BGE 75 I 186 - Vormerkung des Gewinnanteilsrechtes |
29. Urteil der II. Zivilabteilung |
vom 19. Mai 1949 i.S. Kaspar gegen Aargau, Regierungsrat. |
Regeste: |
Grundbuch. Vormerkung des Gewinnanteilsrechtes der Miterben gemäss Art. 619 ZGB. Wirkungen. Voraussetzungen der Löschung vor Ablauf der im Grundbuch angegebenen Zeit. |
Sachverhalt: |
Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 1. Oktober 1948 verkauften Rudolf und Marie Kaspar-Bertschi in Oberkulm ihrem Sohne Emil Kaspar-Widmer sieben landwirtschaftliche Liegenschaften im Schatzungswerte von Fr. 27,420.- nebst landwirtschaftlichem Inventar zum Preise von Fr. 25,000.-. Die besondern Vertragsbestimmungen sehen u.a. vor, dass der Käufer seinen Eltern ein Wohnrecht einräumt und sich verpflichtet, für ihren notwendigen Lebensunterhalt unentgeltlich aufzukommen.
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Zu den Liegenschaften, die Rudolf Kaspar verkaufte, gehörte das 9,07 a messende Waldgrundstück Grundbuch Oberkulm Nr. 1512 im Schatzungswerte von Fr. 270.-. Rudolf Kaspar hatte dieses am 23. Februar 1946 aus der Erbschaft seines Vaters zu Fr. 360.- erworben. Dabei war im Grundbuch vorgemerkt worden "Gewinnanteil auf 10 Jahre zu Gunsten der Miterben des Rudolf Kaspar-Bertschi gemäss 619 ZGB. Verkehrswert Fr. 414.-". Im Vertrage vom 1. Oktober 1948 wird hiezu bemerkt, ein Gewinnanteil zu Gunsten der Miterben bestehe nicht, da Rudolf Kaspar das zu Fr. 360.- erworbene Grundstück unter der Schatzung von Fr. 270.- verkaufe; die Vormerkung werde daher zur Löschung angemeldet. |
Am 13. Oktober 1948 eröffnete das Grundbuchamt Kulm dem Urkundsbeamten, der den Eigentumsübergang, die Löschung des Gewinnanteilsrechts auf Nr. 1512, das Wohnrecht und die gemäss Vertrag vom 1. Oktober 1948 neu zu errichtenden Grundpfandrechte auf Grund von Art. 142 EGzZGB und Art. 963 Abs. 3 ZGB zur Eintragung ins Grundbuch angemeldet hatte, "die Anmeldung [...] betreffend die Eintragung eines Kaufvertrages zwischen Kaspar-Bertschi Rudolf und seinem Sohn Emil [...] auf Grundbuch Nr. 1512" habe abgewiesen werden müssen. "Grund: Auf diesem Grundstück ist ein Gewinnanteilsrecht gemäss Art. 619 ZGB vorgemerkt. Vor der Eintragung des Kaufes haben die Berechtigten schriftlich zur Löschung der Vormerkung einzuwilligen. Da der Kauf und Pfandvertrag noch andere Grundstücke umfasst, muss der ganze Vertrag bis zur Erledigung dieser Frage abgewiesen werden".
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Gegen diese Verfügung führte Rudolf Kaspar Beschwerde und nach deren Abweisung durch Entscheide der Justizdirektion und des Regierungsrates des Kantons Aargau Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, das Grundbuchamt sei anzuweisen, "den verurkundeten Kaufvertrag wie verfasst einzutragen".
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Der Regierungsrat beantragt Abweisung, das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Erwägungen: |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 |
1. Hat ein Erbe ein Grundstück unter dem Verkehrswert erhalten, so sind die Miterben gemäss Art. 619 ZGB berechtigt, beim Verkauf des Grundstücks oder eines Teils davon binnen der folgenden zehn Jahre einen verhältnismässigen Anteil am Gewinn zu beanspruchen, sofern dieser Anspruch bei der Teilung im Grundbuch vorgemerkt worden ist. (Bei Teilung nach dem 1. Januar 1947 besteht der Anspruch gemäss Art. 94 und 108 des auf den eben genannten Zeitpunkt in Kraft getretenen Bundesgesetzes über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen vom 12. Dezember 1940 für die Dauer von fünfzehn Jahren.) Die Vormerkung dieses Anspruches ist Vormerkung eines persönlichen Rechts im Sinne von Art. 959 ZGB. Die vormerkbaren persönlichen Rechte werden durch die Vormerkung nicht zu dinglichen Rechten, sondern erhalten dadurch lediglich eine verstärkte Wirkung in dem Sinne, dass sie nicht nur gegenüber dem ursprünglich Verpflichteten, sondern auch gegenüber Dritten geltend gemacht werden können, die später am betreffenden Grundstück Rechte erwerben (Art. 959 Abs. 2; vgl. BGE 44 II 366 betr. Vormerkung eines Vorkaufsrechtes). Beim Gewinnanteilsanspruch nach Art. 619 ZGB äussert sich diese Wirkung gegenüber dem Dritterwerber des Grundstückes darin, dass er den Miterben des Verkäufers gegebenenfalls für ihren Gewinnanteil persönlich haftbar wird und daher den Teil des Kaufpreises, der diesem Gewinnanteil entspricht, an die Miterben bezahlen oder allenfalls den ganzen Überschuss des Kaufpreises über den bei der Teilung festgesetzten Übernahmepreis (höchstens aber die Differenz zwischen Verkehrswert zur Zeit der Teilung und Übernahmepreis, Art. 619 Abs. 2 ZGB) gemäss Art. 96 in Verbindung mit Art. 92 OR gerichtlich hinterlegen muss, wenn die Miterben sich nicht damit einverstanden erklären, dass der ganze Kaufpreis an den Verkäufer bezahlt wird. Dagegen hat die Vormerkung des Gewinnanteilsanspruchs nicht zur Folge, "dass ohne Zustimmung der berechtigten Miterben keine Veräusserung der Liegenschaft eingetragen werden darf", wie SCHÖNBERG in der von der Vorinstanz zitierten Abhandlung (Die Grundbuchpraxis S. 193) annimmt. Eine so weitgehende Wirkung kommt in der Regel nicht einmal der Vormerkung einer Verfügungsbeschränkung zu (Art. 960 Abs. 2 ZGB). Der Umstand, dass auf dem Grundbuchblatt der Liegenschaft Nr. 1512 ein An spruch nach Art. 619 ZGB vorgemerkt ist, steht demnach der Eintragung des Eigentumsübergangs infolge Verkaufs dieser Liegenschaft nicht entgegen. |
Erwägung 2 |
Diesem Gesuch haben die kantonalen Instanzen mit Recht nicht ohne weiteres entsprochen. Zwar kann entgegen ihrer Auffassung keine Rede davon sein, dass der Anspruch aus Art. 619 "während der im Grundbuch angegebenen Frist bei jeder Handänderung geltend gemacht werden kann", sofern er nicht schon "bei einem frühem Verkaufe" geltend gemacht werden konnte. Unter dem "Verkaufe" (Einzahl), bei dem nach Art. 619 die "Miterben" einen "verhältnismässigen Anteil" (d.h. einen den Erbquoten entsprechenden Anteil) am Gewinn beanspruchen können, kann nur der Verkauf durch den Erben verstanden werden, der das Grundstück bei der Teilung unter dem Verkehrswert erhalten hat (Übernehmer). Abgesehen davon, dass diese Auslegung schon aus rein sprachlichen Gründen am nächsten liegt, spricht dafür der Umstand, dass eine Teilung des Verkaufsgewinns nach Massgabe der Erbquoten nur im Verhältnis zwischen den Miterben des Übernehmers und diesem selber, nicht auch im Verhältnis zwischen den Miterben des Übernehmers und einem spätern Erwerber des Grundstücks in Frage kommt. Die Besinnung auf den Zweck der Vorschrift führt zu keinem andern Ergebnis. Art. 619 ist das Gegenstück zu Art. 617 und 620 ff. ZGB und will den Miterben ein Mittel in die Hand geben, um sich dagegen zu sichern, dass der Übernehmer die Liegenschaften, die ihm unter dem Verkehrswert überlassen wurden, um ihm deren Bewirtschaftung unter tragbaren Bedingungen zu ermöglichen, nach verhältnismässig kurzer Zeit zu einem höhern Preis verkauft und den Gewinn für sich allein behält. Gewinne späterer Erwerber haben, wie das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement zutreffend bemerkt, keine Beziehung zur Erbschaft. Die Gefahr, dass der Anspruch der Miterben durch die Einschaltung von Strohmännern vereitelt werden könnte, ist im Hinblick auf die neuen Bestimmungen über die Weiterveräusserung landwirtschaftlicher Grundstücke (Art. 218, 218bis, 218ter OR) nicht mehr sehr gross (viel eher ist Falschbeurkundung des Kaufpreises zu befürchten) und bildet auf jeden Fall keinen genügenden Grund dafür, Art. 619 ZGB im Sinne der Vorinstanz auszulegen. Derartigen Machenschaften ist mit andern Mitteln zu begegnen (z.B. mit der Schadenersatzklage gemäss Art. 41 OR, die unter Umständen nicht bloss gegenüber dem Übernehmer, sondern auch gegenüber den andern an der Machenschaft Beteiligten Erfolg haben kann). Der Anspruch aus Art. 619 ZGB verwirklicht sich also entgegen der Annahme der Vorinstanz nur unter der Voraussetzung, dass der Übernehmer das Grundstück innert der Frist von 10 bezw. 15 Jahren mit Gewinn weiterverkauft. Verkauft es der Übernehmer dagegen ohne Gewinn, so fällt der Anspruch dahin, wie wenn bis zum Fristablauf überhaupt kein Verkauf stattfindet. Anders als beim Ablauf der in der Vormerkung angegebenen Frist (Art. 72 Abs. 1 GBV) darf jedoch bei Veräusserung des Grundstücks durch den Übernehmer während dieser Frist die Vormerkung nicht von Amtes wegen gelöscht werden, wie das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement annehmen möchte, und ebensowenig kommt in diesem Falle eine "Löschung auf einseitigen Antrag des Dritten im Zusammenhang mit der Anmeldung zur Handänderung" (Art. 976 Abs. 1 ZGB) in Frage. Die Miterben müssen sich die Löschung der Vormerkung bei einer solchen Veräusserung erst gefallen lassen, wenn sie den ihnen zukommenden Gewinnanteil erhalten haben, oder wenn feststeht, dass sich für den Übernehmer kein Gewinn ergeben hat. Ob eine dieser Voraussetzungen erfüllt sei, ist nicht so leicht und sicher feststellbar wie der Ablauf der Vormerkungsfrist oder beim vorgemerkten Vorkaufs-, Rückkaufs- oder Kaufsrecht die Tatsache, dass der Berechtigte Eigentümer des Grundstücks geworden ist (Art. 72 Abs. 2 GBV). (Gerade im vorliegenden Fall steht keineswegs unzweifelhaft fest, dass der Beschwerdeführer ohne Gewinn verkauft hat, wie er behauptet. Einmal ist der Kaufpreis für das Grundstück Nr. 1512 aus dem Gesamtpreis nicht ausgeschieden, und vor allem haben sich die Verkäufer ausser dem als Gesamtpreis angegebenen Betrage von Fr. 25,000.-- in Gestalt des Wohnrechts und des Lebensunterhalts noch erhebliche weitere Leistungen versprechen lassen.) Den Grundbuchbehörden kommt es daher nicht zu, über das Vorhandensein dieser Voraussetzungen zu entscheiden. Vielmehr darf das Grundbuchamt die Vormerkung des Anspruchs nach Art. 619 ZGB vor Ablauf der erwähnten Frist nur mit schriftlicher Bewilligung der Miterben oder mit Ermächtigung des Richters löschen (Art. 964 ZGB und Art. 61 Abs. 2 GBV in Verbindung mit Art. 70 GBV). Dem Grundbuchverwalter ist es unbenommen, durch Anfrage an die Miterben (denen gemäss Art. 969 Abs. 1 ZGB die Handänderung ohnehin anzuzeigen ist) oder durch Anrufung des Richters gemäss Art. 976 Abs. 3 ZGB die Initiative zu ergreifen. |
Deswegen, weil der Antrag auf Löschung der Vormerkung des Gewinnanteilsanspruchs nach Art. 619 ZGB abgewiesen werden musste, brauchten jedoch die übrigen auf Grund des Vertrages vom 1. Oktober 1948 erfolgten Anmeldungen entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht ebenfalls abgewiesen zu werden. Bei der Anmeldung wurde nicht bestimmt, dass die Eintragung des Eigentums, der Pfandrechte und des Wohnrechts nicht ohne die Löschung jener Vormerkung erfolgen solle (vgl. Art. 12 Abs. 2 GBV). Es lag im Gegenteil auf der Hand, dass die Vertragsparteien diese Eintragungen unabhängig davon herbeizuführen wünschten, ob sich zu gleicher Zeit auch die Löschung jener Vormerkung erreichen lasse oder nicht. Die Löschung der Vormerkung war für sie im Verhältnis zu den erwähnten Eintragungen unzweifelhaft von ganz untergeordneter Bedeutung, zumal da als Gewinn im Sinne von Art. 619 von vornherein kein höherer Betrag als Fr. 414.- - Fr. 360.- = Fr. 54.- in Frage kam. Den erwähnten Eintragungen steht daher nichts im Wege. |
Dispositiv |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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