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Informationen zum Dokument  BGE 83 II 425  Materielle Begründung
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Regeste
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes zu Art. 141 ZGB setzt die Scheidung wegen Geisteskrankheit u.a. voraus, dass die Geisteskrankheit zur Zeit der Klageeinreichung drei Jahre in der vom Gesetz vorausgesetzten Schwere bestanden haben muss (BGE 52 II 186,BGE 63 II 1,BGE 66 II 84, BGE 80 II 185). Die Auffassung, dass die dreijährige Krankheitsdauer bei der Klageeinleitung erfüllt sein müsse, hat übrigens anscheinend auch schon unter der Herrschaft des Bundesgesetzes betreffend Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes und die Ehe vom 24. Dezember 1874 (ZEG) gewaltet; denn im FalleBGE 35 II 9hat das Bundesgericht (S. 15) die Auffassung des Beklagten, "auch" die Unheilbarkeit der Geisteskrankheit (d.h. nicht nur diese selber) müsse im Zeitpunkt der Klageeinleitung drei Jahre gedauert haben, mit der Begründung abgewiesen, das Gesetz verlange nicht, dass die Unheilbarkeit (incurabilité; im Text durch Schrägschrift hervorgehoben) in diesem Zeitpunkt drei Jahre gedauert habe, was als Gegenstück die Annahme voraussetzt, dass die Krankheit als solche diesem Erfordernis genügen müsse. Wie dem aber auch sei, so hat sich jedenfalls nach dem Inkrafttreten des ZGB eine feste Praxis in diesem Sinne herausgebildet, die seit dem grundlegenden Entscheid vom Jahre 1926 immer wieder bestätigt wurde. Die Auffassung, dass die Geisteskrankheit zur Zeit der Klageeinleitung drei Jahre gedauert haben müsse, wird nicht nur durch den Wortlaut von Art. 141 ZGB nahegelegt, sondern hat, wie in den erwähnten Entscheiden dargelegt wurde, auch sachliche Gründe für sich. Der Kläger versucht nicht, diese Argumente zu widerlegen, sondern begnügt sich damit, dem Bundesgericht zu beantragen, "in Abänderung seiner bisherigen Praxis die Scheidung auch gestützt auf Art. 141 ZGB auszusprechen, trotzdem die gesetzliche dreijährige Frist noch nicht im Zeitpunkt der Einreichung der Klage (12.5.1954) abgelaufen war, wohl aber im Zeitpunkt des Urteils des Appellationshofes des Kantons Bern, d.h. am 25.2.1957". Diese Ausführungen rufen keiner neuen Überprüfung der Rechtsprechung. Aber auch die Bedenken, welche die Vorinstanz namentlich mit Rücksicht auf Fälle wie den vorliegenden geäussert hat, ohne indes praktische Folgerungen daraus zu ziehen, vermögen eine Praxisänderung nicht zu rechtfertigen. Das Erfordernis, dass die dreijährige Dauer der Krankheit schon bei der Klageeinleitung erfüllt sein muss, behält als Garantie einer möglichst zuverlässigen Diagnose und Prrognose und einer von den Zufälligkeiten des Verfahrensganges (insbesondere von der Prozessdauer) unabhängigen Entscheidung sowie als Schutz gegen Versuche, mit diesen Zufälligkeiten zu spekulieren, seinen guten Sinn, auch wenn es vorkommen kann, dass ein Kläger, der in guten Treuen die Scheidung wegen tiefer Zerrüttung verlangt hat, im angehobenen Verfahren die Scheidung nicht erreicht, sondern nach dessen Erledigung neu klagen muss, weil sich erst im Laufe des Prozesses eindeutig ergibt, dass eine Geisteskrankheit, die bei Klageeinleitung noch nicht drei Jahre gedauert hatte, die wahre Ursache des ehelichen Zerwürfnisses bildet. Art. 141 ZGB mit einer gewissen Strenge auszulegen und Rücksichten auf die Prozessökonomie zurücktreten zu lassen, lässt sich auch damit rechtfertigen, dass es sich bei dieser Vorschrift um eine Ausnahme vom Grundsatze handelt, wonach Krankheit in der Regel kein Scheidungsgrund ist, und dass eine verfrühte Klage unter Umständen allfällige Aussichten auf eine (sei es auch nur "soziale") Heilung beeinträchtigen könnte (vgl. BGE 80 II 185 /86). Die Umstände des vorliegenden Falles bieten daher keinen Anlass, die bisherige, während mehrerer Jahrzehnte befolgte Praxis preiszugeben. Die Unzukömmlichkeit, dass der klagende Ehegatte vielfach nicht zum voraus sicher wissen kann, ob die erforderliche Krankheitsdauer gegeben sei, besteht nicht nur dann, wenn man verlangt, dass diese Frist bei Klageeinleitung abgelaufen sein müsse, sondern diese Ungewissheit könnte sich für den Kläger auch dann ergeben, wenn man sich damit begnügen würde, dass die drei Jahre bei Erstattung der Expertise im Prozess oder bei der Urteilsfällung erfüllt sein müssen.
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58. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. Oktober 1957 i.S. Eheleute G.
 
 
Regeste
 
Die Ehescheidung wegen Geisteskrankheit (Art. 141 ZGB) setzt voraus, dass die Geisteskrankheit zur Zeit der Klageeinleitung drei Jahre gedauert hat (Bestätigung der Rechtsprechung).  
 
BGE 83 II, 425 (425)Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes zu Art. 141 ZGB setzt die Scheidung wegen Geisteskrankheit u.a. voraus, dass die Geisteskrankheit zur Zeit der Klageeinreichung drei Jahre in der vom Gesetz vorausgesetzten Schwere bestanden haben muss (BGE 52 II 186,BGE 63 II 1,BGE 66 II 84, BGE 80 II 185). Die Auffassung, dass die dreijährige Krankheitsdauer bei der Klageeinleitung erfüllt sein müsse, hat übrigens anscheinend auch schon unter der Herrschaft des Bundesgesetzes betreffend Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes und die Ehe vom 24. Dezember 1874 (ZEG) gewaltet; denn im FalleBGE 35 II 9hat das Bundesgericht (S. 15) die Auffassung des Beklagten, "auch" die Unheilbarkeit der Geisteskrankheit (d.h. nicht nur diese selber) müsse im Zeitpunkt der Klageeinleitung drei Jahre gedauert haben, mit der Begründung abgewiesen, das Gesetz verlange nicht, dass die Unheilbarkeit (incurabilité; im Text durch Schrägschrift hervorgehoben) in diesem Zeitpunkt drei Jahre gedauert habe, was als Gegenstück die Annahme voraussetzt, dass die Krankheit als solche diesem Erfordernis genügen müsse. Wie dem aber BGE 83 II, 425 (426)auch sei, so hat sich jedenfalls nach dem Inkrafttreten des ZGB eine feste Praxis in diesem Sinne herausgebildet, die seit dem grundlegenden Entscheid vom Jahre 1926 immer wieder bestätigt wurde. Die Auffassung, dass die Geisteskrankheit zur Zeit der Klageeinleitung drei Jahre gedauert haben müsse, wird nicht nur durch den Wortlaut von Art. 141 ZGB nahegelegt, sondern hat, wie in den erwähnten Entscheiden dargelegt wurde, auch sachliche Gründe für sich. Der Kläger versucht nicht, diese Argumente zu widerlegen, sondern begnügt sich damit, dem Bundesgericht zu beantragen, "in Abänderung seiner bisherigen Praxis die Scheidung auch gestützt auf Art. 141 ZGB auszusprechen, trotzdem die gesetzliche dreijährige Frist noch nicht im Zeitpunkt der Einreichung der Klage (12.5.1954) abgelaufen war, wohl aber im Zeitpunkt des Urteils des Appellationshofes des Kantons Bern, d.h. am 25.2.1957". Diese Ausführungen rufen keiner neuen Überprüfung der Rechtsprechung. Aber auch die Bedenken, welche die Vorinstanz namentlich mit Rücksicht auf Fälle wie den vorliegenden geäussert hat, ohne indes praktische Folgerungen daraus zu ziehen, vermögen eine Praxisänderung nicht zu rechtfertigen. Das Erfordernis, dass die dreijährige Dauer der Krankheit schon bei der Klageeinleitung erfüllt sein muss, behält als Garantie einer möglichst zuverlässigen Diagnose und Prrognose und einer von den Zufälligkeiten des Verfahrensganges (insbesondere von der Prozessdauer) unabhängigen Entscheidung sowie als Schutz gegen Versuche, mit diesen Zufälligkeiten zu spekulieren, seinen guten Sinn, auch wenn es vorkommen kann, dass ein Kläger, der in guten Treuen die Scheidung wegen tiefer Zerrüttung verlangt hat, im angehobenen Verfahren die Scheidung nicht erreicht, sondern nach dessen Erledigung neu klagen muss, weil sich erst im Laufe des Prozesses eindeutig ergibt, dass eine Geisteskrankheit, die bei Klageeinleitung noch nicht drei Jahre gedauert hatte, die wahre Ursache des ehelichen Zerwürfnisses bildet. Art. 141 ZGB mit einer gewissen Strenge auszulegen und Rücksichten BGE 83 II, 425 (427)auf die Prozessökonomie zurücktreten zu lassen, lässt sich auch damit rechtfertigen, dass es sich bei dieser Vorschrift um eine Ausnahme vom Grundsatze handelt, wonach Krankheit in der Regel kein Scheidungsgrund ist, und dass eine verfrühte Klage unter Umständen allfällige Aussichten auf eine (sei es auch nur "soziale") Heilung beeinträchtigen könnte (vgl. BGE 80 II 185 /86). Die Umstände des vorliegenden Falles bieten daher keinen Anlass, die bisherige, während mehrerer Jahrzehnte befolgte Praxis preiszugeben. Die Unzukömmlichkeit, dass der klagende Ehegatte vielfach nicht zum voraus sicher wissen kann, ob die erforderliche Krankheitsdauer gegeben sei, besteht nicht nur dann, wenn man verlangt, dass diese Frist bei Klageeinleitung abgelaufen sein müsse, sondern diese Ungewissheit könnte sich für den Kläger auch dann ergeben, wenn man sich damit begnügen würde, dass die drei Jahre bei Erstattung der Expertise im Prozess oder bei der Urteilsfällung erfüllt sein müssen.
 
Ist demnach daran festzuhalten, dass die Geisteskrankheit zur Zeit der Klageeinleitung drei Jahre gedauert haben muss, so ist das vorliegende Scheidungsbegehren mit der Vorinstanz abzuweisen, da nicht bewiesen ist, dass die Geisteskrankheit der Beklagten schon bei Einreichung der Klage seit drei Jahren bestanden hatte.
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