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Informationen zum Dokument  BGE 114 IV 16  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Erwägungen:
1. Gemäss Art. 179 StGB wird, auf Antrag, mit Haft oder mit  ...
2. a) Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass ihre Auf ...
3. Bei den fraglichen drei Briefen handelt es sich aus den genann ...
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6. Urteil des Kassationshofes vom 6. September 1988 i.S. R. gegen S. (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Verletzung des Schriftgeheimnisses (Art. 179 StGB).  
 
Sachverhalt
 
BGE 114 IV, 16 (17)S. ist seit 1985 Präsident der reformierten Kirchenpflege X. Als die Sekretärin der Kirchgemeinde per Ende Februar 1987 kündigte, wies er das Postamt X. an, die die Kirchgemeinde und die Kirchenpflege betreffende Post nicht mehr in das Postfach im Kirchgemeindezentrum zu legen, sondern an seine Privatadresse weiterzuleiten. Er öffnete in der Folge drei ihm auf diese Weise zugekommene Briefe, nämlich die Schreiben der reformierten Kirchgemeinde Zofingen vom 20. März 1987, der Elektro-Berger AG vom 20. März 1987 und des 'Gmües-Chratte' vom 6. April 1987, die an das "Ref. Kirchgemeindezentrum, z.H. Frau R. ..." bzw. (das letztgenannte Schreiben) an die "Ref. Kirchgemeinde Frau R. ..." adressiert waren. Den Brief der Elektro-Berger AG, der einen Kostenvoranschlag für elektrische Installationen enthielt, leitete er an Frau N. weiter, die seines Erachtens als für das Bauwesen zuständiges Mitglied der Kirchenpflege für dessen Behandlung zuständig war. Die beiden andern Schreiben liess er Frau R. zukommen; diese war seit 1982 als Gemeindehelferin der Kirchgemeinde X. tätig und hatte im Januar 1987 ihre Stelle auf den 30. April 1987 gekündigt.
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Die 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Aargau sprach S. am 14. Juni 1988 in Bestätigung des erstinstanzlichen Entscheides vom Vorwurf der Verletzung des Schriftgeheimnisses frei. Das Bundesgericht weist die von der Strafantragstellerin R. dagegen erhobene eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ab mit folgenden
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Erwägungen:
 
1. Gemäss Art. 179 StGB wird, auf Antrag, mit Haft oder mit Busse bestraft, wer, ohne dazu berechtigt zu sein, eine verschlossene BGE 114 IV, 16 (18)Schrift oder Sendung öffnet, um von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen (Abs. 1), und wer Tatsachen, deren Kenntnis er durch Öffnen einer nicht für ihn bestimmten verschlossenen Schrift oder Sendung erlangt hat, verbreitet oder ausnützt (Abs. 2).
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a) Die drei Schreiben waren nach den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht an die Beschwerdeführerin persönlich, sondern an das Kirchgemeindezentrum bzw. an die Kirchgemeinde X. gerichtet, wobei Frau R. von den Absendern als die zuständige Sachbearbeiterin betrachtet wurde. Das "Ref. Kirchgemeindezentrum" bzw. die "Ref. Kirchgemeinde" sind entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin nicht blosse Zustellorte. Durch die Anschriften: an das "Kirchgemeindezentrum ... (X.) ..., z.H. Frau R. ..." bzw. an die "Kirchgemeinde ... (X.) ..., Frau R. ..." wird nach der Verkehrsübung nicht zum Ausdruck gebracht, dass allein Frau R. zum Öffnen der fraglichen Schreiben befugt sein soll, sondern vielmehr, dass nach Meinung der Absender Frau R. innerhalb der angeschriebenen Institution zur Behandlung der Schreiben zuständig sei. Anders verhielte es sich dann, wenn die Adressen den Vermerk "persönlich" enthalten hätten, sowie allenfalls dann, wenn die Briefe an "Frau R. ..., c/o Ref. Kirchgemeindezentrum" bzw. an "Frau R. ..., c/o Ref. Kirchgemeinde" adressiert gewesen wären.
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b) Der Beschwerdegegner öffnete die drei Briefe in seiner Eigenschaft als Präsident der reformierten Kirchenpflege X. Die Kirchenpflege ist gemäss den im angefochtenen Urteil erwähnten Richtlinien für den Dienst des Gemeindehelfers der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Aargau vom 4. Februar 1981 die vorgesetzte Behörde des Gemeindehelfers; sie regelt unter anderem im Einvernehmen mit dem Gemeindehelfer dessen Pflichtenheft. Der Beschwerdegegner war als Präsident der Kirchenpflege nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz berechtigt, die fraglichen Briefe zu öffnen.
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Ob der Beschwerdegegner auch insoweit der Vorgesetzte der Beschwerdeführerin war, als diese als Hilfsperson des Pfarrers im Sinne von Art. 321 StGB eine Vertrauensstellung innehatte, und ob der Beschwerdegegner in seiner Eigenschaft als Präsident der Kirchenpflege einen an das "Ref. Kirchgemeindezentrum, z.H. Frau R. ..." bzw. an die "Ref. Kirchgemeinde, Frau R. ..." adressierten Brief auch dann hätte öffnen dürfen, wenn er aufgrund weiterer Angaben auf dem Briefumschlag (etwa angesichts der Person des Absenders) erkennen musste, dass das Schreiben möglicherweise nicht finanzielle oder administrative Belange der Kirchgemeinde betreffe, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Die Absender der drei vom Beschwerdegegner geöffneten Briefe waren, gemäss den Angaben auf den Briefumschlägen, die reformierte Kirchgemeinde Zofingen, die Elektro-Berger AG und der 'Gmües-Chratte', woraus deutlich ersichtlich wurde, dass die fraglichen Schreiben - entsprechend der Anschrift - finanzielle oder administrative Belange der Kirchgemeinde betrafen, welche auch in den Zuständigkeitsbereich des Beschwerdegegners als Präsident der Kirchenpflege und Vorgesetzter der Beschwerdeführerin fielen.
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b) Dass die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 1. April 1987 an die reformierte Kirchenpflege X. unter Hinweis auf ihr Berufsgeheimnis gemäss Art. 321 StGB verlangte, die für sie bestimmten Briefe seien ungeöffnet an sie weiterzuleiten, ist entgegen einer Bemerkung in der Beschwerde unerheblich. Der Beschwerdegegner handelte nicht als Beauftragter der Beschwerdeführerin oder als deren Geschäftsführer ohne Auftrag, sondern als deren Vorgesetzter, und seine Befugnis zum Öffnen von Briefen, die offensichtlich finanzielle oder administrative Belange der Kirchgemeinde betrafen, hing daher nicht von der Einwilligung der Beschwerdeführerin ab.
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Der Beschwerdegegner erfüllte somit nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz den Tatbestand von Art. 179 Abs. 1 StGB nicht.
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