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Informationen zum Dokument  BGE 125 IV 298  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
aus folgenden Erwägungen:
1. Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen  ...
2. a) Die Vorinstanz führt aus, der Beschwerdeführer wo ...
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45. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. Novembre 1999 i.S. Walther Hofer gegen Nachkommen des Wilhelm Frick (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 173 StGB und Art. 397 StGB, Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP und Art. 277bis Abs. 1 BStP; üble Nachrede gegen einen Verstorbenen, Wiederaufnahme des Verfahrens, verbindliche tatsächliche Feststellung der kantonalen Behörde.  
 
Sachverhalt
 
BGE 125 IV, 298 (299)Prof. Walther Hofer, damals Professor der Geschichte an der Universität Bern und anerkannter Kenner des Nationalsozialismus, publizierte in der "Neuen Zürcher Zeitung" Nr. 48 vom 26./27. Februar 1983 aus Anlass des 50. Jahrestages des Brandes des Deutschen Reichstages einen Artikel über dieses "Schlüsselereignis auf dem Weg zur NS-Diktatur." Darin trat er der These entgegen, die Brandstiftung sei das alleinige Werk des Holländers van der Lubbe gewesen. Der Artikel enthält unter anderem folgende Passage:
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"Wie recht wir gehabt haben, die verfehlte Theorie als `Gestapo-These' zu
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bezeichnen, geht auch aus folgendem Tatbestand hervor: Die allererste
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Version dieser These ist ausgerechnet in einem schweizerischen Presseorgan
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erschienen, dessen neonazistische Tendenzen seinerzeit sogar Anlass zu
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parlamentarischen Vorstössen gegeben haben. Es handelt sich um die
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Zweiwochenzeitung `Neue Politik', deren Herausgeber, Wilhelm Frick, in den
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dreissiger Jahren Leiter der `Eidgenössischen Front', einer mit dem
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Nationalsozialismus sympathisierenden Bewegung, gewesen war. Ferner war er
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nach einem Bericht des Zürcher Obergerichts damals einer der
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Vertrauensanwälte des deutschen Generalkonsulats in Zürich und einer
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Gestapoabteilung in Feldkirch. ... Die angeblich so wissenschaftliche
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Alleintäterthese ist also in der Küche ehemaliger Gestapobeamter und im
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Blatt eines ehemaligen Gestapovertrauten erstmals lanciert worden. ..."
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Der im Artikel namentlich genannte Wilhelm Frick war Rechtsanwalt; er ist am 6. November 1961 verstorben. Seine Angehörigen erhoben gegen Walther Hofer Ehrverletzungsklage wegen Verleumdung eines Verstorbenen, eventuell wegen übler Nachrede über einen Verstorbenen. Gegenstand der Anklage bildeten die Behauptungen, Wilhelm Frick sei "Vertrauensanwalt einer Gestapoabteilung" und "Gestapovertrauter" gewesen.
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Das Bezirksgericht Zürich sprach Walther Hofer am 20. März 1985 frei. Es erwog, Hofer habe sich für seine Behauptung auf die Dissertation von W. Wolf, "Faschismus in der Schweiz", aus dem Jahre 1969 gestützt, in welcher es auf S. 44 heisse:
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BGE 125 IV, 298 (300)"Schliesslich gehörte Dr. Wilhelm Frick im zweiten Weltkrieg zu den
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Vertrauensanwälten des deutschen Generalkonsulats in Zürich und einer
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Gestapo-Abteilung in Feldkirch."
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Diese Stelle wurde von Wolf in Fussnote 20 wie folgt belegt:
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"Vgl. den Bericht des Zürcher Obergerichts an den Kantonsrat zur Motion
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Nägeli vom 4. November 1953, in Abl. Zürich 1953, 905 ff."
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Das Bezirksgericht war der Ansicht, Hofer habe auf diese Quellenangabe vertrauen dürfen, weshalb er den Gutglaubensbeweis erbracht habe.
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Auf Berufung der Ankläger bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich am 5. Oktober 1985 diesen Entscheid.
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Auf Nichtigkeitsbeschwerde der Nachkommen des Wilhelm Frick hob das Bundesgericht dieses Urteil am 4. Juli 1986 auf (amtlich nicht veröffentlicht, teilweise publiziert in plädoyer 1989 Nr. 3 S. 65 ff.; vgl. auch die Hinweise in BGE 118 IV 153 E. 5). Das Bundesgericht gelangte zu einer anderen Beurteilung der Gutglaubensfrage. Es erwog, im von Hofer angezogenen Bericht des Obergerichtes sei von einer Gestapoabteilung in Feldkirch nicht die Rede; dies hätte Hofer als gewiegter Historiker auf den ersten Blick erkennen können, wenn er auf die Primärquelle zurückgegriffen hätte, was er umso mehr hätte tun müssen, als er sich in seiner Veröffentlichung ausschliesslich auf den Bericht des Obergerichtes als Informationsquelle berufen habe, im Bewusstsein, seiner Äusserung damit mehr Gewicht verleihen zu können; auch wenn er die Dissertation von Wolf als Quelle genannt hätte, wäre Hofer von der Pflicht, der Primärquelle nachzugehen, in Anbetracht des schwerwiegenden Angriffes auf die Ehre eines Dritten nicht entbunden gewesen, zumal die Sekundärquelle die Primärquelle nicht wörtlich zitiert habe und die Dissertation auch eine eigene Wertung des Autors Wolf habe enthalten können.
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Nach erfolgter Rückweisung sprach das Obergericht Walther Hofer am 29. Oktober 1986 schuldig der üblen Nachrede gegen einen Verstorbenen und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 1'000.--. Es erwog, Hofer habe weder den Wahrheitsbeweis noch den Gutglaubensbeweis erbracht.
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Mit Eingabe vom 2. September 1997 stellte Walther Hofer ein Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens. Am 15. April 1998 wies die Revisionskammer des Obergerichtes das Gesuch ab.
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Walther Hofer führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den Beschluss des Obergerichtes aufzuheben; es sei das BGE 125 IV, 298 (301)Verfahren im Sinne der Anträge an dieses zur Wiederaufnahme und zum Freispruch zurückzuweisen.
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Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
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Die Beschwerdegegnerinnen haben sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
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Am 18. August 1999 hat das Kassationsgericht des Kantons Zürich die von Walther Hofer gegen den Beschluss des Obergerichtes erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte.
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Das Bundesgericht weist die Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es darauf eintritt
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aus folgenden Erwägungen:
 
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Die Vorinstanz kommt zum Schluss, die vorgebrachten Tatsachen seien nicht neu. In einer Zusatzbegründung erwägt die Vorinstanz, dass das vorgelegte Material, wenn man es inhaltlich prüfe, mit Blick auf den Wahrheitsbeweis nicht erheblich sei.
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b) Gemäss Art. 397 StGB haben die Kantone gegenüber Urteilen, die auf Grund des Strafgesetzbuches ergangen sind, wegen erheblicher Tatsachen oder Beweismittel, die dem Gerichte zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu Gunsten des Verurteilten zu gestatten.
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Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe den Sachverhalt falsch gewürdigt, "so insbesondere die Tatsache der Nova BGE 125 IV, 298 (302)und deren Erheblichkeit." Er legt nicht dar, dass und inwieweit die Vorinstanz eidgenössisches Recht verletzt habe. Das ist auch nicht ersichtlich. Die Auffassung der Vorinstanz, das im Revisionsverfahren Vorgebrachte sei nicht neu und nicht erheblich, beruht auf Beweiswürdigung, welche im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden kann (Art. 273 Abs. 1 lit. b und Art. 277bis Abs. 1 BStP; BGE 109 IV 173). Der angefochtene Beschluss ist nicht zu beanstanden, soweit die Vorinstanz annimmt (sinngemäss), es sei nicht zulässig, im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens neue Tatsachen zu präsentieren, die zufolge prozessualer Versäumnis im damaligen Verfahren nicht vorgelegt worden sind. Jedenfalls legt der Beschwerdeführer auch insoweit nicht dar, dass die Vorinstanz damit Bundesrecht verletzt haben könnte.
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Die Beschwerde ist deshalb abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann.
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c) Der Beschwerdeführer bemerkt, die Geschichtsschreibung werde sich nicht an die "Wahrheit" der Vorinstanz halten, sondern ihre Wahrheit verbreiten und vertiefen, so wie sie das seit ihrer Entstehung tue. In dieser Geschichtsschreibung habe auch die Abstreitung und Leugnung geschichtlicher Tatsachen ihren Platz. Würde die Revision im vorliegenden Fall unterbleiben, "so bliebe der Vorinstanz dieser zweifelhafte Ruf."
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Weder im seinerzeitigen Ehrverletzungsprozess, der mit der Verurteilung des Beschwerdeführers geendet hat, noch im heutigen Revisionsverfahren geht es darum, dass die Justiz über die historische "Wahrheit" - die übrigens im Laufe des historischen Erkenntnisprozesses wandelbar sein kann - befindet; vielmehr geht es darum, ob der Beschwerdeführer durch seinen Artikel in der "Neuen Zürcher Zeitung" Wilhelm Frick in strafrechtlich relevanter Weise angegriffen hat. Für das Bundesgericht fiel dabei in seinem Urteil vom 4. Juli 1986 entscheidend ins Gewicht,
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"dass der (damalige) Beschwerdegegner in seiner Veröffentlichung selber
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ausschliesslich den Bericht des Obergerichtes als Informationsquelle
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nannte, indem er wörtlich ausführte:
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`Ferner war er (Wilhelm Frick) nach einem Bericht des Zürcher
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Obergerichts damals einer der Vertrauensanwälte des deutschen
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Generalkonsulates in
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Zürich und einer Gestapoabteilung in Feldkirch.'
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Beschränkte er sich aber auf diesen Hinweis im Bewusstsein, seiner
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Äusserung damit mehr Gewicht verleihen zu können als mit der Zitierung
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einer Dissertation, so war es seine Pflicht, die erwähnte Primärquelle auf
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ihren Gehalt hin zu überprüfen. Das aber hat er offensichtlich nicht getan"
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(E. 4b).
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BGE 125 IV, 298 (303)Dass sich im zitierten Bericht des Obergerichtes, auf den sich der Beschwerdeführer in seinem Artikel ausdrücklich bezieht, nichts findet, was die inkriminierten Äusserungen rechtfertigen würde, ist unbestritten und wird vom Beschwerdeführer auch mit seinem Revisionsbegehren nicht in Frage gestellt. Der Vorwurf, er habe seine verletzenden Äusserungen gegenüber Wilhelm Frick auf eine amtliche Quelle abgestützt, die für diesen Vorwurf keine Grundlage bildet, bleibt deshalb auch dann bestehen, wenn man auf Grund heutiger historischer Auffassung, die allerdings in Zukunft weiteren Wandlungen unterliegen kann, zu einer anderen Bewertung der gegenüber Wilhelm Frick erhobenen Vorwürfe kommen könnte. Im Übrigen ist auch der vom Beschwerdeführer angerufene Gutachter Prof. Urner zum Schluss gekommen: "Dr. Frick war kein Vertrauensanwalt einer Gestapoabteilung in Feldkirch."
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