VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 115 II 88  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Nach Art. 13 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) de ...
3. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen tatsäch ...
4. Gestützt auf Art. 25 AVB macht der Kläger geltend, e ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
16. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Januar 1989 i.S. A. M. gegen Helvetia-Unfall, Schweizerische Versicherungsgesellschaft (Berufung)
 
 
Regeste
 
Versicherungsvertrag; Anzeigepflicht (Art. 38 Abs. 1 und 45 Abs. 1 VVG).  
2. Die Verspätung der Anzeige ist dann nach den Umständen unverschuldet und die Anspruchsverwirkung tritt nicht ein, wenn der Anspruchsberechtigte aus objektiven, von ihm nicht zu vertretenden Gründen daran gehindert war, seine Anzeige rechtzeitig zu erstatten (E. 4).  
 
Sachverhalt
 
BGE 115 II, 88 (89)A. M. hat mit der Helvetia-Unfall, Schweizerische Versicherungsgesellschaft, sowohl einen Privat-Krankenversicherungsvertrag als auch einen landwirtschaftlichen Unfall- und Haftpflichtversicherungsvertrag abgeschlossen. Am 21. Mai 1981 erlitt er nach seinen eigenen Angaben einen Unfall mit einem Stier, der ihn mit dem Kopf an eine Ladewand einer Camionnette gedrückt habe. Dabei sei er mit der rechten Schulter aufgeprallt und verspüre seither in dieser Schulter Schmerzen, die sich trotz Einsalben und Umschlägen im Verlauf des Sommers verstärkt hätten. Am 30. November 1981 suchte A. M. erstmals einen Arzt auf. Unmittelbar nach diesem Arztbesuch informierte er den Versicherungsinspektor der Helvetia-Unfall. In der Folge unterzog sich A. M. mehreren Behandlungen, die alle erfolglos blieben.
1
Am 22. November 1985 reichte A. M. beim Zivilgericht des Sensebezirks gegen die Helvetia-Unfall eine Forderungsklage über insgesamt Fr. 123'277.95 ein. Mit Urteil vom 30. September 1986 wies das Gericht die Klage ab. Eine dagegen erhobene Berufung wurde vom Kantonsgericht des Staates Freiburg mit Urteil vom 28. Oktober 1987 abgewiesen.
2
Gegen das kantonsgerichtliche Urteil hat der Kläger Berufung an das Bundesgericht erhoben, mit der er die Rückweisung der Sache zur Fortsetzung des Prozesses an die erste Instanz beantragt. Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
3
 
Aus den Erwägungen:
 
2. Nach Art. 13 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der Beklagten für die landwirtschaftliche Unfall- und Haftpflichtversicherung hat der Versicherungsnehmer bzw. der Anspruchsberechtigte der Gesellschaft unverzüglich, spätestens jedoch innert 30 Tagen, schriftlich (womöglich mit dem zur Verfügung gestellten Formular) Anzeige zu erstatten, wenn der Versicherte einen Unfall erleidet, für welchen eine Entschädigung beansprucht wird (lit. a). Nach dem Unfall ist sodann sobald als möglich ein patentierter Arzt beizuziehen und für sachgemässe Pflege sowie Einhaltung der ärztlichen Weisungen zu sorgen; auf Verlangen der Gesellschaft ist jederzeit eine Untersuchung durch einen von ihr bestimmten Vertrauensarzt vornehmen zu lassen (lit. b). Gemäss Art. 25 AVB entfällt die Leistungspflicht der Gesellschaft, wenn der Versicherungsnehmer, Versicherte bzw. Anspruchsberechtigte die ihm durch den Versicherungsvertrag BGE 115 II, 88 (90)überbundenen Obliegenheiten verletzt; dieser Nachteil tritt nicht ein, wenn die Verletzung den Umständen nach als unverschuldet anzusehen ist oder der Schaden auch bei Erfüllung der Obliegenheit eingetreten wäre.
4
Diese Bestimmungen sind mit Art. 38 VVG vereinbar (vgl. Art. 97/98 sowie Art. 45 VVG; BGE 74 II 93 E. 2; MAURER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 2. Aufl., S. 320).
5
6
Der Kläger will jedoch aus dem Wortlaut von Art. 13 lit. a AVB, wonach diejenigen Unfälle innert 30 Tagen zu melden sind, für die eine Entschädigung beansprucht wird, ableiten, dass die Anzeigefrist erst dann zu laufen beginne, wenn der Anspruchsberechtigte sich entschliesse, eine Entschädigung zu beanspruchen. Diese Auslegung der AVB trifft jedoch deren Sinn nicht. Der Versicherer ist an einer unverzüglichen Meldung interessiert. Einerseits möchte er, sofern ihm dies notwendig erscheint, die Umstände des Falles und dessen Folgen sofort abklären, um sich vor ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen; anderseits will er die Möglichkeiten der Schadensminderung voll ausschöpfen können (MAURER, a.a.O. S. 319). Deshalb wird in den AVB der Beklagten nicht nur eine sofortige Anzeige, sondern auch ein sofortiger Arztbeizug gefordert. Die unverzügliche Anzeige liegt ausserdem auch im Interesse des Anspruchsberechtigten selbst, denn dieser ist für den Kausalzusammenhang zwischen dem versicherten Ereignis und dem eingetretenen Schaden beweispflichtig und dieser Beweis kann naturgemäss nur geführt werden, wenn die Anzeige und die ärztliche Betreuung dem versicherten Ereignis unmittelbar folgen.
7
Es kann daher nicht einfach in das Ermessen des Versicherungsnehmers gestellt werden, wann er sich entschliesst, Versicherungsleistungen zu fordern, und die Frist für die Erstattung der Anzeige kann nicht erst von diesem Zeitpunkt an zu laufen beginnen. Sonst wäre die Möglichkeit des Einschreitens der Versicherung zur Feststellung des Sachverhalts und zur Ergreifung von schadensmindernden Massnahmen nicht mehr gegeben. Der - vom Kläger nicht behauptete - Fall, dass die Unfallfolgen vorerst gar nicht sichtbar waren und erst später auftraten (vgl. dazu BGE 40 II 67, BGE 52 II 157), wäre unter dem Titel der unverschuldeten Verspätung BGE 115 II, 88 (91)der Anzeige zu prüfen. Entgegen der Auffassung des Klägers kann demzufolge nicht davon ausgegangen werden, die Anzeigepflicht sei erst dann entstanden, als er sich mit grosser Verspätung dazu entschloss, einen Arzt beizuziehen.
8
Erweist sich die Anzeige somit als verspätet, so kommt es nicht darauf an, ob sie in formeller Hinsicht in Ordnung war. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Feststellung der Vorinstanz, das versicherungstechnische Vorgehen sei dem Kläger bekannt gewesen, auf einem offensichtlichen Versehen beruhe, wie in diesem Zusammenhang geltend gemacht wird.
9
10
a) Der Kläger führt aus, er sei Landwirt und Landwirte seien nicht "wehleidige Typen, die wegen jedem Bobochen zum Arzt springen". Er will damit geltend machen, der verspätete Arztbeizug und die verspätete Anzeige bei der Versicherung gereichten ihm nicht zum Verschulden. Indessen bedeutet der Begriff "nach den Umständen unverschuldet" in Art. 25 AVB etwas ganz anderes. Er will sagen, dass die Anspruchsverwirkung dann nicht eintritt, wenn der Anspruchsberechtigte aus objektiven, von ihm nicht zu vertretenden Gründen daran gehindert war, seine Anzeige rechtzeitig zu erstatten (BGE 84 II 569). Der Kläger legt jedoch nicht dar, welche objektiven Gründen ihn daran gehindert haben sollten, rechtzeitig einen Arzt beizuziehen und den Unfall zu melden. Er macht insbesondere nicht geltend, die Unfallfolgen seien vorerst überhaupt nicht erkennbar gewesen. Vielmehr will er - schon wegen des von ihm zu beweisenden Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall und den aufgetretenen Beschwerden - von Anfang an Schmerzen verspürt haben, die er indessen selbst zu heilen versucht habe, Es war sein freier Wille, zuerst eine Selbstbehandlung zu versuchen und den Arzt erst beizuziehen, als die Schmerzen "nicht mehr auszuhalten waren". Von einer aus objektiven Gründen unverschuldeten Verspätung der Anzeige und des Arztbesuchs kann daher nicht die Rede sein.
11
b) Für die Behauptung, der Schaden wäre auch bei rechtzeitiger Erfüllung seiner Obliegenheiten eingetreten, ist der Kläger beweispflichtig. Die Vorinstanz hat angenommen, er habe diesen Beweis nicht zu erbringen versucht. Dass diese Annahme gegen Bundesrecht, namentlich gegen Art. 8 ZGB, verstosse, macht der Kläger nicht geltend. Dass er trotz Konsultation vieler Ärzte und Durchführung BGE 115 II, 88 (92)von Kuren nicht geheilt werden konnte, beweist im übrigen nicht, dass der rechtzeitige Beizug eines Arztes den Schaden nicht abgewendet oder mindestens vermindert hätte. Der Kläger hat in seiner Einvernahme vor erster Instanz selbst ausgeführt, alle Ärzte hätten ihm gesagt, er käme zu spät.
12
Die Berufung erweist sich somit als unbegründet und ist daher abzuweisen.
13
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).