BGE 41 II 356 - Konkurrenzfähigkeit
 


BGE 41 I 356 (356):

Urteil der II. Zivilabteilung
vom 27. Mai 1915
i.S. A.-G. für industrielle Finanzierungen, Beklagte,
und E.-G. Portland und Konsorten, Litisdenunziaten,
gegen Borner & Cie, Klägerin.
Vertrag über Ausserbetriebsetzung einer Fabrik zum Zwecke der Ausschaltung der bis dahin durch sie ausgeübten Konkurrenz. Versuch einer Anfechtung dieses Vertrages wegen "wesentlichen Irrtums", weil sich nachträglich ergibt, dass die Fabrik in Wirklichkeit (infolge einer nicht voraussehbaren, nicht zu verhindernden Naturerscheinung) gar nicht konkurrenzfähig gewesen wäre.
 
Sachverhalt
 
A.
Die Beklagte, wie auch die Litisdenunziatin No 1, hat sich die Beseitigung und Verhütung ungünstiger Konkurrenzverhältnisse auf dem Gebiete der schweiz. Zementindustrie zum Ziele gesetzt. Zu diesem Zwecke hatte die E.-G. Portland bereits einige Fabriken angekauft und ausser Betrieb gesetzt und die diesen Fabriken zugewiesenen "Kontingente," d.h. Anteile an der von ihr gestatteten Gesamtproduktion, andern Fabriken zukommen lassen, wodurch die von diesen andern Fabriken bis dahin ausgeübte Konkurrenz unschädlich gemacht werden konnte.
Im Jahre 1913 trat die E.-G. Portland mit der Klägerin behufs Ankaufs und Ausserbetriebsetzung ihrer Fabrik in Wallenstadt in Verhandlungen. Nachdem bereits der Entwurf eines "Verkaufsvertrages" vorgelegen hatte (wobei als Kaufobjekt die "sämtlichen in der Gemeinde Wallenstadt... gelegenen Liegenschaften, Gebäulichkeiten etc." genannt worden waren), kam am 23. Mai 1913 ein "Vetrag" zustande, der folgende hier in Betracht kommenden Bestimmungen enthielt:
    "§ 1. Herr Borner verpflichtet sich für die Dauer von acht Jahren vom Tage des Vertragsabschlusses an, bei Neugründungen weder direkt noch indirekt in der Schweiz an der Fabrikation von Zement oder anderen

    BGE 41 I 356 (357):

    hydraulischen Bindemitteln, ausgenommen hydraulischen Kalk, oder an der Einfuhr derselben sich weder finanziell zu beteiligen, noch persönlich zu betätigen. Im Fall Zuwiderhandelns erstattet Herr Borner die aus diesem Vertrage bereits ausgeführten Leistungen zurück und verfällt ausserdem in eine Konventionalstrafe von 1000 Fr. für jeden fabrizierten bezw. importierten Wagen.
    § 2. Vom 10. Mai a.c. an haben Ing. Borner & Cie ihre Kohlenbezüge und nach Verbrauch der Kohlenvorräte auch ihre Zementfabrikation gänzlich einzustellen...
    § 3. Als Entgelt für das unter §§ 1 und 2 vorbenannte Konkurrenzverbot verpflichtet sich die E.-G. Portland 2,000,000 Fr. zu bezahlen. Hiervon sind 1,000,000 Fr. sofort nach Eintragung der unter §§ 6 und 7 erwähnten Sicherheiten im Grundprotokoll bar zu bezahlen. Für den Rest übernimmt die E.-G. Portland die Bezahlung der vorhandenen Hypotheken mit mindestens 170,000 Fr. jährlicher Teilzahlung. Ing. Borner & Cie verpflichten sich, vor der Eintragung von den Hypothekargläubigern die Erklärung beizubringen, dass sie die Kapitalien bei einer jährlichen Abzahlung von total 170,000 Fr. nicht kündigen werden. Der Zins auf den durch die E.-G. Portland abzulösenden Hypotheken läuft für sie vom Tage der Eintragung der Sicherheiten an. Ing. Borner & Cie stehen dafür ein, dass die E.-G. Portland ineinander gerechnet höchstens 5% p.a. auf den zu übernehmenden Hypotheken zu entrichten haben wird. Die Verteilung der 170,000 Fr. bleibt Ing. Borner & Cie vorbehalten...
    § 6. Als Sicherheit für Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen der Firma Ing. Borner & Cie sowie des Ing. Adolf Borner wird zu Gunsten der E.-G. Portland oder einer von ihr zu bezeichnenden Drittperson bis spätestens 3 Monate nach Vertragsabschluss eine Grundpfandverschreibung in der Höhe von 1,000,000 Fr. errichtet.


    BGE 41 I 356 (358):

    § 7. Weiter wird der E.-G. Portland oder einer von ihr zu bezeichnenden Drittperson auf 10 Jahre ein Kaufsrecht eingeräumt mit Bezug auf sämtliche von der Firma Ing. Borner & Cie und Ad. Borner benutzten, in der Gemeinde Wallenstadt und Wallenstadtberg gelegenen Liegenschaften, Gebäulichkeiten, Wasserkraftanlagen, Maschinen und Maschinenreserveteile, Rohmaterialien, Emballagen, Verbrauchsgegenstände, Mobilien und überhaupt was direkt und indirekt zum Zement- und Kalkgeschäft gehört, sowie ihre Verträge mit der Ortsgemeinde Wallenstadt, die von letzterer verliehenen Grubenrechte, und, sofern noch bestehend, die Konzession für ein Verbindungsgeleise von der Seemühle bis zur S.B.B. Station Wallenstadt, und zwar zu dem Preise der im Augenblick der Geltendmachung des Kaufrechtes bestehenden Belastung der Liegenschaften und Zugehör laut beiliegendem Verzeichnis. Dieser Kaufpreis wird durch Uebernahme der genannten Restbelastung im Sinne von §§ 3 und 5 hiervor entrichtet...
    Das Kaufsrecht ist spätestens drei Monate nach Vetragsabschluss im Grundbuch einzutragen."
Am 23. Juni 1913 trat die E.-G. Portland ihre sämtlichen Rechte aus diesem Vertrag an die heutige Beklagte ab.
Nachdem die in §§ 6 und 7 des Vertrages vorgesehenen "Sicherheiten" im Grundprotokoll eingetragen waren, bezahlte die Beklagte der Klägerin die laut § 3 fällige erste Million. Ausserdem bezahlte sie ihr noch 300,000 Fr., deren die Klägerin bedurfte, um eine ihr unvorhergesehenerweise (infolge Liquidation des  gläubigerischen Geldinstituts) gekündigte Hypothek sofort zurückzahlen zu können. Ueber die Art und Weise der Anrechnung dieser 300,000 Fr. enthält die Korrespondenz keine bestimmten Angaben. Die E.-G. Portland verfügte damals infolge vorzeitiger Leistung von Beiträgen ihrer Mitglieder über mehr flüssiges Geld, als sie vorausgesehen

BGE 41 I 356 (359):

hatte. In der Folge stellte sich die Beklagte auf den Standpunkt, dass sie die 300,000 Fr. auf Rechnung der beiden ersten Annuitäten von je 170,000 Fr. gezahlt habe, also für das erste Jahr keine weitere Zahlung zu leisten und für das zweite nur noch 40,000 Fr. zu zahlen habe. Die Klägerin dagegen vertrat die Auffassung, dass durch jene Zahlung einfach die nach den vorgesehenen Eintragungen im Grundprotokoll fällig werdende Summe von einer Million auf 1,300,000 Fr. erhöht worden und an den Bestimmungen über die Annuitäten von je 170,000 Fr. nichts geändert worden sei.
Anfangs Februar 1914 zeigten sich an den Mauern der Fabrik Risse und am Gehänge hinter der Fabrik Spuren einer Bodenbewegung. Letztere wurde immer stärker, sodass nach der Ansicht der Sachverständigen die vollständige Zerstörung der Fabrik bevorsteht. Ein, zwar nur von der Klägerin eingeholtes, von der Vorinstanz jedoch als massgebend erklärtes geologisches Gutachten des Prof. Heim in Zürich enthält hierüber folgende Feststellungen:
    "Die Bewegung geht weiter. Von Woche zu Woche nimmt sie zu, das Hinausschieben wird stärker und auch in den bisher festen äusseren Teilen stellen sich die Verbiegungen und Zerreissungen ein. Es ist Ihnen schon seit mehreren Wochen zur Gewissheit geworden, dass die Fabrik unrettbar verloren ist und dass es nur noch gilt, unter genauer Kontrolle und mit grösster Umsicht die Maschinen daraus zu retten und abzutragen was noch brauchbar ist... Es handelt sich um eine einheitliche grosse, tiefgehende Bewegung eines Gebirgsstückes von ca. 500 m Breite, im Gefälle des Gehänges gemessen ca. 500 m Höhe, wahrscheinlich wenigstens 50 m Dicke... Wir haben es unzweifelhaft nicht mit einer Schuttbewegung, sondern mit einer Felsbewegung zu tun... Kann etwas gegen die Bewegung getan werden? Ich halte dafür: nein. Es handelt sich hier um einen Naturvorgang in Dimensionen und

    BGE 41 I 356 (360):

    Kräften, denen wir nicht gewachsen sind... Nach meiner Ueberzeugung kann nichts dagegen getan werden... Aber wäre sie vorauszusehen gewesen und ist damit ein Fehler begangen worden, dass man hieher gebaut hat...? Hätte man einen in der Spezialität der Bodenbewegungen erfahrenen und geübten Geologen vorher um sein Gutachten über die Baustelle der Zementfabrik angefragt, so würde er sicherlich folgenden Bescheid als Resultat seiner Begehung gegeben haben: 'Wir befinden uns hier in einer alten Abrissnische des Gehänges. Die stärkeren Bewegungen sind älter als der Wald. An einigen Stellen sind nach der Stellung der Bäume schwache Bewegungen noch einmal vor 50 bis 60 Jahren eingetreten, seither nicht mehr. Es scheint, dass die Bewegung fertig abgelaufen ist. Ob sie noch einmal doch wieder aufleben wird, ob nach wenigen, ob nach 100 oder 1000 Jahren, das kann nicht vorausgesehen werden. Vielleicht gar nie mehr.' Und man hätte doch hierher gebaut. Es ist absolut kein Grund anzugeben, warum die alte Bewegung im Februar 1914 und nicht 1910 oder in irgend einem andern Jahre eingetreten... Zusammenfassend ist also zu sagen: Eine uralte Felsbruchbewegung ist wieder einmal lebendig geworden. Sie ist sehr tiefgründig, sie ist eine Naturerscheinung ganz ausserhalb menschlicher Einwirkungsmöglichkeit. Menschen haben sie nicht verschuldet und auf unser Jahrhundert nicht voraussehen können, und Menschen können sie nicht aufhalten."
 
B.
Durch Urteil vom 15. Dezember 1914 hat das Handelsgericht des Kantons Zürich über folgende Streitfragen:
    "1. Beklagte haben den Vertrag vom Mai 1913 und sämtliche sich daraus ergebenden Verpflichtungen zu halten und anzuerkennen?
    2. Beklagte haben 170,000 Fr. Wert 30. Juni 1914 und gleiche Beträge Wert 30. Juni 1915, 16, 17 und 18 nebst 6% Zins von den Verfalltagen an zu bezahlen?


    BGE 41 I 356 (361):

    3. Beklagte haben 100,000 Fr. Schadenersatz zu leisten nebst Zins resp. nach richterlichem Ermessen, eventuell seien die Beklagten grundsätzlich zu Schadenersatz zu verurteilen?"
erkannt:
    "1. Die Beklagten haben den Vertrag vom 22. Mai 1913 und sämtliche sich daraus ergebenden Verpflichtungen zu halten und anzuerkennen.
    Sie haben der Klägerin 170,000 Fr. Wert 30. Juni 1914 nebst Verzugszins zu 5% seit 30. Juni 1914, sowie ferner je 170,000 Fr. Wert 30. Juni 1915, 30. Juni 1916, 30. Juni 1917 und den Rest von 20,000 Fr. Wert 30. Juni 1918 zu bezahlen."
Im übrigen wird auf die Klage nicht eingetreten.
Insoweit auf die Klage nicht eingetreten wurde, beruht der Entscheid auf prozessualen Gründen.
 
C.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung, mit dem Antrag auf Abweisung der Klage, eventuell Rückweisung der Sache zur Aktenvervollständigung.
Die Klägerin hat Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils beantragt. Die Litisdenunziaten 1 bis 3 haben das Berufungsbegehren unterstützt.
 
Auszug aus den Erwägungen:
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
Erwägung 1
Ob die Parteien wirklich, wie die Vorinstanz annimmt, lediglich aus "steuerrechtlichen" Gründen den ursprünglich vorgesehenen "Kaufvertrag" durch einen einfachen "Vertrag" mit Einräumung eines "Kaufsrechts" ersetzt haben, oder ob nicht vielmehr die schliesslich gewählte

BGE 41 I 356 (362):

Vertragsform auch dem wirklichen Vertragswillen besser entsprach -- weil es der Beklagten in erster Linie auf die Ausschaltung der Produktionstätigkeit der Klägerin ankam, der Erwerb der Fabrikliegenschaft und der übrigen Realitäten also eine nebensächliche Rolle spielte, -- kann dahingestellt bleiben. Auf alle Fälle verbietet sich nämlich die Annahme eines gültigen Immobiliarkaufs deshalb, weil der in Betracht kommende Vertrag nicht als "Kaufvertrag" verurkundet worden ist (da ja darin nur von der Bestellung eines "Kaufsrechts" die Rede ist). Zwar findet auch bei Verträgen, die der öffentlichen Beurkundung bedürfen, der von der Vorinstanz angewendete Grundsatz des Art. 18 OR Anwendung, wonach bei der Beurteilung eines Vertrages "der übereinstimmende wirkliche Wille" und nicht die aus Irrtum oder zum Zwecke der Simulation gewählte "unrichtige Bezeichnung oder Ausdrucksweise" ausschlaggebend ist. Allein die Folge eines allfälligen Widerspruchs zwischen dem aus den Umständen ersichtlichen wirklichen Willen der Kontrahenten einerseits und dem verurkundeten Willen anderseits kann niemals darin bestehen, dass für denjenigen Vertrag, der dem wirklichen Vertragswillen entsprechen würde, von dem Requisit der öffentlichen Beurkundung Umgang genommen wird, weil diese Form für jenen andern, dem wirklichen Willen der Kontrahenten nicht entsprechenden Vertrag gewahrt worden sei. Vielmehr müsste in einem solchen Falle das rechtsgültige Zustandekommen eines jeden der beiden Verträge verneint werden: des einen deshalb, weil er dem wirklichen Vertragswillen nicht entspricht, des andern deshalb, weil er nicht in der vom Gesetz verlangten Weise verurkundet wurde.
Als Kaufobjekt hätte allerdings, ausser der Liegenschaft, bezw. der darauf stehenden Fabrik, auch das sogenannte Kontingent der Klägerin, d.h. das ihr von der Produzentengenossenschaft "E.-G. Portland" zuerkannte Recht auf eine bestimmte Jahresproduktion, in

BGE 41 I 356 (363):

Betracht kommen können. Allein dieses Recht wollte die Beklagte nach ihrer eigenen Darstellung nicht zu dem Zwecke erwerben, um an Stelle der Klägerin deren Fabrik weiterzubetreiben, sondern bloss zu dem Zwecke, um es auf eine andere Fabrik übertragen zu können. Dass aber das bis dahin der Klägerin zugestandene "Kontingent" deshalb, weil die Klägerin infolge der Felsverschiebungen vielleicht in Zukunft nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die betreffende Quantität Zement selber zu produzieren, nunmehr auch von einem andern Fabrikanten nicht, oder nicht in demselben Masse werde ausgeübt werden können, hat die Beklagte nicht behauptet. Was sie geltend macht, ist vielmehr nur, dass sie für die Fabrik und das "Kontingent" der Klägerin, sowie das dem Ing. Borner auferlegte Konkurrenzverbot, nicht eine Summe von zwei Millionen ausgelegt haben würde, wenn sie gewusst hätte, dass die Klägerin infolge eines Naturereignisses sowieso in ihrer Konkurrenzfähigkeit stark beeinträchtigt und also nicht in der Lage sei, für die Ausserbetriebsetzung ihrer Fabrik und für die Auferlegung eines Konkurrenzverbotes eine Entschädigung in jener Höhe zu beanspruchen. Nach der eigenen Darstellung der Beklagten handelt es sich somit im vorliegenden Falle nicht um einen solchen Mangel der "Kaufsache", welcher deren "Tauglichkeit zu dem vorausgesetzten (d.h. vom Käufer beabsichtigten) Gebrauche aufhebt oder erheblich mindert", sondern bloss um einen solchen Mangel, der dem "Verkäufer" den Gebrauch der "Kaufsache" erschwert haben und den daher die Kontrahenten bei der Preisbestimmung berücksichtigt haben würden, wenn er zur Zeit des Vertragsabschlusses bekannt gewesen wäre. Auch aus diesem materiellen Grunde und ganz abgesehen von der mangelnden öffentlichen Beurkundung des angeblichen Kaufvertrages kann somit von einer Anwendung der Grundsätze über "Gewährleistung wegen Mängel der Kaufsache" (Art. 197 ff. OR) im vorliegenden Fall keine

BGE 41 I 356 (364):

Rede sein, sondern es fragt sich nur, ob der Vertrag wegen wesentlichen Irrtums oder absichtlicher Täuschung im Sinne der Art. 24 und 28 für die Beklagte unverbindlich sei.
 
Erwägung 2
2. Was zunächst die Frage nach dem Vorhandensein eines wesentlichen Irrtums betrifft, so erscheint als "wesentlich" im Sinne des Gesetzes nicht ein jeder Irrtum, der beim Vertragsabschluss eine wesentliche Rolle gespielt hat. Einerseits nämlich ergibt sich aus Art. 24 alt und 28 neu OR, dass auch ein auf absichtlicher Täuschung beruhender Irrtum, durch welchen der Getäuschte "zu dem Vetragsabschlusse verleitet" wurde -- also gewiss ein im gewöhnlichen Sinne des Wortes wesentlicher Irrtum -- nicht schon deshalb als ein "wesentlicher" Irrtum im Sinne des Gesetzes zu betrachten ist; anderseits erklären Art. 21 alt und 24 Abs. 2 neu OR kategorisch einen jeden "Irrtum im Beweggrunde" als "nicht wesentlich". Bei der Bestimmung dessen, was das Gesetz unter einem "wesentlichen" Irrtum verstehe, muss daher von der in Art. 19 Abs. 1 alt und 24 Abs. 1 neu OR enthaltenen Aufzählung ausgegangen werden. Will diese Aufzählung auch nicht limitativ sein -- was sich aus den Worten "insbesondere" und "namentlich" im Ingresse ergibt, -- so zeigt sie doch, dass nur ein solcher Irrtum als "wesentlich" anerkannt werden wollte, der sich auf die von dem einen oder dem andern Kontrahenten gemachte oder versprochene Leistung, sowie auf deren Wert für den irrenden Teil bezog; nicht aber wollte dadurch ein Rechtsgeschäft unverbindlich erklärt werden, bei welchem der eine Kontrahent sich lediglich, wie hier, über den Wert, den die Leistung seines Vertragsgegners für diesen haben mochte, geirrt und infolgedessen bei der Bestimmung des Umfangs seiner Leistung die Lage seines Gegenkontrahenten nicht so ausgenutzt hat, wie es sonst vielleicht der Fall gewesen wäre. Ein Irrtum dieser  Art, so gross auch der Einfluss sein mag, den

BGE 41 I 356 (365):

er auf den Willensentschluss des Irrenden, insbesondere auf die Höhe seiner Gegenleistung ausgeübt haben mag, erscheint nicht als ein "wesentlicher Irrtum" im Sinne des Gesetzes, sondern als ein typischer Fall des "Irrtums im Beweggrunde".
An diesem Resultate, über dessen Richtigkeit unter der Herrschaft des alten OR keine Zweifel möglich gewesen wären, ändert auch der Umstand nichts, dass bei der Revision vom Jahre 1911 die Ziff. 3 des alten Art. 19 fallen gelassen und an deren Stelle, als Ziff. 4 des neuen Art. 24, eine auf den "Irrtum im Sachverhalt" bezügliche Bestimmung aufgenommen wurde. Gerade die bei diesem Anlass in den eidgenössischen Räten genannten Beispiele (Nat. Rat 1909 S. 475: "Echtheit einer Antiquität oder Unbescholtenheit einer angestellten Person"; Ständerat 1910 S. 163: "Echtheit eines gekauften Schmuckgegenstands, Zahlungsfähigkeit oder Moral des Gegenkontrahenten") lassen deutlich erkennen, dass auch unter dem "bestimmten Sachverhalt" des neuen Art. 24 Ziff. 4 nur solche Verhältnisse verstanden sind, durch welche der Wert einer Leistung für den irrenden Teil beeinflusst wurde, nicht auch solche Verhältnisse, welche lediglich den Wert betreffen, den die Leistung für den andern Teil haben mochte.
 
Erwägung 3
3. Hievon abgesehen ist das Vorhandensein eines rechtlich relevanten Irrtums im vorliegenden Falle namentlich auch deshalb zu verneinen, weil nach dem Gutachten des Prof. Heim, das von dem kantonalen Richter als massgebend erklärt worden und daher für das Bundesgericht verbindlich ist, die eingetretenen Felsverschiebungen im Zeitpunkte des Vertragsabschlusses nicht voraussehbar  waren. Ist auch zuzugeben, dass im gewöhnlichen Sprachgebrauch der Ausdruck "Irrtum" sich ebensowohl auf die Unkenntnis oder die falsche Vorstellung von zukünftigen, nicht voraussehbaren Tatsachen, wie auf diejenige von gegenwärtigen, vergangenen oder voraussehbaren beziehen kann, so handelt es sich

BGE 41 I 356 (366):

doch bei demjenigen "Irrtum", dem die Rechtsordnung einen Einfluss auf die Verbindlichkeit von Verträgen zuerkennt, grundsätzlich stets um einen solchen über gegenwärtige oder vergangene, oder doch voraussehbare zukünftige Tatsachen. Nur wenn und insoweit der Irrtum sich auf solche Tatsachen oder tatsächliche Verhältnisse bezieht, die dem Irrenden, wie auch seinem Vertragsgegner, allenfalls hätten bekannt sein können, entspricht dessen Berücksichtigung u.U. einem Gebote der Billigkeit; denn nur unter dieser Voraussetzung ist zu vermuten, dass die Kontrahenten, wenn der betreffende Punkt unter ihnen zur Sprache gekommen wäre, die Verbindlichkeit des Vertrages von der Richtigkeit ihrer bezüglichen Vorstellung abhängig gemacht haben würden, oder, wie es in Art. 24 Ziff. 4 neu OR heisst, dass sie den betreffenden "Sachverhalt" "nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachteten". Machten sich dagegen die Kontrahenten oder der eine von ihnen lediglich falsche Vorstellungen über zukünftige, nicht voraussehbare Tatsachen, d.h. schätzten sie das mit dem Abschluss oder dem Nichtabschluss des Vertrages verbundene Risiko, sowie die Gewinnchancen im einen oder andern Falle unrichtig ein, so trifft jene Vermutung nicht mehr zu; denn gerade in der Abschätzung der Gewinn- und Verlustchancen liegt das mit dem Abschluss eines jeden wichtigern Vertrages verbundene spekulative Element, bezüglich dessen in der Regel kein Kontrahent gegenüber dem andern Teil eine Garantie übernimmt. Die Anfechtung des Vertrages wegen eines "Grundlagenirrtums" im Sinne der Rechtserörterungen der Beklagten auch in derartigen Fällen zuzulassen, würde nicht nur keinem Gebot von "Treu und Glauben im Geschäftsverkehr" entsprechen, sondern im Gegenteil die Grundlagen des Rechtsverkehrs erschüttern, da in den meisten Fällen, in denen der Abschluss eines Vertrages sich nachträglich als für den einen Kontrahenten

BGE 41 I 356 (367):

in hohem Grade unvorteilhaft erwiesen hat, der Willensentschluss dieses Kontrahenten auf einen Irrtum über zukünftige, nicht voraussehbare Tatsachen zurückgeführt werden könnte.
 
Erwägung 4
4. Aus demselben Grunde, wie die Einrede des Irrtums, ist im vorliegenden Falle auch diejenige des Betrugs abzuweisen. Waren nämlich die eingetretenen Felsverschiebungen nicht voraussehbar, und kann deshalb von einem Irrtum über einen beidseitig als "notwendige Grundlage des Vertrags" betrachten, "bestimmten Sachverhalt" nicht gesprochen werden, so ist es a fortiori auch ausgeschlossen, dass die Beklagte von der Klägerin über diesen Sachverhalt getäuscht  werden konnte. Die ganze Begründung der Betrugseinrede beruht im vorliegenden Falle auf der Behauptung, dass die Klägerin, bezw. deren geschäftsführender Teilhaber Ing. Borner, die der Fabrik drohende Gefahr gekannt  und der E.-G. Portland absichtlich verschwiegen habe. Da nun aber nach dem massgebenden geologischen Gutachten  niemand, auch nicht ein mit der Untersuchung des betreffenden Geländes speziell beauftragter Sachverständiger, den Eintritt neuer Felsverschiebungen für die nächsten Jahrzehnte oder auch nur für dieses Jahrhundert hätte voraussagen können, so ist es insbesondere ausgeschlossen, dass Ing. Borner  jenen geologischen Prozess für die auf den Vertragsabschluss folgenden Jahre oder Jahrzehnte voraussehen konnte. War er aber nicht imstande, das eingetretene Naturereignis selber vorauszusehen, so konnte er es auch der E.-G. Portland nicht verheimlichen.
Insoweit endlich die Einrede des Betrugs noch speziell damit begründet wurde, dass die Klägerin der Beklagten eine in Wirklichkeit nicht mehr bestehende Konzession für ein Verbindungsgeleise Seemühle-Wallenstadt "mitverkauft" habe, genügt es, zu konstatieren, dass diese Konzession, die übrigens laut Vertrag bloss Gegenstand des der Beklagten in § 7 eingeräumten Kaufrechts

BGE 41 I 356 (368):

und auch sonst von untergeordneter Bedeutung war, ausdrücklich nur mit der Beifügung "sofern noch bestehend" erwähnt wurde, sowie dass die Beklagte, wie die Vorinstanz feststellt, von Ing. Borner über das bevorstehende Erlöschen der Konzession aufgeklärt worden war.
 
Erwägung 5
5. Was die Anrechnung der 300,000 Fr. betrifft, welche am 1. Juli 1913 von der Beklagten über die nach Vertrag fällige Million hinaus bezahlt wurden, so ist der Vorinstanz darin beizupflichten, dass die Beklagte für ihre Behauptung, die Zahlung sei auf Rechnung der im Vertrag vorgesehenen jährlichen Teilzahlungen von je 170,000 Fr. gegangen, beweispflichtig gewesen wäre. Nach dem Vertrag waren jene jährlichen Teilzahlungen dazu bestimmt, gemäss den Weisungen des Ing. Borner unter die Hypothekargläubiger der Klägerin verteilt zu werden, wodurch die sonst drohenden Kündigungen seitens der Gläubiger vermieden werden sollten. Wenn also die Beklagte sich etwa einen Monat nach Vertragsabschluss bereit erklärte, über die laut Vertrag fällige Summe hinaus noch die zur sofortigen gänzlichen Ablösung einer einzelnen Hypothek nötigen 300,000 Fr. zu zahlen, so durfte die Klägerin im Zweifel annehmen, dass dies auf die vorgesehenen Annuitäten von 170,000 Fr. ohne Einfluss sein solle. Durch die vorzeitig eingetretene Notwendigkeit der Abzahlung jener 300,000 Fr. wurde ja an der Notwendigkeit, die übrigen Hypotheken mit je 170,000 Fr. per Jahr zu amortisieren, nichts oder nur wenig geändert; die Klägerin aber war, wie die Beklagte wusste, nicht in der Lage, für zwei Jahresraten von je 170,000 Fr. oder wenig darunter von sich aus aufzukommen, zumal nachdem sie entsprechend der im Vertrag übernommenen Verpflichtung den Betrieb ihrer Fabrik eingestellt hatte. Wenn daher die Beklagte behauptet, dass es trotz dieser Sachlage und obgleich sie selber infolge vorzeitiger Einzahlungen seitens einzelner Genossenschafter über mehr flüssiges Geld verfügte, als sie voraus

BGE 41 I 356 (369):

gesehen hatte, ihre Absicht gewesen sei, die 300,000 Fr. nur auf Rechnung der beiden ersten Jahresraten von je 170,000 Fr. zu zahlen, so müsste sie beweisen, nicht nur dass dies wirklich ihre Absicht war, sondern auch, dass sie ihren bezüglichen Willen, den die Klägerin nach den Umständen nicht zu präsumieren brauchte, deutlich zu erkennen gegeben  habe. Dieser Beweis ist aber nicht geleistet.
 
Erwägung 6
 
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 15. Dezember 1915 bestätigt.