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Informationen zum Dokument  BGE 98 Ib 197  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Gemäss Art. 48 Abs. 1 StG sind Gegenstand der Emissionsab ...
2. Die Begriffe "Anlagefonds" und "Vermögen ähnlicher A ...
3. Es bleibt zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen ein So ...
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29. Urteil vom 13. Oktober 1972 i.S. A. Sarasin & Cie gegen Eidg. Steuerverwaltung.
 
 
Regeste
 
Emissionsabgabe; Verrechnungssteuer.  
 
Sachverhalt
 
BGE 98 Ib, 197 (197)A.- Die Firma A. Sarasin & Cie, Basel, beabsichtigt durch Zusammenschluss von höchstens 20 Personalfürsorgeeinrichtungen, zu denen auch die Fürsorgeeinrichtung der Initiantin gehören würde, eine einfache Gesellschaft zu bilden mit dem Zweck, ausgeschiedene Vermögensteile (Sondervermögen), die der zusätzlichen Vorsorge für höhere Angestellte dienen sollen, gemeinsam anzulegen. Nach dem Entwurf eines Gesellschaftsvertrages sind als Organe die Gesellschafterversammlung, der Vorstand, der Anlageausschuss und die Kontrollstelle vorgesehen. Die Gesellschafterversammlung wählt aus den Vertretern BGE 98 Ib, 197 (198)der beteiligten Fürsorgeeinrichtungen die Mitglieder der übrigen Organe. Der Vorstand erlässt die Richtlinien für die Anlagetätigkeit; er bestimmt die Bank, bei welcher die Wertschriften der Gesellschaft deponiert und die Konti geführt werden. Der Anlageausschuss trifft die für die Anlage erforderlichen Entscheidungen. "Am Vermögen und Ertrag der Gesellschaft sind die Fürsorgeeinrichtungen gemäss ihren Leistungen beteiligt" (Ziff. 10 des Entwurfes).
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B.- Am 6. April 1970 wandte sich die Firma A. Sarasin & Cie an die Eidg. Steuerverwaltung (EStV), legte die geplante Gründung dar und vertrat die Auffassung, es handle sich dabei um "eine Art Investment-Club, sodass keine Verrechnungssteuer und kein Emissionsstempel geschuldet werden". - In einer vorläufigen Stellungnahme vom 14. April 1970 wies die EStV auf die Besonderheiten der sogenannten Investment-Clubs hin, die eine beschränkte Zahl natürlicher Personen umfassen und den Mitgliedern direkte Erfahrungen in der Kapitalanlage vermitteln wollen. Nach einem weitern Briefwechsel traf die Steuerverwaltung (Sektion Rechtswesen) auf Begehren der Firma A. Sarasin & Cie am 26. August 1971 folgende formelle Verfügung:
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"1. Es wird festgestellt, dass das Vermögen der von den Herren A. Sarasin & Cie zwecks zusätzlicher Personalvorsorge geplanten einfachen Gesellschaft ein Vermögen ähnlicher Art (Wachstumsfonds) im Sinne von Art. 48 Abs. 1 StG und Art. 4 Abs. 1 lit. c VStG darstellt.
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2. Für den Fall der Begründung der Gesellschaft gelten
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a) als Fondsleitung: der Vorstand;
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b) als Anteile (Anteilscheine): die Einheiten gemäss Ziff. 5 des Reglements über die Berechnung der Ansprüche;
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c) als Ausgabe der Anteile: die Gutschrift der Einheiten gemäss Ziff. 6 des genannten Reglementes."
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C.- Eine gegen diese Feststellungsverfügung erhobene Einsprache wurde von der EStV abgewiesen.
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D.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt die Firma A. Sarasin & Cie das Begehren, den Einspracheentscheid der EStV aufzuheben und festzustellen, dass das Vermögen der geplanten einfachen Gesellschaft kein "Vermögen ähnlicher Art" sei.
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E.- Die EStV beantragt die Abweisung der Beschwerde.
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BGE 98 Ib, 197 (199)Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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Die Erträge solcher Anteile sind gemäss Art. 4 Abs. 1 lit. c VStG Gegenstand der Verrechnungssteuer.
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a) In Art. 2 Abs. 1 AFG wird der Anlagefonds durch folgende vier Merkmale charakterisiert:
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aa) Es handelt sich um ein Sondervermögen, das zum Zwecke der gemeinschaftlichen Kapitalanlage aufgebracht wird.
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bb) Die Kapitalbeschaffung erfolgt auf Grund öffentlicher Werbung. cc) Das Sondervermögen wird durch eine von den Anlegern unabhängige Fondsleitung für die Rechnung der Anleger verwaltet.
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dd) Die Verwaltung richtet sich nach dem Grundsatz der Risikoverteilung (Risikomischung).
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Gemäss Art. 20 AFG sind die Rechte der Anleger zudem in Wertpapieren (ohne Nennwert) zu verurkunden.
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b) Von diesen Merkmalen des dem AFG unterstellten Anlagefonds fehlt bei der von der Beschwerdeführerin vorgesehenen Gründung das Element der öffentlichen Werbung und es fehlt auch die Verurkundung der Anlegerrechte in Wertpapieren.
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Unbestrittenermassen handelt es sich jedoch um die Bildung BGE 98 Ib, 197 (200)eines Sondervermögens zum Zwecke gemeinschaftlicher Kapitalanlage. Klar ist auch, dass für die geplante Anlagetätigkeit der Grundsatz der Risikoverteilung gelten soll.
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Die vorgesehene Organisation der Verwaltung unterscheidet sich sowohl von der typischen Fremdverwaltung bei eigentlichen Anlagefonds, wo die Anleger auf die Bestimmung der Fondsleitung keinen Einfluss haben, als auch von der wirklichen Selbstverwaltung der Anleger, wie sie in einem kleinen Investment-Club noch möglich sein kann. Die Beschwerdeführerin sieht in der Mitwirkung der Gesellschafter bei der Bestellung und Überwachung der die Vermögensverwaltung besorgenden Organe eine die Qualifikation als Fremdverwaltung ausschliessende Einflussmöglichkeit, während die EStV die Auffassung vertritt, der bloss indirekte, repressive Einfluss genüge nicht; da der "Anlageentscheid" nicht von den Anlegern gemeinschaftlich, sondern von Anlageausschuss und Vorstand getroffen werde, handle es sich um Fremdverwaltung. Es erübrigt sich, hier die projektierte Zwischenform der Organisation von vornherein als Fremdverwaltung oder als Selbstverwaltung zu qualifizieren. Die geplante Ausgestaltung ist bei der Beurteilung des gesamten Projektes gebührend zu berücksichtigen.
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a) Art. 5 der Vollziehungsverordnung zum AFG bezeichnet als dem Anlagefonds ähnliches, ebenfalls dem AFG unterstelltes Sondervermögen ausschliesslich ein Vermögen, das alle übrigen Merkmale der Legaldefinition von Art. 2 Abs. 1 AFG aufweist, aber nicht nach dem Grundsatz der Risikoverteilung angelegt werden muss. Diese geringfügige Erweiterung des Anwendungsbereichs der gewerbepolizeilichen Vorschriften auf den hier nicht interessierenden Fall des Fehlens der Risikomischung ist für die Auslegung des steuerrechtlichen Begriffs des "Vermögens ähnlicher Art" ohne Belang. Dass man mit diesem Begriff lediglich dem AFG unterstellte ähnliche Vermögen gemeint habe, wird von keiner Seite behauptet. Die vor dem AFG geschaffenen steuerrechtlichen Normen (Art. 48 StG, Art. 4 VStG) sollen jene Sondervermögen erfassen, die wirtschaftlich die Funktion eines Anlagefonds haben. Auch wenn man von der Legaldefinition des AFG ausgeht, so ist doch für die steuerrechtliche BGE 98 Ib, 197 (201)Abgrenzung der "Vermögen ähnlicher Art" die gewerbepolizeiliche Behandlung nicht entscheidend. Bei der Schaffung der hier zu interpretierenden Vorschriften wurde bereits klar gesagt, dass es nicht nur um die Besteuerung derjenigen Fonds gehe, welche unter das damals in Vorbereitung befindliche AFG fallen, sondern dass die Besteuerung auch "Fonds ähnlicher Art" betreffe, welche "die von jenem Gesetz aufgestellten Voraussetzungen (z.B. öffentliche Werbung bei der Plazierung der Anteile u.a.m.) nicht erfüllen" (Botschaft in BBl 1963 II 959).
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b) Für die wirtschaftliche Funktion der Anlagefonds bildet der Zweck der gemeinschaftlichen Kapitalanlage das dominierende Kriterium. Dieser Zweck ist daher auch das wichtigste Merkmal eines "Vermögens ähnlicher Art". Wie bereits dargelegt wurde, dient die projektierte Gründung der Beschwerdeführerin unbestrittenermassen dem Zweck der kollektiven Kapitalanlage. Verbindet sich dieses erste Merkmal - wie im vorliegenden Fall - mit dem Grundsatz der Risikoverteilung für die Anlagetätigkeit, dann ist die wirtschaftliche Ähnlichkeit mit dem Anlagefonds schon sehr gross. Die EStV unterwirft allerdings Sondervermögen dieser Art, welche in der Form des Investment-Clubs von einem kleinen Personenkreis bis zu 20 Personen aufgebracht und durch die Anleger gemeinsam verwaltet werden, der Emissionsabgabe und der Verrechnungssteuer nicht (Praxis der Bundessteuern II. Teil Stempelabgaben etc. Bd. 3: BB 1938 Art. 40 Nr. 25; Bd. 1: StG Art. 48 Abs. 1 Nr. 3, 6, 7; PFUND, Verrechnungssteuer I N 4.14 zu Art. 4 Abs. 1 lit. c VStG; vgl. auch Art. 60 Abs. 1 VV/VStG betr. gemeinsame Rückerstattungsforderung).
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Im bisherigen Verfahren ist die Selbstverwaltung bzw. das Fehlen der Fremdverwaltung als entscheidendes Merkmal des steuerbefreiten Investment-Clubs hervorgehoben worden. Die direkte Mitwirkung der Anleger bei der Anlagetätigkeit ist wohl ein Umstand, der den Investment-Club vom Anlagefonds unterscheidet. Form und Intensität dieser Mitwirkung variieren aber in der Praxis. Die Einschaltung von gewählten, mehr oder weniger weisungsgebundenen Anlegerausschüssen dürfte aus praktischen Gründen häufig vorkommen; von der Möglichkeit solcher Ausschüsse bei Investment-Clubs ist übrigens auch im angefochtenen Einspracheentscheid die Rede. Es mag hier dahin gestellt bleiben, ob schon die Geschäftsführung durch ein körperschaftlich BGE 98 Ib, 197 (202)bestelltes, relativ selbständiges Organ solche Sondervermögen stets zu "Vermögen ähnlicher Art" macht. Festzuhalten ist, dass in der vorgesehenen einfachen Gesellschaft eine direkte Mitwirkung der Gesamtheit der Anleger ausgeschlossen ist und deren Einfluss sich auf die Wahl der Organe und deren Kontrolle beschränkt. Der Grad der "Selbstverwaltung" ist somit sehr gering.
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c) Der geplante Zusammenschluss unterscheidet sich jedoch in anderer Hinsicht grundlegend von den als Investment-Clubs anerkannten Institutionen:
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aa) Zweck der Investment-Clubs ist es, die Mitglieder mit dem Handel von Wertpapieren etwas vertraut zu machen und ihnen ohne grosses Risiko die Beteiligung an Wertpapier-Käufen (vor allem an Aktienkäufen) zu ermöglichen. Aus diesem Zwecke ergibt es sich, dass nur natürliche Personen, die unter sich auch den persönlichen Kontakt pflegen wollen, als Mitglieder in Frage kommen und dass die Anlagetätigkeit sich in einem recht bescheidenen Rahmen hält. Das Kapital wird in der Regel durch periodische, gleiche Beiträge aufgebracht; teilweise Rückzüge sind meistens nicht möglich (über Idee und Organisation der Investment-Clubs vgl. W. LEIBACHER, Keine Angst vor der Börse, Bern 1966, S. 139 ff.).
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bb) Bei der von der Beschwerdeführerin geplanten Gründung entfällt das persönliche Moment. Der Erfahrungsaustausch unter den in dieser Weise zusammengeschlossenen Personalfürsorgeeinrichtungen wäre wohl eine erwünschte zusätzliche Möglichkeit, sie bildet aber nicht den Zweck der Gründung. Die Anlagetätigkeit würde einen erheblichen, in keiner Weise begrenzten Umfang annehmen. Für die beteiligten Pensionskassen hätte die geplante Gesellschaft die typische Funktion eines Anlagefonds, an dem man sich nach Bedarf beteiligen kann. Zur Erledigung der Versicherungsfälle müssten offenbar auch jederzeit Rückzüge möglich sein.
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Berücksichtigt man diese grundlegenden Unterschiede, so lässt sich die geplante Gründung nicht einem Investment-Club gleichstellen; die Ähnlichkeit mit dem typischen Anlagefonds ist wesentlich grösser. Dass die öffentliche Werbung bei einem "Vermögen ähnlicher Art" fehlen kann, wurde schon in der bereits zitierten Botschaft des Bundesrates zum VStG gesagt. Auch Verurkundung in einem Wertpapier und Handelbarkeit der Anteile sind keine unerlässlichen Merkmale des anlagefondsähnlichen BGE 98 Ib, 197 (203)Vermögens; sonst wäre jeder "Anlagefonds", der sich ohne Ausgabe von Anteilscheinen nur an einen beschränkten Kreis von Personen richtet, von der Besteuerung ausgenommen ohne Rücksicht auf Art und Umfang der Anlagetätigkeit. Eine solche Beschränkung des Anwendungsbereichs der Art. 48 StG und Art. 4 VStG entbehrt der sachlichen Begründung. Öffentliche Werbung und Handelbarkeit der Anteilsrechte sind Merkmale, welche auf die Abgrenzung des Anwendungsbereichs
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gewerbepolizeilicher Bestimmungen zugeschnitten sind, für die steuerliche Behandlung aber nicht massgebend sein können. - Da mit dem Begriff des "Vermögens ähnlicher Art" die wirtschaftlich den Anlagefonds gleichkommenden Sondervermögen steuerlich erfasst werden sollen, und da die geplante einfache Gesellschaft für die beteiligten Personalfürsorgeeinrichtungen die typische Funktion des Anlagefonds zu übernehmen hätte, handelt es sich um ein "Vermögen ähnlicher Art" im Sinne von Art. 48 Abs. 1 StG und Art. 4 Abs. 1 lit. c VStG. Die eng limitierte körperschaftliche Mitwirkung der Anleger bei der Verwaltung schliesst diese Subsumtion nicht aus und vermag eine steuerrechtliche Gleichbehandlung mit den Investment-Clubs nicht zu rechtfertigen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Beschwerde wird abgewiesen.
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