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Informationen zum Dokument  BGer 4C.11/2002  Materielle Begründung
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BGer 4C.11/2002 vom 31.01.2003
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4C.11/2002 /mks
 
Urteil vom 31. Januar 2003
 
I. Zivilabteilung
 
Bundesrichter Corboz, Präsident,
 
Walter, Nyffeler,
 
Gerichtsschreiber Huguenin.
 
B.________,
 
Beklagter und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg P. Müller, General Guisan-Quai 32, 8002 Zürich,
 
gegen
 
W.________,
 
Kläger und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Bleuler, Steinwiesstrasse 30, 8032 Zürich.
 
Mietvertrag; Mietfläche,
 
Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 6. November 2001.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der Kläger ist Pächter eines Grundstücks in X.________, welches er in Teilflächen untervermietet. Der Beklagte, welcher mit Booten und Zubehör handelt, benützte in den Jahren 1995 bis 1997 einen Teil dieses Areals als Lagerfläche. Das fragliche Areal war mit drei Unterständen (Hallen 4 - 6) bestückt.
 
B.
 
Am 4. April 1996 belangte der Kläger den Beklagten gerichtlich auf die Bezahlung von Mietzinsen im Betrage von Fr. 120'000.- nebst Zins. Mit Urteil vom 14. April 1999 hiess das Bezirksgericht Zürich die Klage im Teilbetrag von Fr. 43'529.- nebst 5% Zins seit 6. November 1995 gut. Gleich entschied am 27. Juni 2000 das Obergericht des Kantons Zürich auf Appellation des Beklagten. Dieses Urteil hob das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 28. Dezember 2000 auf.
 
Mit Urteil vom 6. November 2001 hiess das Obergericht die Klage im Betrage von Fr. 38'001.95 nebst 5% Zins seit 9. November 1995 gut. Es hielt dafür, mangels Einigung über alle wesentlichen Punkte sei ein Mietvertrag zwischen den Parteien nicht zustande gekommen. Indessen habe der Beklagte im Bewusstsein einer Entschädigungspflicht das Areal tatsächlich benutzt, weshalb er dafür ein gerichtlich festzusetzendes Entgelt zu leisten habe. Dieses setzte es auf Fr. 15.- pro Jahr und Quadratmeter für die freien und - je nach baulichem Zustand - auf Fr. 23.- bis Fr. 70.- pro Jahr und Quadratmeter für die gedeckten Flächen fest und ermittelte nach Massgabe der jeweiligen Benutzungsdauer einen Gesamtpreis von Fr. 62'921.95. Davon brachte es die vom Beklagten geleisteten Zahlungen von insgesamt Fr. 24'920.- in Abzug und sprach dem Kläger den verbleibenden Saldo von Fr. 38'001.95 zu.
 
Eine gegen dieses Urteil eingelegte Nichtigkeitsbeschwerde des Beklagten wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 17. September 2002 ab, soweit es darauf eintrat.
 
C.
 
Der Beklagte ficht das Urteil des Obergerichts vom 6. November 2001 ebenfalls mit eidgenössischer Berufung an. Er beantragt dessen Aufhebung und die Rückweisung der Streitsache zur weiteren Abklärung und Neubeurteilung an die Vorinstanz. Unangefochten lässt er deren Auffassung, zwischen den Parteien sei kein Mietvertrag zustande gekommen, ein Benützungsentgelt sei aber dennoch zu leisten und vom Gericht festzusetzen. Er wendet sich einzig gegen die Bemessung dieses Entgelts im angefochtenen Urteil.
 
Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Der Kläger hat seine Berufungsantwort dem Bundesgericht fristgerecht, aber nicht rechtsgenüglich unterzeichnet eingereicht. Innert der ihm gesetzten Nachfrist hat er die erforderliche Unterschrift beigebracht. Die Antwort gilt damit als frist- und formgerecht erstattet (Art. 30 Abs. 2 OG).
 
2.
 
Der blosse Rückweisungsantrag genügt den Anforderungen von Art. 55 Abs. 1 lit. b OG, da das Bundesgericht, sollte es die Rechtsauffassung des Beklagten für begründet erachten, kein Endurteil fällen könnte, sondern die Sache zu weiteren Abklärungen an die Vorinstanz zurückweisen müsste (BGE 125 III 412 E. 1b mit Hinweisen).
 
3.
 
Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht an die tatsächlichen Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden, sofern sie nicht auf offensichtlichen Versehen beruhen, unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen (Art. 63 Abs. 1 OG) oder nach Massgabe von Art. 64 OG zu ergänzen sind. Der Beklagte beruft sich auf die beiden letztgenannten Ausnahmen.
 
4.
 
Der Beklagte verlangt eine Ergänzung des von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalts hinsichtlich der dem Benutzungsentgelt unterstellten Fläche. Er verkennt dabei die Tragweite von Art. 64 OG.
 
4.1 Die wahrheitsgemässe und vollständige Feststellung des für die rechtliche Beurteilung eines behaupteten Anspruchs massgebenden Sachverhalts wird - soweit nicht ausnahmsweise bundesrechtliche Vorschriften Platz greifen - vom kantonalen Prozessrecht beherrscht. Dessen richtige Anwendung kann das Bundesgericht bloss auf Verfassungsbeschwerde hin überprüfen. Das Berufungsverfahren steht dazu nicht offen (Art. 43 Abs. 1 und 3 sowie Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Daran ändert auch Art. 64 OG nichts. Die Bestimmung steht im Dienste der Anwendung des Bundesrechts und ermöglicht dem Bundesgericht, die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuweisen, wenn deren Feststellungen die Anwendung des Bundesrechts nicht erlauben, weil Elemente eines für die Streitentscheidung massgebenden gesetzlichen Tatbestands unberücksichtigt blieben, weil sie übersehen oder zu Unrecht für unerheblich gehalten wurden. Art. 64 OG regelt ausschliesslich die Ergänzung fehlender Abklärungen zu einem einschlägigen normativen Tatbestand, nicht dagegen die tatsächlichen Feststellungen zu einem als massgebend erachteten Tatbestand.
 
4.2 Der Beklagte vertritt die zutreffende Auffassung, sachliche Bemessungsgrundlage des von ihm als Benützer zu leistenden Entgelts sei die ihm in der fraglichen Zeit zur Verfügung gestellte Fläche. Davon geht ebenfalls die Vorinstanz aus. Eine Bundesrechtsverletzung in der Bestimmung des massgebenden Tatbestands ist damit nicht auszumachen.
 
Der Beklagte vertritt indessen die Auffassung, die Vorinstanz habe zu Unrecht auch Verkehrs- und Erschliessungsflächen in ihre Berechnung miteinbezogen, die ihm nicht ausschliesslich, sondern höchsten zur Mitbenützung mit den andern Mietern des Gesamtareals zur Verfügung gestanden hätten. Dass die Vorinstanz auch die Benützung solcher Flächen einem Entgelt unterstellt hat, ist ihren Feststellungen nicht zu entnehmen und steht auch in Widerspruch zu ihrer für die Bestimmung der massgebenden Fläche vertretenen Rechtsauffassung. Wäre sie aber bei der Feststellung der nach zutreffenden rechtlichen Kriterien ermittelten Fläche einem Irrtum unterlegen, beträfe dies eine Tatfrage, welche vom Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht überprüft werden kann, auch nicht über Art. 64 OG. Die Rüge des ergänzungsbedürftigen Tatbestands ist daher unbegründet.
 
5.
 
Wickeln die Parteien ein als Miete vorgesehenes Rechtsverhältnis tatsächlich ab, ohne sich über das Entgelt zu einigen, ist dieses Entgelt nach der vom Beklagten nicht beanstandeten Rechtsprechung auf dem Wege der Vertragsergänzung gerichtlich festzusetzen (BGE 108 II 112 E. 4; 119 II 347 E. 5).
 
Ist ein lückenhafter Vertrag zu ergänzen, so hat das Gericht - falls die Anwendung dispositiven Gesetzesrechts ausser Betracht fällt - zu ermitteln, was die Parteien nach dem Grundsatz von Treu und Glauben vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Punkt in Betracht gezogen hätten. Kann ein hypothetischer Parteiwille nicht schlüssig ermittelt werden, ist auf den marktüblichen Mietzins abzustellen (Higi, Zürcher Kommentar, N 15 zu Art. 257 OR).
 
Bei der Feststellung eines hypothetischen Parteiwillens hat das Gericht sich am Denken und Handeln vernünftiger und redlicher Vertragspartner sowie an Wesen und Zweck des Vertrags zu orientieren. Das Ergebnis dieser normativen Tätigkeit überprüft das Bundesgericht grundsätzlich frei, aber nur mit Zurückhaltung, da die Vertragsergänzung regelmässig mit richterlichem Ermessen verbunden ist. Verbindlich sind zudem auch in diesem Zusammenhang die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz über Tatsachen, die bei der Ermittlung des hypothetischen Willens oder anderer rechtserheblicher Umstände in Betracht kommen (BGE 115 II 484 E. 4b mit Hinweisen). Dies gilt auch für Feststellungen des Sachgerichts zu preisrelevanten Übungen und Verkehrssitten sowie zu Vergleichspreisen des Marktes (Poudret, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, N 4.6.1 zu Art. 63 OG; vgl. auch BGE 117 III 286 E. 5a; 123 III 317 E. 4a). Zur Feststellung des Sachverhalts gehört schliesslich ebenfalls die Ausübung von Tatbestandsermessen durch das Sachgericht. Darunter fallen auch Schlüsse in Ausübung eines Schätzungsermessens (BGE 122 III 61 E. 2c/bb, S. 65).
 
5.1 Die Vorinstanz hat das Entgelt für die nicht überdachten Flächen mit Fr. 15.- pro Jahr und Quadratmeter festgesetzt und dazu festgestellt, der Beklagte haben diesen Preis ausdrücklich als angemessen anerkannt. Dass diese Feststellung auf einem offensichtlichen Versehen beruht, weist der Beklagte nicht nach (zur Versehensrüge gegenüber prozessualen Feststellungen BGE 96 I 193 E. 3). Er ist daher mit seinem Einwand nicht zu hören, er habe diesen Preis bloss als Durchschnittspreis sämtlicher benützter, freier oder gedeckter Flächen verstanden. Der angefochtene Entscheid ist insoweit nicht zu überprüfen.
 
5.2 Hinsichtlich der überdachten Flächen hat die Vorinstanz im Wesentlichen auf beweismässig festgestellte Vergleichspreise und den baulichen Zustand der einzelnen Unterstände abgestellt. Dieses Vorgehen ist nach dem Gesagten bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Es erlaubt sowohl Schlüsse auf den hypothetischen Parteiwillen redlicher Vertragspartner wie auf die Marktüblichkeit des danach bestimmten Entgelts. Es beruht im Wesentlichen auf Beweiswürdigung und Tatbestandsermessen, was beides vom Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht überprüft werden kann. Dies gilt auch für die Frage der vollständigen Beweisführung, zumal das Bundesrecht die Kantone im hier interessierenden Bereich nicht auf den Untersuchungsgrundsatz verpflichtet. Art. 274d Abs. 3 OR findet auf den vertragslosen Zustand keine Anwendung.
 
Die Vorbringen des Beklagten sind daher nicht zu hören, soweit er geltend macht, das Obergericht habe nur unvollständigen Beweis erhoben und einzelne zum Vergleich angebotene Mietverträge nicht berücksichtigt. Das Obergericht hat sich mit allen diesen Verträgen befasst, sie aber nicht als einschlägig erachtet. Darin liegt eine antizipierte Beweiswürdigung, welche der Überprüfung durch das Bundesgericht im Berufungsverfahren entzogen ist (BGE 127 III 519 E. 2a mit Hinweisen).
 
Zulässig ist dagegen der Einwand, das von der Vorinstanz festgesetzte Entgelt sei an sich bundesrechtswidrig, weil es zu einem missbräuchlichen Mietertrag im Sinne der Art. 269 ff. OR führe. Der Beklagte macht geltend, im Verhältnis zum Hauptvertrag sei das festgesetzte Entgelt missbräuchlich im Sinne von Art. 262 Abs. 2 lit. b OR und damit auch im Sinne von Art. 269 ff. OR. Der Einwand ist unbegründet. Art. 262 Abs. 2 lit. b OR gibt dem Hauptvermieter ein hier nicht im Streite liegendes Recht auf Verweigerung der Zustimmung zum Untermietvertrag, regelt jedoch nicht die Mietzinsgestaltung. Die Art. 269 ff. OR sodann finden auf den vorliegenden Fall keine unmittelbare Anwendung, weil keine parteiautonome Mietzinsgestaltung zur Beurteilung steht. Ob die Bestimmungen für die richterliche Vertragsergänzung analog anzuwenden sind, kann offen bleiben. Einerseits ist fraglich, ob die auf Wohn- und Geschäftsräume beschränkte Missbrauchsgesetzgebung auf ein Areal wie das hier in Frage stehende überhaupt anwendbar wäre (BGE 124 III 108 ff.). Zum Andern hat das Obergericht mit überzeugender Begründung dargelegt, dass der vom Kläger aus dem Hauptvertrag geschuldete Zins keine taugliche Referenzgrösse für das Untermietverhältnis abzugeben vermag, weil er durch namhafte zusätzliche Leistungspflichten ergänzt und damit wirtschaftlich erhöht wird. Auf diese Erwägung kann hier verwiesen werden.
 
5.3 Soweit der Beklagte sodann geltend macht, die Vorinstanz habe die Interessenlage der Parteien bei Vertragsabschluss unrichtig gewürdigt, stützt er sich wiederum auf tatsächliche Elemente, welche in den Feststellungen der Vorinstanz nicht enthalten und damit im Berufungsverfahren unbeachtlich sind.
 
6.
 
Unbegründet ist schliesslich die Rüge, die Vorinstanz habe Art. 8 ZGB durch Anwendung eines bundesrechtswidrigen Beweismasses verletzt. Zwar ist richtig, dass das Bundesprivatrecht in seinem Anwendungsbereich auch das Regelbeweismass vorschreibt (BGE 128 III 271 E. 2b/aa, S. 275), doch legt der Beklagte nicht dar, inwiefern die Vorinstanz ihre beweisrechtliche Überzeugung bundesrechtswidrig gebildet habe. Richtig besehen wendet er sich mit dieser Rüge vielmehr gegen die Verteilung der Beweislast, welche indessen gegenstandslos wird, sobald das Sachgericht - wie im vorliegenden Fall - zu einem positiven Beweisergebnis gelangt ist (BGE 114 II 289 E. 2a).
 
7.
 
Die Berufung erweist sich insgesamt als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beklagte kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.- wird dem Beklagten auferlegt.
 
3.
 
Der Beklagte hat den Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.- zu entschädigen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 31. Januar 2003
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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