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Informationen zum Dokument  BGE 94 II 117  Materielle Begründung
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Regeste
3. Die Willensäusserung des Geschäftsinhabers auf Erteilung der kaufmännischen Prokura kann auch stillschweigend erfolgen (Art. 458 Abs. 1 OR). In dieser Hinsicht weicht das schweizerische Recht vom deutschen ab, das nur die mittels ausdrücklicher Erklärung erteilte Prokura kennt (§ 48 HGB und schon § 41 aHGB). Anderseits bestimmt Art. 462 OR, wer vom Inhaber eines Handels-, Fabrikations- oder eines andern nach kaufmännischer Art geführten Gewerbes ohne Erteilung der Prokura zum Betrieb des ganzen Gewerbes oder zu bestimmten Geschäften im Gewerbe als Vertreter bestellt wurde, dürfe zwar alle Rechtshandlungen vornehmen, die der Betrieb eines derartigen Gewerbes oder die Ausführung derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt (Abs. 1), bedürfe aber zum Eingehen von Wechselverbindlichkeiten, zur Aufnahme von Darlehen und zur Prozessführung einer ausdrücklichen Ermächtigung (Abs. 2). Daraus schliesst die Vorinstanz, die Befugnis, Wechselverbindlichkeiten einzugehen, könne nur bejaht werden, wenn sie ausdrücklich erteilt wurde oder klar zum Ausdruck komme, dass nicht nur eine Handlungsvollmacht, sondern eine Prokura vorliege; dies deshalb, weil die Schutzbestimmung des Art. 462 Abs. 2 OR sonst illusorisch wäre.
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17. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Oktober 1968 i.S. Aktiengesellschaft Bank Haerry gegen Konkursmasse der Boutique Lido A.-G.
 
 
Regeste
 
Handlungsvollmacht und Prokura.  
 
BGE 94 II, 117 (117)3. Die Willensäusserung des Geschäftsinhabers auf Erteilung der kaufmännischen Prokura kann auch stillschweigend erfolgen (Art. 458 Abs. 1 OR). In dieser Hinsicht weicht das schweizerische Recht vom deutschen ab, das nur die mittels ausdrücklicher Erklärung erteilte Prokura kennt (§ 48 HGB BGE 94 II, 117 (118)und schon § 41 aHGB). Anderseits bestimmt Art. 462 OR, wer vom Inhaber eines Handels-, Fabrikations- oder eines andern nach kaufmännischer Art geführten Gewerbes ohne Erteilung der Prokura zum Betrieb des ganzen Gewerbes oder zu bestimmten Geschäften im Gewerbe als Vertreter bestellt wurde, dürfe zwar alle Rechtshandlungen vornehmen, die der Betrieb eines derartigen Gewerbes oder die Ausführung derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt (Abs. 1), bedürfe aber zum Eingehen von Wechselverbindlichkeiten, zur Aufnahme von Darlehen und zur Prozessführung einer ausdrücklichen Ermächtigung (Abs. 2). Daraus schliesst die Vorinstanz, die Befugnis, Wechselverbindlichkeiten einzugehen, könne nur bejaht werden, wenn sie ausdrücklich erteilt wurde oder klar zum Ausdruck komme, dass nicht nur eine Handlungsvollmacht, sondern eine Prokura vorliege; dies deshalb, weil die Schutzbestimmung des Art. 462 Abs. 2 OR sonst illusorisch wäre.
 
Damit gibt das Obergericht dem Art. 462 Abs. 2 OR ein Gewicht, das er nicht haben kann. Indem das Gesetz auch die stillschweigende Bestellung eines kaufmännischen Prokuristen zulässt, verzichtet es insoweit auf den Schutz des Geschäftsinhabers. Wenn die nach den üblichen Regeln der Vertrauenstheorie ausgelegten Umstände auf stillschweigende Erteilung der Prokura schliessen lassen, muss der Geschäftsinhaber es hinnehmen, dass sein Vertreter ihn durch Unterzeichnung von Wechseln oder Aufnahme von Darlehen verpflichte. Es besteht kein Grund, in der Annahme einer stillschweigenden Prokura deshalb besonders zurückhaltend zu sein, weil blosse Handlungsbevollmächtigte den Geschäftsherrn nur mit ausdrücklicher Ermächtigung wechselmässig oder als Borger verpflichten können. Das Interesse des Vertreters, nicht leichthin wegen Überschreitung der Vertretungsbefugnis persönlich wechselmässig haftbar zu werden (Art. 998 OR), wie auch das Interesse Dritter, den Geschäftsinhaber auf Grund stillschweigend erteilter Prokura belangen zu können, verbieten die vom Obergericht befürwortete besondere Rücksichtnahme auf den Geschäftsherrn. Dieser kann sich selber schützen, indem er dafür sorgt, dass die Umstände nicht auf stillschweigende Erteilung der Prokura schliessen lassen. Wird, wie immer bei schuldrechtlichen Rechtsgeschäften, die Vertrauenstheorie angewendet (BGE 69 II 321f.,BGE 74 II 152), so ist der Geschäftsinhaber nicht unbillig benachteiligt. Auch wird dadurch der Schutz, den BGE 94 II, 117 (119)Art. 462 Abs. 2 OR bieten soll, nicht vereitelt. Er kommt demjenigen, der weder ausdrücklich noch stillschweigend Prokura erteilt hat, voll und ganz zugute. Wer Prokura erteilt, sei es auch nur stillschweigend, muss dagegen wissen, dass er diesen Schutz verliert.
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