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Informationen zum Dokument  BGE 112 Ib 339  Materielle Begründung
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Regeste
Aus den Erwägungen:
7. Mit einem Eventualantrag verlangt der Beschwerdeführer, d ...
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54. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. November 1986 i.S. G. gegen Verhöramt Zug und Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 88 und 89 IRSG; Übertragung der Strafverfolgung an das Ausland.  
 
BGE 112 Ib, 339 (339)Aus den Erwägungen:
 
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a) Für den Fall der Übertragung einer Strafverfolgung an das Ausland bestimmt Art. 89 Abs. 3 IRSG, der ausländische Staat, BGE 112 Ib, 339 (340)an den der Verfolgte zuvor wegen anderer Taten ausgeliefert worden sei, brauche die Auslieferungsbedingungen nach Art. 38 IRSG nicht zu beachten, soweit er dem Ersuchen um Übernahme der Strafverfolgung entspreche. Von diesen Bedingungen fällt hier vor allem Art. 38 Abs. 1 lit. a IRSG in Betracht, der die Verfolgung des Ausgelieferten wegen einer vor der Auslieferung begangenen Handlung nicht zulässt, soweit für diese Handlung die Auslieferung nicht bewilligt worden ist. In der Botschaft des Bundesrates zum IRSG wird zu Art. 89 Abs. 3 ausgeführt, der zur Beachtung der Spezialität verpflichtete ersuchende Staat sei "insoweit von dieser Beschränkung in der Ausübung seiner Strafgewalt entbunden, als dies durch die Übertragung der Strafverfolgung an ihn erforderlich ist" (BBl 1976 II S. 469). Diese Lösung dürfte wohl auf dem Gedanken beruhen, dass die Schweiz nicht einen Spezialitätsvorbehalt anbringen könne in Fällen, in denen sie selbst die Initiative zur Abtretung eines Strafverfahrens an einen ausländischen Staat ergreift, also dann, wenn diese Form der Rechtshilfe im weiteren Sinne auch oder sogar vorwiegend im schweizerischen Interesse liegt. Der Wegfall des Spezialitätsgebotes bedeutet aber nicht, dass auch eine Verfolgung des Betroffenen oder Dritter wegen Fiskaldelikten und ähnlicher Tatbestände zulässig sei. Dass die Schweiz wegen Straftaten dieser Art - abgesehen vom Sonderfall des Abgabebetruges - keinerlei Rechtshilfe leistet, wird im ersten Teil des IRSG ("Allgemeine Bestimmungen") unter der Abschnittsüberschrift "Ausschluss von Ersuchen" gesagt. Der diesen generellen Ausschluss der Rechtshilfe umschreibende erste Satz von Art. 3 Abs. 3 IRSG bezieht sich somit auf das ganze Gesetz; nur die im zweiten Satz dieses Absatzes erwähnte Ausnahme hinsichtlich des Abgabebetruges gilt nur für den dritten Teil des Gesetzes, d.h. für die Rechtshilfe im engeren Sinne, während eine Auslieferung auch bei diesem Tatbestand nicht zulässig ist. Der Ausschluss jeder Rechtshilfe in Fiskalsachen muss somit zu den grundlegenden Bestimmungen des IRSG gerechnet werden. Dass dem so ist, folgt auch aus der parlamentarischen Beratung über die Genehmigung des Zusatzprotokolls Nr. 99 des Europarates, das in gewissem Umfange Rechtshilfe auch in Fiskalsachen zulässt. Die Genehmigung dieses Teiles des Zusatzprotokolls wurde sowohl vom Nationalrat als auch vom Ständerat entgegen den Anträgen des Bundesrates abgelehnt (Amtl.Bull. NR 1984 I S. 591 ff.; SR 1985 S. 500 ff.; vgl. auch das nicht veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtes vom 27. November 1985 i.S. Firma I.). Es muss BGE 112 Ib, 339 (341)somit sowohl nach der Gesetzessystematik wie auch nach der Bedeutung, welche die schweizerische gesetzgebende Behörde noch in neuester Zeit dem Ausschluss der Rechtshilfe in Fiskalsachen beigemessen hat, davon ausgegangen werden, die in Art. 89 Abs. 3 IRSG vorgesehene Befreiung des die Strafverfolgung übernehmenden Staates vom Vorbehalt der Spezialität umfasse nicht auch gleichzeitig eine Befreiung von dem für das ganze schweizerische Rechtshilferecht geltenden Ausschluss der Zulässigkeit der Rechtshilfe in Fiskal- und den in Art. 3 Abs. 3 IRSG aufgezählten verwandten Strafsachen.
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b) Das BAP macht geltend, die europäischen Abkommen über Auslieferung und Rechtshilfe, denen sowohl die Schweiz als auch Schweden beigetreten sind, enthielten keine Rechtsgrundlage, um gegenüber dem schwedischen Staat eine entsprechende Auflage zu erlassen. Dies trifft zwar in tatsächlicher Hinsicht zu, ist aber rechtlich nicht ausschlaggebend. Die beiden erwähnten Abkommen enthalten auch keine Verpflichtung eines der beiden Staaten zur Übertragung bzw. Übernahme von Strafverfolgungen, die an sich in den Zuständigkeitsbereich des anderen Staates fallen. Verhält es sich aber so, dass die Schweiz zur Übertragung der Strafverfolgung in einem Fall wie dem vorliegenden zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet ist und dass für Schweden hinsichtlich der Übernahme dasselbe gilt, so können mit der Übertragung auch beliebige Auflagen verbunden werden, die der um Übernahme ersuchte Staat annehmen oder ablehnen kann. Unter Staaten, die dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen (EAÜ) beigetreten sind, dürften gute Aussichten bestehen, dass eine entsprechende Auflage nicht abgelehnt wird, kommt doch die Übertragung einer Strafverfolgung im Ergebnis der Auslieferung nahe und ist die Auslieferung wegen Fiskaldelikten nach Art. 5 EAÜ nur aufgrund besonderer zweiseitiger Übereinkünfte zulässig.
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c) Auch das interne schweizerische Recht verbietet eine Auflage der genannten Art entgegen der Auffassung des BAP nicht. Dass das seinem Sinn und Zweck gemäss auszulegende IRSG sie sogar gebietet, ist bereits dargelegt worden. Das BAP beruft sich demgegenüber auf Art. 11 der Verordnung über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 24. Februar 1982 (IRSV). Dieser kommt gegenüber dem Gesetz keine selbständige Bedeutung zu. Im übrigen verweist die genannte Bestimmung, welche sich auf den Inhalt schweizerischer Ersuchen an ausländische Staaten bezieht, in Abs. 1 auf die Art. 27-29 IRSG, die als sinngemäss anwendbar BGE 112 Ib, 339 (342)erklärt werden. Abs. 2 enthält die Vorschrift, dass ein schweizerisches Ersuchen weder Ausführungen enthalten dürfe, die geeignet wären, die Lage von Personen im ersuchten Staat wegen ihrer politischen Anschauungen, wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus Gründen der Rasse, Religion oder Volkszugehörigkeit zu erschweren, noch solche, die im ersuchten Staat zu Beanstandungen Anlass geben könnten. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern diese Norm es verbieten sollte, einem schweizerischen Ersuchen eine Auflage oder Bedingung beizufügen. Wenn das BAP ausführt, Auflagen oder Bedingungen seien an dieser Stelle bewusst weggelassen worden, so kommt dies jedenfalls im Verordnungstext nicht zum Ausdruck.
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