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Informationen zum Dokument  BGE 98 Ia 129  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. (Der Entscheid der Aufsichtskommission konnte nicht durch ein  ...
2. Die Beschwerdeführerin beklagt sich über eine Verwei ...
3. Bei dieser Rechtslage greifen die unmittelbar aus Art. 4 BV fl ...
4. Wie sich aus einer Eingabe der Beschwerdeführerin vom 3.  ...
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18. Urteil vom 10. Mai 1972 i.S. X. gegen Kantonales Technikum Biel und Aufsichtskommission des Kantonalen Teclmikums Biel.
 
 
Regeste
 
Anspruch auf rechtliches Gehör unmittelbar aufgrund des Art. 4 BV.  
 
Sachverhalt
 
BGE 98 Ia, 129 (129)A.- Die 1949 geb. Christiane X. war seit Sommer 1969 Schülerin der Kantonalen Kunstgewerbeschule Biel. Bereits im ersten Zeugnis vom Frühjahr 1970 wurden Betragen und Ordnung als "insuffisants" qualifiziert. In einer dem Zeugnis beigelegten Bemerkung der Lehrerkonferenz wurde sie als "indisciplinée" bezeichnet. Im nächsten Semester scheint sich das Verhalten gebessert zu haben; im Zeugnis vom Oktober 1970 hatte sie die Betragensnote 4 (genügend). Im Zeugnis vom Frühjahr 1971 hatte sie die Betragensnote 2, d.h. die zweitschlechteste Note nach der Bewertungstabelle. Als Bemerkung der Lehrerkonferenz war im Zeugnis angeführt: "Dernier avertissement disciplinaire avec menace d'exclusion de l'école selon paragraphe 6, annexe 3, du règlement d'école." Nach Abschluss des Sommer-Semesters 1971 befasste sich die Lehrer konferenz mit der Frage, ob der Aufsichtskommission der Ausschluss der Schülerin aus der Kunstgewerbeschule zu beantragen sei. Es wurde ihr zur Last gelegt, dass sie nach dem BGE 98 Ia, 129 (130)Unterricht den Arbeitsplatz ungeordnet verlasse, zu spät zur Schule komme, den Unterricht ohne Bewilligung verlasse, in den Toiletten rauche, während des Unterrichts stricke, dem Unterricht ohne Entschuldigung fernbleibe und einen schlechten Einfluss auf die andern Schüler habe. In der Sitzung vom 28. September 1971 wurde festgestellt, dass sich das Verhalten der Schülerin im Sommer-Semester bei einzelnen Lehrern gebessert habe, doch müsse es weiterhin mehrheitlich beanstandet werden. "Trotz den guten Leistungen dieser begabten Schülerin" entschloss sich die Konferenz, "nach der klaren Androhung im letzten Semester-Zeugnis" der Aufsichtskommission den Ausschluss zu beantragen. Im Zeugnis vom 1. Oktober 1971 findet sich die Betragensnote 3 (ungenügend) und die Bemerkung der Lehrerkonferenz "demande d'exclusion à la Commission de surveillance". Der Schulvorsteher liess Christiane X. am 1. Oktober zu Entgegennahme des Semester-Zeugnisses in sein Bureau kommen, eröffnete ihr hier, dass ihr Betragen unbefriedigend und ihr Ausschluss aus der Schule beantragt sei, und legte ihr nahe, die Schule freiwillig zu verlassen. Der Vater von Christiane X. wandte sich mit einem Brief vom 3. Oktober an den Direktor des Kantonalen Technikums, dem die Kunstgewerbeschule angeschlossen ist. Er bat ihn, die Angelegenheit zu prüfen und ihn zu einer Besprechung einzuladen. Diese Besprechung fand am 1. November statt. Es waren der Direktor und der Vizedirektor des Technikums, Vater X. und Christiane X. zugegen. Dieser wurde Gelegenheit gegeben, sich zu den erhobenen Vorwürfen zu äussern. Sie soll die Vorwürfe an sich nicht bestritten, dagegen mit dem Hinweis bagatellisiert haben, sie habe nichts anderes getan als was die meisten andern Schüler auch tun. Ihre Äusserungen sollen gezeigt haben, dass sie die Androhung des Ausschlusses nie ernst genommen hatte. Am 3. November fand eine Lehrerkonferenz statt, in welcher der Fall erneut diskutiert wurde. Die Konferenz beschloss, an ihrem Antrag auf Ausschluss festzuhalten. Die Aufsichtskommission des Technikums beschäftigte sich mit diesem Antrag in ihrer Sitzung vom 9. November. Der Vizedirektor des Technikums, welcher die Lehrerschaft in der Kommission vertritt, orientierte die übrigen Mitglieder über den Sachverhalt. Die Kommission beschloss, Christiane X. antragsgemäss aus der Schule auszuschliessen, was ihr mit. Brief vom 11. November 1971 mitgeteilt wurde.
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BGE 98 Ia, 129 (131)B.- Gegen den Entscheid der Aufsichtskommission vom 9. November 1971 hat Christiane X. wegen Verletzung des Art. 4 BV staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, ihn aufzuheben. Die Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit erforderlich, aus den folgenden Erwägungen.
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Auf Begehren der Beschwerdeführerin erteilte der Präsident der Kammer für Beschwerden wegen Verletzung des Art. 4 BV der Beschwerde in dem Sinne aufschiebende Wirkung, dass die Beschwerdeführerin die Kantonale Kunstgewerbeschule weiter besuchen konnte.
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C.- Das Kantonale Technikum Biel und dessen Aufsichtskommission beantragten in ihrer Beschwerdeantwort vom 17. Dezember 1971, die staatsrechtliche Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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Der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird zunächst grundsätzlich durch die kantonalen Verfahrensvorschriften umschrieben. Wo sich dieser kantonale Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus Art. 4 BV folgenden, also bundesrechtlichen Verfahrensregeln zur Sicherung des rechtlichen Gehörs Platz, die dem Bürger in allen Streitsachen ein bestimmtes Mindestmass an Verteidigungsrechten gewährleisten (BGE 97 I 617, BGE 92 I 186 mit Hinweisen auf frühere Entscheide).
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Die Reglemente, die im zu beurteilenden Fall anwendbar sind, enthalten keine Vorschriften darüber, dass und in welcher Weise die Lehrerkonferenz, die den Ausschluss eines Schülers BGE 98 Ia, 129 (132)beantragen will, und die Aufsichtskommission, welche über einen solchen Antrag zu entscheiden hat, dem betroffenen Schüler, und allenfalls auch seinen Eltern, rechtliches Gehör, d.h. vor allem die Gelegenheit zur Verteidigung, zu gewähren haben. Eine den Anspruch sichernde kantonale Vorschrift fehlt demnach. Die Beschwerdeführerin meint, es könnte Art. 43 Abs. 4 des bernischen Gesetzes über die Mittelschulen analog angewendet werden, nach welcher Vorschrift bei allen Disziplinaruntersuchungen der betreffende Schüler und seine Eltern rechtzeitig Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten sollen. Es steht aber dahin, ob die Regel ihrem Sinn nach auch für ein Disziplinarverfahren der Kunstgewerbeschule gilt, und im übrigen ist sie zu unbestimmt gefasst, als dass sie an sich den Gehörsanspruch hinlänglich sicherstellen würde.
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3. Bei dieser Rechtslage greifen die unmittelbar aus Art. 4 BV fliessenden Verfahrensregeln ein, die dem Bürger von Bundesrechts wegen in allen Streitsachen ein bestimmtes Mindestmass an Verteidigungsrechten sichern. Der Anspruch auf rechtliches Gehör geht im Verwaltungsverfahren nicht unbedingt so weit wie im Zivil- und Strafprozess. Diese Einschränkung gilt aber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts dann nicht, wenn das Verwaltungsverfahren eine Strafe oder einen schweren Eingriff in die persönliche Rechtssphäre zum Gegenstand hat. Die disziplinarische Entlassung eines Schülers aus einer öffentlichen Schule hat Strafcharakter. Der disziplinarische Ausschluss der Beschwerdeführerin hatte auch sonst weittragende und einschneidende Wirkungen, besonders wenn in Rechnung gestellt wird, dass Christiane X. kurz vor dem Schlussexamen stand, als sie aus der Schule ausgeschlossen wurde. In einem solchen Fall musste die Beschwerdeführerin Gelegenheit erhalten, ihre Einwendungen gegen die Gründe, aus denen die disziplinarische Entlassung erwogen wurde, der Behörde vorzubringen, bevor diese die Massnahme anordnete (BGE 87 I 339 /40).
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Der unmittelbar aus Art. 4 BV folgende Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst freilich nicht das Recht, sich vor der Behörde, die den Entscheid fällt, mündlich zu äussern (BGE 96 I 312 E. 2). Christiane X. kann sich demnach nicht darüber beklagen, dass ihr keine Gelegenheit gegeben wurde, sich gegen die erhobenen Vorwürfe vor der Aufsichtskommission mündlich zu verteidigen. Sie hätte indessen die Möglichkeit erhalten BGE 98 Ia, 129 (133)müssen, in anderer Weise zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Bevor die Lehrerkonferenz am 28. September 1971 beschloss, der Aufsichtskommission den Ausschluss der Beschwerdeführerin zu beantragen, wurde dieser keine Gelegenheit zur Verteidigung gegeben. Mit Rücksicht auf die Schwere der beantragten Massnahme wäre es durchaus geboten gewesen, ihr diese Möglichkeit einzuräumen. Dieser Mangel hätte indessen nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dadurch geheilt werden können, dass der Beschwerdeführerin durch die Aufsichtskommission Gelegenheit gegeben worden wäre, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen (vgl. BGE 96 I 188). Allein auch das wurde unterlassen. Weder wurde der Beschwerdeführerin Gelegenheit gegeben, sich mit einer Verteidigungsschrift an die Kommission zu wenden, noch konnte sie sich mündlich vor dieser äussern. Es wurde ihr somit klarerweise das rechtliche Gehör verweigert.
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Die Beschwerdeführerin hatte allerdings Gelegenheit, bei der Besprechung mit dem Direktor und dem Vizedirektor des Technikums, die am 1. November 1971 stattfand, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Diese Besprechung fand statt, nachdem die Lehrerkonferenz bereits beschlossen hatte, den Ausschluss aus der Schule zu beantragen. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör wäre mit dieser Besprechung allenfalls Genüge getan worden, wenn man annähme, die genannten Vertreter der Schulleitung hätten die Beschwerdeführerin am 1. November 1971 als eine Art Instruktionsdelegation der Aufsichtskommission angehört. Es ist aber weder behauptet noch dargetan, dass der Direktor und der Vizedirektor des Technikums einen solchen Auftrag von der Kommission erhalten hätten. Selbst wenn sie in deren Auftrag gehandelt hätten, wäre mit der Besprechung vom 1. November 1971 der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht in genügender Weise gewahrt worden. In einem Disziplinarverfahren, in dem ähnliche Grundsätze gelten wie in einem Strafprozess, hätte das Ergebnis des Instruktionsverfahrens, d.h. der Besprechung vom 1. November, zuhanden der Aufsichtskommission aktenmässig festgehalten und der Beschwerdeführerin Gelegenheit gegeben werden müssen, zuhanden der Kommission dazu Stellung zu nehmen (TINNER, Das rechtliche Gehör, ZSR 83 II, 1964, S. 345/6; vgl. BGE 96 I 21 ff.). So wurde im zu beurteilenden Fall nicht verfahren. Christiane X. wurde in der Besprechung BGE 98 Ia, 129 (134)vom 1. November formlos zu den Vorwürfen befragt. Es ist nicht behauptet, dass ihre zur Verteidigung vorgebrachten Äusserungen schriftlich festgehalten worden wären, und wenn es geschehen wäre, so konnte Christiane X. auf jeden Fall zu dem Protokoll nicht Stellung nehmen. Die Aufsichtskommission war bei dieser Sachlage nicht darüber informiert, was Christiane X. gegen die Vorwürfe vorzubringen hatte, es sei denn durch die mündliche Orientierung des Vizedirektors des Technikums, von der nicht feststeht, wie sie gegeben wurde. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wurde der Beschwerdeführerin vor dem für ihr berufliches Fortkommen bedeutsamen Entscheid demnach nicht in einer Weise gewährt, wie es nach Art. 4 BV erforderlich ist. Es lässt sich dagegen nicht einwenden, es habe der Beschwerdeführerin deshalb keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müssen, weil sie in der Besprechung vom 1. November 1971 die Vorwürfe nicht bestritten habe (vgl.BGE 76 I 181). In Frage stand vor allem auch das Mass der Disziplinwidrigkeit, und es steht fest, dass sich die Beschwerdeführerin in der Besprechung vom 1. November auf den Standpunkt stellte, sie habe nicht in gravierender Weise gegen die Schulordnung verstossen und nichts weiteres getan als andere Schüler auch, die nicht disziplinarisch bestraft worden seien. Bei dieser Sachlage kann nicht gesagt werden, die Beschwerdeführerin habe die Richtigkeit der Vorwürfe vorbehaltlos anerkannt, so dass es sich erübrigt hätte, ihr Gelegenheit zur Äusserung gegenüber der Aufsichtskommission zu geben.
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör, dem nach dem Gesagten nicht Genüge getan wurde, ist formeller Natur und setzt nicht den Nachweis eines materiellen Interesses voraus (BGE 96 I 22, 188 mit Hinweisen auf frühere Entscheide). Die Verletzung des Anspruchs führt bei auf Art. 4 BV gestützten Beschwerden zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides (BGE 96 I 188). Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und der Beschluss der Aufsichtskommission vom 9. November 1971 aufzuheben.
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4. Wie sich aus einer Eingabe der Beschwerdeführerin vom 3. April 1972 ergibt, hat sie im März 1972 das Schlussexamen an der Kantonalen Kunstgewerbeschule Biel bestanden und hierauf die Schule verlassen. Damit ist das besondere Gewaltverhältnis, das die Zuständigkeit der Aufsichtskommission zu BGE 98 Ia, 129 (135)Disziplinarmassnahmen gegen die Beschwerdeführerin begründete, dahingefallen, und das schliesst es nach der Rechtslehre aus, das gegen sie eingeleitete Disziplinarverfahren im Anschluss an das vorliegende Urteil des Bundesgerichts weiterzuführen (vgl. DUBACH, Das Disziplinarrecht der freien Berufe, ZSR 1951 S. 101 a; FLEINER-GIACOMETTI, Schweiz. Bundesstaatsrecht S. 691; GRISEL, Droit administratif suisse S. 269).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid der Aufsichtskommission des Kantonalen Technikums Biel vom 9. November 1971 aufgehoben.
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