigen Umfang weitergeführt hätte, so dass ein Erwerbsanteil von 70% und damit die Anwendung der gemischten Bemessungsmethode resultiere. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird dagegen ausgeführt, dass ohne Gesundheitsschaden eine vollständige Erwerbstätigkeit vorläge und in der Folge die Bemessung des Invaliditätsgrades nach der Einkommensvergleichsmethode vorzunehmen sei. In dieser Hinsicht bringt die Versicherte vor, dass sie die bisherige Tätigkeit bei der S.________ auf ein Pensum von 70% bis 80% ausgebaut hätte, was auch möglich gewesen wäre; im Übrigen habe sie bereits in den Jahren 1991 bis 1994 - als ihre beiden 1977 und 1979 geborenen Kinder noch schulpflichtig gewesen seien - bereits im Umfang von 80% im Rahmen dieser Stelle gearbeitet.
 
3.2 Es steht fest und ist auch unbestritten, das auf Anfang März 1999 eine Stelle im Umfang von 70% bis 80% im Gästehaus der S.________ frei geworden ist und die Beschwerdeführerin ein Angebot dafür erhalten hat. Weiter ist davon auszugehen, dass die Versicherte - wenn sie es gewollt hätte - diese Stelle mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erhalten hätte, da sie seit 1991 im Betrieb arbeitete und die Tätigkeit daher bestens kannte; es ist in dieser Hinsicht nicht massgebend, dass das Stellenangebot nicht formell von der S.________, sondern von den direkten Vorgesetzten der Versicherten ausgegangen ist, muss doch angenommen werden, dass die Verantwortlichen der Arbeitgeberfirma auf die Empfehlung der direkten Vorgesetzten abgestellt hätten. Wäre die Beschwerdeführerin also an einer Aufstockung ihres Teilzeitpensums auf 70% bis 80% ernsthaft interessiert gewesen, hätte sie das Angebot angenommen und die Erhöhung des Pensums wäre im Unfallzeitpunkt (19. März 1999) schon vertraglich vereinbart oder zumindest formell in Gang gesetzt worden; so hat denn die schliesslich für das vorgesehene Pensum angestellte Person ihren Vertrag mit der S.________ bereits am 9. März 1999 - d.h. zehn Tage vor dem Unfall - abschliessen können. Im Weiteren hätte die Versicherte auch von Anfang an ausgeführt, sie sei zu 70 bis 80% angestellt resp. die Aufstockung ihres Pensums sei im Gange; gegenüber der Unfallversicherung hat sie jedoch immer nur von einer künftigen Erhöhung gesprochen. Da die Erhöhung des Pensums im Unfallzeitpunkt weder abgeschlossen noch konkret in die Wege geleitet worden war, muss daraus geschlossen werden, dass die Versicherte an einer Steigerung ihrer Erwerbstätigkeit im behaupteten Ausmass nicht ernsthaft interessiert gewesen ist. Jedoch ist mit dem kantonalen Gericht davon auszugehen, dass die Versicherte eine Erhöhung ihrer Teilerwerbstätigkeit auf ein Pensum von etwa 50% beabsichtigt hätte. Dies ist auch im Hinblick auf die Nebenerwerbstätigkeit und den Haushalt anzunehmen: Ohne Eintritt des Gesundheitsschadens wäre die Beschwerdeführerin wohl weiterhin als Schmuckberaterin tätig, versuchte sie doch diese Tätigkeit auch nach dem Unfall weiterzuführen; entgegen der Andeutung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist im Weiteren davon auszugehen, dass die Versicherte den Haushalt neben ihrer Erwerbstätigkeit weiterhin - mindestens zum grössten Teil - allein geführt hätte, da der Unfallversicherer unter dem Titel "Haushaltschaden" eine Entschädigung für den "Drittaufwand durch Ehemann" ausgerichtet hat, was jedoch bei einer Aufteilung der Haushaltsarbeit nicht der Fall gewesen wäre und darauf zurückzuführen ist, dass die Versicherte angegeben hat, ohne Gesundheitsschaden den gesamten Haushalt allein zu führen. Auch unter Berücksichtigung des Nebenerwerbs und der Haushaltführung ist deshalb die behauptete, aber im Februar/März 1999 nicht erfolgte (und auch nicht zumindest konkret in die Wege geleitete) Steigerung der Erwerbstätigkeit zu verneinen.
 
Damit ist mit der Vorinstanz von einer Teilerwerbstätigkeit ohne Gesundheitsschaden von 70% auszugehen, die sich aus einer Haupttätigkeit von 50% und einem Nebenerwerb von 20% (d.h. einem Tag pro Woche) zusammensetzt. Dies führt für die Festsetzung des Invaliditätsgrades zur Anwendung der gemischten Bemessungsmethode.
 
3.3 Für die Bemessung der Einschränkung im Erwerbsbereich bestehen im Zusammenhang mit der Bestimmung des Einkommens ohne Invalidität (Valideneinkommen) einige Unklarheiten: So ist fraglich, ob auf die Tabellenlöhne der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung oder auf die Angabe des Hotels K.________ vom 22. März 2002, wonach die Versicherte ohne Gesundheitsschaden vollzeitig eine Kaderstelle mit einem Lohn von monatlich Fr. 3'800.-- einnehmen könnte, abzustellen ist. Weiter ist nicht sicher, ob der vom Hotel K.________ genannte Betrag jährlich zwölf- oder dreizehnmal geschuldet ist und wie viel der Nebenerwerb als Schmuckverkäuferin effektiv ausmacht. Diese Fragen können jedoch offen gelassen werden, da auch unter Annahme der jeweils höchsten Beträge ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad resultiert: Wird für die Bestimmung auf die Lohnangabe des Hotels K.________ vom 22. März 2002 abgestellt, wonach die Versicherte ohne Gesundheitsschaden vollzeitig eine Kaderstelle mit einem Lohn von monatlich Fr. 3'800.-- einnehmen könnte, und dabei ein - allerdings nicht ausgewiesener - dreizehnter Monatslohn berücksichtigt, ergibt sich bei einem Pensum von 50% (vgl. Erw. 3.2 hievor) ein Jahreseinkommen von Fr. 24'700.--. Dieser Betrag stimmt in etwa mit den Angaben der Tabelle A1, Zeile 55, der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2000 überein, wonach auf Anforderungsniveau 3 (Berufs- und Fachkenntnisse vorausgesetzt) bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beschäftigte Frauen monatlich Fr. 3'602.-- brutto verdienen, was unter Berücksichtigung der Lohnentwicklung für das massgebende Jahr des Verfügungserlasses 2001 (2.4%; Die Volkswirtschaft 5/2003 S. 83 Tabelle B10.2 Zeile G), der im Jahr 2001 betriebsüblichen Wochenarbeitszeit von 42.2 Stunden (Die Volkswirtschaft 5/2003 S. 82 Tabelle B9.2 Zeile H), sowie eines Pensums von 50% jährlich Fr. 23'347.90 ausmacht. Zusätzlich ist der Nebenerwerb als Schmuckberaterin zu berücksichtigen, welcher gemäss den (nicht weiter belegten) Angaben in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde etwa Fr. 9'000.-- bis Fr. 10'000.-- pro Jahr beträgt. Das Einkommen nach Eintritt des Gesundheitsschadens (Invalideneinkommen) ist anhand des aktuellen Verdienstes auf Fr. 21'600.-- (zwölfmal Fr. 1'800.--) jährlich festzusetzen, was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde denn auch nicht bestritten wird. Damit beträgt die Invalidität im Erwerbsbereich unter Verwendung des grösstmöglichen Valideneinkommens (Angaben Hotel K.________ inkl. dreizehnter Monatslohn sowie Fr. 10'000.-- Nebenerwerb) maximal 37.75%, was bei einer Gewichtung von 70% (vgl. Erw. 3.2 in fine hievor) eine Einschränkung von 26.42% ergibt.
 
3.4 Im Haushaltsbereich geht die Versicherte von einer Einschränkung von mindestens 20% bis 25% aus, während die IV-Stelle in diesem Bereich keinerlei Einschränkungen annimmt. Die Invalidität im Aufgabenbereich kann aber letztlich offen bleiben, denn es müsste im Haushalt eine Einschränkung von mindestens 50% vorliegen, welche bei einer Gewichtung von 30% (vgl. Erw. 3.2 in fine hievor) eine Teilinvalidität von 15% ausmachen und - unter Berücksichtigung des maximal möglichen Einschränkung im Erwerbsbereich von 26.42% (vgl. Erw. 3.3 in fine hievor) - zu einer rentenbegründenden Gesamtinvalidität von über 40% führen würde. Eine Einschränkung im Haushalt ist aufgrund der Akten - insbesondere der Notizen der Unfallversicherung über die jeweiligen Gespräche mit der Versicherten - in diesem Ausmass jedoch nicht ersichtlich und auch nicht behauptet, so dass sich weitere Abklärungen in dieser Hinsicht erübrigen.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, der Ausgleichskasse EXFOUR, Basel, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 27. Juni 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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