BGE 39 I 407 - Hundemetzgerei
 


BGE 39 I 407 (407):

68. Urteil vom 24. September 1913 in Sachen Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen Kurth.
Lebensmittelpolizei. Verordnungsrecht des Bundesrates nach Art. 54 LPG. Umfang, in dem der Kassationshof bundesrätliche Verordnungen auf ihre Zulässigkeit nachprüfen kann. Der Ausschluss des Hundefleisches vom Verkehr (Art. 24 der Verordnung des Bundesrates betreffend das Schlachten, die Fleischschau u.s.w. vom 29. Januar 1909) ist nicht anfechtbar.
 
A.
Der Kassationsbeklagte Gottlieb Kurth betreibt in Gerlafingen eine Hundemetzgerei. Wegen Übertretung des Art. 24 der bundesrätlichen Verordnung betr. das Schlachten, die Fleischschau u.s.w. vom 29. Januar 1909 in Untersuchung gezogen, wurde er

BGE 39 I 407 (408):

vom Amtsgericht Bucheggberg-Kriegstetten durch Urteil vom 12. März 1913 freigesprochen, von der Erwägung ausgehend, daß die erwähnte Verordnungsbestimmung, soweit sie den Verkehr mit Hundefleisch verbietet, weil über das LPG hinausgehend, ungültig sei.
 
B.
Gegen dieses Urteil wurde von der Bundesanwaltschaft im Auftrag des Bundesrates die Kassationsbeschwerde ans Bundesgericht ergriffen. Die Anträge lauten:
    "1. Es sei das Urteil des Amtsgerichtes Bucheggberg-Kriegstetten wegen Verletzung eidgenössischer Rechtsvorschriften aufzuheben.
    2. Es sei der von Gottlieb Kurth betriebene Verkehr mit Hunde- und Katzenfleisch und mit daraus hergestellten Waren als Übertretung der Vorschriften der eidg. Lebensmittelpolizei zu qualifizieren.
    3. Die Sache sei an die Vorinstanz zurückzuweisen zu neuer Beurteilung in der Meinung, daß sie die der Kassation zu Grunde liegende rechtliche Beurteilung auch ihrem Entscheide zu Grunde zu legen habe. (Art. 172 OG)."
Zur Begründung dieser Anträge wird geltend gemacht, die Kompetenz des Bundesrates zum Erlaß des in Art. 24 der Verordnung über das Schlachten, die Fleischschau und den Verkehr mit Fleisch und Fleischwaren vom 29. Januar 1909 enthaltenen Verbotes gründe sich auf Art. 7 und 54 des BG über den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 8. Dezember 1905. Sodann verweist die Kassationsklägerin auf ein bei den Akten liegendes Schreiben des schweiz. Gesundheitsamtes vom 31. März 1913, in welchem als Hauptgründe, die zum Verbot des Verkehrs mit Hundefleisch geführt haben, genannt werden:
    "1. Die Tatsache, daß dasselbe nicht selten Trichinen enthält und dessen Genuß daher zu schweren Erkrankungen (Trichinose) Veranlassung geben kann;
    2. der Umstand, daß Hundefleisch allgemein -- wenigstens in unserm Lande -- als eklig angesehen und daher als Speise verschmäht wird. Schon der Gedanke, Hundefleisch essen zu sollen, verursacht bei vielen Leuten Übelkeit. Dies mag zum Teil auch daher rühren, daß das Hundefett weich, schmierig und ölig ist

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    und wie das Fleisch einen eigentümlichen widerlichen Geruch besitzt;
    3. die Gefahr, sich beim Schlachten von Hunden, die an sogenannter "stiller Wut", welche von Laien sehr oft nicht erkannt wird, leiden, oder die sich in den letzten Tagen des Inkubationsstadiums befinden, durch Speichel, Drüsensäfte oder Rückenmark zu infizieren;
    4. die Möglichkeit, daß an einer sonstigen Krankheit leidende Hunde geschlachtet und das von ihnen stammende ungesunde Fleisch in den Verkehr gebracht werden kann. Diese Gefahr ist umso größer, als Hunde nicht des Fleisches wegen und um geschlachtet zu werden gezüchtet werden, sondern zu ganz andern Zwecken, und infolgedessen in der Regel auch erst dann getötet werden, wenn sie durch irgend einen Umstand (Alter, Gebrechen, Krankheit ec.) die von ihnen geforderten Dienste nicht mehr leisten können."
Weiter wird in dem von der Kassationsklägerin angerufenen Schreiben des schweiz. Gesundheitsamtes ausgeführt, daß was vom Hundefleisch gesagt sei, in der Hauptsache auch vom Katzenfleisch gelte. Schließlich verweist die Bundesanwaltschaft noch darauf, daß Hunde- und Katzenfleisch sehr häufig in betrügerischer Absicht, jenes bald als Schweinefleisch, bald als Kalb- oder Schaffleisch, dieses als Hasenfleisch in den Verkehr gebracht oder zu bringen versucht werde.
 
C.
In seiner Beschwerdebeantwortung hat der Kassationsbeklagte auf Abweisung der Beschwerde geschlossen. Er beruft sich u.a. auf die Bescheinigungen von mehr als 400 Bewohnern von Gerlafingen und Umgebung, aus denen hervorgehen soll, daß der Genuß von Hundefleisch in jener Gegend ein sehr großer und dieses Fleisch ein gesundes Nahrungsmittel sei. Ebenso verweist er auf eine Erklärung der Mitglieder des Gemeinderates von Nieder-Gerlafingen, die bescheinigen, daß sie schon seit Jahren Hundefleisch genießen und es als billiges, nahrhaftes Fleisch zu schätzen wissen, so daß sie ungern auf dasselbe verzichten würden". Ferner macht der Kassationsbeklagte darauf aufmerksam, daß Hundefett ein von den Apotheken oft gehaltener und zu Heilzwecken viel verlangter Artikel sei.
 


BGE 39 I 407 (410):

Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Die Legitimation des Bundesrates zur Erhebung der Kassationsbeschwerde ist auf Grund von Art. 155 und 161 Abs. 1 OG in Verbindung mit dem Bundesratsbeschluß über die Mitteilung von kantonalen Entscheiden aus dem Gebiete der Lebensmittelpolizeigesetzgebung vom 24. Dezember 1912 gegeben. Die Kassationserklärung wurde bei der Regierung des Kantons Solothurn rechtzeitig eingelegt. Ebenso sind die Kassationsanträge und deren Begründung dem Kassationshof innert der in Art. 167 OG vorgesehenen Frist eingereicht worden. Da überdies ein Urteil vorliegt, gegen das im Sinne des Art. 162 OG der Kassationsklägerin nach der solothurnischen Gesetzgebung und deren Auslegung durch das Obergericht des Kantons Solothurn (in Sachen gegen Kurth vom 26. Oktober 1912) kein ordentliches Rechtsmittel zusteht, sind die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Kassationsbeschwerde erfüllt.
2. Art. 24 der bundesrätlichen Verordnung betreffend das Schlachten, die Fleischschau u.s.w. vom 29. Januar 1909 lautet: "Der Verkehr mit Hunde- (und Katzen-)Fleisch und mit daraus hergestellten Waren ist verboten." Diese Vorschrift hat der Kassationsbeklagte übertreten, indem er Hundefleisch, und zwar gewerbsmäßig, verkauft hat. Der Ausgang der Beschwerde hängt von der Frage ab, ob der Art. 24 den Charakter einer verbindlichen Rechtsnorm hat.
Zunächst kann kein Zweifel darüber bestehen, daß das Bundesgericht und speziell der Kassationshof Verordnungen des Bundesrates auf ihre Rechtmäßigkeit nachprüfen kann (vergl. BV Art. 113 Abs. 3; BGE 25 II 16; Burckhardt, Kommentar der BV S. 865 und die dortigen Zitate; Guhl, Bundesgesetz u.s.w. 105). Immerhin ist hiebei die Einschränkung zu machen, daß die Nachprüfung auf die rechtlichen Grundlagen zum Erlaß der Verordnung beschränkt ist; d.h. es kann nur untersucht werden, ob nach den in einem bestimmten Gesetze ausgesprochenen Grundsätzen der Gesetzgeber den Bundesrat zum Erlaß der im gegebenen Falle vorliegenden Verordnung ermächtigen wollte. Diese Untersuchung erstreckt sich aber nicht auf die Frage der Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit einer Verordnungsvorschrift, so lange


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diese sich in den der Verwaltungsbehörde durch das Gesetz gesteckten Grenzen hält. Das entspricht nicht nur allgemeinen verwaltungsrechtlichen Anschauungen über die richterliche Nachprüfung von Verordnungen (s. z.B. Nosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 280 ff.), sondern auch der Erwägung, daß die Untersuchung der Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit einer Verordnungsbestimmung in der Regel Fachkenntnisse voraussetzt, wie sie dem Kassationshof nicht zur Verfügung stehen. Auf diesem Gebiet kann dem Richter eine Kontrolle der Verwaltung nicht zukommen.
3. Art. 24 der Verordnung betreffend das Schlachten, die Fleischschau u.s.w. muß, um rechtmäßig zu sein, sich auf eine gesetzliche Ermächtigung stützen können. Eine solche kann zunächst kaum in dem von der Kassationsbeschwerde hiefür angerufenen Art. 7 letzter Absatz LPG gefunden werden, der nach seinem klaren Wortlaut ein Verordnungsrecht des Bundesrates betreffend Schlachten, Fleischschau und Untersuchung von Fleischwaren begründet, ein Verbot aber, gewisse Fleischarten in Verkehr zu bringen, nicht stützen kann. Dagegen ist eine hinlängliche Ermächtigung in Art. 54 Abs. 1 des Gesetzes zu finden. Hier ist dem Bundesrat die Befugnis erteilt, die nötigen Vorschriften zum Schutze der Gesundheit und zur Verhütung von Täuschung im Verkehr mit den Waren und Gegenständen, die den Vorschriften des Gesetzes unterliegen, zu erlassen. Aus der allgemeinen Fassung dieser Bestimmung muß geschlossen werden, daß der Bundesrat alles dasjenige anordnen kann, was zum Schutze der Gesundheit und zur Verhütung von Täuschungen als notwendig erscheint, daß also Art. 54 Abs. 1 dem Bundesrat eine generelle Ermächtigung erteilt, kraft welcher er nicht nur zur Aufstellung von Kontrollvorschriften befugt ist, sondern unter Umständen auch den Verkehr mit irgend einem Lebensmittel gänzlich verbieten kann. Eine einschränkende Interpretation der Bestimmung ist nicht daraus herzuleiten, daß eine Anzahl von solchen Verboten aus gesetzlichem Wege erlassen worden ist, z.B. Absinthverbot, Kunstweinverbot. Es mag ein politisches Postulat sein, daß so außerordentlich weitgreifende Maßnahmen, wie die erwähnten, im Wege der Gesetzgebung getroffen werden. Allein die formelle Kompetenz, durch Verordnung ein Lebensmittel zum Schutze der Gesundheit oder zur Verhütung von

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Täuschungen vom Verkehr auszuschließen, kann dem Bundesrat deshalb auf Grund des Art. 54 Abs. 1 nicht abgesprochen werden. Auch haben die Absätze 2 bis 5 des Art. 54, welche Inhalt und Zweck der bundesrätlichen Verordnungen näher präzisieren, dem ganzen Zusammenhange nach nicht erschöpfenden, sondern nur exemplifikatorischen Charakter; speziell aus Abs. 5, wonach der Bundesrat die Herstellung und den Verkauf von Mischungen natürlicher Lebensmittel mit Surrogaten untersagen kann, sofern die Täuschungsgefahr in keiner anderen Weise zu verhüten ist, kann nur geschlossen werden, daß er den Verkehr mit einem Lebensmittel bloß dann untersagen soll, wenn der Gesundheits- oder Täuschungsgefahr nicht in anderer Weise begegnet werden kann. Es ließe sich um so weniger rechtfertigen, dem Art. 54 Abs. 1 eine restriktive Bedeutung beizulegen, als sich aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergibt, daß dem Bundesrat weitgehende Verordnungskompetenzen eingeräumt werden sollten. Dies geht schon aus der Botschaft des Bundesrates vom 28. Februar 1899 hervor, worin (S. 6) vom Entwurfe des Bundesrates gesagt wird: "Derselbe ist so einfach und so kurz als möglich gefaßt; alle der Veränderung leicht zugänglichen Detailbestimmungen sind darin weggelassen und werden in Verordnungen Platz finden, welche den oft plötzlich wechselnden Verhältnissen ohne Schwierigkeit jeder Zeit angepaßt werden können, während die Revision eines Gesetzes stets eine umständliche Sache ist." Der gleiche Gedanke von der Schwierigkeit und Unzuträglichkeit, eine Materie, wie diejenige der Lebensmittelpolizei, auf dem Wege des Gesetzes zu ordnen, beherrschte dann auch die Beratungen in der Bundesversammlung, wo überdies noch die Frage, ob die vom Bundesrat zu erlassenden Verordnungen der Genehmigung der Bundesversammlung vorzulegen seien, erörtert und schließlich verneint wurde. Der Gesetzgeber wollte (vergl. stenographisches Bulletin 1899 S. 255 ff.[,] 1903 S. 420, 1904 S. 69 und 1905 S. 392) mit dem LPG gewissermaßen bloß die Grundlage, den Rahmen zur Ausübung der Lebensmittelpolizei legen; seinen eigentlichen nähern Inhalt dagegen sollte das Gesetz erst durch die Verordnungstätigkeit des Bundesrates erhalten.
4. Ist der Bundesrat nach dem Gesagten an sich kompetent,

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zum Schutze der Gesundheit und zur Verhütung von Täuschungen unter Umständen bis zum Verbot eines Lebensmittels im Verkehr zu gehen, so kann es sich für die Zulässigkeit des Art. 24 der Verordnung betreffend das Schlachten, die Fleischschau u.s.w. insoweit den Verkehr mit Hundefleisch verbietend, nur noch fragen, ob es zum Schutze der Gesundheit, welcher Gesichtspunkt hier speziell in Betracht kommt, notwendig war, das Hundefleisch vom Verkehr auszuschließen. Diese Frage der administrativen Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung entzieht sich jedoch nach der vorstehenden Bemerkung der Kognition des Kassationshofes. Das eidgenössische Gesundheitsamt bejaht in seinem Bericht die Frage mit Gründen, die vielleicht nicht schlechthin durchschlagend sind, denen aber jedenfalls ein wesentliches Gewicht nicht abgesprochen werden kann. Bedenken könnten sich etwa insofern ergeben, als es vielleicht möglich gewesen wäre, den aus dem Schlachten und dem Verkehr mit Hundefleisch sich ergebenden Gefahren für die Gesundheit durch geeignete Kontrollmaßnahmen zu begegnen. Allein dem Kassationshof würde auch die erforderliche Sachkunde abgehen, um diese Frage und die Frage der Notwendigkeit des Verbots überhaupt mit irgendwelcher Sicherheit zu beantworten.
Kann darnach die Rechtsgültigkeit des in Frage stehenden Verbots nicht verneint werden, so ist der Kassationsbeklagte vom Amtsgericht Bucheggberg-Kriegstetten zu Unrecht freigesprochen worden. Das angefochtene Urteil ist daher im Sinne des Art. 172 OG aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Demnach hat der Kassationshof
erkannt:
Die Kassationsbeschwerde wird gutgeheißen, das angefochtene Urteil des Amtsgerichtes Bucheggberg-Kriegstetten vom 12. März 1913 aufgehoben und die Sache im Sinne des Art. 172 OG an die Vorinstanz zurückgewiesen.