BGer 6B_1315/2017 |
BGer 6B_1315/2017 vom 06.12.2017 |
6B_1315/2017
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Urteil vom 6. Dezember 2017 |
Strafrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichter Oberholzer,
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Bundesrichterin Jametti,
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Gerichtsschreiber Briw.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________,
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handelnd durch X.A.________ und X.B.________, und diese vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Georg Kramer,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Jugendanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Spisergasse 22, 9001 St. Gallen,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Haft / vorsorgliche Unterbringung, rechtliches Gehör; Verfahrensgarantien,
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Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 4. Oktober 2017 (AK.2017.288+317-AK und AK.2017.289-AP).
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Sachverhalt: |
A. Die Jugendanwaltschaft erliess gegen X.________ (Jg. 2000) seit dem Jahr 2011 zahlreiche Strafbefehle, die jeweils auf Diebstahl, Tätlichkeiten, Sachbeschädigungen, Hausfriedensbruch, Raub, Fälschung von Ausweisen, strafbare Vorbereitungshandlungen zu Raub sowie Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittel- und das Waffengesetz zurückgingen. Die Jugendanwaltschaft verfügte im Rahmen dieser Strafbefehle verschiedene Massnahmen, die von persönlicher Betreuung und ambulanter Behandlung (teils mit Electronic Monitoring [EM]), über geschlossene Unterbringungen bis hin zu jugendstrafprozessualer Untersuchungshaft sowie Freiheitsentzug (geschlossen und in Halbgefangenschaft) reichten.
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Dr. med. A.________ stellte in einem forensisch-psychiatrisches Gutachten vom 16. April 2015 fest, X.________ entwickle sich eindeutig in Richtung einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und narzisstischen Anteilen, wobei er für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung noch zu jung sei. Er diagnostizierte eine Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen und oppositionellem aufsässigem Verhalten (ICD-10: F91.3, ICD-10: F91.2). X.________ erfülle zudem klar die Kriterien der "Psychopathy" der Psychopathy-Checkliste Youth Version (PCL-YV), was prognostisch sehr ungünstig sei und mit einer polytropen Kriminalität einhergehe. Die therapeutischen Möglichkeiten seien begrenzt. Es sei enorm wichtig, dass ihm bewusst sei, dass bei neuerlichen Gesetzesverstössen die geschlossene Unterbringung drohe. Bei dieser Ausgangslage sei der Schutz der Gesellschaft höher zu gewichten als Therapie und Ausbildung, deren Erfolg ohnehin sehr fraglich sei.
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Die Jugendanwaltschaft bestrafte ihn am 7. Februar 2017 mit 3 Monaten Freiheitsentzug, wovon 24 Tage zu vollziehen waren. Er befand sich vom 2. bis 17. März 2017 in Halbgefangenschaft im Sicherheitszimmer eines Jugendheims, wobei er gleichzeitig eine Lehre weiterführte. Wegen zahlreicher Verstösse gegen das Vollzugsregime wurde er vom 17. bis 26. März 2017 in die Jugendabteilung eines Gefängnisses versetzt, im Anschluss an den Vollzug vorsorglich untergebracht und in der Folge unter Auflagen mit EM ins Elternhaus entlassen. Er hielt sich nicht an die vereinbarten Rahmenbedingungen und wurde per 30. Mai 2017 aus der vorsorglichen Unterbringung entlassen. Das EM wurde entfernt, und er nahm seine Tagesstruktur im Rahmen der Schutzmassnahmen der persönlichen Betreuung und der ambulanten Behandlung wieder auf. Er besuchte weiterhin die Lehre und wurde sozialpädagogisch und schulisch begleitet (Verfügung der Jugendanwaltschaft vom 25. August 2017).
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B. X.________ geriet in Verdacht, mit Komplizen am 16. Juni 2017 mit Sturmhaube maskiert und Zeltstangen bewaffnet eine Person in seiner Wohnung überfallen und ausgeraubt zu haben. Er erstattete am 20. Juni 2017 eine Selbstanzeige.
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Zum anschliessenden Verfahren hielt das Zwangsmassnahmengericht (Kreisgericht St. Gallen, Regionaler Zwangsmassnahmenrichter) in seinem Entscheid vom 11. September 2017 fest: X.________ wurde am 23. August 2017 festgenommen und am 24. August 2017 von der Jugendanwaltschaft wegen Kollusionsgefahr gemäss Art. 26 Abs. 1 lit. b JStPO in Untersuchungshaft versetzt. Am 25. August 2017 wurde er von der Jugendanwaltschaft vorsorglich geschlossen untergebracht (Art. 15 Abs. 2 i.V.m. Art. 5 JStG).
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Sein Verteidiger reichte am 1. September 2017 eine Beschwerde bei der Anklagekammer und ein Haftentlassungsgesuch bei der Jugendanwaltschaft ein. Diese überwies das Gesuch an das Zwangsmassnahmengericht. Am 7. September 2017 nahm der Verteidiger schriftlich vor dem Zwangsmassnahmengericht Stellung und erklärte, auf eine mündlichen Haftverhandlung werde verzichtet.
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Das Zwangsmassnahmengericht führte in seinem Nichteintretensentscheid vom 11. September 2017 aus, der Verteidiger bringe unter Hinweis auf Urteil 1B_437/2011 vom 14. September 2011 vor, bei der am 25. August 2017 angeordneten vorsorglichen Unterbringung handle es sich um strafprozessuale Haft im Rahmen des vorsorglichen Vollzugs einer jugendstrafrechtlichen Schutzmassnahme; bei der Jugend-Untersuchungshaft dürften die Verfahrensbestimmungen und grundrechtlichen Garantien nicht faktisch unterlaufen werden.
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Das Zwangsmassnahmengericht nahm an, es sei für die vorübergehende Unterbringung aufgrund klarer gesetzlicher Regelung nicht zuständig, sondern nur für Beschwerden gegen die Anordnung der Untersuchungshaft durch die Jugendanwaltschaft (Art. 39 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 lit. d JStPO), für die Verlängerung der Untersuchungshaft (Art. 27 Abs. 2 und 3 JStPO) sowie für Gesuche um Entlassung aus der Untersuchungs- und Sicherheitshaft (Art. 27 Abs. 4 JStPO).
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Vorsorgliche Anordnungen von Schutzmassnahmen (und damit von vorsorglichen geschlossenen Unterbringungen) seien gemäss Art. 39 Abs. 2 lit. a i.V.m. Abs. 3 JStPO mittels Beschwerde durch die Beschwerdeinstanz überprüfen zu lassen. Dabei sei hinzunehmen, dass das Verfahren länger dauern könne. Das Bundesgericht habe sich im Urteil 1B_437/2011 nicht auf die Rechtsmittelzuständigkeit bezogen, sondern darauf, dass den grundrechtlichen Garantien Rechnung zu tragen sei (Art. 27 Abs. 1 JStPO; Art. 31 Abs. 4 und Art. 32 Abs. 1 BV); es habe darauf hingewiesen, dass die Jugend-Untersuchungshaft nach spätestens einem Monat überprüft bzw. erneut verlängert werden müsse (Art. 27 Abs. 3 JStPO i.V.m. Art. 227 StPO). Es habe die provisorische und zeitlich beschränkte Unterbringung in einem Jugendgefängnis als vorübergehende Notlösung bis zum Freiwerden eines besseren Platzes nicht als bundesrechtswidrig beurteilt. Der Gesetzgeber habe das Vorgehen zur Aufhebung der (rechtskräftigen) laufenden vorsorglichen Unterbringung nicht geregelt. Nach herrschender Meinung sei die Beschwerdeinstanz zuständig, wenn die Jungendanwaltschaft einem Entlassungsgesuch nicht nachkommen wolle. Auch bei laufender Untersuchung habe eine vorsorgliche Unterbringung stets der Untersuchungshaft vorzugehen (Art. 27 Abs. 1 JStPO).
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C. X.________ erhob gegen den Nichteintretensentscheid des Zwangsmassnahmengerichts am 14. September 2017 bei der Anklagekammer Beschwerde. In der am 1. September 2017 gegen die vorsorgliche Unterbringung geführten Beschwerde beantragte er die Entlassung.
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Die Anklagekammer des Kantons St. Gallen vereinigte am 4. Oktober 2017 beide Beschwerdeverfahren, wies die Beschwerden ab (Dispositiv Ziff. 2) und auferlegte eine Entscheidgebühr von Fr. 2'000.-- X.________ unter solidarischer Haftbarkeit mit seinen Eltern (Ziff. 4).
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D. X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, (1) den Entscheid der Anklagekammer in den Ziff. 2 und 4 aufzuheben und ihn umgehend aus der Haft / der vorsorglichen Unterbringung zu entlassen, (2) eventuell ihn unter Auflagen aus der Haft zu entlassen, (3) die Unrechtmässigkeit der Haft seit dem 30. August 2017 festzustellen und (4) die gesetzlichen Vertreter für die beiden kantonalen Beschwerdeverfahren zu entschädigen.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Der Beschwerdeführer behauptet zahlreiche Rechtsverletzungen.
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1.1.1. Er rügt eine Verletzung von Art. 27 Abs. 2 JStPO i.V.m. Art. 31 Abs. 3 und 4 BV (Beschwerde Ziff. 7 ff.).
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Die vorsorgliche Unterbringung vom 25. August 2017 sei nach der Versetzung in Untersuchungshaft angeordnet worden. Die Haft stehe in direktem Zusammenhang mit der verdächtigten Tat vom 16. Juni 2017. Die drei mutmasslichen Komplizen seien zeitgleich in Untersuchungshaft genommen worden. Auch nach der Umänderung des Hafttitels habe die Jugendanwaltschaft auf eine mögliche Kollusionsgefahr hingewiesen. Es dränge sich der Schluss auf, dass sein Schutzbedürfnis oder jenes der Allgemeinheit nicht ausschlaggebend gewesen sei. Seine strafprozessuale Haft stelle de facto Untersuchungshaft dar und werde zu Unrecht als vorsorgliche Unterbringung deklariert.
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Die Vorinstanz habe lapidar festgehalten, bei der Massnahme handle es sich um eine vorsorgliche Unterbringung, das Urteil 1B_437/2011 vom 14. September 2011 sei nicht einschlägig. Entgegen der Vorinstanz sei die Massnahme als Jugend-Untersuchungshaft zu betrachten. Da sie nicht durch das Zwangsmassnahmengericht verlängert worden sei, befinde er sich seit dem 30. August 2017 ohne gültigen Hafttitel in Haft. Am 18. September 2017 habe eine Konfrontationseinvernahme mit sämtlichen Komplizen stattgefunden. Es bestehe unstreitig keine Kollusionsgefahr mehr.
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1.1.2. Er rügt eine Verletzung von Art. 12 ff., 15 und 18 JStG i.V.m. Art. 5 JStG sowie Art. 9 BV (Beschwerde Ziff. 20 ff.).
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Die vorsorgliche geschlossene Unterbringung dürfe nur gemäss Art. 15 Abs. 2 und 3 JStG angeordnet werden. Es fehle an jeder irgend gearteten Dringlichkeit. Der Rückfall sei bei der Unterbringung zwei Monate zurückgelegen. Die Tat sei bei der Standortbesprechung vom 8. August 2017 nicht erwähnt worden. Er sei nach seiner Festnahme überbrückungsweise sechs Wochen im Jugendgefängnis platziert worden, bis er die Massnahme habe antreten können. Es werde nicht begründet, weshalb die Unterbringung nicht dem zuständigen Gericht (Art. 18 JStG) überlassen worden sei. Hinreichende Gründe für eine Unumgänglichkeit der Haft (Art. 27 Abs. 1 JStPO; Art. 15 Abs. 2 lit. a JStG) bzw. für eine jahrelange Unterbringung seien angesichts seiner äusserst positiven Ressourcen nicht ersichtlich.
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1.1.3. Er rügt eine Verletzung von Art. 27 Abs. 4 JStPO i.V.m. Art. 228 StPO, Art. 30 Abs. 4 BV, Art. 5 Ziff. 4 EMRK (Beschwerde Ziff. 40 ff.).
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Der Nichteintretenentscheid des Zwangsmassnahmengerichts führe dazu, dass die Vorinstanz seinen Anspruch auf gerichtliche Prüfung der erlittenen Freiheitsentziehung verletze. Auch im Falle eines Freiheitsentzugs im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 lit. d EMRK müsse der Rechtsschutz gemäss Art. 5 Ziff. 4 EMRK garantiert sein (BGE 121 I 208 E. 4d S. 216). Die Vorinstanz habe trotz Antrags die im Geltungsbereich von Art. 5 Ziff. 4 EMRK grundsätzlich gebotene mündliche Verhandlung nicht durchgeführt. Die Vorinstanz habe nicht unverzüglich, sondern erst 34 Tage nach Einreichung des Haftentlassungsgesuchs bei der Jugendanwaltschaft entschieden (Art. 5 Ziff. 4 EMRK; BGE 142 I 135 E. 2.1 S. 145, recte: E. 3.1 S. 147).
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1.1.4. Er rügt eine Verletzung von Art. 10 Abs. 2 BV und Art. 29 Abs. 1 BV (Beschwerde Ziff. 46 ff.).
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Er sei im Nachgang zu seiner Festnahme nicht von einem Richter angehört worden (BGE 119 Ia 221 E. 7b S. 231). Die Haft könne nur für sieben Tage angeordnet werden (Art. 27 Abs. 2 JStPO). Mit Art. 10 Abs. 2 BV sei nicht vereinbar, dass nach Art. 39 Abs. 2 lit. a JStPO nur die Beschwerde gemäss Art. 393 StPO zulässig sei, die gemäss Art. 397 Abs. 1 StPO im schriftlichen Verfahren behandelt werde. Diese Verfahrensordnung könne regelmässig ein Haftprüfungsverfahren vor dem Zwangmassnahmengericht auch in zeitlicher Hinsicht nicht ersetzen. Der vorinstanzliche Entscheid verletze seinen Anspruch auf umgehende gerichtliche Anhörung und Überprüfung der strafprozessualen Haft. Der Nichteintretensentscheid des Zwangsmassnahmengerichts stelle eine formelle Rechtsverweigerung dar.
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1.2. Beschwerdegegenstand ist der vorinstanzliche Entscheid (Art. 80 Abs. 1 BGG). Der Sachverhalt ist nicht angefochten (Art. 97 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 9 BV). Eine "offensichtlich unrichtige" Feststellung des Sachverhalts müsste in der Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253, 317 E. 5.4 S. 324; 140 III 264 E. 2.3 S. 266). Es ist dem bundesgerichtlichen Urteil der Sachverhalt zugrundezulegen, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG).
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1.3. |
1.3.1. Die Vorinstanz erwägt, die Beschwerde gegen Verfügungen der Jungendanwaltschaft sei zulässig (Art. 39 Abs. 1 JStPO i.V.m Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO) und die Anklagekammer sei zuständig (Art. 17 EG-StPO). Die Beschwerde sei auch gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts zulässig (Art. 27 Abs. 5 JStPO i.V.m. Art. 393 Abs. 1 lit. c und Art. 222 StPO). Der Beschwerdeführer sei in beiden Verfahren legitimiert (Art. 38 JStPO i.V.m. Art. 382 Abs. 1 und Art. 396 Abs. 1 StPO). Der beantragten Verfahrensvereinigung sei zu entsprechen. Das Beschwerdeverfahren sei schriftlich (Art. 39 JStPO i.V.m. Art. 397 Abs. 1 StPO). Ein Anspruch auf mündliche Verhandlung bestehe nicht; sie könne ausnahmsweise durchgeführt werden (Art. 39 JStPO i.V.m. Art. 390 Abs. 5 StPO). Person und Biografie des Beschwerdeführers seien durch die Akten und das Gutachten gut dokumentiert. Angesichts seiner nach dem Gutachten komplexen und geschickt manipulativen Persönlichkeit wäre er in einer mündlichen Verhandlung kaum derart fassbar, dass sich wesentliche Erkenntnisse ergeben könnten, weshalb der Antrag abzuweisen sei. Zum Antrag auf ein beschleunigtes Verfahren bedürfe es keines besonderen Beschlusses. Das Verfahren sei auf Raschheit angelegt, und es gelte das Beschleunigungsgebot gemäss Art. 3 Abs. 1 JStPO i.V.m. Art. 5 Abs. 2 StPO.
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1.3.2. Die Verfahrensordnung ist zwingendes Gesetz. Die Beschwerde ist ein ordentliches und vollkommenes Rechtsmittel (SCHMID/ JOSITSCH, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2017, N. 1499, 1512). Die mündliche Verhandlung beurteilt sich auch gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK in der Regel nach den konkreten Umständen und hat im Beschwerdeverfahren die Ausnahme zu bleiben (Urteil 6B_520/2016 vom 18. Mai 2017 E. 3.2 und 3.3). Dazu bestand umso weniger Anlass, als der Beschwerdeführer vor dem Massnahmengericht auf eine mündliche Verhandlung verzichtet hatte und vor der Vorinstanz lediglich die Rechtsfrage zu beurteilen war. Der Beschwerdeführer legt keine Willkür der diesbezüglichen vorinstanzlichen Begründung dar (Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Beschleunigungsgebot ist nicht verletzt.
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1.4. |
1.4.1. Die Vorinstanz führt aus, bei vorsorglichen Schutzmassnahmen handle es sich um provisorische Sofortmassnahmen zur umgehenden Gewährleistung des Schutzes und der Erziehung des Jugendlichen. Es gehe um Krisenintervention. Dabei müsse der verfassungsrechtliche Verhältnismässigkeitsgrundsatz gewahrt werden. Vorsorgliche Schutzmassnahmen seien nicht auf das Untersuchungsverfahren beschränkt. Sie seien über den Wortlaut von Art. 5 JStG hinaus während des Massnahmenvollzugs im Hinblick auf eine Änderung (Art. 18 JStG) anwendbar (BGE 141 IV 172 E. 3 S. 174 ff.).
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Die Jugendanwaltschaft habe ein Massnahmenänderungsverfahren bereits eingeleitet und einen Gutachter beauftragt gehabt. Geplant sei die geschlossene Unterbringung im Massnahmenzentrum Uitikon gewesen. Das Vorleben und die erneute Delinquenz während laufender Massnahme seien zu berücksichtigen gewesen. Die bisherigen aufwändigen Massnahmen hätten sich als wirkungslos erwiesen, um die delinquenten Verhaltensmuster aufzubrechen. Das ernüchternde Ergebnis korrespondiere aber mit der gutachterlichen Legalprognose. Das Gutachten habe empfohlen, den Beschwerdeführer bei neuerlichen Gesetzesverstössen konsequent geschlossen unterzubringen (oben Sachverhalt A). Die positiven Rückmeldungen beim Standortgespräch vom 8. August 2017 sprächen nicht dagegen (Entscheid S. 7; a.A. oben E. 1.1.2). Die Massnahmenanordnung zwei Monate nach Bekanntwerden des letzten Raubüberfalls lasse sich mit der Abklärung des Sachverhalts, der Prüfung geeigneter Schritte und dem erforderlichen Initialisierungsaufwand erklären. Die Jugendanwaltschaft werde die Situation nach Erstattung des neuen forensisch-psychiatrischen Gutachtens erneut beurteilen müssen (Entscheid S. 5-7).
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1.4.2. Der Beschwerdeführer kritisiert unbegründet die zweimonatige Dauer nach der "Eruierung" der Täter bis zur vorsorglichen Unterbringung sowie die sechs Wochen bis zum Eintritt in das Massnahmenzentrum. Er bestreitet nicht, dass das Massnahmenänderungsverfahren bereits eingeleitet war und setzt sich weder mit der vorinstanzlich festgestellten jugendanwaltschaftlichen Prüfung des weiteren Vorgehens angesichts der erneuten (und zu untersuchenden) Delinquenz trotz laufender Massnahmen (oben Sachverhalt A i.f.) oder den gutachterlichen Empfehlungen auseinander noch erwähnt er die beauftragte Begutachtung, bestreitet jedoch die Voraussetzungen einer Krisenintervention.
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Wie in BGE 141 IV 172 E. 3.3 S. 175 f. ausgeführt wird, können Schutzmassnahmen gemäss Art. 12 ff. JStG während des Verfahrens vorsorglich angeordnet werden (Art. 5 JStG), da der Schutz und die Erziehung des Jugendlichen unter Umständen rasches Eingreifen gebieten. Nach Urteil 6B_85/2014 vom 18. Februar 2014 E. 4 kann sich eine vorsorgliche stationäre Massnahme als unumgänglich erweisen, etwa zur Planung und Einleitung der geeigneten Schutzmassnahmen gemäss dem übergeordneten Vollzugsziel der Sozialintegration und der Verhinderung eines Rückfalls.
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Die verbindlichen Feststellungen (Art. 105 Abs. 1 BGG) belegen die laufenden, erfolglosen Schutzmassnahmen und erneuten Abklärungen sowie die im Sinne der dringlichen nachhaltigen Intervention angeordnete geschlossene Unterbringung. Aufgrund des schweren Rückfalls blieb angesichts der Antezedenzien und des Gutachtens kaum eine andere Wahl als die vorsorgliche Unterbringung im Jugendgefängnis, bis ein Massnahmenzentrum den Beschwerdeführer aufnehmen würde (vgl. unten E. 1.7). Es ist gerichtsnotorisch, dass sich dieses Prozedere nicht in jedem Fall kurzfristig abschliessen lässt. Eine Verschleppung ist nicht dargelegt.
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1.5. Die Vorinstanz beurteilt die Rüge, die vorsorgliche Unterbringung in der Jugendabteilung des Gefängnisses stelle faktisch Untersuchungshaft dar; er habe Anspruch auf eine Haftprüfung durch das Zwangsmassnahmengericht.
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Sie führt dazu aus, ihre Ausführungen (oben E. 1.4.1) zeigten, dass es sich um eine vorsorgliche Abänderung der Massnahme und damit nicht um Untersuchungshaft handle. Dem bundesgerichtlichen Urteil 1B_437/2011 vom 14. September 2011 lasse sich nichts anderes entnehmen. Dort sei es um die Anordnung einer neuen Massnahme gegangen, nicht um die Anpassung einer bereits laufenden. Das Bundesgericht habe einzig verfügt, dass die vorübergehende Unterbringung monatlich zu überprüfen sei, bis ein längerfristig passender Platz in einem Massnahmenzentrum gefunden sei. In casu seien die Regeln über die (vorsorgliche) Anpassung von Massnahmen und nicht jene über Untersuchungshaft massgebend. Die Beschwerde an die Anklagekammer sei das zulässige Rechtsmittel. Die gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 11. September 2017 gerichtete Beschwerde sei abzuweisen. Die Rüge ist unbegründet.
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1.6. Der Beschwerdeführer rügt überdies eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV. Die vorinstanzliche Begründung genüge der Begründungsdichte von Haftentscheiden nicht und verletze sein rechtliches Gehör (mit Hinweis auf BGE 142 I 135 E. 2.1 S. 145 betr. "Dublin-Haft"). Die Vorinstanz habe nicht dargetan, weshalb die Art. 5 Ziff. 3 und 4 EMRK i.V.m. Art. 31 Abs. 3 und 4 BV nicht gelten sollten. Das erschwere eine sachgerechte Anfechtung erheblich.
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Die Begründung muss kurz die wesentlichen Überlegungen nennen, von denen sich das Gericht leiten lässt und auf die es seinen Entscheid stützt. Es muss sich nicht mit jedem Parteivorbringen einlässlich auseinandersetzen (BGE 141 III 28 E. 3.2.4 S. 41; 139 IV 179 E. 2.2 S. 183). Dies entspricht auch den konventionsrechtlichen Anforderungen. Die EMRK verpflichte zwar, Entscheide zu motivieren, wobei es auf den Einzelfall ankommt, doch lasse sich Art. 6 Ziff. 1 nicht in der Weise auslegen, dass eine detaillierte Antwort auf jedes Argument gefordert würde (comme exigeant une réponse détaillée à chaque argument); es könne [in casu] akzeptiert werden, dass die bundesgerichtliche Motivation implizit die Konformität mit Art. 5 Ziff. 4 eingeschlossen habe (pouvait implicitement inclure la conformité) (Urteil Mäder c. Suisse vom 8. Dezember 2015, Nr. 6232/09 und 21261/10, Ziff. 75, 77). Die vorinstanzliche Motivation ist nicht zu beanstanden. Wie jedes behördliche Handeln hat auch der Motivationsaufwand verhältnismässig zu sein. Der Beschwerdeführer war offenkundig in die Lage versetzt, die Entscheidung sachgerecht anzufechten.
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Das Vorbringen, "die Vorinstanz [habe] sich mit den entsprechenden Rügen nicht auseinandergesetzt und insbesondere nicht dargetan, weshalb für [ihn] die erwähnten Verfahrensgarantien nicht gelten sollten" (Beschwerde Ziff. 6), ist abwegig.
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1.7. Die Jugendanwaltschaft ordnete am 24. August 2017 zunächst Untersuchungshaft an (oben Sachverhalt B). In der ausführlich begründeten Verfügung vom 25. August 2017 betreffend "Vorsorgliche Abänderung der Massnahme" weist die Jugendanwaltschaft auf das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers hin (oben Sachverhalt A und B erster Abs.) und führt aus, sie könne die vorsorgliche Unterbringung in einer geeigneten Einrichtung anordnen, wenn die persönliche, erzieherische oder die gesundheitliche Betreuung anders nicht gewährleistet sei (Art. 5 JStG i.V.m. Art. 26 Abs. 1 lit. c JStPO). Gemäss Art. 18 Abs. 1 JStG i.V.m. Art. 72 EG-StPO/JStPO könne sie eine rechtskräftig angeordnete Schutzmassnahme vorläufig abändern, wenn dies im Interesse des Jugendlichen dringend geboten sei. Aufgrund der mehrfachen Delinquenz und der Rückfallgefahr (Gefährdung Dritter und Selbstgefährdung) sowie des Gutachtens sei eine Schutzmassnahme dringend angezeigt. Diese werde vorläufig geschlossen angeordnet. Der Vollzug erfolge bis zum Eintritt in das Massnahmenzentrum Uitikon oder in eine andere geeignete Institution in der Jugendabteilung des Gefängnisses. Dem Beschwerdeführer sei das rechtliche Gehör am 25. August 2017 in Gegenwart seines Verteidigers gewährt worden. Diese Verfügung sei vorsorglich. Der definitive Entscheid erfolge nach Abschluss der Untersuchung. Es sei eine erneute forensisch-psychiatrische Begutachtung vorgesehen.
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Es drängt sich keineswegs der Schluss auf, die "strafprozessuale Haft" stelle de facto Untersuchungshaft dar und werde zu Unrecht als vorsorgliche Unterbringung deklariert (oben E. 1.1.1). Diese Argumentationslinie wurde zu Recht bereits vom Zwangsmassnahmengericht zurückgewiesen (Sachverhalt B).
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1.8. Schliesslich ist anzumerken, dass Bundesgesetze und Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend sind (Art. 190 BV). Bundesgesetze unterliegen nicht der abstrakten Normenkontrolle. Das Gesetz ist in erster Linie aus sich selbst heraus auszulegen, nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen (BGE 142 IV 1 E. 2.4.1 S. 3, 105 E. 5.1 S. 110). Die gesetzgeberischen Wertungen in einem Bundesgesetz sind für das Bundesgericht massgebend (BGE 143 I 292 E. 2.4.2 S. 299; 143 III 65 E. 3.3 S. 67 f.). An einen klaren Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde gebunden (BGE 143 IV 122 E. 3.2.3 S. 125).
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2. Der Primärantrag auf Entlassung ist abzuweisen; auf die beantragte Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidgebühr ist mangels Begründung nicht einzutreten (oben Sachverhalt D, Ziff.1). Nach diesem Ausgang des Verfahrens ist auf die Rechtsbegehren Ziff. 2, 3 und 4, die nicht weiter begründet sind, nicht mehr einzutreten.
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3. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem Beschwerdeführer sind die Kosten (in solidarischer Haftbarkeit der Eltern) aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer in solidarischer Haftbarkeit der Eltern auferlegt.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 6. Dezember 2017
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Der Gerichtsschreiber: Briw
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