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Informationen zum Dokument  BGer H 304/2000  Materielle Begründung
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BGer H 304/2000 vom 10.03.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
H 304/00
 
Urteil vom 10. März 2003
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Attinger
 
Parteien
 
O.________ AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch W.________ Treuhand AG,
 
gegen
 
Ausgleichskasse Nidwalden, Stansstaderstrasse 54, 6370 Stans, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden, Stans
 
(Entscheid vom 18. Oktober 1999)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Auf Grund einer am 29. Januar 1997 durchgeführten Arbeitgeberkontrolle stellte die Ausgleichskasse Nidwalden fest, dass die ihr als Arbeitgeberin angeschlossene Firma O.________ AG, (Aktienkapital von Fr. 100'000.-), in den Jahren 1993 bis 1996 der geschäftsführenden (einzigen) Verwaltungsrätin R.________ neben dem (mit der Kasse abgerechneten) Lohn (von je Fr. 60'000.- für 1993 und 1994, Fr. 66'000.- für 1995 und Fr. 72'000.- für 1996) jeweils Dividenden entrichtet hatte. Diese beliefen sich (zusammen mit denjenigen an den Ehemann X.________) auf Fr. 70'000.- (1993 und 1994), Fr. 80'000.- (1995) und Fr. 100'000.- (1996). Die Ausgleichskasse betrachtete einen Teil dieser Dividendenzahlungen als massgebenden Lohn an R.________ und verpflichtete die Arbeitgeberfirma mit Verfügungen vom 21. Dezember 1998 zur Nachzahlung ausstehender Sozialversicherungsbeiträge für die Jahre 1993 bis 1996 im Gesamtbetrag von Fr. 15'216.70 (einschliesslich Verzugszinsen).
 
B.
 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden wies die hiegegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 18. Oktober 1999 ab.
 
C.
 
Die O.________ AG lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem sinngemässen Antrag auf Aufhebung der streitigen Nachzahlungsverfügungen.
 
Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten werden, als Sozialversicherungsbeiträge kraft Bundesrechts streitig sind. Im vorliegenden Verfahren ist daher nicht zu prüfen, wie es sich bezüglich der Beitragsschuld gegenüber der Ausgleichskasse für kantonale Familienzulagen verhält (BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis).
 
2.
 
2.1 Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Entscheid Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
 
Ferner ist Art. 114 Abs. 1 OG zu beachten, wonach das Eidgenössische Versicherungsgericht in Abgabestreitigkeiten an die Parteibegehren nicht gebunden ist, wenn es im Prozess um die Verletzung von Bundesrecht oder um die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts geht.
 
2.2 Im Rahmen von Art. 105 Abs. 2 OG ist die Möglichkeit, im Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht neue tatsächliche Behauptungen aufzustellen oder neue Beweismittel geltend zu machen, weitgehend eingeschränkt. Nach der Rechtsprechung sind nur jene neuen Beweismittel zulässig, welche die Vorinstanz von Amtes wegen hätte erheben müssen und deren Nichterheben eine Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften darstellt (BGE 121 II 99 Erw. 1c, 120 V 485 Erw. 1b, je mit Hinweisen).
 
3.
 
Die vier Nachzahlungsverfügungen sind lediglich der Beschwerde führenden Arbeitgeberin, nicht jedoch auch der betroffenen Arbeitnehmerin eröffnet worden (vgl. BGE 113 V 1). Dies lässt sich unter den vorliegenden Umständen nicht beanstanden, da R.________ die vorinstanzliche Beschwerde ausdrücklich als (geschäftsführende) "einzige Verwaltungsrätin" unterzeichnet und dem mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerdeführung betrauten Treuhandbüro namens der Arbeitgeberfirma die Vollmacht ausgestellt hat.
 
4.
 
4.1 Nach Art. 5 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 AHVG werden vom Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit, dem massgebenden Lohn, Beiträge erhoben. Als massgebender Lohn gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG gilt jedes Entgelt für in unselbstständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit. Zum massgebenden Lohn gehören begrifflich sämtliche Bezüge der Arbeitnehmerin und des Arbeitnehmers, die wirtschaftlich mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis fortbesteht oder gelöst worden ist und ob die Leistungen geschuldet werden oder freiwillig erfolgen. Als beitragspflichtiges Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit gilt somit nicht nur unmittelbares Entgelt für geleistete Arbeit, sondern grundsätzlich jede Entschädigung oder Zuwendung, die sonst wie aus dem Arbeitsverhältnis bezogen wird, soweit sie nicht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift von der Beitragspflicht ausgenommen ist (BGE 128 V 180 Erw. 3c, 126 V 222 Erw. 4a, 124 V 101 Erw. 2, je mit Hinweisen).
 
4.2 Richtet eine Aktiengesellschaft Leistungen an Arbeitnehmer aus, die gleichzeitig Inhaber gesellschaftlicher Beteiligungsrechte sind oder Inhabern solcher Rechte nahe stehen, erhebt sich bei der Festsetzung sowohl der direkten Bundessteuer als auch der Sozialversicherungsbeiträge die Frage, ob und inwieweit es sich um Arbeitsentgelt und damit um massgebenden Lohn oder aber um verdeckte Gewinnausschüttung, somit um Kapitalertrag, handelt. Bei der direkten Bundessteuer geht das wesentliche Interesse dahin, zu verhindern, dass Gewinne der Gesellschaft der Reinertragsbesteuerung dadurch entzogen werden, dass sie unter dem Titel Lohnaufwand oder sonstige Geschäftsunkosten ausgerichtet werden. Die AHV dagegen hat zu verhindern, dass massgebender Lohn fälschlicherweise als Kapitalertrag deklariert wird und dadurch der Beitragserhebung entgeht. Nach der Rechtsprechung gehören Vergütungen, die als reiner Kapitalertrag zu betrachten sind, nicht zum massgebenden Lohn. Ob dies im Einzelfall zutrifft, ist nach Wesen und Funktion einer Zuwendung zu beurteilen. Deren rechtliche oder wirtschaftliche Bezeichnung ist nicht entscheidend und höchstens als Indiz zu werten. Unter Umständen können auch Zuwendungen aus dem Reingewinn einer Aktiengesellschaft massgebender Lohn sein; dies gilt laut Art. 7 lit. h AHVV namentlich für Tantiemen. Es handelt sich dabei um Vergütungen, die im Arbeitsverhältnis ihren hinreichenden Grund haben. Zuwendungen, die nicht durch das Arbeitsverhältnis gerechtfertigt werden, gehören nicht zum massgebenden Lohn. Solche Gewinnausschüttungen werden als geldwerte Leistungen bezeichnet, d.h. Leistungen, die eine Gesellschaft ihren Gesellschaftern, ihr selbst oder ihren Gesellschaftern nahestehenden Personen ohne entsprechende Gegenleistung zuwendet, aber unbeteiligten Dritten unter den gleichen Umständen nicht erbringen würde (BGE 122 V 179 Erw. 3b, 103 V 3 Erw. 2b; ZAK 1989 S. 147 Erw. 2b, 303 Erw. 3b, je mit Hinweisen; Pra 1997 Nr. 96 S. 520 Erw. 4b).
 
4.3 Praxisgemäss ist es Sache der Ausgleichskassen, selbstständig zu beurteilen, ob ein Einkommensbestandteil als massgebender Lohn oder als Kapitalertrag qualifiziert werden muss; soweit vertretbar, sollen sie sich dabei an die bundessteuerrechtliche Betrachtungsweise halten (BGE 122 V 179 f., 103 V 4 f.; AHI 1997 S. 203 Erw. 2b mit Hinweisen).
 
4.4
 
4.4.1 Wie sich dem kantonalen Entscheid und der Stellungnahme der Ausgleichskasse im vorinstanzlichen Verfahren entnehmen lässt, stellt sich im Kanton Nidwalden mit Bezug auf die hier zu beantwortende Frage ein spezielles Problem, weil hohe Gewinnausschüttungen im Hinblick auf das sogenannte Dividendenprivileg gemäss Art. 29 Ziff. 10 des kantonalen Steuergesetzes (in der bis Ende 2000 gültig gewesenen Fassung) unter bestimmten Voraussetzungen steuerfreie Einkünfte darstellen und damit attraktiv sind, weil auf diese Weise nicht rentenbildende Sozialversicherungsbeiträge "eingespart" werden können. Die Beschwerdegegnerin hat deshalb seit längerem eine von der kantonalen Gerichtspraxis geschützte Vorgehensweise entwickelt, wonach bei den betroffenen Aktiengesellschaften pro Verwaltungsrat für die Einzeljahre die Dividendenzahlung, das deklarierte AHV-Einkommen und das branchenübliche Gehalt zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dabei werden die Dividendenzahlungen, soweit sie eine 15 %ige Verzinsung des Aktienkapitals übersteigen, als massgebender Lohn betrachtet, dies jedoch nur bis zur Höhe eines durchschnittlichen Gehalts, das auf Grund von Standardwerten bestimmt wird. Gestützt auf eine solche Vergleichsrechnung werden gegenüber der Aktiengesellschaft die notwendigen Nachzahlungsverfügungen erlassen.
 
4.4.2 Die Beschwerdegegnerin weist in ihrer vorinstanzlichen Stellungnahme auf ein Informationsblatt vom August 1994 hin, das zwar blossen Orientierungscharakter habe, worin indes ein klassischer Typus wie folgt formuliert wird:
 
"Bei Einmann- und Familien-Aktiengesellschaften ist der Hauptaktionär oft als Geschäftsführer tätig. Er hat zwar einen Arbeitsvertrag, zahlt sich jedoch nur einen Lohn aus, der nicht dem branchenüblichen Gehalt eines Geschäftsführers entspricht. Je nach Geschäftsgang wird Ende Jahr über die Ausschüttung einer Dividende entschieden. Oft geht diese Dividende, die primär an den Hauptaktionär geht, weit über die durchschnittliche Höhe der Dividenden von Publikumsgesellschaften hinaus."
 
Wohl wird damit nur ein bestimmter Typus umschrieben; dennoch zeigt sich die Stossrichtung, in welche die Praxis der Beschwerdegegnerin zielt. Das Problem sehr hoher Dividendenzahlungen und deren Abgrenzung zum massgebenden Lohn dürfte sich praktisch nur bei den erwähnten Einmann- und Familien-Aktiengesellschaften stellen, bei denen geschäftsführende Hauptaktionäre an sich und eventuell an andere Familienmitglieder überhöhte Dividendenzahlungen ausrichten und zugleich die eigentlichen Lohnzahlungen tief halten können.
 
4.5 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat sich in ZAK 1978 S. 179 (bestätigt in Pra 1997 Nr. 96 S. 519) mit dieser Problematik befasst. Es hielt damals fest, dass Vergütungen aus dem Reingewinn einer Aktiengesellschaft, die ihren ausschlaggebenden Grund im Arbeitsverhältnis des Empfängers haben (Tantiemen), zum massgebenden Lohn gehören, auch wenn sie in Form von Dividenden ausgerichtet werden. Zu beurteilen waren in jenem Fall Entschädigungen an eine Person, die gleichzeitig Alleinaktionär, Verwaltungsratspräsident und Geschäftsleiter der betroffenen Gesellschaft war und die neben einem relativ tiefen Gehalt von Fr. 18'000.- bzw. Fr. 20'000.- Dividenden zwischen Fr. 20'000.- und Fr. 60'000.- bezogen hat. Unter diesen Gegebenheiten folgerte das Gericht, in den ausgeschütteten Dividenden sei auch ein Teil des Arbeitsentgelts enthalten. Es hat dieses Urteil vor dem Hintergrund einer statutarischen Bestimmung getroffen, die grundsätzlich eine Beschränkung der Dividende auf höchstens 5 % festlegte. Das Gericht hat einer teilweisen Erfassung sehr hoher Dividendenzahlungen als massgebenden Lohn nicht allgemein zugestimmt, sondern nur im Einzelfall auf Grund der erwähnten speziellen Gegebenheiten der betroffenen Einmann-Aktiengesellschaft (zum Ganzen: Urteil C. AG vom 4. August 2000, H 386/99).
 
5.
 
Wie bereits erwähnt, ist R.________ einziges Mitglied des Verwaltungsrates und Geschäftsführerin der Beschwerde führenden Arbeitgeberfirma. Überdies ist sie entweder faktisch Alleinaktionärin, wie die Ausgleichskasse unter Hinweis auf die Gegebenheiten im Zeitpunkt der Gesellschaftsgründung annimmt, oder aber - wie die Beschwerdeführerin geltend macht - Inhaberin von 50 % der Namenaktien, wobei sich die übrigen 50 % im Eigentum des Ehemannes X.________ befänden. Wie es sich damit tatsächlich verhält, mag hier offen bleiben. Jedenfalls ist R.________ leitendes Organ der Aktiengesellschaft und kann praktisch allein über die Gewinnausschüttung befinden. Schon allein deren Höhe in den streitigen Jahren lässt vermuten, dass zumindest ein Teil der als Dividenden bezeichneten Vergütungen als Arbeitsentgelt gedacht war. Dies ergibt sich auch im Hinblick auf die von der Verwaltungsrätin und Geschäftsführerin bezogenen Jahressaläre, die mit Fr. 60'000.- (1993 und 1994), Fr. 66'000.- (1995) und Fr. 72'000.- (1996) deutlich unter dem Ansatz lagen, welcher bei den gegebenen Verhältnissen als üblich betrachtet werden kann. An dieser Beurteilung ändert nichts, wenn man vom geltend gemachten reduzierten Arbeitspensum von R.________ ausgeht. Unter Berücksichtigung der von der Ausgleichskasse aus der Dividende aufgerechneten Lohnsumme von Fr. 26'000.- (je für 1993 und 1994), Fr. 20'000.- (für 1995) und Fr. 14'000.- (für 1996) resultiert ein jährliches Gesamtsalär von jeweils Fr. 86'000.-. Dies kann im vorliegenden Fall nicht als unüblich hoch und unangemessen, geschweige denn als ermessensmissbräuchlich (Erw. 2.1 hievor) betrachtet werden.
 
Zu keinem andern Ergebnis führen die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit sie angesichts von Art. 105 Abs. 2 OG überhaupt zulässig sind (vgl. Erw 2.2 hievor). Mit der von der Beschwerdeführerin (im Hinblick auf den behaupteten hälftigen Aktienbesitz von X.________ und die angebliche gemeinsame Geschäftsführung durch die Eheleute) geforderten "Gleichbehandlung" des Ehemannes würde sich mit Bezug auf die Qualifizierung der Dividendenzahlungen an R.________ und die entsprechende Aufrechnung von massgebendem Lohn nichts ändern. Es würde sich höchstens die - im vorliegenden Fall nicht zu beantwortende - Frage stellen, inwieweit es sich bei den Dividendenzahlungen der Beschwerdeführerin an X.________ um Arbeitsentgelt und damit um massgebenden Lohn handelt. Nach dem Gesagten stellen die vorinstanzlich bestätigten Nachzahlungsverfügungen der Ausgleichskasse keine Verletzung von Bundesrecht dar (Erw. 2.1).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten in der Höhe von Fr. 1300.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden, Abteilung Versicherungsgericht, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 10. März 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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