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Informationen zum Dokument  BGer 5P.40/2003  Materielle Begründung
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BGer 5P.40/2003 vom 27.05.2003
 
Tribunale federale
 
{T 1/2}
 
5P.40/2003 /bnm
 
Urteil vom 27. Mai 2003
 
II. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Raselli, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
 
Gerichtsschreiber Möckli.
 
Parteien
 
Heinz Julen, Haus Hermitage, 3920 Zermatt,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat Schmid, Kantonsstrasse 1a, Postfach 272,
 
3930 Visp,
 
gegen
 
1. Alexander Schärer, Schlossgutweg 39, 3073 Gümligen,
 
2. Maryana Bilski, Schlossgutweg 39, 3073 Gümligen,
 
Beschwerdegegner,
 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roland Fux, Bahnhofplatz 7, 3930 Visp,
 
Kantonsgericht Wallis, Zivilgerichtshof I, Justizgebäude, 1950 Sion 2.
 
Gegenstand
 
Art. 9 BV (Persönlichkeitsschutz),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Wallis, Zivilgerichtshof I, vom 10. Dezember 2002.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Heinz Julen und Alexander Schärer planten den Bau eines exklusiven Hotels in Zermatt. Nachdem dieses provisorisch eröffnet und für die Ausführung der verbleibenden Arbeiten wieder geschlossen worden war, überwarfen sich die beiden. In der Folge malte Heinz Julen 30 Porträts von Personen, die am Bau beteiligt waren, wobei er hierfür einzig von Alexander Schärer und dessen Freundin Maryana Bilski keine Einwilligung einholte. Die Porträts stellte er unter dem Titel "Der letzte Raum einer Vision ist eine Installation" vom 24. bis. 27. November 2000 an der internationalen Messe für Gegenwartskunst in Zürich-Oerlikon auf, und er legte dazu ein Flugblatt aus, in welchem er das Scheitern des Hotelprojekts aus seiner Sicht schilderte. Über diese "Bilderinstallation" wurde in der Presse mehrmals berichtet. Die Porträts von Alexander Schärer und Maryana Bilski wurden vom Bezirksgericht Visp im Rahmen vorsorglicher Massnahmen beschlagnahmt.
 
B.
 
Am 2. Mai 2001 reichten Alexander Schärer und Maryana Bilski gegen Heinz Julen eine Klage ein. Sie verlangten im Wesentlichen die Feststellung der Persönlichkeitsverletzung durch die Porträts, ein Anfertigungs-, Reproduktions- und Veröffentlichungsverbot sowie die Herausgabe der Bilder und schliesslich die Leistung einer Genugtuung an eine ideelle Organisation.
 
Mit Urteil vom 10. Dezember 2002 stellte das Kantonsgericht des Kantons Wallis, Zivilgerichtshof I, fest, dass die von Heinz Julen angefertigten Porträts von Alexander Schärer und Maryana Bilski einen widerrechtlichen Eingriff in deren Persönlichkeit darstellen, und es verbot ihm, die Bilder oder Abbildungen davon auszustellen und weitere Porträts anzufertigen, zu reproduzieren, zu veröffentlichen oder Dritten zugänglich zu machen. Des Weiteren verpflichtete es ihn zur Herausgabe der Porträts nach Rechtskraft des Urteils, und es missbilligte die öffentliche Ausstellung des Porträts von Maryana Bilski. Schliesslich verurteilte es Heinz Julen zur Leistung einer Genugtuung von Fr. 3'000.-- für Maryana Bilski an die "Aeschlimann Louise und Margareta Corti Stiftung".
 
C.
 
Dagegen hat Heinz Julen sowohl Berufung als auch staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Mit Letzterer verlangt er die Aufhebung des angefochtenen Urteils. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Wird in der gleichen Sache sowohl Berufung als auch staatsrechtliche Beschwerde eingereicht, ist in der Regel zuerst über die staatsrechtliche Beschwerde zu befinden und die Entscheidung über die Berufung auszusetzen (Art. 57 Abs. 5 OG). Es besteht kein Anlass, anders zu verfahren.
 
2.
 
Der Beschwerdeführer hält den Zuspruch einer Genugtuung an die Beschwerdegegnerin für willkürlich, weil deren Unbill weder bewiesen noch überhaupt dargetan sei.
 
Die Vorinstanz hat einleitend auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung hingewiesen, wonach der Verletzte die Umstände darzutun hat, aus denen auf seinen seelischen Schmerz geschlossen werden kann (BGE 120 II 97 E. 2b S. 99). Sie hat anschliessend befunden, die Beschwerdegegner würden durch den Ausgang des Verfahrens eine "gewisse Genugtuung" erfahren und beim Beschwerdegegner sei eine darüber hinausgehende seelische Unbill nicht in substanziierter Form dargetan. Anders verhalte es sich mit Bezug auf die Beschwerdegegnerin; trotz gewandelter Moralvorstellungen stelle die Abbildung einer Frau mit nacktem Oberkörper grundsätzlich einen schweren Eingriff in deren Persönlichkeit dar, zumal sie dem Beschwerdeführer nie mit entblösstem Oberkörper posiert oder sonst wie Anlass für eine derartige Darstellung gegeben habe. Pikanterweise sei in den Medienberichten regelmässig ihr Porträt gezeigt worden, wobei sich der Beschwerdeführer zum Teil sogar davor habe photographieren lassen.
 
Die Beschwerdegegnerin hatte im Parteiverhör ausgesagt, sie würde sich nie in dieser Pose, d.h. unbekleidet, zeigen, das gehe gegen ihre Erziehung und Kultur. Sie sei religiös betroffen worden, weil sie mit einem Apfel dargestellt worden sei, d.h. als Eva, die Adam im Paradies verführe; sie würde so etwas nie zulassen (p. 385 der kantonalen Akten). Das Kantonsgericht hat diese Aussagen in seinen Erwägungen nicht wiedergegeben, sondern in generell-abstrakter Weise und damit im Sinne eines allgemeinen Erfahrungssatzes befunden, die Abbildung einer Frau mit nacktem Oberkörper, ohne dass das Einverständnis der Betroffenen vorliege und ohne dass diese Anlass zu solcher Darstellung geboten hätte, stelle in jedem Fall eine schwere Verletzung dar, die seelischen Schmerz hervorrufe. Allgemeine Erfahrungssätze erfüllen die Funktion von Normen und sind folglich nicht Gegenstand der Beweisführung (vgl. BGE 120 II 97 E. 2b S. 99). Insofern stösst das die Beweisführung betreffende Vorbringen, das Kantonsgericht habe der Beschwerdegegnerin willkürlich eine Genugtuung zugesprochen, ohne dass diese ihre seelische Unbill bewiesen hätte, ins Leere. Dass es den betreffenden Erfahrungssatz gar nicht gebe oder dass er falsch und damit in Verletzung von Bundesrecht angewandt worden sei, wäre mit Berufung darzutun; die staatsrechtliche Beschwerde steht hierfür nicht offen.
 
3.
 
Der Beschwerdeführer erblickt auch im Umstand Willkür, dass ihm die gesamten Gerichts- und Parteikosten auferlegt worden sind. Im kantonalen Prozess sei es einerseits um die Persönlichkeitsverletzung, andererseits um die Genugtuung gegangen. Im zweiten Punkt seien die Beschwerdegegner, die einen Betrag von Fr. 10'000.-- verlangt hätten, weitgehend unterlegen.
 
Das Kantonsgericht hat seinen Kostenentscheid auf Art. 252 ZPO/VS gestützt, nach dem von der verhältnismässigen Teilung abgewichen werden kann, wenn die unterliegende Partei sich in guten Treuen zur Prozessführung veranlasst sah oder wenn dem Kläger die genaue Bezifferung seines Anspruches nicht zumutbar war und seine Klage grundsätzlich gutgeheissen wird. Es hat zutreffend ausgeführt, im vorliegenden Fall seien die Beschwerdegegner im Grundsatz durchgedrungen und die Rechtsbegehren 1 - 3 (Feststellung der Persönlichkeitsverletzung; Verbot der Reproduktion und Veröffentlichung; Herausgabe der beschlagnahmten Porträts) seien vollumfänglich gutgeheissen worden. Zu Recht hat es daraus gefolgert, auf das Gesamte betrachtet falle das teilweise Unterliegen hinsichtlich der Genugtuung - deren Zuspruch von der Gutheissung des Hauptpunktes abhängig und die vorliegend im Grundsatz bejaht worden ist - kaum ins Gewicht, zumal die Beschwerdegegner auf Grund des Verhaltens des Beschwerdeführers zur Durchsetzung ihrer legitimen Interessen zur Klage gezwungen gewesen seien. Was an diesen Erwägungen und der vollständigen Kostenauflage an den Beschwerdeführer willkürlich sein soll, ist nicht ersichtlich.
 
4.
 
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der in Art. 21 BV garantierten Kunstfreiheit; bei der Güterabwägung hätte sich die Vorinstanz für die Kunstfreiheit entscheiden müssen, die dem Persönlichkeitsschutz vorgehe.
 
Der angefochtene Entscheid ist in Anwendung der Art. 28 ff. ZGB ergangen. Freilich sind die rechtsanwendenden Instanzen gehalten, die zivilrechtlichen Normen über den Persönlichkeitsschutz verfassungskonform auszulegen (vgl. etwa BGE 111 II 209 E. 3c S. 213 f. betr. Pressefreiheit). Will der Beschwerdeführer geltend machen, die Vorinstanz habe (mangels verfassungskonformer Auslegung) Bundesrecht verletzt, hat er dies jedoch mit Berufung vorzutragen (Art. 43 Abs. 1 OG). Steht die Berufung offen, was vorliegend zutrifft, fällt die staatsrechtliche Beschwerde für die betreffenden Vorbringen wegen des Prinzips der absoluten Subsidiarität ausser Betracht (Art. 84 Abs. 2 OG).
 
Ebenso wenig kann mit ihr vorgebracht werden, die Kunstfreiheit gehe dem Persönlichkeitsschutz in einem absoluten Sinn vor, wie dies der Beschwerdeführer sinngemäss tut ("Art. 21 BV prävaliert gegenüber Art. 28 ZGB"): Die Rüge, die darauf hinausläuft, eine Bestimmung auf Gesetzesstufe sei verfassungswidrig, ist von vornherein nicht zu hören. Bundesgesetze sind für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgeblich (Art. 191 BV). Insofern ist es unzulässig, sich hinsichtlich der Anwendung von Bundesgesetzen direkt auf ein Grundrecht zu berufen (vgl. BGE 107 Ia 277 E. 3a S. 280 f. betr. Pressefreiheit). Auf die betreffende Rüge ist folglich nicht einzutreten.
 
5.
 
Der Beschwerdeführer macht abschliessend eine Verletzung der Kunstfreiheit und der Eigentumsgarantie im Zusammenhang mit der Konfiskation und Herausgabe der Bilder an die Beschwerdegegner geltend.
 
Das Kantonsgericht hat sich bei der Anordnung der Herausgabe der beiden Porträts auf Art. 28a Abs. 1 Ziff. 2 ZGB gestützt und diesbezüglich festgehalten, angesichts der bereits eingetretenen und der durch weitere Ausstellungen drohenden Persönlichkeitsverletzung lasse sich der Beseitigungsanspruch der Beschwerdegegner nur durch Vernichtung oder Herausgabe der Bilder wirksam wahren.
 
Ob sich die umstrittene Herausgabe auf den Beseitigungsanspruch gemäss Art. 28a Abs. 1 Ziff. 2 ZGB zu stützen vermag, ist eine Frage des Bundesprivatrechts, die im Berufungsverfahren zu thematisieren ist. Im Weiteren wird der Schutz des Eigentums im Verhältnis zwischen Subjekten des Privatrechts durch die einschlägigen Normen des ZGB verwirklicht. Deren allfällige Verletzung wäre mit Berufung zu rügen, während die staatsrechtliche Beschwerde auch diesbezüglich nicht zur Verfügung steht.
 
6.
 
Zusammenfassend ergibt sich, dass die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen ist, soweit überhaupt auf sie eingetreten werden kann. Bei diesem Ergebnis ist die Gerichtsgebühr dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Da keine Vernehmlassung eingeholt worden ist, entfällt nach stehender Praxis ein Entschädigungsanspruch.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Wallis, Zivilgerichtshof I, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 27. Mai 2003
 
Im Namen der II. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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