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Informationen zum Dokument  BGE 143 V 446  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
Erwägung 2.2
Erwägung 3
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48. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Suva, Abteilung Militärversicherung gegen Unfallversicherung Stadt Zürich und A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
8C_430/2017 vom 19. Dezember 2017
 
 
Regeste
 
Art. 6 MVG; Art. 1 Abs. 1 lit. g Ziff. 6 MVG (in der bis 30. Juni 1994 gültig gewesenen Fassung); Spätfolgen von Gesundheitsschäden bei Jugend+Sport (J+S)-Anlässen.  
 
Sachverhalt
 
BGE 143 V, 446 (447)A. Der 1973 geborene A. erlitt in den Jahren 1991 und 1992 bei vier verschiedenen "Jugend+Sport (J+S)"-Anlässen je ein Distorsionstrauma am rechten Knie. Die Militärversicherung übernahm die gesetzlichen Leistungen, insbesondere kam sie für die Kosten einer am 28. Oktober 1992 durchgeführten Knieoperation auf.
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Am 16. April 2013 erlitt A. mit dem Roller einen Unfall; die Unfallversicherung der Stadt Zürich anerkannte ihre Leistungspflicht für die Folgen dieses Ereignisses und erbrachte die gesetzlichen Leistungen, stellte diese jedoch per 17. Oktober 2013 ein. Daraufhin lehnte auch die Suva, Abteilung Militärversicherung, mit Verfügung vom 5. Juni 2015 und Einspracheentscheid vom 8. Dezember 2016 ihre Haftung für die persistierenden rechtsseitigen Kniebeschwerden des A. ab.
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B. Die von der Unfallversicherung der Stadt Zürich und von A. hiergegen erhobenen Beschwerden hiess das Kantonsgericht Luzern mit Entscheid vom 28. April 2017 gut, hob den angefochtenen Einspracheentscheid auf und verpflichtete die Suva, Abteilung Militärversicherung, für die rechtsseitigen Kniebeschwerden von A. die gesetzlichen Leistungen zu erbringen.
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C. Mit Beschwerde beantragt die Suva, Abteilung Militärversicherung, es sei unter Bestätigung des Einsprache- und Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides festzustellen, dass sie nicht leistungspflichtig für die rechtsseitigen Kniebeschwerden des A. sei.
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Während A. und die Unfallversicherung der Stadt Zürich auf Abweisung der Beschwerde schliessen, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.
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Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 2
 
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BGE 143 V, 446 (448)Erwägung 2.2
 
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Erwägung 3
 
3.1 Es ist letztinstanzlich nicht mehr länger streitig, dass die rechtsseitigen Kniebeschwerden des Beschwerdegegners Spätfolgen vierer BGE 143 V, 446 (449)Traumata sind, welche er sich in den Jahren 1991 und 1992 bei J+S-Anlässen zugezogen hat. Ebenfalls ist unbestritten, dass die Teilnehmer dieser vier Anlässe nach damaligem Recht bei der Militärversicherung versichert waren. Die Beschwerdeführerin macht jedoch geltend, seit der Aufhebung der Leistungspflicht der Militärversicherung für J+S-Anlässe auf den 1. Juli 1994 bestehe - bei Fehlen einer ausdrücklichen Übergangsbestimmung - keine gesetzliche Grundlage für das Erbringen von Leistungen mehr.
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3.2 Die Militärversicherung hat in Anwendung von Art. 6 MVG Leistungen für Spätfolgen versicherter Gesundheitsschädigungen zu erbringen. Spätfolgen knüpfen begrifflich an den Eintritt eines versicherten Risikos an; es handelt sich dabei um Folgen einer Gesundheitsschädigung, welche nicht mehr während der Hängigkeit eines Falles bei der Versicherung, sondern erst nach einem Fallabschluss auftreten. Zu prüfen ist damit, ob im Rahmen von Art. 6 MVG die Frage, ob eine Gesundheitsschädigung versichert ist, sich nach dem im Zeitpunkt der Schädigung geltenden Recht beurteilt, oder nach dem Recht, welches im Zeitpunkt des Auftretens der Spätfolgen gilt. Dem MVG kann keine direkte Antwort auf diese Frage entnommen werden; die Übergangsbestimmungen des MVG regeln zwar in Art. 110 einen ähnlichen Fall wie den vorliegenden, der Artikel ist jedoch nicht direkt einschlägig. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin kann auch aus dem inzwischen aufgehobenen Art. 114a MVG (vgl. auch E. 2.2.3 hiervor) nichts abgeleitet werden, bezog sich doch dieser Artikel auf vor dem 1. Juli 1994 gemeldete Versicherungsfälle, in denen im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gesetzesänderung am 1. Juli 1994 noch nicht verfügt worden war (vgl. JÜRG MAESCHI, Kommentar zum Bundesgesetz über die Militärversicherung [MVG], 2000, N. 2 zu Art. 114a MVG), nicht aber auf die Leistungspflicht für Spätfolgen von Ereignissen vor diesem Stichtag.
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3.3 Wie die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die Materialien überzeugend darlegt, waren es finanzpolitische Erwägungen, welche zur Abschaffung der Leistungspflicht der Militärversicherung für J+S-Anlässe führten, und nicht etwa, dass eine Leistungspflicht nicht im Einklang mit der öffentlichen Ordnung und der Sittlichkeit stehen würde. Gemäss den allgemein gültigen intertemporalrechtlichen Grundsätzen - wie sie in Art. 1 und 2 SchlT ZGB kodifiziert wurden, aber auch über das Zivilrecht hinaus Gültigkeit besitzen (vgl. BGE 130 V 445 E. 1.2.1 S. 446 f. mit weiteren Hinweisen) - sind somit zur Beurteilung der Rechtsfolgen eines Ereignisses BGE 143 V, 446 (450)grundsätzlich jene Rechtssätze massgebend, welche zum Zeitpunkt der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes gültig waren. Bezogen auf Art. 6 MVG bedeutet dies, dass die Frage, ob der ursprüngliche, später zu Spätfolgen führende, Gesundheitsschaden versichert war, gemäss dem zum Zeitpunkt des Eintritts dieses Gesundheitsschadens geltenden Recht zu beurteilen ist. War die ursprüngliche Schädigung nach damaligem Recht versichert, so ist bei nachgewiesenen Spätfolgen die Militärversicherung auch für jene Fälle leistungspflichtig, in denen ein entsprechendes Ereignis nach heutigem Recht nicht mehr versichert wäre. Hätte der Gesetzgeber eine davon abweichende Regelung gewollt, so hätte er diese in die Übergangsbestimmungen aufnehmen müssen. Dies gilt umso mehr, als er sich in dem hier zwar nicht direkt einschlägigen Art. 110 MVG ebenfalls dazu bekannte, dass bei Spätfolgen die Frage des Versicherungsschutzes nach dem im Zeitpunkt der ursprünglichen Gesundheitsschädigung geltenden Recht zu beantworten ist.
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