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Informationen zum Dokument  BGE 128 III 416  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
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75. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. X. AG gegen Y. AG und Z. AG (Berufung)
 
 
4C.258/2001 vom 5. September 2002
 
 
Regeste
 
Bevorschussung der Kosten für eine Ersatzvornahme (Art. 98 OR).  
 
Sachverhalt
 
BGE 128 III, 416 (416)Am 20./23. Januar 1986 schlossen die Y. AG und die Z. AG (die Klägerinnen) mit der X. AG (die Beklagte) einen Werkvertrag ab. Darin verpflichtete sich die Beklagte, das Dach einer Industriehalle zu beschichten. Der Werklohn wurde auf Fr. 108'000.- festgesetzt. Die Beklagte gab eine zehnjährige Haltbarkeitsgarantie ab. Die Arbeiten wurden im Herbst 1986 abgeschlossen.
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Am 20. Juni 1996 rügten die Klägerinnen Mängel an der Dachbeschichtung und forderten die Beklagte mit Schreiben vom 15. Dezember 1997 auf, den untauglichen Belag zu entfernen und das Dach fachgerecht neu zu beschichten. Dies wurde von der Beklagten mit Schreiben vom 15. Januar 1998 abgelehnt. Mit Entscheid vom 18. Mai 2001 bejahte das Handelsgericht des Kantons St. Gallen den Anspruch der Klägerinnen, das Dach durch einen Dritten neu beschichten zu lassen und verpflichtete die Beklagte, für die Sanierungsarbeiten einen Kostenvorschuss von Fr. 180'000.- zu leisten.
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BGE 128 III, 416 (417)Das Bundesgericht schützt den Anspruch der Klägerinnen auf Neubeschichtung des Daches und bestätigt den Entscheid des Handelsgerichtes auch insofern, als die Beklagte verpflichtet wurde, die Kosten der Ersatzvornahme im Umfang von Fr. 180'000.- zu bevorschussen.
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Aus den Erwägungen:
 
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Das Bundesgericht hatte sich noch nie zur Frage zu äussern, ob der Besteller Anspruch darauf hat, dass die Kosten für die Nachbesserung durch einen Dritten vom Unternehmer zu bevorschussen sind (in BGE 126 III 230 wurde die Frage angeschnitten, dann aber offen gelassen [E. 7a/bb S. 236]). In der Literatur wird teilweise die Meinung vertreten, dass der Richter den Schuldner - beispielsweise den Unternehmer - verpflichten kann, die dem Gläubiger - beispielsweise dem Besteller - anfallenden Kosten der Ersatzvornahme vorzuschiessen. Zur Begründung wird ausgeführt, nach Treu und Glauben sei eher dem Unternehmer, der nicht erfüllt habe, als dem Besteller zuzumuten, die Kosten der Leistungserbringung vorzufinanzieren (im Allgemeinen: ROLF H. WEBER, Berner Kommentar, Bern 2000, N. 80 zu Art. 98 OR; VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, 3. Aufl., Zürich 1974, S. 91; im Speziellen zum Werkvertrag: PETER GAUCH, Der Werkvertrag, 4. Aufl., Zürich 1996, S. 487, Rz. 1816 f.; PIERRE TERCIER, Les contrats spéciaux, 2. Aufl., Zürich 1995, S. 441, Rz. 3584; ALFRED KOLLER, Das Nachbesserungsrecht im Werkvertrag, 2. Aufl., Zürich 1995, S. 165 f.; ders., Berner Kommentar, N. 571 zu Art. 366 OR; ders., Mängelbeseitigung durch Ersatzvornahme, in: Haftung für Werkmängel, St. Gallen 1998, S. 19 f.; JÜRG NIKLAUS, Das Recht auf Ersatzvornahme gemäss Art. 366 Abs. 2 OR, Diss. St. Gallen 1999, S. 37). Andere Autoren lehnen dagegen eine Vorschusspflicht bei Ersatzvornahme ohne nähere Begründung ab (im Allgemeinen: EUGEN BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., Zürich 1998, S. 332; WOLFGANG WIEGAND, Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 2. Aufl., Basel 1996, N. 7 zu Art. 98 OR; im Speziellen zum Werkvertrag: THEODOR BÜHLER, Zürcher Kommentar, N. 73 zu Art. 366 OR; im Speziellen zur BGE 128 III, 416 (418)zivilprozessualen Ersatzvornahme: MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 627 Fn. 30; VOGEL/SPÜHLER, Grundriss zum Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Zürich 2001, Kap. 15, Rz. 35).
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Verschiedene Gründe sprechen dafür, von einer Pflicht des Unternehmers auszugehen, die Kosten für die Ersatzvornahme vorzuschiessen. Erstens ist dem Unternehmer als der vertragsuntreuen Partei nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zuzumuten, die Kosten für die Nachbesserung vorzufinanzieren, wie in der Literatur zutreffend festgehalten wird. Zweitens kann durch die Vorschusspflicht des Unternehmers, der seine Nachbesserungspflicht nicht selbst erfüllen will oder kann, erreicht werden, dass dieser nicht besser gestellt wird als der Unternehmer, der seine Nachbesserungspflicht sogleich selbst erfüllt (in diesem Sinn KOLLER, Werkmängel, a.a.O., S. 19). Und drittens hat der Besteller ein evidentes Interesse an der finanziellen Absicherung der Ersatzvornahme, während dem Unternehmer nur eine Pflicht überbunden wird, die er später ohnehin erfüllen müsste. Um den Interessen des Unternehmers angemessen Rechnung zu tragen, ist die Vorschusspflicht aber an bestimmte Modalitäten zu binden. Erstens ist festzuhalten, dass der Besteller in der Verwendung des Kostenvorschusses nicht frei ist. Vielmehr ist der Vorschuss ausschliesslich für die Finanzierung der Ersatzvornahme bestimmt (WEBER, a.a.O., N. 80 zu Art. 98 OR; GAUCH, a.a.O., S. 487; KOLLER, Nachbesserungsrecht, a.a.O., S. 166). Zweitens ist der Besteller verpflichtet, nach Abschluss der "Ersatznachbesserung" über die Kosten abzurechnen und dem Unternehmer einen allfälligen Überschuss zurückzuerstatten (WEBER, a.a.O., N. 80 zu Art. 80 OR; GAUCH, a.a.O., S. 487; KOLLER, Nachbesserungsrecht, a.a.O., S. 166). Eine allfällige Nachforderung ist ausgeschlossen, wenn wie im vorliegenden Fall über den Umfang der Nachbesserungsarbeiten im Detail bereits entschieden wurde und insofern eine "res iudicata" vorliegt. Drittens hat der Besteller den gesamten Betrag zurückzuerstatten, wenn er die Nachbesserung nicht innert angemessener Frist vornehmen lässt (KOLLER, Nachbesserungsrecht, a.a.O., S. 166).
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Aus diesen Gründen kann der Vorinstanz beigepflichtet werden, dass ein Anspruch auf Bevorschussung der Kosten für die Ersatzvornahme besteht. Auch bezüglich der Modalitäten der Bevorschussung ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. Das Handelsgericht hat festgehalten, dass die Beklagte einen Kostenvorschuss von Fr. 180'000.- für die Sanierungsarbeiten an der Werkhalle zu bezahlen habe und dass die Klägerinnen den Vorschuss BGE 128 III, 416 (419)zurückzuerstatten hätten, wenn und soweit die Arbeiten nicht innerhalb von drei Jahren ab Leistung des Kostenvorschusses ausgeführt und abgerechnet worden seien. Damit hat die Vorinstanz klar zum Ausdruck gebracht, dass die Klägerinnen den Vorschuss nur für die genannten Sanierungsarbeiten verwenden dürfen, dass sie über die Kosten abrechnen müssen und dass die Nachbesserung innert angemessener Frist vorgenommen werden muss.
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