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Informationen zum Dokument  BGE 113 II 259  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2. Nach Auffassung der Vorinstanzen ist eine Kündigung, die  ...
3. Die Klägerin macht geltend, dass die Lohnzahlungspflicht  ...
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47. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. September 1987 i.S. Frau X. gegen Firma Z. (Berufung)
 
 
Regeste
 
Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Unzeit.  
2. Art. 324a OR. Die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers erlischt grundsätzlich bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart worden ist (E. 3).  
 
Sachverhalt
 
BGE 113 II, 259 (259)A.- Frau X. trat am 18. Oktober 1982 als Büroangestellte in die Dienste der Firma Z., die im Apparatebau tätig ist. Sie bezog monatlich einen Bruttolohn von Fr. 2'700.--, der sich 1984 auf Fr. 2'755.-- erhöhte.
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BGE 113 II, 259 (260)Mit Schreiben vom 27. Dezember 1983 kündigte die Firma das Arbeitsverhältnis auf den 29. Februar 1984. Frau X. erhielt das Schreiben am 28. Dezember. Am gleichen Tag suchte sie einen Arzt auf, der sie bis auf weiteres für arbeitsunfähig erklärte. Sie war damals, wie ihre Arbeitgeberin wusste, bereits seit einigen Monaten schwanger. Am 2. Februar schrieb sie der Firma, dass sie die Kündigung als ungültig betrachte. Die Arbeitgeberin liess ihr am 24. Februar antworten, dass von einer Kündigung zur Unzeit keine Rede sein könne.
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Frau X. blieb weiterhin krank und nahm ihre Arbeit nicht mehr auf. Am 25. Mai gebar sie ein Kind. Mit Brief vom 28. Mai kündigte sie ihrerseits das Vertragsverhältnis auf den 31. Juli 1984.
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B.- Im April 1985 klagte Frau X. gegen die Firma Z. auf Zahlung von Fr. 11'754.65 nebst Zins. Sie beanspruchte damit ihren Lohn für die Zeit von anfangs März bis Ende Juli 1984.
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Mit Urteil vom 21. November 1985 beschränkte das Bezirksgericht Hinwil den Lohnanspruch der Klägerin auf Fr. 4'860.-- nebst Zins. Es fand, dass die Kündigungsfrist der Beklagten wegen Krankheit der Klägerin unterbrochen, die Kündigung aber auf Ende April 1984 wirksam geworden sei. Auf Appellation beider Parteien änderte das Obergericht des Kantons Zürich dieses Urteil am 16. September 1986 lediglich dahin ab, dass es die Beklagte zur Zahlung von Fr. 1'993.30 nebst 5% Zins seit verschiedenen Verfalldaten verpflichtete, weil sie die Klage im Betrage von Fr. 2'755.-- bereits im erstinstanzlichen Verfahren anerkannt habe.
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C.- Die Klägerin hat Berufung eingereicht mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von Fr. 8'532.45 nebst Zins zu verpflichten.
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Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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a) Unter dem Kündigungsrecht ist die Befugnis jeder Partei zu verstehen, das Vertragsverhältnis durch einseitige Willenserklärung aufzulösen, wenn die gesetzlichen Erfordernisse erfüllt sind. Es handelt sich um ein typisches Gestaltungsrecht, das durch eine Erklärung des Berechtigten an die Gegenpartei ausgeübt wird. Die Erklärung bedarf in der Regel keiner besonderen Form; sie ist aber stets empfangsbedürftig, muss folglich dem andern Vertragspartner zugegangen sein; erst dann gilt der Erklärungsvorgang als abgeschlossen. Dieser Begriff liegt auch Art. 336 OR zugrunde (KRAMER, N. 29 zu Art. 1 OR). Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist daher rechtzeitig und unter Vorbehalt von Hinderungsgründen im Sinne von Art. 336e und 336f OR auch wirksam, wenn die Erklärung vor Beginn der Kündigungsfrist beim Adressaten eintrifft. Den Beweis für die Rechtzeitigkeit oder allfällige Hinderungsgründe trägt nach der allgemeinen Regel des Art. 8 ZGB jene Partei, die daraus Rechte ableitet.
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Dass und warum der Begriff in Art. 336e OR, der sich mit Kündigungen des Arbeitgebers zur Unzeit befasst, einen andern Sinn haben sollte, wie die Vorinstanzen anzunehmen scheinen, ist nicht zu ersehen. Gewiss leuchtet nicht ohne weiteres ein, dass gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung die Kündigung nichtig ist, wenn sie während einer in Abs. 1 festgesetzten Sperrfrist erklärt wird, eine schon vorher abgegebene Erklärung dagegen die Kündigungsfrist bloss unterbricht und nach Beendigung der Sperre weiterlaufen lässt. Die Rechtfertigung derart unterschiedlicher Folgen ist offenbar darin zu erblicken, dass nach dem geltenden Verständnis zu den Gestaltungsrechten eine Kündigung sich nicht als nichtig ausgeben lässt, wenn der Hinderungsgrund erst eintritt, nachdem der Betroffene die Kündigung erhalten hat. Der Wortlaut von Art. 336e Abs. 2 OR ist indes eindeutig und lässt keinen Raum zum Streit darüber, ob Nichtigkeit einer Kündigung das geeignete Mittel ist, den Arbeitnehmer entsprechend dem Grundgedanken des Gesetzes vor sozialwidrigen Kündigungen zu schützen. Der Richter hat sich daher an die Unterscheidung des Gesetzes zu halten (BGE 109 II 331 /32).
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Ein anderer Sinn ergibt sich auch nicht daraus, dass in Art. 336e Abs. 2 OR von der "Kündigung, die ... erklärt wird" bzw. "erfolgt" BGE 113 II, 259 (262)ist, in Art. 336 bis 336d sowie in Art. 336f und 336g OR dagegen durchwegs von "kündigen" die Rede ist. Es handelt sich um Wendungen gleicher Bedeutung; sie werden in den romanischen Gesetzestexten denn auch bald mit "résilier" bzw. "disdire", bald mit "donner congé" bzw. "dare la disdetta" wiedergegeben. Zu bedenken ist ferner, dass Art. 336e OR nicht den Arbeitgeber massregeln, sondern nur den Arbeitnehmer vor Kündigungen mit unerwünschten Auswirkungen, die sich aus den in Abs. 1 erwähnten Umständen ergeben können, während einer bestimmten Zeit bewahren will. Der billige Interessenausgleich, der gemäss Botschaft zur Novelle mit der Vorschrift angestrebt wird (BBl 1967 II 379), wird entgegen der Annahme der Vorinstanz nicht dadurch erreicht, dass die Bestimmung zulasten des Arbeitgebers weit ausgelegt wird; er liegt vielmehr in den zeitlichen Kündigungsbeschränkungen als solchen, die sinngemäss übrigens auch vom Arbeitnehmer zu beachten sind (Art. 336f OR).
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Bei Erkrankung des Arbeitnehmers ist daher unerheblich, ob der Arbeitgeber, der das Vertragsverhältnis durch Kündigung auflösen will, darum weiss oder nicht; das leuchtet namentlich dann ein, wenn ein Arbeitnehmer im Aussendienst tätig ist oder während der Ferien erkrankt. Daraus erhellt, dass stets von einer empfangsbedürftigen Willenserklärung auszugehen, für die Beurteilung der Frage, ob ein Hinderungsgrund im Sinne von Art. 336e OR vorliegt, folglich der Zeitpunkt massgebend ist, zu dem die Erklärung dem Betroffenen zugeht. Ist der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt bereits erkrankt, so ist die Kündigung nichtig; ein Vorbehalt dürfte immerhin für den Fall angebracht sein, dass die Erklärung offensichtlich verfrüht ist und der Arbeitnehmer sich noch vor Beginn der Kündigungsfrist erholt (U. STREIFF, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, 4. Aufl. S. 244 N. 2 zu Art. 336e-f OR). Erkrankt er dagegen erst nach Empfang der Erklärung, so wird diese Frist für die Dauer der Sperre unterbrochen und dann fortgesetzt.
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b) Nach dem angefochtenen Urteil muss angenommen werden, dass die Klägerin plötzlich erkrankt ist. Wann dies geschehen ist, ob vor oder nach Erhalt des Kündigungsschreibens, geht aus dem Urteil nicht hervor. Wie schon das Bezirksgericht, übergeht auch das Obergericht die Frage in der Meinung, dass die Kündigung vorliegend so oder anders als gültig anzusehen sei, weil die Beklagte das Kündigungsrecht gutgläubig ausgeübt habe. Das widerspricht indes dem klaren Wortlaut des Art. 336e Abs. 2 OR, der BGE 113 II, 259 (263)die unterschiedlichen Rechtsfolgen unbekümmert um das Wissen des Arbeitgebers vom Zeitpunkt abhängig macht, an dem die Kündigung dem Betroffenen zugeht. Das angefochtene Urteil ist daher gestützt auf Art. 64 Abs. 1 OG aufzuheben und die Sache zur Klärung der offengelassenen Frage an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Sollte zutreffen, dass die Klägerin schon am Morgen des 28. Dezember 1983 wegen Erkrankung den Arzt aufgesucht und das Kündigungsschreiben erst nachher erhalten hat, wie sie im kantonalen Verfahren behauptete, so fiel die Kündigung in die Sperrfrist von acht Wochen gemäss Art. 336e Abs. 1 lit. b OR, war folglich nichtig; andernfalls begann die Kündigungsfrist spätestens am 22. Februar 1984 zu laufen, als die Sperre von acht Wochen zu Ende ging. Im ersten Fall fragt sich ferner, ob die Beklagte die Kündigung mit Schreiben vom 24. Februar 1984, das dem Vertreter der Klägerin am 27. Februar 1984 zuging, wiederholt habe, was sie schon im kantonalen Verfahren geltend gemacht hat. Ist das zu bejahen, so hätte sie das Arbeitsverhältnis auf Ende April 1984 gelöst. Im einen wie im andern Fall stellt sich zudem die Frage einer Kumulation von Sperrfristen (BGE 109 II 333), da Ende März 1984 die Sperre von acht Wochen gemäss Art. 336e Abs. 1 lit. c OR wegen Niederkunft der Klägerin zu laufen begann.
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Diese Auffassung ist unhaltbar. Die Vorinstanzen halten der Klägerin mit Recht entgegen, dass mangels einer ausdrücklichen Abrede eine Lohnzahlungspflicht, die über die Dauer des Vertragsverhältnisses hinausginge, zu verneinen ist. Das deckt sich mit der herrschenden Lehre, die diesfalls einen Vorbehalt nur für den Fall macht, dass der Arbeitgeber das Vertragsverhältnis in der Absicht kündigt, seiner Lohnzahlungspflicht zu entgehen (SCHWEINGRUBER, Kommentar zum Arbeitsvertrag, S. 113; STAEHELIN, N. 51/52 und REHBINDER, N. 26 zu Art. 324a OR). Für einen solchen Sachverhalt liegt hier jedoch nichts vor.
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BGE 113 II, 259 (264)Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Berufung wird, soweit auf sie eingetreten werden kann, teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 16. September 1986 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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