VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 2P.10/2001  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 2P.10/2001 vom 31.08.2001
 
[AZA 1/2]
 
2P.10/2001/kra
 
II. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG ***********************************
 
31. August 2001
 
Es wirken mit: Bundesrichter Wurzburger, Präsident der
 
II. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Hartmann,
 
Betschart, Hungerbühler, Müller, Bundesrichterin Yersin, Bundesrichter Merkli und Gerichtsschreiber Hugi Yar.
 
---------
 
In Sachen
 
1. Stadt Bern, handelnd durch den Gemeinderat, Bern,
 
2. Stadt Biel, handelnd durch den Gemeinderat, Biel,
 
3. Stadt Burgdorf, handelnd durch den Gemeinderat,
 
Burgdorf,
 
4. Gemeindeverband Berufsschulzentrum Interlaken (BZI),
 
handelnd durch den Verbandsvorstand, Interlaken,
 
5. Stadt Thun, handelnd durch den Gemeinderat, Thun, Beschwerdeführer, alle vertreten durch Fürsprecher Dr. Karl Ludwig Fahrländer, Engestrasse 13, Postfach 12, Bern,
 
gegen
 
Kanton Bern, handelnd durch die Erziehungsdirektion, diese vertreten durch Fürsprecher Prof. Dr. Enrico Riva, Münzgraben 6, Postfach 267, Bern,
 
betreffend
 
Art. 26, 8 und 9 BV
 
(Zurverfügungstellen von Schulraum), hat sich ergeben:
 
A.- Der Grosse Rat des Kantons Bern hat am 21. Januar 1998 im Rahmen einer umfassenden Reform des kantonalen Bildungswesens (vgl. den Grossratsbeschluss vom 9. September 1985 zur Gesamtrevision der Bildungsgesetzgebung) ein neues Gesetz über die Berufsbildung und die Berufsberatung (BerG) beschlossen. Danach wird der Kanton neu Träger der Berufsschulen (Art. 45 BerG).
 
B.-Am 7. Juni 2000 ergänzte der Grosse Rat diesen Erlass durch eine Änderung des Gesetzes vom 20. Januar 1993 über die Anstellung der Lehrkräfte (LAG) unter anderem wie folgt:
 
"Kantonalisierung Liegenschaften
 
Art. 71a (neu)
 
1 Der Kanton erwirbt die Liegenschaften der bisherigen
 
Trägerschaften zu Eigentum oder im Baurecht,
 
soweit er sie für den Schulbetrieb benötigt.
 
2 Die Entschädigung für die einzelne Liegenschaft
 
richtet sich nach den subventionierten Anlagekosten
 
unter Berücksichtigung sämtlicher von Bund,
 
Kanton und Gemeinden geleisteter Beiträge und des
 
aufgeschobenen Unterhalts.
 
3 Der aufgeschobene Unterhalt wird entsprechend dem
 
Verteilschlüssel für die Nettobetriebskosten
 
(Art. 12 des Dekrets über die Finanzierung der
 
Berufsbildung) auf Kanton, Wohnsitzgemeinden und
 
Standortgemeinden aufgeteilt; dabei wird auf den
 
durchschnittlichen Verteilschlüssel der letzten
 
drei Jahre vor Inkrafttreten dieser Bestimmung
 
abgestellt.
 
4 Sofern die Landwerte in den subventionierten Anlagekosten
 
nicht enthalten sind, ist auf Vergleichspreise
 
für Schulliegenschaften abzustellen.
 
5 Aus besonderen Gründen kann der Kanton die Liegenschaften
 
der bisherigen Trägerschaften mieten, soweit
 
er sie für den Schulbetrieb benötigt. Die
 
Miete berechnet sich nach den Grundsätzen der Absätze
 
2, 3, 4 und 7.
 
6 Der Regierungsrat beschliesst über die gemäss den
 
Absätzen 2, 3, 4, 5 und 7 anfallenden Kosten abschliessend.
 
7 Im Übrigen gelten die Verhandlungsgrundsätze für
 
die Kantonalisierung der öffentlichen Maturitätsschulen
 
sinngemäss.
 
8 Bis zum Erwerb der Liegenschaften durch der
 
(recte: den) Kanton bzw. bis zum Abschluss eines
 
Mietvertrages stellen die bisherigen Trägerschaften
 
ihre Liegenschaften im bisherigen Umfang, zu
 
den bisherigen Bedingungen und in betriebssicherem
 
Zustand zur Verfügung.
 
Lastenverteilung Kanton/Gemeinden
 
Art. 71c (neu)
 
1 Die Mehrbelastung des Kantons durch die Kantonalisierung
 
der Berufsberatungsstellen sowie der Schulen
 
und Institutionen der Berufsbildung wird durch
 
Gemeindebeiträge im bisherigen Umfang abgegolten.
 
Bemessungsgrundlage ist die Rechnung 2000.
 
2 Absatz 1 gilt bis zum Inkrafttreten der neuen Finanz- und Lastenausgleichsgesetzgebung, längstens
 
bis am 31. Dezember 2004.. "
 
Das neue Gesetz über die Berufsbildung und die Berufsberatung trat am 1. Januar 2001 in Kraft.
 
C.- Die Stadt Bern, die Stadt Biel, die Stadt Burgdorf, der Gemeindeverband Berufsschulzentrum Interlaken (BZI) und die Stadt Thun als Eigentümer von Liegenschaften, die dem Berufsschulunterricht dienen, haben am 8. Januar 2001 gegen Art. 71a Abs. 8 BerG staatsrechtliche Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, diesen aufzuheben, soweit die Standortgemeinden darin verpflichtet werden, "dem Kanton bis zum Erwerb oder Abschluss eines Mietvertrages die in ihrem Eigentum stehenden Liegenschaften unentgeltlich zur Verfügung zu stellen". Eventuell sei festzustellen, dass den Standortgemeinden für die vorübergehende Beanspruchung der Berufsschulliegenschaften durch den Kanton eine angemessene Nutzungsabgeltung zustehe.
 
Die beschwerdeführenden Körperschaften machen geltend, die angefochtene Bestimmung verletze ihre Eigentumsgarantie (Art. 26 BV), sei willkürlich (Art. 9 BV) und führe zu einer rechtsungleichen Behandlung gegenüber den restlichen Gemeinden (Art. 8 BV). Indem der Kanton für unbestimmte Zeit - bis zum Abschluss der Übernahmeverhandlungen - von ihnen ein unentgeltliches Nutzungsrecht an den Gemeindeliegenschaften beanspruche, greife er "in einer Intensität in das Eigentumsrecht der Gemeinden ein, die einer (mindestens vorübergehenden) materiellen Enteignung" gleichkomme.
 
Er versetze sich dadurch in die "bequeme Lage", auf ihre Kosten "beliebig lange verhandeln und den Übernahmepreis mehr oder weniger diktieren zu können".
 
Der Kanton Bern beantragt, auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.
 
D.- Im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels haben die Parteien an ihren Ausführungen und Anträgen festgehalten.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde ist ein Rechtsmittel zum Schutz der Träger verfassungsmässiger Rechte gegen Übergriffe der Staatsgewalt. Solche Rechte stehen an sich nur dem Bürger zu, nicht auch dem Gemeinwesen als Inhaber hoheitlicher Gewalt. Öffentlichrechtliche Korporationen - wie Kantone und Gemeinden - können deshalb gegen Akte anderer Staatsorgane, die sie als Träger hoheitlicher Befugnisse treffen, in der Regel nicht staatsrechtliche Beschwerde führen (BGE 125 I 173 E. 1b S. 175; 121 I 218 E. 2, mit Hinweisen; Walter Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl. , Bern 1994, S. 212 f. und 270 ff.).
 
Eine Ausnahme besteht einzig insoweit, als sie sich gegen eine Verletzung ihrer durch das kantonale Recht gewährleisteten Autonomie oder Bestandesgarantie zur Wehr setzen (vgl. BGE 124 I 223 E. 1b S. 226; 122 I 279 E. 8 S. 290; 121 I 155 E. 4 S. 159). Wie Private zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert sind öffentlichrechtliche Körperschaften, falls sie nicht hoheitlich handeln, sich auf dem Boden des Privatrechts bewegen oder sonstwie, z.B. als Steuer- oder Gebührenpflichtige, als dem Bürger gleichgeordnete Rechtssubjekte auftreten und durch den angefochtenen Akt wie eine Privatperson betroffen werden (BGE 123 III 454 E. 2 S. 456; 121 I 218 E. 2a S. 220; 120 Ia 95 E. 1a). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, bestimmt sich aufgrund der Rechtsnatur des Verhältnisses, das der Auseinandersetzung zugrunde liegt (BGE 120 Ia 95 E. 1a, mit Hinweisen).
 
2.- a) Die beschwerdeführenden Körperschaften machen nicht geltend, sie würden durch Art. 71a Abs. 8 BerG in ihrer Autonomie betroffen; sie wenden vielmehr ein, dadurch gleich oder ähnlich wie Private berührt zu sein, was sie zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiere. Seit dem
 
1. Januar 2001 sei gestützt auf Art. 45 BerG der Kanton Träger der Berufsschulen, weshalb sie ihre Lokalitäten diesem wie Private zur Verfügung stellten. Die durch Art. 71a Abs. 8 BerG ermöglichte unentgeltliche Inanspruchnahme der Liegenschaften seitens des Kantons tangiere sie wie private Grundeigentümer.
 
b) Diese Auffassung verkennt die Tragweite der umstrittenen Übergangsregelung:
 
aa) Bis zum Inkrafttreten des neuen Berufsbildungsgesetzes erklärte das kantonale Recht die Errichtung und den Betrieb der Berufsschulen zu einer gemeinsamen Aufgabe vonKanton, Gemeinden und Berufsverbänden (Art. 24 des Gesetzes über die Berufsbildung vom 9. November 1981 [BerG 81]; Art. 9 - 23 des Grossratsdekrets über die Finanzierung der Berufsbildung vom 11. November 1982 [Dekret 82]). Gemäss Art. 24 Abs. 3 BerG 81 waren die Gemeinden bzw. die Gemeindeverbände gehalten, für die von Bund und Kanton anerkannten, den Pflichtunterricht vermittelnden Berufsschulen den nötigen Raum zur Verfügung zu stellen; das Dekret 82 regelte die Finanzierung der Investitions- und der Betriebskosten sowie deren Aufteilung zwischen Kanton, Standortgemeinden der Schulen und Wohnsitzgemeinden der Schüler. Die schulrechtliche Pflicht, für den nötigen Raum zu sorgen, ist jedoch nicht privatrechtlicher Natur, selbst wenn die verpflichtete Gebietskörperschaft nicht Trägerin der betreffenden Schule ist und ihr die dadurch entstehenden Kosten teilweise oder ganz ersetzt werden; auch in diesem Fall gehören die Schulanlagen zum kommunalen Verwaltungsvermögen und dienen öffentlichen Zwecken (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 2. Juni 1993 i.S. Einwohnergemeinde Reinach, E. 2c).
 
bb) Hieran hat sich mit dem Gesetz vom 21. Januar 1998 - entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführer - nichts geändert. Zwar sieht Art. 45 Abs. 1 BerG nunmehr vor, dass der Kanton Träger der Berufsschulen ist; die Standortgemeinden wurden damit jedoch nicht aus ihrer öffentlichrechtlichen Pflicht entlassen, zu deren Betrieb bis zum Abschluss der Übertragung der hierfür erforderlichen Infrastrukturen mit dem nötigen Schulraum beizutragen. Die Übernahme der Berufsbildung und -beratung durch den Kanton sollte nach dem Willen des Gesetzgebers kostenneutral erfolgen; das stärkere Engagement des Kantons auf Stufe Berufsbildung hätte durch eine höhere Beteiligung der Gemeinden an den Kosten der Volksschule ausgeglichen werden sollen (vgl. den Vortrag des Regierungsrates an den Grossen Rat zum Berufsbildungsgesetz vom 19. März 1997, S. 15 zu Art. 50, und jenen vom 20. Oktober 1999 zur Änderung des Gesetzes vom 20. Januar 1993 über die Anstellung der Lehrkräfte, Ziffern 1 und 3.1 mit den entsprechenden Beratungsprotokollen). Da diese Kompensation aus rechtlichen und politischen Gründen nicht - wie vom Regierungsrat ursprünglich geplant - über eine Änderung des Lastenverteilschlüssels für die Gehälter der Kindergarten- und Volksschullehrkräfte mit der Inkraftsetzung des Berufsschulgesetzes realisiert werden konnte, verlängerte der Gesetzgeber diesbezüglich übergangsrechtlich die bisherige Regelung. Bis zum Inkrafttreten des neuen kantonalen Finanz- und Lastenausgleichsgesetzes (FILAG), längstens aber bis Ende 2004, ist die Mehrbelastung des Kantons durch Beiträge der Standort- und Wohnsitzgemeinden im bisherigen Umfang zu tragen (Art. 71c BerG). In gleicher Weise haben die Standortgemeinden bis zum Erwerb bzw. der Miete der erforderlichen Liegenschaften den nötigen Schulraum als eigenen Beitrag zur Realisierung der entsprechenden öffentlichen Aufgabe zur Verfügung zu stellen. Diese Pflicht trifft sie nach wie vor in ihrem öffentlichrechtlichen bzw.
 
hoheitlichen Wirkungskreis; umstritten ist Art und Ausmass ihres Beitrags als Gebietskörperschaft an die Finanzierung der entsprechenden öffentlichen Aufgabe (vgl. BGE 112 Ia 356 E. 5b S. 365). Hieran ändert - wie der Kanton zu Recht einwendet - nichts, dass der Beizug im Rahmen der Übergangsregelung nicht nur in Form einer Geldzahlung (Art. 71c BerG), sondern hinsichtlich der Schulräume wie bisher auch mittels einer Naturalleistung erfolgt.
 
3.- a) Werden die Beschwerdeführer nach dem Gesagten durch die in Art. 71a Abs. 8 BerG verankerte Pflicht nicht gleich oder ähnlich wie Private betroffen, können sie sich gegen diese nicht unter Berufung auf verfassungsmässige Individualrechte zur Wehr setzen; auf ihre staatsrechtliche Beschwerde ist nicht einzutreten.
 
b) Bei diesem Ausgang des Verfahrens haben die Beschwerdeführer, die Vermögensinteressen wahrgenommen haben, die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 OG). Eine Parteientschädigung an den obsiegenden Kanton ist nicht geschuldet (Art. 159 Abs. 2 OG, analog), obschon er durch einen Anwalt vertreten ist. Eine Ausnahme von dieser Regel rechtfertigt sich nur bei kleineren und mittleren Gemeinwesen, die über keinen Rechtsdienst verfügen und daher auf einen Anwalt angewiesen sind. Bei einem Kanton ist dies regelmässig - so auch hier - nicht der Fall (vgl. dazu näher Jean-François Poudret, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire; Vol. V, Bern 1992, Art. 159 N. 3, S. 161 f.; Urteil des Bundesgerichts vom 29. Januar 1996 i.S. W., publiziert in ZBl 98/1997 S. 210, E. 6).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.- Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.
 
3.- Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern und dem Kanton Bern schriftlich mitgeteilt.
 
______________
 
Lausanne, 31. August 2001
 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTSDer Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).