BVerwGE 90, 359 (359): Die in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Satzungsautonomie verleiht den Gemeinden noch nicht die Befugnis, durch Satzung in das Grundrecht der Berufsfreiheit einzugreifen; (hier: Verbot von Einwegerzeugnissen und Verpflichtung zur Rücknahme von Abfällen für den Einzelhandel). Dazu bedarf es einer dem Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG genügenden Ermächtigung des staatlichen Gesetzgebers.
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Beschluß
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des 7. Senats vom 7. September 1992
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-- BVerwG 7 NB 2.92 --
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BVerwGE 90, 359 (360):
Die Antragstellerinnen betreiben in München Einzelhandelsgeschäfte. Sie wenden sich mit ihren Normenkontrollanträgen gegen verschiedene Bestimmungen der Satzung über die Entsorgung von Gewerbe- und Baustellenabfällen in der Landeshauptstadt München vom 26. September 1989 (MüABl. S. 397), zuletzt geändert am 5. Dezember 1990 (MüABl. S. 450). Die auf die Vermeidung von Abfällen zielenden Vorschriften regeln, soweit hier von Bedeutung, folgendes:
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-- Die Stadt kann unter bestimmten Voraussetzungen die gewerbliche Abgabe von Einwegerzeugnissen an den Endverbraucher verbieten oder einschränken (§ 3 Abs. 2 der Satzung);
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-- Gewerbebetriebe können verpflichtet werden, auf eigene Kosten ihren Kunden abfallwirtschaftliche Informationen der Stadt in den Verkaufsräumen bekanntzugeben (§ 3 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 der Satzung);
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-- Handelsbetriebe können verpflichtet werden, für die Rücknahme von Verpackungen und bestimmten Problemabfällen Sammelbehälter aufzustellen (§ 3 Abs. 9 der Satzung).
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Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollanträgen mit Beschluß vom 22. Januar 1992 (DVBl. 1992, 717 = DÖV 1992, 585) weitgehend stattgegeben und die angeführten Satzungsregelungen für nichtig erklärt. [ ... ]
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Gründe:
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Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht von einer Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht abgesehen. Der Normenkontrollsache kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 VwGO) nicht zu.
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Der Verwaltungsgerichtshof begründet die Nichtigkeit der Satzungsbestimmungen für alle drei in Rede stehenden Regelungsbereiche mit dem Fehlen einer Satzungsbefugnis; für das Einwegverbot (§ 3 Abs. 2 der Satzung) und für die Pflicht zur Rücknahme von Verpackungsabfällen (§ 3 Abs. 9 Satz 1 der Satzung) zusätzlich mit einem Verstoß gegen vorrangiges Bundesrecht (§ 14 AbfG). Wenn eine Normenkontrollentscheidung in je selbständig tragender Weise doppelt begründet ist, kann -- wie im BVerwGE 90, 359 (361):
Fall der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 132 Abs. 2 VwGO -- einer Nichtvorlagebeschwerde nur unter der Voraussetzung stattgegeben werden, daß die Vorlagepflicht für beide Begründungsteile verletzt worden ist (vgl. BVerwG, Beschluß vom 18. Dezember 1987 -- BVerwG 4 NB 4.87 -- Buchholz 406.11 § 155 b BBauG Nr. 10 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Mit der von der Beschwerde aufgeworfenen Problematik der Satzungsbefugnis sind Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht verbunden. Ob der Frage der Sperrwirkung des § 14 AbfG eine grundsätzliche Bedeutung zukommt, kann der beschließende Senat deshalb offenlassen.
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[ Nicht amtlich publizierter Entscheidungstext: Der Verwaltungsgerichtshof hat unter drei Gesichtspunkten die Befugnis der Antragsgegnerin zum Erlaß der umstrittenen Satzungsbestimmungen geprüft und verneint: Die in Art. 3 Abs. 3 des seinerzeit geltenden Bayerischen Abfallwirtschaftsgesetzes vom 28. Juni 1990 (GVBl. S. 213) enthaltene Verpflichtung der entsorgungspflichtigen Körperschaften, in ihrem Zuständigkeitsbereich bei der Vermeidung von Abfall mitzuwirken, begründe für sich allein keine Rechtsetzungsbefugnis. Das allgemeine Recht zum Erlaß von Satzungen (Art. 23 Satz 1 BayGO) gestatte den Gemeinden jedenfalls dann nicht, ohne besondere Grundlage in Rechte ihrer Bürger einzugreifen, wenn nicht spezifisch örtliche, gerade nur diese Gemeinde betreffende Vorgänge geregelt würden; die von der Satzung geregelten Fragen der Abfallvermeidung stellten sich aber für alle anderen entsorgungspflichtigen Körperschaften in nahezu gleicher Weise. Schließlich könnten die Gemeinden aufgrund der Befugnis, die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen zu regeln (Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 BayGO), Bestimmungen nur über solche Vorgänge erlassen, die im weitesten Sinn als Benutzung gelten könnten, nicht aber über das Vorfeld der Benutzung; Vorschriften zur Vermeidung von Abfällen regelten gerade nicht die Benutzung von Einrichtungen der Abfallentsorgung.
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Die Beschwerde verkennt nicht, daß sich der Verwaltungsgerichtshof mit diesen Erwägungen allein auf landesrechtliche Normen gestützt hat, die wegen fehlender Revisibilität nicht Gegenstand einer Vorlage nach § 47 Abs. 5 VwGO sein können. Sie stellt aber einen bundesrechtlichen Bezug durch die Frage her, ob sich eine Rechtsetzungsbefugnis unmittelbar aus der Gewährleistung der gemeindlichen Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG herleiten lasse. Die Entsorgung von Abfällen sei eine Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinden und könne daher aufgrund der von der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie umfaßten Satzungsautonomie auch ohne spezialgesetzliche Ermächtigung Gegenstand von Satzungsregelungen sein. Dieses Vorbringen führt indes nicht auf eine höchstrichterlich noch klärungsbedürftige Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Die von der Beschwerde angesprochenen Fragen sind vielmehr durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts bereits hinreichend geklärt. ... ]
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Die Rechtsetzungshoheit der Gemeinden in Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gehört zum Garantiebereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 21, 54 (62 f.); 32, 346 (361); 52, 95 (117); BVerwGE 6, 247 (252)). Ob Regelungen über das Verbot von Einwegerzeugnissen in Einzelhandelsgeschäften und über Rücknahmepflichten für bestimmte Abfälle noch zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gehören, ist fraglich, mag aber hier zugunsten der Antragsgegnerin unterstellt werden. Der vorliegende Fall nötigt auch nicht dazu, sich näher mit der Frage auseinanderzusetzen, ob und inwieweit die Satzungstätigkeit der Gemeinden dem allgemeinen Parlamentsvorbehalt unterliegt. Bemerkt sei in diesem BVerwGE 90, 359 (362):
Zusammenhang nur, daß diese Frage sich -- entgegen der von der Beschwerde vertretenen Auffassung -- nicht mit dem Hinweis lösen läßt, daß die Gemeinde im Rahmen ihrer Satzungsautonomie als Legislative, und nicht als Exekutive tätig werde. Die Gemeindevertretung ist kein Parlament, sondern Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft (vgl. BVerfGE 78, 344 (348)); damit ist die Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinden trotz eines gewissen legislatorischen Charakters im System der staatlichen Gewaltenteilung dem Bereich der Verwaltung und nicht dem der Gesetzgebung zuzuordnen (vgl. BVerfGE 65, 283 (289)). Dem braucht jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden. Denn im vorliegenden Fall geht es allein um die Frage, ob der durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG aufgestellte spezielle Gesetzesvorbehalt für Regelungen, die die Berufsfreiheit beschränken, auch für Eingriffe durch oder aufgrund von gemeindlichen Satzungen gilt. Diese Frage ist zu bejahen, ohne daß es dafür erst einer Entscheidung im Vorlageverfahren nach § 47 Abs. 5 VwGO bedürfte.
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Die umstrittenen Satzungsregelungen ermächtigen die Antragsgegnerin zu Anordnungen, die die Berufsausübung von Einzelhändlern einschränken und damit in die Grundrechte der Antragstellerinnen aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreifen. Schutzgut des Art. 12 Abs. 1 GG ist auch die Erwerbszwecken dienende freie unternehmerische Betätigung. Ein Verbot, in den betroffenen Einzelhandelsgeschäften Einwegerzeugnisse zu verwenden, beschneidet diese Freiheit nicht unerheblich. Das gleiche gilt für die Pflicht zur Rücknahme von Verpackungsabfällen und sogenannten Problemabfällen. Auch die Verpflichtung, auf eigene Kosten abfallwirtschaftliche Hinweise der Stadt an die Kunden in den Verkaufsräumen anzubringen, hat trotz ihrer geringeren Eingriffsintensität einen berufsregelnden Inhalt. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG erlaubt Eingriffe in die Berufsfreiheit nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung, die Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen läßt. Dabei muß der Gesetzgeber selbst alle wesentlichen Entscheidungen treffen, soweit sie gesetzlicher Regelung zugänglich sind (vgl. BVerfGE 73, 280 (295); 80, 1 (20); 82, 209 (224)).
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Allerdings gebietet Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG nicht, daß Einschränkungen der Berufsfreiheit stets unmittelbar durch den staatlichen Gesetzgeber oder durch die von ihm ermächtigte staatliche Exekutive angeordnet werden BVerwGE 90, 359 (363):
müssen (vgl. BVerfGE 33, 125 (155 ff.); 71, 162 (172) m.w.N.; 76, 171 (184 f.)). Vielmehr sind solche Regelungen innerhalb bestimmter Grenzen auch in Gestalt von Satzungen zulässig, die von einer mit Autonomie ausgestatteten Körperschaft erlassen werden. Ob und in welchem Umfang diese auf die satzungsrechtliche Tätigkeit im Bereich der funktionellen Selbstverwaltung, insbesondere der berufsständischen Organisationen, bezogene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch für den Bereich der gemeindlichen Selbstverwaltung bedeutsam ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn selbst wenn man insoweit die gemeindliche Selbstverwaltung der funktionellen Selbstverwaltung gleichstellen wollte, ist jedenfalls verfassungsrechtlich unverzichtbar, daß eine hinreichende, vom parlamentarischen Gesetzgeber geschaffene Ermächtigungsgrundlage vorhanden ist, die dem Satzungsgeber die Befugnis eröffnet, in das Grundrecht der Berufsfreiheit einzugreifen. Dabei sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigung um so höher, je empfindlicher die freie berufliche Betätigung beeinträchtigt wird und je stärker die Interessen der Allgemeinheit von der Art und Weise der Tätigkeit berührt werden (vgl. BVerfGE 71, 162 (172) m.w.N.). Denn die grundlegende Entscheidung, ob und welche Gemeinschaftsinteressen so gewichtig sind, daß das Freiheitsrecht des einzelnen zurücktreten muß, fällt allein in den Verantwortungsbereich des staatlichen Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 33, 125 (158 f.); 76, 171 (184) m.w.N.). Der Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG soll sicherstellen, daß der Gesetzgeber dieser Verantwortung gerecht wird. Allein die Gewährleistung der gemeindlichen Satzungsautonomie in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG genügt deshalb als Ermächtigung ebensowenig wie die in Art. 23 Satz 1 BayGO eingeräumte, die verfassungsrechtliche Gewährleistung lediglich deklaratorisch wiederholende allgemeine Befugnis zum Erlaß von Satzungen.
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Eine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zum Erlaß der hier in Rede stehenden Satzungsbestimmungen ist auch sonst nicht vorhanden. Aus dem Landesrecht käme allenfalls die den Gemeinden durch Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 BayGO eingeräumte Befugnis in Betracht, die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen zu regeln. Nach der für den beschließenden Senat bindenden Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs sind aber Vorschriften über die Abfallvermeidung, die so weit im Vorfeld der öffentlichen BVerwGE 90, 359 (364):
Einrichtung "gemeindliche Abfallentsorgung" angesiedelt sind wie im vorliegenden Fall, nicht mehr als Regelung der "Benutzung" anzusehen und deshalb nicht durch die genannte Ermächtigung gedeckt. Ebenso fehlt eine spezielle bundesrechtliche Ermächtigung. Die von der Beschwerde angeführten Bestimmungen des § 3 Abs. 2 und 3 AbfG regeln lediglich die abfallrechtliche Pflichtenstellung der entsorgungspflichtigen Körperschaften des öffentlichen Rechts, sagen aber nichts darüber aus, ob diese Körperschaften im Wege von Satzungen in die Berufsfreiheit eingreifen dürfen. In Zusammenhang mit der in § 3 Abs. 1 AbfG geregelten Überlassungspflicht des Abfallbesitzers mag die nach Landesrecht zuständige Körperschaft des öffentlichen Rechts den Vorgang der Überlassung satzungsrechtlich näher regeln und in diesem Rahmen auch in die Berufsausübung eingreifen können; die hier streitigen Bestimmungen der von der Antragsgegnerin erlassenen Satzung betreffen jedoch nicht die Art und Weise, in der ihr als entsorgungspflichtiger Körperschaft Abfälle von den Abfallbesitzern zu überlassen sind.
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[ Nicht amtlich publizierter Entscheidungstext: Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG in Verbindung mit § 5 ZPO entsprechend. Gegenüber der Festsetzung des Verwaltungsgerichtshofs (100 000 DM je Antragstellerin) ist der Streitwert um ein Viertel auf 75 000 DM je Antragstellerin zu vermindern, weil die Beschwerde nur noch einen Teil der ursprünglich angegriffenen Satzungsbestimmungen betrifft. ]
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