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Informationen zum Dokument  BGE 88 I 141  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
23. Auszug aus dem Urteil vom 24. Oktober 1962 i.S. Oscar Weber AG gegen Mahler und Mitbeteiligte sowie Direktion der Justiz des Kantons Zürich.
 
 
Regeste
 
Art. 4 BV; Art. 35 lit. c VMK.  
 
Sachverhalt
 
BGE 88 I, 141 (141)Aus dem Tatbestand:
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Die Oscar Weber AG kaufte ein Dreifamilienhaus, um darin Angestellte ihres Warenhausbetriebes unterzubringen. Sie kündigte die bestehenden Mietverträge wegen Eigenbedarfs für Arbeitnehmer. Auf die Einsprachen der Mieter hin erklärte das Mietamt der Stadt Zürich die Kündigungen unzulässig.
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Die Direktion der Justiz des Kantons Zürich hat diese Verfügung bestätigt. Sie hat dazu ausgeführt, Art. 35 BGE 88 I, 141 (142)lit. c VKW greife nur im Falle der Betriebsnotwendigkeit Platz, das heisst wenn nachgewiesen sei, dass die ordnungsgemässe Führung des dem Vermieter gehörenden Betriebes ohne Einmietung des Arbeitnehmers in die gekündigte Wohnung nicht möglich oder doch erheblich erschwert sei. Diese Voraussetzung liege hier nicht vor. Die Angestellten eines Warenhauses könnten, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, ihre Aufgabe auch dann erfüllen, wenn sie nicht an einem bestimmten Orte wohnten.
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Die Oscar Weber AG erhob dagegen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV. Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist.
4
 
Aus den Erwägungen:
 
Gemäss Art. 35 lit. c VMK ist die Kündigung gerechtfertigt, wenn der Eigentümer nachweist, dass er, ohne den Bedarf selbst spekulativ verursacht zu haben, in seinem Hause für sich oder nächste Verwandte oder für einen seiner Arbeitnehmer eine Wohnung benötigt. Die Justizdirektion erachtet diesen Rechtfertigungsgrund als gegeben, wenn die Unterbringung eines Arbeitnehmers in der gekündigten Wohnung eine "Betriebsnotwendigkeit" darstellt. Das Bundesgericht hat seinerseits wiederholt erkannt, dass die Mieterschutzbehörden, um dem Vorwurf der Willkür zu entgehen, eine Kündigung zu schützen haben, wenn auch nur ein "betriebsbedingtes Interesse" nachgewiesen ist (vgl. Urteil vom 18. Januar 1956 i.S. Ziegler zu Art. 31 lit. b VMK in der Fassung vom 30. Dezember 1953; BGE 88 I 139). Trotz der verschiedenen Ausdrucksweise stimmt die Stellungnahme der Zürcher Justizdirektion im Ergebnis zur Hauptsache mit derjenigen des Bundesgerichts überein. Die kantonale Instanz anerkennt, dass eine Kündigung nicht nur gerechtfertigt ist, wenn es nicht möglich ist, den Betrieb ordnungsgemäss zu führen, ohne dass dem Arbeitnehmer die einem Dritten gekündigte Wohnung zur Verfügung gestellt wird, sondern dass BGE 88 I, 141 (143)es genügt, dass der Ausfall der betreffenden Wohnung die Betriebsführung "erheblich erschweren" würde. Wenn der Staatsgerichtshof von einem "betriebsbedingten Interesse" spricht, hat er gerade den letztgenannten Fall im Auge. Es kann deshalb keine Rede davon sein, dass die Mieterschutzbehörden schlechthin jeden Zusammenhang zwischen dem Wohnungsbedarf des Arbeitnehmers und dem Geschäftsbetrieb des Vermieters als Rechtfertigungsgrund für die Kündigung hinzunehmen hätten. Einer solchen Betrachtungsweise stände schon die Gleichsetzung des Eigenbedarfs für Arbeitnehmer mit demjenigen für "nächste" Verwandte entgegen, die einer einschränkenden Handhabung des Art. 35 lit. c VKM ruft.
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In der Beschwerde wird geltend gemacht, vielfach hätten Bewerber eine Anstellung bei der Beschwerdeführerin ausgeschlagen, weil sie in Zürich keine Wohnung gefunden hätten; die Beschwerdeführerin habe sich deswegen und um der Wohlfahrt des Personals willen entschlossen, sich mit eigenen Mitteln für die Unterkunft der Belegschaft einzusetzen. Die Ernsthaftigkeit dieser Beweggründe steht nicht in Frage, doch ist nicht dargetan, dass der Umstand, dass die Beschwerdeführerin die gekündigten Wohnungen nicht ihren eigenen Angestellten vermieten kann, den Betrieb des Warenhauses so erheblich erschweren wird, dass die Kündigungen im Sinne des Art. 35 lit. c VMK gerechtfertigt wären. Dass ein Unternehmen seine Stellung auf dem Arbeitsmarkt durch das Angebot günstiger Wohngelegenheiten zu verbessern trachtet, ist verständlich, und die betriebliche Wohnungsfürsorge ist an sich zu begrüssen, solange sie nicht auf Kosten jener Personen geht, welche die VKM schützen will. Würde dem Arbeitgeber zugestanden, dass er aus den erwähnten Beweggründen Dritten die Wohnung kündigen dürfe, so würde der öffentlichrechtliche Kündigungsschutz weitgehend um seine Wirkung gebracht, befinden sich doch viele Altliegenschaften in der Hand von Unternehmen, die zahlreiches Personal beschäftigen und einen entsprechend grossen Eigenbedarf BGE 88 I, 141 (144)an Wohnungen anmelden könnten. Die Mieterschutzbehörden können demnach ohne Willkür folgern, dass die Kündigung in derartigen Fällen nicht Art. 35 lit. c VKM für sich hat. Besonders gelagerten Verhältnissen aber kann bei der Interessenabwägung im Rahmen der Art. 34 Abs. 1 und 35 lit. f VMK Rechnung getragen werden (vgl. Urteile vom 15. Januar 1945 i.S. Munari und vom 18. Januar 1956 i.S. Ziegler; BIRCHMEIER, Die Mietnotrechtserlasse des Bundes, S. 30/31).
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