BGer 9C_668/2016 |
BGer 9C_668/2016 vom 03.03.2017 |
9C_668/2016 {T 0/2}
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Urteil vom 3. März 2017 |
II. sozialrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
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Bundesrichter Parrino,
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Bundesrichterin Moser-Szeless,
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Gerichtsschreiber Fessler.
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Verfahrensbeteiligte |
Erbengemeinschaft A.________,
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bestehend aus Aa.________, Ab.________ und Ac.________, handelnd durch Aa.________, und dieser vertreten durch Rechtsanwalt Reto Bachmann,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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IV-Stelle Zug,
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Baarerstrasse 11, 6300 Zug,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung (Invalidenrente),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug
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vom 25. August 2016.
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Sachverhalt: |
A. Nachdem ein erstes Gesuch vom März 2012 abgewiesen worden war (Verfügung der IV-Stelle Zug vom 10. Februar 2014, letztinstanzlich bestätigt mit Urteil 9C_806/2014 vom 13. Januar 2015), meldete sich A.________ im November 2014 erneut bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen stellte die IV-Stelle mit Vorbescheid vom 4. November 2015 die Zusprechung einer ganzen Rente ab 1. Oktober 2015 in Aussicht, womit die Versicherte nicht einverstanden war und Einwände erhob.
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Am........ verschied A.________. Am 11. März 2016 verfügte die IV-Stelle im Sinne des Vorbescheids, wobei sie die Rente bis........ befristete.
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B. Die Beschwerde der (gesetzlichen) Erben von A.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Sozialversicherungsrechtliche Kammer, nach zweifachem Schriftenwechsel mit Entscheid vom 25. August 2016 ab.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen die Erben von A.________, der Entscheid vom 25. August 2016 und die Verfügung vom 11. März 2016 seien aufzuheben, und die Sache sei an die IV-Stelle Zug zurückzuweisen, damit diese nach erfolgter Abklärung ab dem frühest möglichen Zeitpunkt eine angemessene Invalidenrente für die Verstorbene zuspreche.
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Die IV-Stelle ersucht um Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen: |
1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts (durch die Vorinstanz; Art. 105 Abs. 1 BGG) kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine solche Verletzung von Bundesrecht stellt namentlich die unvollständige (gerichtliche) Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen dar (BGE 135 V 23 E. 2 S. 25) oder wenn der angefochtene Entscheid eine entscheidwesentliche Tatfrage, im Streit um eine Rente der Invalidenversicherung namentlich Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit einer versicherten Person, auf unvollständiger Beweisgrundlage beantwortet (Urteil 9C_441/2016 vom 16. Dezember 2016 E. 2 mit Hinweisen). In Bezug auf die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung durch die Vorinstanz gilt eine qualifizierte Rüge- und Begründungspflicht (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261; Urteil 9C_306/2016 vom 4. Juli 2016 E. 1.1).
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2. Streitgegenstand bildet die ganze Rente vom 1. Oktober 2015 bis........, welche die Beschwerdegegnerin der in diesem Monat verstorbenen Versicherten zusprach, was die Vorinstanz bestätigt hat. Dabei ist einzig der Rentenbeginn umstritten. Aufgrund der Neuanmeldung bei der Invalidenversicherung im November 2014 nach der rechtskräftigen Verneinung eines Rentenanspruchs mit Verfügung vom 10. Februar 2014 kann die Rente frühestens am 1. Mai 2015 beginnen (Art. 29 Abs. 1 und 3 IVG), was u.a. die Eröffnung der Wartezeit nach Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG spätestens im Mai 2014 voraussetzt. Nach dieser Bestimmung haben Anspruch auf eine Rente Versicherte, die während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG) gewesen sind.
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3. Die Vorinstanz hat die Akten dahingehend gewürdigt, eine Arbeitsunfähigkeit werde fachärztlich erst ab 15. Oktober 2014 attestiert. Ein früherer Eintritt einer teilweisen oder sogar gänzlichen Arbeitsunfähigkeit sei im Lichte des finalen Verlaufs zwar möglich, die Aktenlage verschaffe den rechtsgenüglichen Beweis im Sinne überwiegender Wahrscheinlichkeit indes nicht; weitere medizinische Abklärungen vermöchten die aktenmässige Lücke nicht zu schliessen. Die im Oktober 2014 begonnene Wartezeit könne im Übrigen nicht anders berechnet werden; insbesondere seien eine Kürzung oder ein Verzicht nicht vorgesehen. Somit könne den Erben der verstorbenen Versicherten die Rente lediglich für die Zeit vom 1. Oktober 2015 bis........ ausgerichtet werden.
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4. Die Erben der verstorbenen Versicherten rügen, der angefochtene Entscheid verletze Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG und den Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG); sodann sei die vorinstanzliche Beweiswürdigung willkürlich.
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4.1. Entgegen den Vorbringen in der Beschwerde beruht die Feststellung der Vorinstanz, dass erst ab dem 15. Oktober 2014 eine vollständige Arbeitsunfähigkeit als überwiegend wahrscheinlich erstellt gelte, nicht auf der (retrospektiven) Aktenbeurteilung des regionalen ärztlichen Dienstes (RAD) vom 19. Mai 2015, sondern auf der Einschätzung im Bericht des Spitals B.________ vom 29. Oktober 2014 und im ärztlichen Zeugnis des Dr. med. C.________, Leitender Arzt der Frauenklink des Spitals B.________, vom 3. November 2014. Sodann war gemäss dem Autopsiebericht des Spitals D.________ vom 5. Februar 2016 als Todesursache ein Herz-Kreislaufversagen im Rahmen einer akuten Bronchopneumonie und einem ausgedehnt metastasierenden primär abdominalen Adenokarzinom anzunehmen. Mit dem Vorbringen, entgegen der Annahme der Vorinstanz sei die Versicherte nicht an einem Karzinom der Bauchspeicheldrüse gestorben, vermögen die Erben der verstorbenen Versicherten nicht aufzuzeigen, inwiefern dieser Punkt von entscheidender Bedeutung sein soll.
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4.2. |
4.2.1. Weiter ist unbestritten, dass - fachärztlich attestiert - (spätestens) seit 15. Oktober 2014 eine Arbeitsunfähigkeit von 100 % bestand. Den von der Vorinstanz in diesen Zeitpunkt gelegten Beginn der Wartezeit nach Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG bestreiten die Erben der verstorbenen Versicherten damit, es sei sinngemäss unwahrscheinlich, dass die Versicherte bis am Vortag vollständig arbeitsfähig gewesen sein soll. Abgesehen davon genüge eine Arbeitsunfähigkeit (im Sinne der Einschränkung des funktionellen Leistungsvermögens im bisherigen Beruf) von mindestens 20 %, um die Wartezeit nach Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG zu eröffnen (vgl. Urteil 9C_818/2013 vom 24. Februar 2014 E. 1 mit Hinweisen). Der Beschwerdegegnerin oder der Vorinstanz wäre es ohne Weiteres möglich gewesen, beim involvierten Onkologen Dr. med. E.________ abzuklären, ab wann eine für das Wartejahr massgebliche Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit angenommen werden könne.
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4.2.2. Die Frage, ab welchem frühesten Zeitpunkt die Arbeitsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen dauernd zu mindestens 20 % eingeschränkt war, ist in erster Linie vom Facharzt zu beantworten (vgl. BGE 140 V 193 E. 3.2 S. 195). Eine solche Beurteilung liegt hier nicht vor. Wie die Vorinstanz richtig festhält, ist den verschiedenen seit Ende Oktober 2014 erstellten Berichten des Spitals B.________ keine (über den 15. Oktober 2014) hinaus rückwirkende Einschätzung der Arbeitsfähigkeit zu entnehmen. Daraus kann jedoch nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, "dass sich eine solche auch durch die neu gewonnenen Erkenntnisse nicht per se ergab". Die Vorinstanz übersieht, dass die betreffenden Ärzte nicht nach einer Einschätzung der Arbeitsfähigkeit gefragt worden waren. Die (erstmals) im ärztlichen Zeugnis vom 29. Oktober 2014 attestierte Arbeitsunfähigkeit von 100 % vom 15. bis 31. Oktober 2014 ist sodann mit Bezug auf Beginn und Dauer insofern nicht aussagekräftig, als sie offensichtlich auf die Hospitalisation der Versicherten vom 15. bis 29. Oktober 2014 Bezug nahm bzw. in diesem Rahmen erfolgt war. Aus den weiteren Erwägungen der Vorinstanz ergeben sich im Übrigen keine Gründe, welche eine (retrospektive) fachärztliche Stellungnahme zur Frage, ob und gegebenenfalls ab welchem Zeitpunkt - nach Erlass der Verfügung vom 10. Februar 2014 - die Arbeitsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen dauernd als zu mindestens 20 % eingeschränkt angenommen werden kann, von vornherein als reine Spekulation und daher nicht erforderlich erscheinen liessen.
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5. Nach dem Gesagten beruht der angefochtene Entscheid in einem wesentlichen Punkt auf unvollständiger Beweisgrundlage (E. 1 hiervor). Die Vorinstanz wird im Sinne der Darlegungen in E. 4.2.2 eine fachärztliche Stellungnahme zur streitigen Frage einzuholen haben und danach neu entscheiden. Die Beschwerde ist begründet.
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6. Ausgangsgemäss hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug, Sozialversicherungsrechtliche Kammer, vom 25. August 2016 wird aufgehoben und die Sache an dieses zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen zurückgewiesen.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
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3. Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 3. März 2017
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Pfiffner
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Der Gerichtsschreiber: Fessler
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