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Informationen zum Dokument  BGer 1P.145/2003  Materielle Begründung
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BGer 1P.145/2003 vom 28.03.2003
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.145/2003 /sta
 
Urteil vom 28. März 2003
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
 
Bundesgerichtsvizepräsident Nay,
 
Bundesrichter Aeschlimann,
 
Gerichtsschreiberin Scherrer.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Josef Ulrich, Industriestrasse 7, 6005 Luzern,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
 
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau,
 
Obergericht des Kantons Aargau, 2. Strafkammer, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; Beweiswürdigung,
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 2. Strafkammer,
 
vom 19. Dezember 2002.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ wurde wegen Stellenantritts ohne Bewilligung, Mittäterschaft bei Erleichtern des illegalen Aufenthalts in der Schweiz sowie Mittäterschaft bei mehrfachem Beschäftigen von Ausländern ohne Bewilligung in Anwendung der Art. 1, Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 al. 5, Abs. 4 und 6 des Bundesgesetzes über den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländern vom 26. März 1931 (ANAG) mit einer Busse von Fr. 2'000.-- bestraft. Dem Strafbefehl des Bezirksamtes Muri vom 17. Januar 2002 lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
 
"Anlässlich einer polizeilichen Kontrolle vom 26. September 2001 im Sauna-Club A.________ in ... wurde festgestellt, dass die Beschuldigte, welche sich selber als Geschäftsführer-Stellvertreterin des V.I.P. Club A.________ deklarierte, zusammen mit ihrem Ehemann, Y.________ (separates Verfahren), die ungarischen Staatsangehörigen, B.________, geb. 24.7.1980, C.________, geb. 17.1.1976, D.________, geb. 13.11.1976, E.________, geb. 30.5.1978, F.________, geb. 21.11.1979, G.________, geb. 26.9.1980 und H.________, geb. 6.4.1983, dort als Prostituierte beschäftigte. Teilweise hatten sie an diesem Tag bereits Kunden bedient, teilweise warteten sie in Arbeitskleidung (nur im Stringtanga bekleidet) auf Kundschaft. Die Arbeitsaufnahme und der Aufenthalt der genannten Frauen, welche (recte: sich) alle illegal (ohne entsprechende fremdenpolizeiliche Bewilligung) in diesem Club aufhielten, betrug zwischen einem Tag und ca. einem Monat. Die Beschuldigten stellten ihnen zudem im 1. Stock des Einfamilienhauses Zimmer zur Verfügung. Dort waren auch die persönlichen Utensilien der illegal Beschäftigten deponiert.
 
X.________ hielt sich zur Kontrollzeit ebenfalls im Club auf und arbeitet dort gemäss ihren eigenen Aussagen seit ca. 2 Monaten im Service, verabreicht Massagen und führt Putzarbeiten aus, obwohl sie über keine Arbeitsbewilligung für den Kanton Aargau verfügt."
 
B.
 
Gegen den Strafbefehl vom 17. Januar 2002 erhob X.________ Einsprache beim Bezirksgericht Muri. Das Bezirksgericht befand sie mit Urteil vom 16. April 2002 des Stellenantritts ohne Bewilligung sowie des mehrfachen Beschäftigens von Ausländern ohne Bewilligung für schuldig. Es auferlegte ihr eine Busse von Fr. 1'400.--, zuzüglich der Verfahrenskosten.
 
C.
 
X.________ reichte gegen dieses Urteil beim Obergericht des Kantons Aargau Berufung ein. Das Obergericht bestätigte den vorinstanzlichen Entscheid (bis auf eine Berichtigung der massgeblichen Gesetzesbestimmungen) am 19. Dezember 2002.
 
D.
 
Mit Schreiben vom 26. Februar 2003 erhebt X.________ staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Aargauer Obergerichtes. Sie macht eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" geltend und beantragt die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheides.
 
E.
 
Das Obergericht des Kantons Aargau verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft verweist auf das angefochtene Urteil und schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das angefochtene Urteil des Obergerichts stellt einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid dar, gegen den auf Bundesebene die staatsrechtliche Beschwerde als ausserordentliches Rechtsmittel zur Verfügung steht (Art. 84 Abs. 2, Art. 86 Abs. 1 OG). Auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist - unter dem Vorbehalt genügend begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 125 I 71 E. 1c S. 76; 122 I 70 E. 1c S. 73 mit Hinweisen) - einzutreten.
 
2.
 
2.1 Mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung erachtet es das Obergericht als erwiesen, dass X.________ im Club A.________ als Geschäftsführerin Ausländerinnen ohne Arbeitsbewilligung eine Erwerbstätigkeit ausüben liess. Zudem sei die Tätigkeit der Angeschuldigten im Club A.________ nicht nur vorübergehend, sondern auf eine längere Dauer ausgerichtet gewesen. Die Beschwerdeführerin hält dagegen, die Beweiswürdigung des Obergerichtes sei willkürlich und verletze die Unschuldsvermutung. Geschäftsführer des V.I.P. Clubs sei ihr Ehemann, der zum Zeitpunkt der Polizeikontrolle Zivildienst geleistet habe, weshalb sie aushilfsweise im Club gewesen sei. Ihre Haupttätigkeit als Masseuse übe sie im Kanton Luzern aus, was das Obergericht in keiner Weise gewürdigt habe.
 
2.2 Gemäss dem in Art. 32 Abs. 1 BV und in Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Grundsatz der Unschuldsvermutung ist bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld zu vermuten, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.
 
Als Beweislastregel bedeutet die daraus abgeleitete Maxime "in dubio pro reo", dass es Sache der Anklagebehörde ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist verletzt, wenn der Strafrichter einen Angeklagten (einzig) mit der Begründung verurteilt, er habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Ebenso ist die Maxime verletzt, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt, dass der Strafrichter von der falschen Meinung ausging, der Angeklagte habe seine Unschuld zu beweisen, und dass er ihn verurteilte, weil ihm dieser Beweis misslang. Ob der Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweislastregel verletzt ist, prüft das Bundesgericht frei (in diesem Sinne BGE 127 I 38 E. 2a S. 40).
 
Als Beweiswürdigungsregel besagt der Grundsatz, dass sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Die Maxime ist verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des Angeklagten hätte zweifeln müssen. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, weil solche immer möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann. Das Bundesgericht legt sich bei der Überprüfung von Beweiswürdigungen im Strafprozess Zurückhaltung auf. Es greift mit anderen Worten nur ein, wenn der Sachrichter den Angeklagten verurteilte, obgleich bei objektiver Würdigung des ganzen Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche und schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an dessen Schuld fortbestanden (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41; 124 IV 86 E. 2a S. 88; 120 Ia 31 E. 2c und d S. 37 f.).
 
Vorliegend rügt die Beschwerdeführerin sowohl eine Verletzung der Beweiswürdigungs- als auch der Beweislastregel.
 
3.
 
3.1 Die Anwendung von Art. 23 Abs. 4 ANAG ist gemäss der bundesgerichtlichen Praxis nicht auf Arbeitgeber im zivilrechtlichen Sinne (Art. 319 ff. OR) beschränkt, die gegenüber den Arbeitnehmern (Art. 321d OR) weisungsbefugt sind (BGE 128 IV 170 E. 4.1 S. 174). Mit Rücksicht auf dessen Sinn und Zweck ist der Anwendungsbereich von Art. 23 Abs. 4 ANAG weit zu fassen. "Beschäftigen" im Sinne dieser Bestimmung bedeutet, jemanden eine Erwerbstätigkeit ausüben zu lassen. Auf die Natur des Rechtsverhältnisses kommt es nicht an (BGE 128 IV 170 E. 4.1 S. 175, mit Hinweisen). Das Gesetz verlangt nicht, dass die Tätigkeit wirklich gegen Entgelt ausgeübt wird (in diesem Sinn BGE 99 IV 110 E. 1 S. 112).
 
3.2 Das Obergericht hat seinen Entscheid im Lichte dieser Rechtsprechung gefällt. Die Beschwerdeführerin wurde nicht nur von den anlässlich der Polizeikontrolle befragten Gästen des Clubs als Chefin wahrgenommen, auch die anwesenden Ausländerinnen haben gemäss eigenen Aussagen von ihr Zimmer gemietet und die Erlaubnis erhalten, sich im Club aufzuhalten. Sie war es, welche die Gäste empfing, das Geld einkassierte und allgemeine Aufsichtsfunktionen wahrnahm. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin gemäss Handelsregisterauszug Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Z.________ GmbH mit Einzelunterschrift ist. Sie ist demnach als Geschäftsführerin im Sinn von Art. 23 Abs. 4 ANAG zu qualifizieren. Die Argumentation des Obergerichtes ist kohärent und überzeugend. Diesbezüglich und hinsichtlich der Erwerbstätigkeit der Ausländerinnen im Club kann vollumfänglich auf die zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Urteil verwiesen werden (Art. 36a Abs. 3 OG). Demgegenüber sind die Rügen der Beschwerdeführerin - sofern sie den Begründungsanforderungen gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG zu genügen vermögen - unbegründet.
 
3.3 Auch in Bezug auf die Ausführungen zur Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin im Kanton Aargau ist dem Obergericht zu folgen. Hat die Beschwerdeführerin seit über zwei Monaten teilweise im V.I.P. Club gearbeitet, so ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Obergericht davon ausgeht, dass diese Tätigkeit auf eine längere Dauer ausgerichtet war. Schliesst das Obergericht überdies aus dem Betätigungsfeld der Beschwerdeführerin, dass deren Mithilfe für einen reibungslosen Ablauf im Club erforderlich war, so hält diese Würdigung des Beweisergebnisses der Prüfung vor Bundesgericht ohne weiteres stand. Inwiefern das Obergericht gegen die Beweislastregel verstossen haben soll, ist nicht ersichtlich. Entgegen der Darlegungen der Beschwerdeführerin verlangte das Obergericht keinen Entlastungsbeweis von deren Seite.
 
4.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich aus diesen Gründen als offensichtlich unbegründet. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Dem obsiegenden Kanton ist keine Parteientschädigung auszurichten (Art. 159 Abs. 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht
 
im Verfahren nach Art. 36a OG:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin sowie der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Aargau, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 28. März 2003
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
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