BGer 8C_562/2009
 
BGer 8C_562/2009 vom 11.12.2009
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
8C_562/2009
Urteil vom 11. Dezember 2009
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiber Hochuli.
Parteien
Kantonale IV-Stelle Wallis,
Bahnhofstrasse 15, 1951 Sitten,
Beschwerdeführerin,
gegen
M.________,
vertreten durch DAS Rechtsschutz-Versicherung,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Wallis vom
26. Mai 2009.
Sachverhalt:
A.
M.________, geboren 1969, meldete sich am 23. Januar 2006 bei der Invalidenversicherung wegen Beschwerden im Zusammenhang mit einem HIV-Infekt zum Rentenbezug an. Basierend auf erwerblichen und medizinischen Abklärungen ermittelte die Kantonale IV-Stelle Wallis (nachfolgend: IV-Stelle oder Beschwerdeführerin) nach der gemischten Methode einen Invaliditätsgrad von 0% und verneinte den Anspruch auf eine Invalidenrente (Verfügung vom 23. Juni 2008).
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde der M.________ hiess das Kantonsgericht Wallis mit Entscheid vom 26. Mai 2009 gut, hob die Verfügung der IV-Stelle vom 23. Juni 2008 auf und wies die Sache zur Neuverfügung über den Leistungsanspruch im Sinne der Erwägungen an die Verwaltung zurück.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die IV-Stelle, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Während M.________ auf Abweisung der Beschwerde schliesst, trägt das Bundesamt für Sozialversicherungen auf Gutheissung derselben.
Erwägungen:
1.
Das kantonale Gericht hat in der Dispositiv-Ziffer 1 die Verfügung der Beschwerdeführerin vom 23. Juni 2008 aufgehoben und die Sache zur Neuverfügung "im Sinne der Erwägungen" an die Verwaltung zurückgewiesen. Unter anderem hat es in den Erwägungen die Statusfrage abweichend von der IV-Stelle beantwortet und erkannt, dass die Versicherte ohne Gesundheitsschaden nicht nur zu 50%, sondern zu 100% erwerbstätig wäre (E. 3e/bb i.f. des angefochtenen Entscheids). Gleichzeitig hielt es fest (E. 4 des angefochtenen Entscheids), das Einkommen, welches die Beschwerdegegnerin als Gesunde erzielt hätte, liege "rund 20% unter dem statistischen Durchschnittswert", weshalb dieses Valideneinkommen - entgegen der Beschwerdeführerin - vor dem Einkommensvergleich zu parallelisieren sei. Die letztinstanzliche Beschwerde der IV-Stelle richtet sich einzig gegen die verbindliche Anordnung der Vorinstanz, im Rahmen der durchzuführenden Parallelisierung einen Abzug wegen Unterdurchschnittlichkeit des Valideneinkommens im Umfang von 20% berücksichtigen zu müssen. Das kantonale Gericht habe diese prozentuale Abweichung in Verletzung der massgebenden höchstrichterlichen Praxis unrichtig ermittelt. Die gemäss vorinstanzlichem Entscheid verbindliche Berücksichtigung der rechtsfehlerhaft ermittelten Unterdurchschnittlichkeit von 20% sei relevant für die Höhe des Rentenanspruchs. Bleibe die Beschwerdeführerin im Rahmen des Rückweisungsentscheides an diese Unterdurchschnittlichkeit gebunden, werde sie zur Ausrichtung einer bundesrechtswidrigen Invalidenrente gezwungen. Nachfolgend ist zunächst zu klären, ob auf die Beschwerde gegen den Rückweisungsentscheid einzutreten ist.
1.1 Da die Vorinstanz die Sache zu weiteren Abklärungen und neuer Verfügung an die Verwaltung zurückgewiesen hat, liegt ein Zwischenentscheid vor, der nicht im Sinne von Art. 92 BGG die Zuständigkeit oder den Ausstand betrifft und somit nur unter den Voraussetzungen des Art. 93 BGG selbstständig anfechtbar ist. Voraussetzung für die selbstständige Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden ist gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG zunächst, dass sie selbstständig eröffnet worden sind, was hier zutrifft. Erforderlich ist sodann alternativ, dass der angefochtene Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a) oder dass die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b).
1.2 Ein weitläufiges Beweisverfahren hat das kantonale Gericht nicht angeordnet, sodass die zweite Voraussetzung (lit. b von Art. 93 Abs. 1 BGG) klarerweise nicht erfüllt ist. Zu untersuchen bleibt, ob der angefochtene Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann.
1.2.1 Massgebend dafür ist, ob der Nachteil auch mit einem für die Beschwerdeführerin günstigen Entscheid in Zukunft nicht behoben werden kann. Rechtsprechungsgemäss bewirkt ein Rückweisungsentscheid in der Regel keinen irreversiblen Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, da der Rechtsuchende ihn später zusammen mit dem neu zu fällenden Endentscheid wird anfechten können (vgl. Art. 93 Abs. 3 BGG). Ein Rückweisungsentscheid, mit dem eine Sache zur neuen Abklärung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, bewirkt in der Regel keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil, führt er doch bloss zu einer Verlängerung des Verfahrens. Wird jedoch die Verwaltung durch einen kantonalen Rückweisungsentscheid gezwungen, eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen, hat dieser Entscheid für sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zur Folge (BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483; in BGE 134 V 392 nicht publizierte Erwägung 1 des Urteils 8C_682/2007 vom 30. Juli 2008).
1.2.2 Grundsätzlich ist nur das Dispositiv, nicht aber die Begründung eines Entscheides anfechtbar. Verweist das Dispositiv eines Rückweisungsentscheides ausdrücklich auf die Erwägungen, werden diese zu dessen Bestandteil und haben, soweit sie zum Streitgegenstand gehören, an der formellen Rechtskraft teil. Dementsprechend sind die Motive, auf die das Dispositiv verweist, für die Behörde, an welche die Sache zurückgewiesen wird, bei Nichtanfechtung verbindlich. Beziehen sich diese Erwägungen auf den Streitgegenstand, ist somit auch deren Anfechtbarkeit zu bejahen (BGE 113 V 159). Die Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden wurde im BGG zwar neu geregelt; an der Verbindlichkeit des auf die Erwägungen verweisenden kantonalen Rückweisungsentscheides für die Verwaltung im Falle der Nichtanfechtung hat sich mit dem Inkrafttreten des BGG am 1. Januar 2007 indessen nichts geändert (Urteil 9C_703/2009 vom 30. Oktober 2009 E. 2.2 mit Hinweisen).
1.2.3 Infolge der Verbindlichkeit des auf seine Motive verweisenden angefochtenen Rückweisungsentscheides sind hier die Voraussetzungen, unter denen die Anfechtung eines kantonalen Zwischenentscheides durch die Verwaltung ausnahmsweise nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zulässig ist, erfüllt: Die IV-Stelle wird durch den vorinstanzlichen Rückweisungsentscheid gezwungen, eine aus ihrer Sicht rechtswidrige Verfügung zu erlassen. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.
2.
Nachfolgend ist einzig zu prüfen, ob die Anordnung im Sinne von Erwägung Ziffer 4 in Verbindung mit Dispositiv Ziffer 1 des angefochtenen Entscheides, wonach die Beschwerdeführerin bei der durchzuführenden Parallelisierung der beiden Vergleichseinkommen eine Unterdurchschnittlichkeit des Valideneinkommens im Umfang von 20% zu berücksichtigen hat, bundesrechtskonform ist.
2.1 Das kantonale Gericht stellte das Valideneinkommen der Versicherten als Raumpflegerin im Jahre 2006 dem Einkommen gegenüber, welches mit einfachen und repetitiven Tätigkeiten beschäftigte Frauen nach der vom Bundesamt für Statistik (BFS) alle zwei Jahre herausgegebenen Lohnstrukturerhebung (LSE) im gesamtschweizerischen Durchschnitt aller Wirtschaftszweige des privaten Sektors gemäss Zeile "TOTAL" der Tabelle TA1 laut LSE 2006 verdienten und errechnete daraus eine Differenz von rund 20%.
2.2 Statt dessen ist im Rahmen einer gegebenenfalls praxisgemäss durchzuführenden Parallelisierung - wie von der IV-Stelle zu Recht gerügt - das Valideneinkommen mit dem branchenüblichen LSE-Lohn gemäss Tabelle TA1 (BGE 135 V 297 E. 6.1.1 S. 302, 134 V 322 E. 4.2 S. 326; SVR 2009 IV Nr. 7 S. 13, 9C_488/2008 E. 6.5; AHI 1999 S. 237, I 377/98 E. 3b) zu vergleichen. Wird das verhältnismässig tiefe Valideneinkommen der Beschwerdegegnerin nicht in Bezug gesetzt zum gesamtschweizerischen Durchschnittslohn aller Branchen (Zeile "TOTAL" der LSE-Tabelle TA1), sondern zum zutreffenden statistischen Durchschnittseinkommen der konkret in Frage kommenden Branche (vgl. dazu die unter www.bfs.admin.ch abrufbaren Erläuterungen zur NOGA 2002 [Nomenclature Générale des Activités économiques] des BFS), so resultiert jedenfalls mit Blick auf die hier ausgeübte angestammte Reinigungstätigkeit eine kleinere Abweichung vom statistischen Referenzeinkommen als die vom kantonalen Gericht im Vergleich mit dem Durchschnittslohn aller Branchen ermittelte Differenz von 20%. Nur - aber immerhin - in diesem Punkt wird die Beschwerdeführerin abweichend von Erwägung Ziffer 4 des angefochtenen Entscheides eine im Rahmen der Neuermittlung des Invaliditätsgrades allenfalls durchzuführende Einkommensparallelisierung nach Massgabe der mit BGE 135 V 297 präzisierten Praxis vornehmen. Insoweit wird der angefochtene Entscheid abgeändert, jedoch - entgegen des Antrages der IV-Stelle - nicht vollständig aufgehoben.
3.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend werden die Gerichtskosten je hälftig den Parteien auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG). Der anwaltlich vertretenen, teilweise obsiegenden Beschwerdegegnerin steht ferner eine reduzierte Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). In Bezug auf das vorangegangene Verfahren gilt sie jedoch nach wie vor als voll obsiegende Partei. Die vorinstanzliche Kostenverlegung und Zusprechung einer Parteientschädigung sind daher zu belassen (Art. 67 und 68 Abs. 5 BGG; vgl. Urteil 9C_515/2009 vom 14. September 2009 E. 5 mit Hinweis).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts Wallis vom 26. Mai 2009 wird insoweit abgeändert, als festgestellt wird, dass die Kantonale IV-Stelle Wallis im Rahmen der vom Kantonsgericht angeordneten Neuermittlung des Invaliditätsgrades nicht an den Parallelisierungsabzug gemäss Erwägung Ziffer 4 des Entscheides vom 26. Mai 2009 gebunden ist, sondern die Parallelisierung gegebenenfalls im Sinne von Erwägung Ziffer 2.2 hievor durchzuführen hat. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
2.
Von den Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin Fr. 250.- und der Beschwerdegegnerin Fr. 250.- auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 500.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Wallis und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 11. Dezember 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Ursprung Hochuli