VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 101 Ia 314  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Das EMD hat die beiden Baracken im Jahre 1941 aufgestellt, ohn ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
52. Auszug aus dem Urteil vom 24. September 1975 i.S. A. Betschart's Söhne AG gegen Gemeinde Ingenbohl und Regierungsrat des Kantons Schwyz
 
 
Regeste
 
Art. 4 und 22ter BV; nachträgliche Baubewilligung.  
 
Sachverhalt
 
BGE 101 Ia, 314 (315)Im Jahre 1941 errichtete das Eidg. Militärdepartement (EMD) in der Gemeinde Ingenbohl/SZ auf einem Grundstück der Firma Fassbind & Schär zwei Holzbaracken, die militärischen Zwecken dienten. Der Boden wurde vom EMD lediglich gemietet und verblieb im Eigentum der genannten Firma. Die beiden Baracken wurden gemäss Art. 164 Abs. 3 der Militärorganisation (MO) aufgestellt, ohne dass dafür eine Baubewilligung eingeholt wurde. Am 10. Januar 1972 verkaufte die Firma Fassbind & Schär das fragliche Grundstück an die Firma A. Betschart's Söhne AG. Am 27. September 1972 verkaufte sodann das EMD die beiden Baracken an die neue Eigentümerin des Bodens.
1
Am 20. Oktober 1972 gelangte die Firma A. Betschart's Söhne AG an die Gemeinde Ingenbohl. Die Firma teilte mit, dass sie beabsichtige, eine der Baracken teilweise als Einstellhalle für Lastenzüge auszubauen, und ersuchte den Gemeinderat um die Bewilligung des geplanten Ausbaus. Der Gemeinderat Ingenbohl beschloss, vorerst die rechtlichen Fragen des Weiterbestehens der Bauten zu prüfen, nachdem die Baracken nicht mehr ihrem ursprünglichen, militärischen Zweck dienten. Der Gemeinderat verfügte daher, die Firma A. Betschart's Söhne AG habe für die beiden Bauten ein normales Baugesuch einzureichen.
2
Eine gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Schwyz ab. Das Bundesgericht hat die gegen diesen Entscheid erhobene staatsrechtliche Beschwerde der Firma A. Betschart's Söhne AG abgewiesen.
3
 
Aus den Erwägungen:
 
2. Das EMD hat die beiden Baracken im Jahre 1941 aufgestellt, ohne dafür um eine Baubewilligung nachzusuchen. Dazu war es auch gar nicht verpflichtet, da mit der Erstellung der Baracken eine Arbeit ausgeführt wurde, die der Landesverteidigung diente. Eine solche Arbeit darf nach Art. 164 BGE 101 Ia, 314 (316)Abs. 3 MO keiner kantonalen Gebühr oder Bewilligung unterstellt werden (s. nicht veröffentlichtes Urteil Schweizerische Eidgenossenschaft gegen Kanton Luzern vom 23. Dezember 1952, E. 3). Diese Bestimmung enthält einen Einbruch in das kantonale Recht, um dem Bund die Erfüllung der verfassungsmässigen Aufgabe der Landesverteidigung zu ermöglichen und zu erleichtern. Spätestens mit dem Verkauf der Baracken an die A. Betschart's Söhne AG ist jedoch die militärische Zwecksetzung der Bauten und damit auch der Grund für ihre privilegierte Behandlung weggefallen. Die beiden Baracken unterstehen seit der Änderung ihrer Zwecksetzung uneingeschränkt den Vorschriften des kantonalen und kommunalen Baurechts. Dies anerkennt auch die Beschwerdeführerin. Ihrer Auffassung nach kann dies jedoch nicht bedeuten, dass das formelle und materielle Baurecht nun nachträglich noch durchzusetzen sei. Der vorliegende Sachverhalt müsse vielmehr so beurteilt werden, wie wenn alte baurechtliche Vorschriften durch neue ersetzt worden seien. In jenem Falle werde zu Recht nicht verlangt, dass die bereits errichteten Bauten den neuen Vorschriften angepasst und allenfalls beseitigt werden müssten. Aus diesem Grunde erübrige sich ein nachträgliches Baubewilligungsverfahren hier wie dort.
4
Diese Auffassung der Beschwerdeführerin trifft nicht zu. Wenn eine Baute aufgrund einer Baubewilligung errichtet worden ist, so hat die zuständige Behörde die Übereinstimmung des Projekts mit dem materiellen Baurecht geprüft und durch die Bewilligung bejaht. Auf diesen Entscheid kann sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht zurückkommen. Für ein zweites Bewilligungsverfahren in einem späteren Zeitpunkt ist insoweit kein Platz. Wenn hingegen keine Baubewilligung eingeholt worden ist, so ist ungeklärt, ob und inwieweit eine Baute mit den materiellen Bauvorschriften übereinstimmt oder dagegen verstösst. Ein nachträgliches Baubewilligungsverfahren ist in diesem Fall, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, keineswegs sinnwidrig. - Für die beiden Baracken der Beschwerdeführerin ist eine Baubewilligung weder nachgesucht noch erteilt worden. Die Bauten sind aber dennoch nicht eigenmächtig, sondern von der Rechtsvorgängerin der Firma Betschart's Söhne AG gestützt auf eine besondere bundesrechtliche Ermächtigung rechtmässig erstellt worden. Heute sind jedoch die Voraussetzungen, an welche BGE 101 Ia, 314 (317)Art. 164 Abs. 3 MO diese Privilegierung knüpft, nicht mehr vorhanden. Diese Besonderheit des vorliegenden Falles ist zu bedenken, falls sich im Bewilligungsverfahren ergeben sollte, dass die beiden ehemaligen Militärbaracken nicht entweder den im Zeitpunkt ihrer Errichtung oder den im Zeitpunkt der Zweckänderung gültigen kantonalen und kommunalen Bauvorschriften entsprechen. Damit ist gesagt, dass die Beseitigung von Bauten, die aufgrund einer besonderen bundesrechtlichen Ermächtigung erstellt worden sind, nach dem Wegfall ihrer ursprünglichen Zwecksetzung nicht stets verfügt werden kann, wenn diese Bauten mit den kantonalen und kommunalen Bauvorschriften nicht vollständig übereinstimmen. Über die Einzelheiten einer solchen Beurteilung hat sich das Bundesgericht heute nicht auszusprechen; auf jeden Fall aber ist es als zulässig zu erachten, wenn die zuständige Behörde im vorliegenden Fall ein nachträgliches Baubewilligungsverfahren durchführen will, in welchem die aufgeworfenen Fragen geprüft und die entsprechenden Anordnungen getroffen werden sollen.
5
Unbegründet ist auch die Auffassung der Beschwerdeführerin, ein nachträgliches Baugesuch für eine bereits erstellte Baute könne nur bei Vorliegen einer besonderen gesetzlichen Grundlage verlangt werden. Das Bundesgericht hat in BGE 100 Ia 345 festgehalten, dass der Abbruch einer widerrechtlich erstellten Baute auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage angeordnet werden könne. Das Gleiche muss nach dem Gesagten für die Verpflichtung gelten, ein Baugesuch für eine Baute einzureichen, die zwar rechtmässig, aber doch ohne Baubewilligung erstellt worden ist, wenn die Voraussetzungen für die Befreiung dieser Baute vom formellen und materiellen Baurecht entfallen sind.
6
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).