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Informationen zum Dokument  BGer H 228/2001  Materielle Begründung
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BGer H 228/2001 vom 20.01.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
H 228/01
 
Urteil vom 20. Januar 2003
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber Fessler
 
Parteien
 
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
1. H.________, 1947,
 
2. Gemeinde X.________,
 
Beschwerdegegner
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
(Entscheid vom 31. Mai 2001)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1947 geborene H.________ war bis 1998 Gemeindeschreiber von X.________. Danach arbeitete er als selbstständiger Unternehmensberater im Bereich Verwaltungsdienstleistungen. Anfang April 1999 erhielt H.________ von der Gemeinde X.________ den Auftrag zur Nachführung des Gemeindearchivs. Für die im Zeitraum vom 13. bis 23. April 1999 ausgeführte Arbeit einschliesslich der Archivierung des Inhaltes des Kirchentresors wurde er entsprechend der Offertstellung vom 27. März 1999 mit insgesamt Fr. 5130.- entschädigt.
 
Aufgrund der Anmeldung vom 12. November 1999 wurde H.________ von der Ausgleichskasse des Kantons Zürich rückwirkend ab 1. Januar 1999 als Selbstständigerwerbender erfasst. Gestützt auf seine Angaben zum mutmasslichen Reineinkommen für 1999 sowie das im Betrieb investierte Eigenkapital verfügte die Kasse am 16. Dezember 1999 persönliche Beiträge in der Höhe von Fr. 2250.-.
 
Unter Hinweis auf zwei Schreiben vom 6. und 25. April 2000 an H.________ verpflichtete die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 27. April 2000 die Gemeinde X.________ zur Nachzahlung von paritätischen und FAK-Beiträgen auf der Summe von Fr. 5130.-.
 
B.
 
In Gutheissung der von H.________ sowie der Gemeinde X.________ hiegegen erhobenen Beschwerden hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 31. Mai 2001 die Nachzahlungsverfügung vom 27. April 2000 mit der Feststellung auf, die Archivierungsarbeiten im April 1999 seien als selbstständige Erwerbstätigkeit zu qualifizieren.
 
C.
 
Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Gerichtsentscheid aufzuheben.
 
H.________ beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Gemeinde X.________ verzichtet unter Hinweis auf ihre Ausführungen in der Beschwerde an das kantonale Gericht auf eine Stellungnahme. Das Bundesamt für Sozialversicherung reicht keine Vernehmlassung ein.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nur so weit einzutreten, als Sozialversicherungsbeiträge kraft Bundesrechts streitig sind. Im vorliegenden Verfahren ist daher nicht zu prüfen, wie es sich bezüglich der Beitragsschuld gegenüber der Ausgleichskasse für kantonale Familienzulagen verhält (BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis).
 
2.
 
Im angefochtenen Entscheid werden die massgeblichen Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des Beitragsstatuts in Bezug auf die Archivierungsarbeiten für die Gemeinde X.________ im April 1999 zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
3.
 
Das kantonale Gericht ist in Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse, wie sie sich namentlich aus den insoweit unbestrittenen Sachverhaltsdarstellungen der Parteien ergeben, zum Ergebnis gelangt, die Nachführung des Gemeindearchivs sowie die Archivierung des Inhalts des Kirchentresors stelle selbstständige Erwerbstätigkeit dar. Zur Begründung führt die Vorinstanz aus, es habe ein spezifisches Unternehmerrisiko bestanden, indem auf der Grundlage des vom Beschwerdeführer und heutigen Beschwerdegegner geschätzten Arbeitsaufwandes ein Kostendach vereinbart worden sei. Ein allfälliger zeitlicher Mehraufwand wäre somit unbezahlt geblieben. Tatsächlich seien denn auch die zwei Stunden, welche gemäss Rechnung vom 30. April 1999 mehr benötigt worden seien (52 statt 50 Stunden) nicht entschädigt worden. Unter dem Gesichtspunkt der betriebswirtschaftlichen (Un)Abhängigkeit sodann sei es in der Natur der Sache gelegen, dass die Archivierungsarbeiten in den Räumlichkeiten der Gemeinde durchgeführt worden und für diesen bestimmten Auftrag weder ein eigenes Büro noch spezielle Werkzeug oder sonstige Investitionen notwendig gewesen seien. In diesem Zusammenhang komme im Übrigen dem Umstand keine entscheidende Bedeutung zu, dass der Beschwerdeführer während Jahren Gemeindeschreiber gewesen sei. Diese Tatsache habe ihm zwar gegenüber Mitbewerbern einen Vorteil gebracht, da er offensichtlich die Verhältnisse bestens gekannt habe. Daraus könne indessen nicht automatisch auf eine unselbstständige Erwerbstätigkeit geschlossen werden. Dagegen spreche schon, dass gemäss Angaben der Gemeinde in früheren Jahren die Archivnachführung durch externe Drittpersonen besorgt worden sei.
 
Die Ausgleichskasse hält dagegen, die Nachführung eines Archivs sei grundsätzlich als weisungsabhängige Tätigkeit zu betrachten, die in unselbstständiger Stellung und in Einbindung in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers ausgeführt werde. Es seien interne Vorgaben und Weisungen zu beachten. Ebenfalls handle es sich dabei nicht um eine unabhängige Beratertätigkeit. Bezogen auf den vorliegenden Fall im Besonderen könne es nicht angehen, Personen, die nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses faktisch einen Teil ihrer Arbeit weiterhin ausübten oder zumindest in demselben Umfeld beim gleichen Arbeitgeber tätig seien, als nicht weisungsgebunden zu betrachten. Der Beschwerdegegner habe aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Gemeindeschreiber nicht nur das Archiv und die periodisch anfallende Nachführung sehr gut gekannt, sondern auch gewusst, wie hoch der Zeitaufwand dafür sein würde. Dass er schliesslich zwei Stunden tätig gewesen sei, ohne hiefür entschädigt zu werden, vermöge daher in diesem konkreten Fall nicht ein Unternehmerrisiko zu begründen.
 
4.
 
4.1 Bei einer versicherten Person, welche nach dem Schritt in die Selbstständigkeit weiterhin in bedeutendem Umfang für den alten Arbeitgeber tätig ist, sind an die Anerkennung des Status als Selbstständigerwerbender in Bezug auf diese Tätigkeit insofern erhöhte Anforderungen zu stellen, als die hiefür sprechenden Merkmale diejenigen unselbstständiger Erwerbstätigkeit klar überwiegen müssen (vgl. ZAK 1989 S. 440 Erw. 2b mit Hinweisen; vgl. auch BGE 121 V 4 Erw. 5b am Ende sowie Urteil P. vom 19. März 2002 [H 201/00]). Dabei kommt dem Gesichtspunkt der arbeitsorganisatorischen (Un)Abhängigkeit vorrangige Bedeutung gegenüber dem Unternehmensrisiko zu. Das bedeutet, wenn und soweit sich an Art und Inhalt der Tätigkeit nichts Wesentliches im Vergleich zu früher geändert hat und es sich dabei um Arbeiten handelt, die aus Sicht des Betriebes oder der Branche typischerweise durch Arbeitnehmer ausgeführt werden, spricht eine natürliche Vermutung für deren unselbstständigen Charakter. Umgekehrt heisst, (auch) für den früheren Arbeitgeber tätig zu sein, für sich allein genommen nicht Unselbstständigkeit (Urteil M.+M. AG vom 17. Mai 2002 [H 30+42/01]).
 
4.2
 
4.2.1 Die Nachführung des Gemeindearchivs besteht im Aussortieren des Vorarchivs und in der Überführung der archivwürdigen Akten in das Hauptarchiv. Für diese Arbeit wurde unbestrittenermassen vor 1999 ein auswärtiger Archivar beigezogen. Dass die Tätigkeit des Gemeindeschreibers nach Art und Inhalt eine gänzlich andere ist als eine Archivnachführung im beschriebenen Sinne, kann nicht zweifelhaft sein. Der Beschwerdegegner übte somit nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses weder faktisch einen Teil seiner früheren Arbeit weiterhin aus noch kann gesagt werden, er sei in demselben Umfang beim alten Arbeitgeber tätig gewesen. Dagegen sprechen schon die Einmaligkeit sowie die sehr kurze Dauer der Archivnachführung. Die Tatsache, dass der Beschwerdegegner während fast 30 Jahren bis Ende 1998 Gemeindeschreiber gewesen war, kann somit nicht als Argument für unselbstständige resp. gegen selbstständige Erwerbstätigkeit dienen. Dabei wird nicht verkannt, dass ihm dieser Umstand, das Amt als solches sowie die dabei gesammelten Erfahrungen, im Hinblick auf das Mandat der Archivnachführung zustatten kam. Das muss indessen keinesfalls gegen den selbstständigen Charakter dieser Tätigkeit sprechen.
 
4.2.2 Ob es sich bei der Archivnachführung um eine typischerweise durch Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit handelt, wie die Ausgleichskasse dafür hält, oder ob im konkreten Fall das Gegenteil zutrifft, wie die Gemeinde in ihrer vorinstanzlichen Beschwerde geltend machte, lässt sich nicht ohne weiteres sagen. Dass die Arbeiten nach den einschlägigen Archivrichtlinien und sinnvollerweise vor Ort auszuführen waren, ist ebenso wenig entscheidend wie die Tatsache, dass sie periodisch anfallen und es nicht um eine Reorganisation, sondern lediglich um die Nachführung innerhalb der bestehenden Struktur geht. Gleiches gilt in Bezug darauf, dass die Archivnachführung Spezialkenntnisse erfordert und hiefür offenbar in der Regel ausgebildete Archivare beigezogen werden. Anderseits ist diese Massnahme nicht in erster Linie Ausdruck für erhöhte Anforderungen an die Unabhängigkeit der mit der Archivnachführung betrauten Person von der Gemeinde, wie dies etwa im Verhältnis Revisor/Aktiengesellschaft der Fall ist (vgl. BGE 123 V 164 ff. Erw. 3b und c). Andernfalls wäre der Beschwerdegegner für diese Arbeit wohl ausser Betracht gefallen.
 
4.3 Nach dem Vorstehenden überwiegen weder die Merkmale für unselbstständige noch für selbstständige Erwerbstätigkeit klar. Die Statusfrage in Bezug auf die Archivnachführung im April 1999 ist daher im Sinne der Verfügung vom 16. Dezember 1999 zu entscheiden, womit die Ausgleichskasse aufgrund der Angaben des Beschwerdegegners vom 12. November 1999 zum mutmasslichen Einkommen für dieses Jahr persönliche Beiträge erhoben hatte (vgl. BGE 122 V 173 Erw. 4a und 121 V 4 Erw. 5b in fine).
 
Der angefochtene Entscheid ist somit im Ergebnis rechtens.
 
5.
 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Ausgleichskasse aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 135 OG).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Ausgleichskasse des Kantons Zürich auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 20. Januar 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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