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Informationen zum Dokument  BGE 81 I 374  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
in Erwägung:
1. Das Verfahren zur Feststellung des Schweizerbürgerrechts  ...
2. Der Regierungsrat des Kantons Uri stützt seinen Entscheid ...
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59. Urteil vom 2. Dezember 1955 i.S. Toeplitz gegen Regierungsrat des Kantons Uri.
 
 
Regeste
 
Schweizerbürgerrecht: Im Administrativverfahren betreffend Bestehen oder Nichtbestehen des Schweizerbürgerrechts (Art. 49 BRG) haben die zuständigen kantonalen Behörden von amteswegen, unabhängig von allfälligen Parteivorbringen, alles vorzukehren, was geeignet ist, die sachlich zutreffende Feststellung herbeizuführen.  
 
Sachverhalt
 
BGE 81 I, 374 (374)A.- Die Beschwerdeführerin Madeleine Franzisca Toeplitz wurde am 15. August 1954 geboren als erstes Kind der Ehegatten Jan Josef Toeplitz und Rosa Susanna geb. Aschwanden. Nach Angaben der Eltern ist der Vater, geboren 1894 in Vichniew (Russland), ursprünglich Bürger von Warschau, also Staatsangehöriger der damals russischen Provinz Polen. Er hat Polen im Jahre 1939 verlassen und lebt seither im Ausland, z.Zt. in Beyrouth (Libanon), ohne Ausweisschriften der zuständigen Behörden in Polen. Er wird von den polizeilichen Organen des jeweiligen Aufenthaltsortes als Ausländer ohne bestimmte Staatsangehörigkeit behandelt. Er befindet sich im Besitze eines am 8. Oktober 1951 in Beyrouth ausgestellten Identitätsausweises, worin "Nationalité actuelle indéterminée" bescheinigt wird.
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Die Mutter ist Bürgerin der Gemeinde Seelisberg. Die Verehelichung fand am 20. April 1954 in Beyrouth statt.
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BGE 81 I, 374 (375)B.- Frau Toeplitz bemüht sich um die behördliche Feststellung, dass das aus dieser Ehe stammende Kind Madeleine Franzisca bei seiner Geburt das Schweizerbürgerrecht erworben hat.
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Der Regierungsrat des Kantons Uri hat am 11. August 1955 entschieden, dass Madeleine Franzisca Toeplitz das Bürgerrecht der Gemeinde Seelisberg sowie das Landrecht des Kantons Uri und damit das Schweizerbürgerrecht nicht besitzt. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, es stehe fest, dass der Ehemann Toeplitz polnischer Herkunft sei und dass, nach einem libanesischen Identitätsausweis, die gegenwärtige Nationalität als unbestimmt bezeichnet werde. Fest stehe auch, dass die Tochter bei ihrer Geburt in Beyrouth die libanesische Staatsangehörigkeit nicht erworben habe. Der Nachweis jedoch, dass der Ehemann Toeplitz in einem bestimmten Zeitpunkt die ursprüngliche polnische Staatsangehörigkeit verloren habe, sei nicht erbracht. Dieser müsse solange als polnischer Staatsangehöriger betrachtet werden, als seine Ausbürgerung oder Entlassung aus dem polnischen Staatsverband nicht dokumentiert sei. Demzufolge habe auch die im August 1954 geborene Tochter das Schweizerbürgerrecht nicht erworben.
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C.- Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und festzustellen, dass Madeleine Franzisca Toeplitz das Schweizerbürgerrecht besitzt, eventuell die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht hat den angefochtenen Entscheid aufgehoben und die Sache zur Ergänzung der Untersuchung und zu neuer Beurteilung an den Regierungsrat des Kantons Uri zurückgewiesen
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in Erwägung:
 
1. Das Verfahren zur Feststellung des Schweizerbürgerrechts gemäss Art. 49 des BG vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts BGE 81 I, 374 (376)(BRG) ist - gleichwie das Verfahren nach Art. 5 des BRB vom 20. Dezember 1940 und Art. 6 des BRB vom 11. November 1941 über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts - kein Parteiprozess, in welchem auf Grund der Parteivorbringen und nach Massgabe der durch die Parteien angebotenen Beweismittel entschieden wird, sondern ein Administrativjustizverfahren, dazu bestimmt, eine Unsicherheit in einer Statusfrage abzuklären. Die entscheidende Behörde hat daher von sich aus alles vorzukehren, was geeignet ist, zu einer sachlich zutreffenden Erledigung zu führen. Eine Bindung an Parteivorbringen und Beweisregeln, die für einen Parteiprozess aufgestellt sind, ist mit einem solchen Verfahren nicht vereinbar. Es kommt nicht ausschlaggebend darauf an, was die Interessenten vortragen, sondern auf das Ergebnis der amtlichen Untersuchung und die Folgerungen, die nach pflichtgemässer administrativer Abwägung aller Verhältnisse daraus gezogen werden können. Auch Fragen des ausländischen Rechts sind dabei, soweit möglich, von Amtes wegen abzuklären (BGE 68 I 61, Erw. 2, betr. die beiden zitierten BRB).
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2. Der Regierungsrat des Kantons Uri stützt seinen Entscheid, das Kind Madeleine Franzisca Toeplitz besitze das Schweizerbürgerrecht nicht, im wesentlichen auf die Feststellung, dass im Verfahren der Nachweis nicht erbracht worden sei, dass der Vater das angestammte polnische Staatsbürgerrecht verloren hat. Irgendwelche Schritte zur Abklärung der Verhältnisse, vor allem zur zuverlässigen Ermittlung der staatsrechtlichen Stellung des Ehemannes Toeplitz zur Zeit der Geburt des Kindes und deren Auswirkung auf die staatsrechtliche Zugehörigkeit des Kindes, hat er nicht unternommen. Auch die im Entscheide angerufene Äusserung der Polizeiabteilung des eidg. Justiz- und Polizeidepartementes enthält keine auf Untersuchung der Verhältnisse gestützte Feststellung, sondern lediglich Mutmassungen auf Grund der Angaben, die im Gesuche der Mutter des Kindes vorgebracht worden waren.
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BGE 81 I, 374 (377)Ob der Vater heute polnischer Staatsangehöriger ist, ist nicht festgestellt worden, und es ist keineswegs von vorneherein sicher. Er soll zwar als Bürger der damals russischen, heute polnischen Stadt Warschau geboren worden sein, seine staatsrechtliche Stellung unterlag aber den Veränderungen, die die frühere russische Provinz Polen in der Folge, namentlich im Zusammenhang mit den beiden Weltkriegen von 1914 und 1939 durchgemacht hat. Die Unsicherheit wird dadurch verstärkt, dass er 1939 Polen verlassen hat und seither ohne Kontakt mit den mutmasslichen heimatlichen Behörden im Auslande lebt. Sorgfältiger Abklärung bedarf sodann - sofern der Vater heute noch Pole sein sollte - auch die Stellung des Kindes zum Staate Polen. Es steht vor allem nicht ohne weiteres fest, welches die Bedeutung und Tragweite der in Art. 8 und 9 des polnischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 8. Januar 1951 getroffenen Ordnung ist bei im (polnischen) Ausland geborenen Kindern, die aus einer Mischehe zwischen einem Polen und einer Ausländerin stammen.
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Der Entscheid des Regierungsrates beruht auf einer ungenügenden Feststellung des Tatbestandes und ermangelt jeder Abklärung der Rechtslage. Er muss daher aufgehoben werden. Der Regierungsrat des Kantons Uri wird versuchen müssen, durch sachdienliche Erhebungen die staatsrechtliche Stellung des Vaters zur Zeit der Geburt des Kindes zuverlässig abzuklären. Er hat sodann gestützt auf das Ergebnis seiner Ermittlungen einen neuen Entscheid über Bestand oder Nichtbestand des Schweizerbürgerrechts des Kindes Madeleine Franzisca Toeplitz zu treffen.
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