VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 110 V 382  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
1. Die streitige Verfügung datiert vom 21. Dezember 1981 und ...
2. a) Die Revisionsverfügung des BIGA vom 21. Dezember 1981  ...
3. a) Gemäss Art. 49 Abs. 1 AlVG überprüft das BIG ...
4. a) Die Beschwerdeführerin zieht aus dem letzten Satz von  ...
5. (Prüfung der einzelnen Beanstandungen.) ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
62. Auszug aus dem Urteil vom 31. Juli 1984 i.S. Trägerschaft der Industrie-Arbeitslosenkasse Winterthur gegen Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit und Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement
 
 
Regeste
 
Art. 49 Abs. 1 AlVG, Art. 22 Abs. 3 AlVB, Art. 60 ff. AlVV.  
- Die Haftung erstreckt sich so weit, als die Aktenunvollständigkeit reicht und damit ein Schaden verbunden sein kann (Erw. 3c).  
- Die Haftung setzt kein qualifiziertes Verschulden voraus (Erw. 4a).  
- Der nach der Verwaltungspraxis für die Rückforderung zu Unrecht ausgerichteter Leistungen (Art. 35 Abs. 1 AlVG) geltende Grenzbetrag ist für die Haftung der Kassenträger nicht massgebend (Erw. 4b).  
Art. 29 Abs. 1 AlVG. Kontrollpflicht der Kasse hinsichtlich der Bemühungen des Versicherten um Arbeit (Erw. 4c).  
 
Sachverhalt
 
BGE 110 V, 382 (383)A.- Mit Bericht vom 19. November 1981 teilte das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) der Trägerschaft der Industrie-Arbeitslosenkasse Winterthur (IAW) mit, dass im Rahmen der Kassenrevision für das Jahr 1980 von 43 geprüften Auszahlungsfällen deren 10 vorläufig beanstandet werden müssten. Nachdem die IAW von der Möglichkeit zu Einwendungen Gebrauch gemacht hatte, erliess das BIGA am 21. Dezember 1981 eine Verfügung, mit welcher es an den Beanstandungen festhielt und ausbezahlte Taggelder im Gesamtbetrag von Fr. 4'565.95 von der Trägerschaft zurückforderte.
1
B.- Die gegen diese Verfügung erhobene Verwaltungsbeschwerde wurde vom Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement mit Entscheid vom 7. Juni 1982 abgewiesen.
2
C.- Die Trägerschaft der IAW erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, sie sei in Aufhebung des Beschwerdeentscheides von jeglicher Entschädigungspflicht zu befreien. Das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement und das BIGA beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
3
 
Aus den Erwägungen:
 
4
5
b) Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidg. Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Richter Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG; BGE 104 V 6 Erw. 1).
6
c) Nach der gesetzlichen Regelung liegt die Haftung für die infolge mangelhafter Erfüllung der Obliegenheiten der Arbeitslosenkassen entstandenen Schäden beim Träger der Kasse (Art. 22 Abs. 3 AlVB). Dieser ist Adressat der Revisionsverfügung (Art. 62 Abs. 4 AlVV) und Partei im Beschwerdeverfahren (Art. 62 Abs. 6 AlVV).
7
Im vorliegenden Fall erging die Revisionsverfügung richtigerweise an die Trägerschaft der IAW, die auch Verwaltungsbeschwerde erhoben hat. Die Vorinstanz bezeichnet dagegen die Arbeitslosenkasse als Partei, wobei - tatsachenwidrig - davon ausgegangen wird, die "Kassenverwaltung" habe Beschwerde eingereicht. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird die Frage erhoben, ob damit überhaupt ein formell rechtsgültiger Beschwerdeentscheid vorliege. Aus der unzutreffenden Parteibezeichnung ist der Trägerschaft der IAW indessen kein Nachteil erwachsen, weshalb es sich rechtfertigt, den Fehler im vorliegenden Verfahren von Amtes wegen zu berichtigen.
8
9
Die Verordnung über die Arbeitslosenversicherung (AlVV) vom 14. März 1977 enthält in den Art. 60 ff. nähere Bestimmungen über die Kassenrevision. Nebst der Rechnungsführung prüft die Ausgleichsstelle die Rechtmässigkeit der ausgerichteten Arbeitslosenentschädigungen (Art. 60 Abs. 1 und 2 AlVV). Soweit die Prüfung BGE 110 V, 382 (385)nicht bei den Kassen vorgenommen wird, haben diese der Revisionsbehörde die zur Überprüfung der ausgerichteten Arbeitslosenentschädigungen erforderlichen Belege auf Abruf zuzustellen (Art. 61 Abs. 1 AlVV). Werden die Belege nicht vollständig oder nicht in gehöriger Form vorgelegt, so kann die Revisionsbehörde für einzelne Auszahlungen die nachträgliche Ergänzung zulassen, sofern die Kasse vertretbare Gründe vorbringt (Art. 61 Abs. 2 AlVV). Stellt die Revisionsbehörde fest, dass die Kasse gesetzliche Vorschriften nicht oder unrichtig angewendet hat, oder lässt sich die Rechtmässigkeit einer Auszahlung wegen Unvollständigkeit der Belege nicht ausreichend überprüfen, so erlässt sie eine vorläufige schriftliche Beanstandung und setzt der Kasse eine angemessene Frist zur Stellungnahme (Art. 62 Abs. 2 AlVV). Nach Ablauf der Frist bestimmt die Ausgleichsstelle durch Revisionsverfügung gegenüber dem Träger der Kasse, in welchem Umfange dieser der Ausgleichsstelle die beanstandeten Auszahlungen zu ersetzen hat. Sie bezeichnet dabei die Fälle, in denen die beanstandeten Auszahlungen vom Versicherten zurückzufordern sind. Die Kasse macht ihre Forderung gegenüber dem Versicherten durch beschwerdefähige Verfügung nach Art. 50 AlVG geltend. Verzichtet der Träger auf die Geltendmachung der Rückforderung, so gilt dies als Anerkennung seiner Haftung gegenüber der Ausgleichsstelle (Art. 62 Abs. 4 AlVV).
10
b) Nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz soll mit der Kassenrevision in erster Linie verhindert werden, dass vorschriftswidrig ausbezahlte Entschädigungen dem Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung belastet werden. Dies setzt voraus, dass der Revisionsbehörde die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stehen, damit sie die Rechtmässigkeit der Auszahlungen überprüfen kann (Art. 61 Abs. 1 AlVV). Lässt sich die Rechtmässigkeit einer Auszahlung wegen Unvollständigkeit der Belege nicht ausreichend überprüfen, so erhebt die Revisionsbehörde eine entsprechende (formelle) Beanstandung und erlässt nach dem in Art. 62 AlVV vorgesehenen Verfahren gegebenenfalls eine Verfügung, mit welcher sie bestimmt, in welchem Umfang der Kassenträger die beanstandeten Auszahlungen zu ersetzen hat. Gegenstand der formellen Beanstandung ist somit nicht die Frage, ob die Kasse die Leistungen materiell zu Recht erbracht hat, sondern diejenige, ob sämtliche Unterlagen vorliegen, um die Rechtmässigkeit der Auszahlungen überprüfen zu können. Dementsprechend besteht eine Haftung des Trägers nicht nur dann, wenn sich eine BGE 110 V, 382 (386)Auszahlung materiell als unrichtig erweist (materielle Beanstandung), sondern auch dann, wenn die für die Überprüfung der Rechtmässigkeit einer Auszahlung erforderlichen Belege fehlen (formelle Beanstandung).
11
c) Nach Art. 22 Abs. 3 AlVB bezieht sich die Haftung auf Schäden infolge mangelhafter Erfüllung der Obliegenheiten durch die Arbeitslosenkassen. Der Grundsatz der Aktenvollständigkeit gemäss Art. 61 AlVV (vgl. hiezu auch HOLZER, Kommentar zum Bundesgesetz über die Arbeitslosenversicherung, S. 224) darf daher nicht dazu führen, dass die Haftung auf die gesamte Auszahlung erstreckt wird, wenn die Unvollständigkeit nur einen Teil der Auszahlung betrifft. Sie erstreckt sich vielmehr nur so weit, als die Aktenunvollständigkeit reicht und damit ein Schaden verbunden sein kann.
12
4. a) Die Beschwerdeführerin zieht aus dem letzten Satz von Art. 22 Abs. 3 AlVB, wonach die Ausgleichsstelle bei leichtem Verschulden auf die Geltendmachung des Schadens verzichten kann, den Umkehrschluss, "dass ein Schaden nur bei schwerem Verschulden geltend gemacht werden kann". Entgegen der Regelung in der AHV (Art. 70 Abs. 1 AHVG) und der Invalidenversicherung (Art. 66 Abs. 1 IVG), wo die Gründerverbände nur für Schäden aus strafbaren Handlungen und infolge absichtlicher oder grobfahrlässiger Missachtung der Vorschriften durch die Kassenorgane oder einzelne Kassenfunktionäre haften (vgl. hiezu BGE 106 V 204, BGE 105 V 119), ist die Haftung der Kassenträger in der Arbeitslosenversicherung indessen nicht auf qualifiziertes Verschulden beschränkt. Dies ergibt sich nicht nur aus Wortlaut und Sinn von Art. 22 Abs. 3 AlVB, sondern auch aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung. Sie enthielt in der Fassung gemäss Botschaft des Bundesrates über die Einführung der obligatorischen Arbeitslosenversicherung (Übergangsordnung) vom 11. August 1976 noch keine Einschränkung im Sinne eines möglichen Verzichts auf die Geltendmachung der Haftung bei leichtem Verschulden (BBl 1976 II 1629). In der vorberatenden Kommission des Nationalrates wurde zunächst einem Antrag Jelmini zugestimmt, die Haftung sei in Übereinstimmung mit der Regelung in der AHV auf absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften zu beschränken. In der Folge stellte der Bundesrat aber einen Rückkommensantrag, welchem die nationalrätliche Kommission und hierauf Nationalrat und Ständerat zustimmten. Damit wurde an der umfassenden Haftung grundsätzlich festgehalten; BGE 110 V, 382 (387)gleichzeitig wurde die Verwaltung aber ermächtigt, bei leichtem Verschulden auf die Geltendmachung des Schadens verzichten zu können (Art. 22 Abs. 3 Satz 3 AlVB). Diese "Kann-Vorschrift" darf nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass es im freien Belieben der Ausgleichsstelle steht, ob und wann immer sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen will. Wie die Anwendung des Vorbehaltes abzugrenzen ist, steht jedoch im Ermessen der Ausgleichsstelle. Sie hat ihr Ermessen lediglich so auszuüben, dass sie dabei die allgemeinen Rechtsgrundsätze, insbesondere die Rechtsgleichheit und das Verhältnismässigkeitsprinzip, nicht verletzt.
13
b) Das BIGA hält in seinem Kreisschreiben D betreffend die Revision der Taggeldzahlungen vom 25. Juni 1982 unter Ziff. 5.1 fest, dass es von einer Beanstandung absehe, wenn der zu beanstandende Betrag im Einzelfall weniger als Fr. 50.-- ausmache, es sei denn, dass sich der gleiche Fehler bei mehreren Bezügern wiederhole und die Auszahlung noch aus andern Gründen beanstandet werden müsse. Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass im gleichen Kreisschreiben (Ziff. 2.2) für die Rückforderung zu Unrecht ausgerichteter Arbeitslosenentschädigungen gemäss Art. 35 Abs. 1 AlVG in Anlehnung an die Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts in der Regel ein Mindestbetrag von Fr. 300.-- vorausgesetzt werde (vgl. BGE 107 V 182); dieser Grenzbetrag habe auch für die Haftung der Kassenträger zu gelten. Abgesehen davon, dass es sich hiebei lediglich um eine Verwaltungspraxis handelt, lässt es sich im Hinblick auf die unterschiedliche Sach- und Rechtslage durchaus rechtfertigen, dass bezüglich der Rückforderung zu Unrecht ausgerichteter Arbeitslosenentschädigungen vom Versicherten ein höherer Grenzbetrag gilt. Wenn das BIGA im Revisionsverfahren praxisgemäss auf die Geltendmachung des Schadens verzichtet, wenn dieser im Einzelfall weniger als Fr. 50.-- beträgt, so lässt sich dies nicht beanstanden.
14
c) Die Beschwerdeführerin macht des weitern geltend, die vom BIGA verlangte Überprüfung der persönlichen Bemühungen der Versicherten um Arbeit gehe über den Sinn des Gesetzes hinaus. Die Kontrollpflicht der Kasse sei derjenigen des Arbeitsamtes nachgestellt, und es liesse sich mit Treu und Glauben nicht vereinbaren, wenn die Kasse nachträglich Nachweise einzuverlangen hätte, die rechtzeitig vom Arbeitsamt hätten angefordert werden müssen. Im übrigen seien die Akten als vollständig zu erachten, BGE 110 V, 382 (388)wenn die Kasse sämtliche gemäss Art. 66 AlVV vorgeschriebenen Formulare richtig verwendet habe.
15
Nach Wortlaut und Sinn von Art. 29 Abs. 1 AlVG obliegt die Prüfung, ob ein Einstellungsgrund besteht, der Kasse, welche beim Vorliegen eines solchen Grundes verpflichtet ist, die Einstellung in der Anspruchsberechtigung zu verfügen und entsprechend der Schwere des Verschuldens deren Dauer festzulegen. Die Beschwerdeführerin kann sich daher nicht darauf berufen, die Kasse habe sich auf die Abklärungen seitens des Arbeitsamtes verlassen dürfen. Die Kasse hat vielmehr selber die nötigen Erhebungen vorzunehmen, worauf das BIGA die Trägerschaft bereits im Revisionsbericht für das Jahr 1978 aufmerksam gemacht hat. Dabei sind erforderlichenfalls weitergehende Abklärungen zu treffen, als sie aufgrund der bestehenden Formulare vorgesehen sind.
16
17
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).