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Informationen zum Dokument  BGE 134 IV 229  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
3. Umstritten ist somit, ob die Bestimmungen von Art. 48 Abs. 6 u ...
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23. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Beschwerde in Strafsachen)
 
 
6B_805/2007 vom 13. Juni 2008
 
 
Regeste
 
Art. 48 Abs. 6 und 8 SSV; Art. 3a Abs. 1 OBG; Art. 2 lit. c OBV.  
Aus dem Wortlaut "Überschreiten der zulässigen Parkzeit" ist zu folgern, dass das Parkieren während einer gewissen Zeitspanne erlaubt ist und erst mit Überschreiten dieses Zeitpunkts unzulässig wird (E. 3.3). Ein Lenker, der die Parkuhr nicht bedient, wird immer zumindest wegen Nichtingangsetzens der Parkuhr gebüsst. Sobald die gemäss der konkreten Sammelparkuhr minimal mögliche (und selbst wählbare) Parkzeit überschritten wird, wird er zusätzlich wegen Überschreitens der zulässigen Parkzeit bestraft (E. 3.4).  
 
Sachverhalt
 
BGE 134 IV, 229 (230)Das Obergericht des Kantons Bern befand X. am 12. November 2007 zweitinstanzlich des Nichtingangsetzens der Parkuhr und des Überschreitens der zulässigen Parkzeit bis 2 Stunden schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 80.- respektive ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 1 Tag bei schuldhafter Nichtbezahlung der Busse.
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X. führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, er sei des Nichtingangsetzens der Parkuhr schuldig zu sprechen und zu einer Busse von Fr. 40.- zu verurteilen; hingegen sei er vom Vorwurf des Überschreitens der zulässigen Parkzeit bis 2 Stunden freizusprechen. Eventualiter sei das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 12. November 2007 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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BGE 134 IV, 229 (231)Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht hat sich innert Frist nicht vernehmen lassen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 2
 
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Der Beschwerdeführer stellte am 28. November 2006 um 11.55 Uhr seinen Personenwagen auf einem gebührenpflichtigen Parkplatz in Bern ab, ohne die zentrale Sammelparkuhr (Parkuhr mit Eingabe der Parkfeldnummer und ohne Herausgabe eines Tickets) zu bedienen. Anlässlich einer Parkkontrolle stellte die Polizei um 13.41 Uhr fest, dass die Parkzeit für jenes Parkfeld, auf welchem der Wagen des Beschwerdeführers stand, abgelaufen war. Um 13.50 Uhr kehrte der Beschwerdeführer zurück und verliess mit seinem Auto den Parkplatz.
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Gestützt auf die Bussenliste des Anhangs 1 zur Ordnungsbussenverordnung vom 4. März 1996 (OBV; SR 741.031) wird das Nichtingangsetzen der Parkuhr nach Art. 48 Abs. 6 SSV mit einer Busse von Fr. 40.- bestraft (OBV Anhang 1 Ziff. 203.3). Verstösse gegen Art. 48 Abs. 8 SSV werden mit folgenden Bussenbeträgen geahndet: Überschreiten der zulässigen Parkzeit bis 2 Stunden mit Fr. 40.-, zwischen 2 und 4 Stunden mit Fr. 60.- und zwischen 4 und 10 Stunden mit Fr. 100.- (OBV Anhang 1 Ziff. 200 a-c).
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Nach Art. 3a Abs. 1 des Ordnungsbussengesetzes vom 24. Juni 1970 (OBG; SR 741.03) gilt bei Ordnungsbussen grundsätzlich das BGE 134 IV, 229 (232)Kumulationsprinzip. Demgemäss werden die Bussen zusammengezählt, und es wird eine Gesamtbusse auferlegt, wenn der Täter durch eine oder mehrere Widerhandlungen mehrere Ordnungsbussentatbestände erfüllt. Art. 2 OBV sieht jedoch Ausnahmen von diesem Grundsatz vor. Beim Zusammentreffen mehrerer Widerhandlungen werden die Bussen namentlich nicht zusammengezählt, wenn zwei oder mehrere Verkehrsregeln, Signale oder Markierungen missachtet werden, die denselben Schutzzweck haben (Art. 2 lit. c OBV).
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2.3 Beim System der zentralen Sammelparkuhr hat der Automobilist die Nummer des von ihm belegten Parkfelds bei der Parkuhr einzugeben und die gewünschte Parkzeit zu wählen. Nach der Bezahlung erscheint auf der elektronischen Anzeige die Zeit, bis wann parkiert werden darf. Dieser Zeitpunkt wird vom System gespeichert. Ein Parkticket, welches hinter die Windschutzscheibe gelegt werden muss, wird nicht ausgestellt. Für die kontrollierende Person ist einzig feststellbar, bis wann bezahlt worden ist respektive seit wann die Parkzeit abgelaufen ist. Ob der Lenker des auf dem massgeblichen Parkfeld stehenden Wagens die Parkuhr zwar bedient, die Parkzeit aber entsprechend überschritten hat, oder ob der fehlbare Lenker die Parkuhr gar nicht in Gang gesetzt hat, ist nicht eruierbar. In der Praxis stellt die Polizei daher eine Busse wegen der auf der elektronischen Anzeige angegebenen Überschreitung der Parkzeit aus. So zeigte im zu beurteilenden Fall die Parkuhr eine Überschreitung von 4,5 Stunden an, weshalb dem Beschwerdeführer ursprünglich eine Busse von Fr. 100.- auferlegt wurde (OBV Anhang 1 Ziff. 200 c). Zeigt der fehlbare Lenker jedoch auf, dass er die Parkuhr nicht bedient und weniger lang als auf der elektronischen Anzeige ausgewiesen parkiert hat, wird er wegen Nichtbedienens der Parkuhr mit Fr. 40.- und zusätzlich wegen der tatsächlich erfolgten Überschreitung der Parkzeit gebüsst. In der Praxis wird die Parkzeit dabei ab dem Zeitpunkt des Abstellens des Fahrzeugs auf dem Parkfeld als überschritten angesehen. In casu parkierte der Beschwerdeführer weniger als 2 Stunden und wurde deshalb insgesamt mit einer Busse von Fr. 80.- belegt (OBV Anhang 1 Ziff. 200 a und 203.3).
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BGE 134 IV, 229 (233)"Nichtingangsetzens der Parkuhr" gemäss Art. 48 Abs. 6 SSV. Schutzzweck beider Normen sei somit die Einhaltung der Parkzeitbeschränkung. Mit dem Nichtbedienen der Parkuhr sei auch zugleich der Tatbestand der Überschreitung der Parkzeit erfüllt, und der Unrechtsgehalt sei folglich mit einer Ordnungsbusse für das Nichtingangsetzen der Parkuhr abgedeckt.
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2.5 Die Vorinstanz hat erwogen, die Bestimmungen von Art. 48 Abs. 6 und 8 SSV dienten nicht demselben Schutzzweck, weshalb die Bussen zu kumulieren seien. Der Schutzzweck von Art. 48 Abs. 8 SSV sei insbesondere in der Einhaltung der Parkzeitbeschränkung zu sehen. Demgegenüber werde mit Art. 48 Abs. 6 SSV zusätzlich auch ein pekuniäres Interesse - die Entrichtung der geschuldeten Gebühren - verfolgt. Oder mit anderen Worten: Mit der Busse wegen Überschreitens der zulässigen Parkzeit werde grundsätzlich nur der Unrechtsgehalt des Nichteinhaltens der Parkzeitbeschränkung abgegolten, während mit derjenigen wegen Nichtingangsetzens der Parkuhr der Unrechtsgehalt des "Nichtbezahlens der ausdrücklich geforderten Gebühr" erfasst werde. Zudem habe die erste Instanz willkürfrei erwogen, das Nichtingangsetzen der Parkuhr erschwere bzw. verunmögliche die Feststellung der Zeitdauer des Überschreitens der Parkzeit. Schliesslich verhindere eine Kumulation der Bussen, dass ein Fahrzeuglenker, welcher die Parkgebühr bezahle, die Parkzeit aber überschreite, schlechter gestellt werde als derjenige, welcher von Anfang an keine Gebühr entrichte.
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BGE 134 IV, 229 (234)Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) hat Erläuterungen zum Ordnungsbussenverfahren erlassen (ASTRA-Erläuterungen OBG/OBV vom 16. Juli 2004). Zu Art. 2 lit. c OBV wird ausgeführt, es müsse festgestellt werden, ob die Erfüllung mehrerer Ordnungsbussen-Ziffern denselben Schutzzweck verletze. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn ein gelb markiertes Parkfeld (Parkverbot) durch ein Parkverbotssignal verstärkt werde oder wenn neben einem Abbiegeverbot zugleich auch das Signal "Einfahrt verboten" aufgestellt werde. Erörterungen zu den Fällen von Art. 48 SSV bzw. OBV Anhang 1 Ziff. 200 a-c und 203.3 finden sich jedoch keine.
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3.3 Allerdings kann die zulässige Parkzeit entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht bereits ab dem Zeitpunkt, ab welchem der Lenker sein Fahrzeug parkiert und die Parkuhr nicht in Gang setzt, als überschritten gelten. Vielmehr ist aus dem Wortlaut "Überschreiten der zulässigen Parkzeit" zu folgern, dass das Parkieren während einer gewissen Zeitspanne erlaubt ist und erst mit Überschreiten dieses Zeitpunkts unzulässig wird. Zudem liefe die im angefochtenen Urteil vertretene Auffassung auf die nicht sachgerechte Lösung hinaus, dass jedes Parkieren ohne Ingangsetzen der Parkuhr unvermeidlich von der ersten Sekunde an auch zu einer Parkzeitüberschreitung und damit im Ergebnis zu einer Busse von Fr. 80.- führen würde (OBV Anhang 1 Ziff. 203.3 und Ziff. 200 a). Dies hätte zur Konsequenz, dass eine Busse von Fr. 40.- einzig wegen Nichtingangsetzens der Parkuhr mithin gar nie möglich wäre.
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3.4 Sachgerecht erscheint daher der folgende Ansatz: Ein Lenker, der die Parkuhr nicht bedient, wird immer zumindest wegen BGE 134 IV, 229 (235)Nichtingangsetzens der Parkuhr mit Fr. 40.- gebüsst (OBV Anhang 1 Ziff. 203.3). Ab dem Moment, ab welchem die gemäss der konkreten Sammelparkuhr minimal mögliche (und selbst wählbare) Parkzeit überschritten wird, wird er zusätzlich wegen Überschreitens der zulässigen Parkzeit bestraft (OBV Anhang 1 Ziff. 200 a-c).
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Kann beispielsweise minimal für 30 Minuten bezahlt und parkiert werden, so wird auch die zulässige Parkzeit erst ab diesem Zeitpunkt überschritten. Lässt ein Lenker diesfalls sein Fahrzeug zum Beispiel während 20 Minuten stehen, ohne die Parkuhr zu betätigen, wird er einzig mit Fr. 40.- wegen Nichtingangsetzens der Parkuhr gebüsst (OBV Anhang 1 Ziff. 203.3). Parkiert er sein Auto hingegen beispielsweise 2 Stunden und 20 Minuten, ohne die Parkuhr in Betrieb zu setzen, so wird er insgesamt nicht mit Fr. 100.- (OBV Anhang 1 Ziff. 203.3 und Ziff. 200 b), sondern mit Fr. 80.- (OBV Anhang 1 Ziff. 203.3 und Ziff. 200 a) gebüsst, da er die zulässige Parkzeit um weniger als 2 Stunden überschritten hat (2 Stunden und 20 Minuten abzüglich 30 Minuten).
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