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Informationen zum Dokument  BGE 140 II 437  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Art. 36a Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 24. Januar 1991 üb ...
3. Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass sich das Ba ...
4. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass die Zugehörig ...
5. Der Begriff "dicht überbautes Gebiet" ist ein Begriff der ...
6. Ist das Kriterium des "dicht überbauten Gebiets" erfü ...
7. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, die Sache ni ...
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39. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. und Mitb. gegen Schweizerischer Heimatschutz, Zürcherische Vereinigung für Heimatschutz ZVH, Baukommission Rüschlikon und Baudirektion des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
1C_803/2013 vom 14. August 2014
 
 
Regeste
 
Ausnahmebewilligung für die Erstellung einer zonenkonformen, aber nicht standortgebundenen Baute im Gewässerraum des Zürichsees (Art. 36a GSchG; Art. 41b und 41c GSchV).  
Prüfung, ob der beantragten Ausnahmebewilligung überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen; dies setzt eine umfassende Interessenabwägung voraus (E. 6).  
Dem übergangsrechtlichen Gewässerraum kommt die Funktion einer Planungszone zu; die Ausnahmebewilligung darf daher die künftige Gewässerraum- und Revitalisierungsplanung nicht negativ präjudizieren (E. 6.2).  
Es liegt im Ermessen der zuständigen Behörde, die Bewilligung mit Auflagen und Bedingungen zu erteilen, um eine landschaftsverträgliche Überbauung, den Zugang der Öffentlichkeit und eine naturnahe Bepflanzung sicherzustellen (E. 6.3). Rückweisung zur Prüfung derartiger Nebenbestimmungen (E. 7).  
 
Sachverhalt
 
BGE 140 II, 437 (438)A. A. und weitere Miteigentümer der Parzelle Nr. h an der Seestrasse in Rüschlikon wollen auf ihrem Grundstück ein Einfamilienhaus mit Garage errichten. Die bestehende Baute soll abgerissen werden, das Badehaus am Ufer des Zürichsees dagegen bestehen bleiben. Rund die Hälfte des Baugrundstücks liegt auf sogenanntem Konzessionsland (konzessionierte Landanlage).
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Für ein erstes Projekt verweigerte die Baudirektion (Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft [AWEL]) des Kantons Zürich die konzessionsrechtliche Bewilligung, weil das Bauvorhaben den in der Richtlinie vom 7. Juli 1995 für bauliche Veränderungen auf Landanlagen und für Seebauten vorgesehenen Gewässerabstand nicht einhalte. Diese Verfügung wurde vom Bundesgericht mit Urteil vom 28. März 2013 aufgehoben (BGE 139 II 470).
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B. Während des laufenden Rechtsmittelverfahrens für das erste Projekt reichte die Bauherrschaft ein alternatives Bauprojekt ein. Hierfür erteilte die Baukommission Rüschlikon am 12. April 2012 die baurechtliche Bewilligung. Zusammen mit dem baurechtlichen BGE 140 II, 437 (439)Entscheid wurde die konzessions- und gewässerschutzrechtliche Bewilligung der Baudirektion des Kantons Zürich vom 24. April 2012 eröffnet. Gemäss Disp.-Ziff. III.2 ist der Kanton berechtigt, das für die Realisierung eines öffentlichen Seewegs benötigte Land (bis zu 3,5 m Breite) auf dem Baugrundstück unentgeltlich zu beanspruchen.
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C. Dagegen rekurrierten der Schweizer Heimatschutz (SHS) und die Zürcherische Vereinigung für Heimatschutz (ZVH) an das Baurekursgericht. Auch die Bauherrschaft (A. und Mitbeteiligte) erhob Rekurs mit dem Antrag, Disp.-Ziff. III.2 der Baudirektionsverfügung (betr. Seeuferweg) sei ersatzlos aufzuheben.
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Das Baurekursgericht hiess den Rekurs des SHS gut und hob den Beschluss der Baukommission Rüschlikon und die Verfügung der Baudirektion auf. Den Rekurs der Bauherrschaft schrieb es als gegenstandslos geworden ab.
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Gegen den Rekursentscheid erhoben A. und Mitbeteiligte Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Dieses wies die Beschwerde am 5. September 2013 ab.
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D. Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid haben A. und Mitbeteiligte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht erhoben.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Baudirektion des Kantons Zürich und die Baukommission Rüschlikon zurück.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen:
 
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2.1 Der hierfür erforderliche Raumbedarf beträgt für stehende Gewässer mindestens 15 m, gemessen ab der Uferlinie (Art. 41b Abs. 1 BGE 140 II, 437 (440)der Gewässerschutzverordnung vom 28. Oktober 1998 [GSchV; SR 814.201]), und wird erhöht, soweit dies aus den in Art. 41b Abs. 2 GSchV genannten Gründen erforderlich ist (vgl. dazu Erläuternder Bericht des BAFU vom 20. April 2011, Parlamentarische Initiative Schutz und Nutzung der Gewässer [07.492] - Änderung der Gewässerschutz-, Wasserbau-, Energie- und Fischereiverordnung [im Folgenden: Erläuternder Bericht], S. 13). In dicht überbauten Gebieten kann die Breite des Gewässerraums den baulichen Gegebenheiten angepasst werden, soweit der Schutz vor Hochwasser gewährleistet ist (Art. 41b Abs. 3 GSchV).
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Da das geplante Einfamilienhaus in einem Abstand von 9,5 bis 12,5 m zum Seeufer liegen soll, ist es auf eine Ausnahmebewilligung nach Art. 41c Abs. 1 Satz 2 GSchV angewiesen.
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[Zum Begriff des dicht überbauten Gebiets i.S. von Art. 41a Abs. 4, Art. 41b Abs. 3 und Art. 41c Abs. 1 Satz 2 GSchV in Materialien, Literatur und Merkblatt des Bundesamts für Raumentwicklung [ARE] und des BAFU in Zusammenarbeit mit den Kantonen vom 18. Januar 2013 vgl. BGE 140 II 428 E. 3 S. 432].
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4. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass die Zugehörigkeit des Grundstücks zur Bauzone nicht ausschlaggebend sei. Entscheidend sei vielmehr, ob der Uferstreifen bereits überbaut sei. Der Fokus sei daher auf das Land seeseitig der Seestrasse zu richten, wo BGE 140 II, 437 (441)ein mehr oder weniger freies, durchgrüntes Ufergelände von mehr als 100 m Länge infrage stehe. Aus den eingereichten Orthofotos und den Aufnahmen des Augenscheins ergebe sich, dass die Bebauung seeseits der Seestrasse, zumindest im hier massgeblichen Bereich, deutlich von derjenigen landeinwärts abweiche. Zum See hin bestehe ein beachtlicher Grüngürtel. Die Bauparzelle sowie die nordwestlich und südöstlich angrenzenden Grundstücke seien weitgehend unüberbaut; auf dem fraglichen Uferstreifen befänden sich lediglich kleinere Seebauten. Das Verwaltungsgericht verneinte ein überwiegendes Interesse an einer städtebaulichen Verdichtung im fraglichen Gebiet. Das Baugrundstück liege weder in einer Kern- noch in einer Zentrumszone. Auch das vom Bundesgericht im Urteil BGE 139 II 415 E. 4.5 S. 484 hervorgehobene Interesse der Öffentlichkeit an einem erleichterten Zugang zu den Gewässern spreche gegen eine Überbauung.
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BGE 140 II, 437 (442)Nachdem diese konzessionsrechtliche Richtlinie nicht mehr anwendbar sei, hänge die Beurteilung des Baugesuchs nunmehr davon ab, ob das betroffene Gebiet als "dicht überbaut" i.S. von Art. 41c Abs. 1 GSchV zu qualifizieren sei. (...) Das AWEL geht nunmehr (entgegen seiner ursprünglichen Einschätzung) davon aus, dass es sich nicht um dicht überbautes Gebiet handelt. (...) Nach dem planerischen Willen sei (...) die erste Bautiefe rund um den See nur locker zu überbauen (...). Eine dichtere Überbauung würde zu Gebäudefassaden führen, die über das ganze Grundstück verlaufen und (wegen dem Wunsch nach Aussicht) das Aufkommen von Ufervegetation fast gänzlich verhindern würden. Dies würde sich negativ auf Landschaft und Ökologie auswirken.
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4.4 Das BAFU (...) verneint (...) das Vorliegen eines bedeutenden Grünraums: Das Ufer sei durch die Ufermauern und die seeseitigen Bauten wie Boots- und Badehäuser hart verbaut. Sowohl auf der Bauparzelle als auch auf den angrenzenden Parzellen befänden sich Bauten direkt am Gewässer; die Grundstücke seien somit ausgerechnet dort überbaut, wo eine Freihaltung für die Entwicklung des Gewässers entscheidend sei. (...) Solange die direkt am See liegenden Bauten und Anlagen bestünden, die Uferabflachungen bzw. Vorschüttungen weitgehend verhinderten, sei das Aufwertungspotenzial gering. (...) Der Verzicht auf eine Nachverdichtung bringe dem Gewässer keinen Vorteil. (...) Es entspreche dem Sinn und Zweck der Ausnahme nach Art. 41c Abs. 1 Satz 2 GSchV, gerade in solchen Gebieten die Weiterentwicklung von Siedlungen zu ermöglichen (...). Aus heutiger Sicht sei daher das betroffene Gebiet als dicht überbaut zu betrachten.
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Anders wäre die Situation zu beurteilen, wenn der Kanton vorsehen sollte, auf längere Sicht die bestehenden Bauten auf dem Konzessionsland beseitigen zu lassen und damit einen immerhin etwa 100 m langen Grünraum zu schaffen. (...) Im Übrigen setze die Ausnahmebewilligung voraus, dass dem Vorhaben keine überwiegenden Interessen entgegenstehen (...). Es liege daher im Ermessen der kantonalen Behörde, eine Ausnahmebewilligung zu verweigern, z.B. um der Öffentlichkeit einen erleichterten Zugang zum Gewässer zu verschaffen.
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5. Der Begriff "dicht überbautes Gebiet" ist ein Begriff der GSchV und damit des Bundesrechts, der bundesweit einheitlich auszulegen ist (BGE 140 II 428 E. 7 S. 434). Es war daher Aufgabe des BGE 140 II, 437 (443)Baurekurs- und des Verwaltungsgerichts, die Rechtsanwendung der Baudirektion bzw. des AWEL zu überprüfen. Ein Ermessen steht diesen in erster Linie bei der Frage zu, ob - bei Vorliegen von dicht überbautem Gebiet - eine Ausnahmebewilligung zu erteilen ist und wenn ja, unter welchen Bedingungen und Auflagen (vgl. unten, E. 6).
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Es erscheint daher richtig, den Fokus auf den Uferstreifen und damit auf das Gebiet seeseits der Seestrasse zu legen. Dabei darf der Blick allerdings nicht ausschliesslich auf die Bauparzelle und die unmittelbar angrenzenden Parzellen (Nrn. k-l) gerichtet werden, sondern es muss eine Gesamtbetrachtung angestellt werden, mit Blick auf die bestehende Baustruktur des Gemeindegebiets.
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Die Bauparzelle und die benachbarten, sehr schmalen Parzellen sind durchwegs mit Boots- und Badehäusern überbaut, die heute vor allem als (Wochenend-)Wohnungen genutzt werden. Diese stehen unmittelbar am See und ragen in diesen hinein. Vom See aus betrachtet erscheint das Gebiet daher als dicht überbaut.
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BGE 140 II, 437 (444)Ein anderer Eindruck ergibt sich von der Seestrasse aus, da die Parzellen hinter der Uferlinie nicht oder nur teilweise baulich ausgenutzt sind und deshalb als ein über 100 m langer Grünstreifen in Erscheinung treten. Allerdings handelt es sich nicht um typische Ufervegetation wie Schilf- und Binsenbestände oder Auenvegetation, sondern um Gartenanlagen (Gras, Sträucher, Bäume). Wie das BAFU überzeugend darlegt, ist der bestehende Grünraum aufgrund der Verbauung des Ufers aus ökologischer und gewässerschutzrechtlicher Sicht nicht besonders wertvoll.
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Im BGE 140 II 428 (E. 8.1 S. 436) verneinte das Bundesgericht daher das Vorliegen von dicht überbautem Gebiet, trotz der bestehenden Verbauung der Wigger und der (aufgrund von zwei Brücken) beschränkten Aufwertungsmöglichkeiten. Es handelte sich jedoch um ein peripher gelegenes Gebiet mit nur wenigen überbauten Parzellen am Flussufer, das an grosse Grünräume angrenzte.
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Im vorliegenden Fall liegt die streitige Bauparzelle nicht peripher, sondern im Hauptsiedlungsgebiet der Agglomeration am linken Zürichseeufer. Der fragliche Abschnitt des Zürichsees ist nicht nur durch eine Ufermauer hart verbaut, sondern zusätzlich mit Boots- und Badehäusern in dichter Folge überstellt. Richtet man den Fokus in erster Linie auf das Ufer und nicht auf das Hinterland, ist daher grundsätzlich von einem dicht überbauten Gebiet auszugehen.
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BGE 140 II, 437 (445)6.1 Vor Verwaltungsgericht hatten die Heimatschutzverbände geltend gemacht, dass Anliegen des Hochwasserschutzes sowie die im regionalen Richtplan Zimmerberg vorgesehene Führung des Seeuferwegs der Erteilung einer Ausnahmebewilligung entgegenstehen. Diese Einwände wurden von der Vorinstanz nicht geprüft, weil sie davon ausging, dass die Ausnahmebewilligung bereits mangels Vorliegens eines dicht überbauten Gebiets zu versagen sei.
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Es ist Aufgabe der Nutzungsplanung, den definitiven Gewässerraum auszuscheiden und festzulegen, wie der daran angrenzende Uferstreifen zu nutzen ist. Dabei muss insbesondere der erforderliche Raumbedarf für Revitalisierungen gesichert werden (Art. 41a Abs. 3 lit. b und Art. 41b Abs. 2 lit. b GSchV). Dies setzt eine Koordination mit der Revitalisierungsplanung voraus (Art. 41d GSchV).
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Der übergangsrechtliche Gewässerraum soll gewährleisten, dass im Zeitraum nach dem Inkrafttreten der Verordnung bis zur definitiven Festlegung des Gewässerraums keine unerwünschten neuen Anlagen errichtet werden (Erläuternder Bericht, S. 4 oben). Ihm kommt insoweit die Funktion einer Planungszone zu. Die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach Art. 41c Abs. 1 GSchV darf daher die künftige Gewässerraum- und Revitalisierungsplanung nicht erschweren und ihr (soweit sie bereits konkretisiert ist) nicht widersprechen.
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Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, sondern der zuständigen kantonalen Instanzen zu prüfen, ob längerfristig mit dem Fortbestand der Seebauten und der Ufermauer zu rechnen ist. Wäre dies der Fall, so würde das ökologische Interesse an einer vollständigen Freihaltung des dahinterliegenden Grünstreifens gering wiegen. Fiele dagegen eine Uferrevitalisierung im streitigen Abschnitt ernsthaft in Betracht, so dürfte sie nicht durch die Erteilung einer Ausnahmebewilligung präjudiziert werden.
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BGE 140 II, 437 (446)Für diese Zwecke ist es nicht nötig, das Bauen im Gewässerraum vollständig zu verbieten: Den genannten Anliegen kann mit Auflagen und Bedingungen Rechnung getragen werden, indem die Ausnahmebewilligung nur für landschaftsverträgliche Bauvorhaben gewährt wird, mit Auflagen zur Sicherstellung des Zugangs der Öffentlichkeit und einer naturnahen Bepflanzung. Dabei sind die bundesrechtlichen Vorgaben für die Gestaltung von Gewässerraum und (verbauten) Ufern zu beachten (vgl. Art. 37 Abs. 2 GSchG; Art. 21 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz [NHG; SR 451]; Art. 41c Abs. 3 und 4 GSchV und Erläuternder Bericht, S. 15 f.).
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Der Entscheid der Baudirektion enthält den Passus, dass der Staat berechtigt sei, auf dem Grundstück das für die Realisierung eines öffentlichen Seewegs benötigte Land (bis zu 3,50 m Breite) unentgeltlich zu beanspruchen; diese Nebenbestimmung wurde allerdings von den Beschwerdeführern angefochten; die diesbezügliche Beschwerde wurde von den kantonalen Gerichten noch nicht behandelt.
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Ansonsten prüfte die Baudirektion lediglich, ob das Bauvorhaben der Richtlinie vom 7. Juli 1995 für bauliche Veränderungen auf Landanlagen und dem dazugehörigen Merkblatt entspricht, an die sie sich zu Unrecht gebunden fühlte. Damit hat sie das ihr zustehende Ermessen nicht vollständig ausgeschöpft, d.h. unterschritten.
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