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Informationen zum Dokument  BGE 98 II 294  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
4. Es kann offen bleiben, ob der Erwerber der Mietsache, der von  ...
6. Das Mietverhältnis darf nicht erstreckt werden, "bei Eige ...
7. Der Gesuchsteller bestreitet den Eigenbedarf des Gesuchsgegner ...
8. Dass der Appellationshof den Rechtsbegriff des Eigenbedarfs de ...
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43. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. Oktober 1972 i.S. von Weissenfluh gegen Muri.
 
 
Regeste
 
Erstreckung des Mietverhältnisses bei Verkauf der Mietsache.  
2. Art. 267c lit. c OR. Bei Eintritt des Käufers in das Mietverhältnis beurteilt sich die Frage des Eigenbedarfs nach den Bedürfnissen des neuen Vermieters; Beweis. Offen gelassen, ob in analoger Anwendung von Art. 20 Abs. 2 OR eine Teilerstreckung des Mietverhältnisses möglich wäre (Erw. 6-8).  
 
Sachverhalt
 
BGE 98 II, 294 (295)A.- Wwe. Stanka und ihre vier Söhne verkauften am 30. November 1971 das Haus Kramgasse 37 in Bern samt Umschwung dem Arnold Muri, der ihnen versprach, die Mietverträge in Rechten und Pflichten zu übernehmen. Nutzen und Schaden sollten am 1. Januar 1972 auf den Käufer übergehen.
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Mit Schreiben vom 22. Dezember 1971, das vom Käufer mitunterzeichnet wurde, gab Wwe. Stanka im Namen der Verkäufer dem Mieter Adrian von Weissenfluh Kenntnis vom Verkauf und fügte bei, dass sie ihm den Mietvertrag über das Ladenlokal, die Werkstatt, die Geschäftsräumlichkeiten im ersten und zweiten Stock sowie die Schaukasten auf 30. Juni 1972 kündige, "auch im Auftrag des Käufers", da dieser die Räumlichkeiten für sein Geschäft benötige.
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Am 31. Dezember 1971 wurde Muri als Eigentümer der Liegenschaft in das Grundbuch eingetragen.
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B.- Das Begehren von Weissenfluhs, das Mietverhältnis um zwei Jahre zu erstrecken, wurde vom Gerichtspräsidenten III von Bern am 1. März 1972 wegen Eigenbedarfs des Käufers (Art. 267c lit. c OR) abgewiesen.
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Von Weissenfluh appellierte. Er beantragte der oberen Instanz, die Kündigung vom 22. Dezember 1971 aufzuheben, eventuell festzustellen, dass sie nichtig und rechtsunwirksam sei, subeventuell das mit den Erben Stanka oder mit Muri bestehende Mietverhältnis um zwei Jahre zu erstrecken.
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Der Appellationshof des Kantons Bern wies am 20. April 1972 das Gesuch entsprechend dem Antrage Muris ab. Er erachtete die Kündigung als durch die Erben Stanka gültig vorgenommen und die Erstreckung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs des Käufers als nicht zulässig.
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C.- Der Gesuchsteller hat die Berufung erklärt. Er beantragt, das Urteil des Appellationshofes aufzuheben, und wiederholt die vor dieser Instanz gestellten Begehren. Subsidiär verlangt er, die Sache zu weiterer Beweisaufnahme und zu neuer Beurteilung an den Appellationshof zurückzuweisen.
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Der Gesuchsgegener beantragt, die Berufung abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
4. Es kann offen bleiben, ob der Erwerber der Mietsache, der von der Möglichkeit der Kündigung auf das nächste ortsübliche Ziel (Art. 259 Abs. 2 OR) nicht Gebrauch machen will, den Eintritt in das Mietverhältnis eigenmächtig auf einen BGE 98 II, 294 (296)beliebigen späteren Zeitpunkt beschränken darf. Denn der Wille, das Mietverhältnis nicht über den 30. Juni 1972 hinaus fortzusetzen, wurde dem Gesuchsteller am 22. Dezember 1971 nicht nur vom Gesuchsgegner, sondern auch von den Veräusserern der Mietsache kundgegeben. Die Kündigung seitens der Erben Stanka, die damals noch Eigentümer der Liegenschaft waren und die Stellung von Vermietern hatten - und übrigens auch nach dem 31. Dezember 1971 noch an den Vertrag gebunden blieben (Art. 259 Abs. 1 OR; BGE 82 II 529) - war gültig. Sie hatte zur Folge, dass der Gesuchsteller am 31. Dezember 1971 beim Übergang der Mietsache auf den Gesuchsgegner nur noch im Genuss eines auf den 30. Juni 1972 gekündeten Mietverhältnisses stand. Nur in ein solches ist der Gesuchsgegner eingetreten. Die Beschränkung seines Eintrittes für die Zeit bis zum 30. Juni 1972 war deshalb gültig.
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Das Begehren des Gesuchstellers, die "Kündigung" vom 22. Dezember 1971 "aufzuheben", eventuell festzustellen, dass sie "nichtig und rechtsunwirksam" sei, ist daher abzuweisen. Bei diesem Ergebnis braucht nicht entschieden zu werden, ob der Gesuchsgegner das Mietverhältnis schon kündigen durfte, bevor er Eigentümer der Liegenschaft war.
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Der Gesuchsteller macht geltend, ob Eigenbedarf des Vermieters vorliege, beurteile sich nach den Bedürfnissen der Erben Stanka, nicht nach den Bedürfnissen des Gesuchsgegners, denn der Inhalt des Mietvertrages habe nicht gegen den Willen des Gesuchstellers geändert werden können und sei auch durch Art. 259 OR nicht geändert worden; könnte der Gesuchsgegner Eigenbedarf anrufen, so wäre die Lage des Gesuchstellers als Vertragspartei verschlechtert und könnten die Mieterschutzbestimmungen umgangen werden; der Sinn und Zweck dieser Normen verbiete dem Erwerber der Liegenschaft, sich auf seine eigenen Bedürfnisse zu berufen.
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Der Anspruch auf Erstreckung des Mietverhältnisses, den Art. 267a gewährt und Art. 267c OR in gewissen Fällen ausschliesst, beruht nicht auf einer Vereinbarung zwischen dem Vermieter und dem Mieter, sondern ist die gesetzliche Folge des Bestehens eines Mietverhältnisses. Im Falle eines Vertragsüberganges braucht daher der Mieter nicht einverstanden zu BGE 98 II, 294 (297)sein, dass sich die Frage des Eigenbedarfes nach den Bedürfnissen des neuen Vermieters statt wie bisher nach denen des ursprünglichen beurteile. Er kann nur mit dem Übergang des Mietverhältnisses als Ganzes einverstanden sein oder ihn als Ganzes ablehnen. Erhebt er gegenüber dem Erwerber der Mietsache Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses, so hat er dem Übergang zugestimmt und hat damit den Erwerber als neuen Vermieter anerkannt.
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Damit hat er gelten zu lassen, dass die Frage der Zulässigkeit der Erstreckung der Miete nach den Verhältnissen beurteilt werde, die durch die Beziehungen zum neuen Vermieter geschaffen wurden. Das Recht des Mieters, einen Mietvertrag erstrecken zu lassen, bringt eine Beschränkung des Verfügungsrechtes über das Eigentum mit sich (BBl 1968 II 858). Es richtet sich immer gegen den Eigentümer. Die Rechte eines Dritten, der nicht mehr Eigentümer ist, werden durch dasselbe in keiner Weise mehr betroffen. Mit der Übertragung der Mietsache auf den neuen Eigentümer hört der Eigenbedarf des Veräusserers für sich selbst auf und kann auch für seine nahen Verwandten oder Verschwägerten keine Rolle mehr spielen. Nur noch die Bedürfnisse des neuen Eigentümers für sich, seine nahen Verwandten oder Verschwägerten sind massgebend dafür, ob der Eingriff in das Eigentum, die Erstreckung des Mietverhältnisses, sich rechtfertige oder nicht. Der Umstand, dass der Veräusserer der Sache gemäss Art. 259 Abs. 1 OR zur Erfüllung des Vertrages oder zu Schadenersatz verpflichtet bleibt, ändert nichts. Diese Verpflichtung reicht nicht weiter als das vertraglich abgegebene Versprechen des Veräusserers. Sie kann nicht gemäss Art. 267a ff. erstreckt werden, und wenn das Mietverhältnis gegenüber dem Erwerber der Sache erstreckt wird, haftet der Veräusserer für die Erfüllung während der Dauer dieser Erstreckung nicht.
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Zu einer andern Beurteilung gibt auch der Einwand nicht Anlass, die Mieterschutzbestimmungen könnten umgangen werden, wenn die Frage des Eigenbedarfes nicht nach den Bedürfnissen des Veräusserers beurteilt würde. Diese Normen wollen den Art. 259 OR und das Recht des Eigentümers, die Sache zu veräussern, nicht aufheben. Der Mieter hat die Veräusserung und ihre Folgen hinzunehmen. Wenn und soweit der Erwerber vertraglich in das Mietverhältnis eingetreten ist oder den Mieter kraft des Art. 259 Abs. 2 in der Miete belassen BGE 98 II, 294 (298)muss, hat der Mieter ihn als neuen Vermieter gelten zu lassen und kann ihm gegenüber allenfalls die in Art. 267a ff. vorgesehene Erstreckung verlangen. Darin erschöpft sich sein Schutzrecht, wenn die Veräusserung der Mietsache gültig ist. In Fällen blosser Simulation ist die Veräusserung dagegen auch dem Mieter gegenüber als ungültig zu behandeln und sind folglich dessen Schutzrechte wiederum nicht beeinträchtigt. Im vorliegenden Falle ist Simulation jedoch weder festgestellt noch behauptet.
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Wenn dies zuträfe, wäre Art. 8 ZGB verletzt, der dem Richter verbietet, die Behauptung einer Partei unbesehen als wahr hinzunehmen (BGE 43 II 559,BGE 46 II 348,BGE 71 II 127,BGE 75 II 103). Die Feststellung des Appellationshofes, der Gesuchsgegner benötige das Ladenlokal als Kunsthandlung für eigene Bedürfnisse und den ersten und zweiten Stock wolle er langjährigen Mitarbeitern zur Verfügung stellen, auf deren Dienste er angewiesen sei, beruht jedoch nicht auf blosser Hinnahme einer unüberprüften Parteibehauptung, sondern auf einer Beweisführung, nämlich auf Aussagen des Gesuchsgegners im Parteiverhör, das vom kantonalen Prozessrecht auch im summarischen Verfahren als Beweismittel anerkannt wird (Art. 212, 273 ff., 306 ZPO). Da das Bundesgericht als Berufungsinstanz an die Feststellungen des kantonalen Richters über tatsächliche Verhältnisse gebunden ist, wenn sie nicht in Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen sind oder offensichtlich auf Versehen beruhen (Art. 43 Abs. 3, 55 Abs. 1 lit. c, 63 Abs. 2 OG), hat es diese Aussagen nicht auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu prüfen.
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8. Dass der Appellationshof den Rechtsbegriff des Eigenbedarfs des Gesuchsgegners verkannt habe, macht der Gesuchsteller nicht geltend. Er verlangt auch nicht, dass das Mietverhältnis wenigstens in bezug auf den ersten und zweiten Stock zu erstrecken sei, weil der Gesuchsgegner diese Teile der Liegenschaft nicht persönlich benützen, sondern langjährigen Mitarbeitern, auf deren Dienste er angewiesen ist, zur Verfügung stellen will. Nach den Akten ist vielmehr anzunehmen, dass er das Mietverhältnis nur in bezug auf die ganze Mietsache oder dann überhaupt nicht erstreckt wissen will, weil er vor BGE 98 II, 294 (299)allem am Ladenlokal interessiert und eine Aufteilung der Räumlichkeiten, wie der Appellationshof feststellt, nicht möglich ist. Das Bundesgericht hat daher nicht zu entscheiden, ob in analoger Anwendung von Art. 20 Abs. 2 OR eine Teilerstreckung möglich wäre.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern vom 20. April 1972 bestätigt.
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