BGE 144 IV 97
 
15. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
 
6B_171/2017 vom 15. Februar 2018
 
Regeste
Art. 162 und 178 lit. f StPO; Verfahrensstellung nach rechtskräftiger Verurteilung in einem getrennten Verfahren.
 
Sachverhalt
A. Am 8. Juni 2016 verurteilte das Bezirksgericht Zürich X. wegen Anstiftung zur qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, mehrfachen Hausfriedensbruchs und mehrfachen geringfügigen Diebstahls zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten und einer Busse von Fr. 300.-, dies teilweise als Zusatz zum Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 3. März 2015. Es ordnete an, dass die ambulante therapeutische Massnahme gemäss Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 3. März 2015 weitergeführt wird, schob den Vollzug der Freiheitsstrafe zugunsten der Massnahme auf und erneuerte die Auflage, während der Massnahme begleitet zu wohnen. Es verpflichtete X., der Genossenschaft A. eine Umtriebsentschädigung von Fr. 150.- zu bezahlen und der Genossenschaft B. eine solche von Fr. 100.-.
B. Die dagegen gerichtete Berufung von X. hiess das Obergericht des Kantons Zürich am 6. Dezember 2016 insoweit gut, als es die Freiheitsstrafe von 14 Monaten auf 12 Monate reduzierte. Im Übrigen wies es die Berufung ab.
C. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei teilweise aufzuheben. Er sei vom Vorwurf der Anstiftung zur qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz freizusprechen und wegen mehrfachen Hausfriedensbruchs sowie mehrfachen geringfügigen Diebstahls mit einer angemessenen Geldstrafe und Busse als teilweise Zusatzstrafe zu belegen. Die Kosten seien ausgangsgemäss neu zu verteilen. Eventualiter sei das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung und neuen Strafzumessung an das Obergericht zurückzuweisen. X. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
D. Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf eine Stellungnahme.
E. Das Bundesgericht hat den Entscheid am 15. Februar 2018 öffentlich beraten (Art. 58 Abs. 1 BGG). Es weist die Beschwerde ab.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 1
1.1 Der Beschwerdeführer kritisiert den Schuldspruch wegen Anstiftung zur qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Dabei wendet er sich nicht mehr gegen die Würdigung seiner Aussagen und derjenigen von C. Er rügt vielmehr eine Verletzung von Art. 141 Abs. 2 sowie Art. 178 lit. f StPO, Art. 6 EMRK sowie Art. 29 BV und macht geltend, die Verurteilung basiere einzig auf den belastenden Aussagen von C. Die Staatsanwaltschaft habe diese am 25. Januar 2016 zu Unrecht als Zeugin befragt und als solche belehrt. C. sei in einem separaten Strafverfahren rechtskräftig verurteilt worden. Jenes Verfahren stehe mit dem vorliegenden im gleichen Sachzusammenhang. Daher hätte C. gemäss Art. 178 lit. f StPO im Strafverfahren gegen ihn als Auskunftsperson und nicht als Zeugin befragt sowie auf das ihr zustehende Aussageverweigerungsrecht hingewiesen werden müssen; als aussagewillige Auskunftsperson wäre sie nur auf die möglichen Straffolgen einer falschen Anschuldigung, einer Irreführung der Rechtspflege und einer Begünstigung hinzuweisen gewesen. Ihre Befragung als Zeugin sei deshalb wegen Verletzung einer Gültigkeitsvorschrift unverwertbar, was mangels weiteren Beweises zu einem Freispruch des Beschwerdeführers führen müsse.
Die Vorinstanz stellt - wie bereits die erste Instanz - zu der Sachverhaltserstellung im Wesentlichen auf die belastenden Aussagen von C. vom 25. Januar 2016 sowie die Angaben des Beschwerdeführers an der polizeilichen Einvernahme vom 23. Januar 2015, der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme vom 25. Januar 2016 sowie der erstinstanzlichen Hauptverhandlung ab. Ebenso berücksichtigt sie die Vorbringen von C. an den polizeilichen Einvernahmen vom 9. Januar und 26. Februar 2015 sowie ihrer Hafteinvernahme vom 10. Januar 2015. Sie führt aus, gemäss konstanter Zürcher Gerichtspraxis könne eine Person nach ihrer rechtskräftigen Verurteilung im späteren Verfahren gegen einen Komplizen zum gleichen Sachverhalt Zeugnis ablegen. C. sei in ihrem Strafverfahren von Beginn an geständig gewesen und am 24. September 2015 gestützt darauf wegen des gleichen Sachverhalts, wie er im vorliegenden Verfahren zu beurteilen sei, rechtskräftig verurteilt worden. Eigene belastende Aussagen, die sich strafrechtlich zu ihrem Nachteil auswirken könnten, seien daher nicht denkbar. Es seien keine Gründe dafür ersichtlich, welche eine Einvernahme von C. als Zeugin im vorliegenden Verfahren verbieten würden. Ihr Zeugnis sei daher als Beweis gegen den Beschwerdeführer verwertbar.
1.3 Vorliegend ist demnach die Frage zu beurteilen, ob eine Person, die in einem getrennt geführten Verfahren rechtskräftig verurteilt wurde, im späteren Verfahren gegen einen Tatbeteiligten zum gleichen Sachverhalt Zeugnis ablegen kann.
 
Erwägung 2
 
Erwägung 2.1
2.1.1 Die Strafprozessordnung sieht für die Einvernahme von Personen drei unterschiedliche Varianten vor: Einvernahme der beschuldigten Person (Art. 157 ff. StPO), Einvernahme von Zeuginnen und Zeugen (Art. 162 ff. StPO) sowie Einvernahme von Auskunftspersonen (Art. 178 ff. StPO; vgl. auch Art. 187 Abs. 2 StPO, wonach für die Einvernahme von Sachverständigen die Vorschriften über die Zeugeneinvernahme anwendbar sind). Jede Befragung hat zwingend in Form einer dieser Varianten zu erfolgen, wobei das Gesetz auch vorgibt, in Bezug auf welche Personen welche Variante einzuhalten ist. Als beschuldigte Person gilt nach Art. 111 Abs. 1 StPO, "die Person, die in einer Strafanzeige, einem Strafantrag oder von einer Strafbehörde in einer Verfahrenshandlung einer Straftat verdächtigt, beschuldigt oder angeklagt wird". Zeuge oder Zeugin hingegen ist nach Art. 162 StPO "eine an der Begehung einer Straftat nicht beteiligte Person, die der Aufklärung dienende Aussagen machen kann und nicht Auskunftsperson ist". Die Auskunftsperson schliesslich nimmt eine Mittelstellung zwischen beschuldigter Person und Zeuge ein (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1208 Ziff. 2.4.4). Als Auskunftsperson wird unter anderem nach Art. 178 StPO befragt, wer "ohne selber beschuldigt zu sein, als Täterin, Täter, Teilnehmerin oder Teilnehmer der abzuklärenden Straftat oder einer anderen damit zusammenhängenden Straftat nicht ausgeschlossen werden kann" (lit. d), oder "in einem andern Verfahren wegen einer Tat, die mit der abzuklärenden Straftat in Zusammenhang steht, beschuldigt ist" (lit. f). In welcher Eigenschaft eine Person in einem Strafverfahren einvernommen wird, bestimmt sich primär nach dem gegen sie bestehenden Tatverdacht: Besteht ein Verdacht, ist die Person als beschuldigte Person zu behandeln und einzuvernehmen; steht sie ausserhalb jeden Verdachts, so ist sie als Zeugin zu befragen; besteht gegen eine einzuvernehmende Person zwar kein hinreichender Tatverdacht, um sie als beschuldigte Person erscheinen zu lassen, kann aber gleichzeitig eine Tatbeteiligung nicht gänzlich ausgeschlossen werden, ist sie als Auskunftsperson zu befragen (vgl. BBl 2006 1208 Ziff. 2.4.4; BGE 144 IV 28 E. 1.3.1).
2.1.2 Die einer Person im Strafverfahren zugewiesene Rolle hat entscheidende Auswirkungen auf ihre Rechtsstellung im Verfahren. Die beschuldigte Person ist nach Art. 113 Abs. 1 StPO nicht verpflichtet, sich selbst zu belasten. Sie hat namentlich das Recht, die Aussage und ihre Mitwirkung im Strafverfahren zu verweigern. Gleiches gilt - von einer hier nicht interessierenden Ausnahme abgesehen (vgl. Art. 180 Abs. 2 i.V.m. Art. 178 lit. a StPO) - auch für Auskunftspersonen (Art. 180 Abs. 1 i.V.m. Art. 157 ff. und 181 Abs. 1 StPO). Auskunftspersonen, die zur Aussage verpflichtet sind oder sich bereit erklären auszusagen, sind auf die möglichen Straffolgen einer falschen Anschuldigung, einer Irreführung der Rechtspflege und einer Begünstigung hinzuweisen (Art. 181 Abs. 2 StPO). Zeugen hingegen sind - soweit ihnen nicht ausnahmsweise ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht - gesetzlich verpflichtet, Aussagen zu machen, und können dafür bestraft werden, wenn sie unberechtigterweise die Aussage verweigern (Art. 176 StPO). Sagen sie zur Sache falsch aus, können sie ferner gestützt auf Art. 307 StGB bestraft werden.
2.1.3 Ob eine Person als Zeugin, Auskunftsperson oder beschuldigte Person zu befragen ist, entscheidet der Einvernehmende, das heisst, die zuständige Strafbehörde. Dieser Entscheid über die Eigenschaft, in welcher die Person befragt wird, wird aufgrund der im Zeitpunkt der Befragung bestehenden Sach- und Rechtslage getroffen. Daraus folgt, dass ein einmal getroffener Entscheid betreffend die prozessuale Rolle des Einzuvernehmenden nicht mehr Bestand haben kann, wenn sich die für diesen Entscheid massgebenden, bekannten Verhältnisse geändert haben (ANDREAS DONATSCH, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 10 zu Art. 178 StPO). Dabei steht es weder im Ermessen der zuständigen Strafbehörde, in welcher Rolle eine Person einzuvernehmen ist, noch hat die Einzuvernehmende diesbezüglich ein Wahlrecht oder einen Anspruch. Ist von einer Konstellation gemäss Art. 111, 162 oder 178 StPO (beziehungsweise Art. 187 Abs. 2 StPO) auszugehen, ist die einzuvernehmende Person zwingend als Beschuldigte, Zeugin beziehungsweise Auskunftsperson zu befragen.
2.1.4 Unbestritten ist grundsätzlich, dass der Wechsel von der Rolle der Auskunftsperson und jener des Zeugen zur Rechtsstellung der beschuldigten Person möglich sein kann und muss (vgl. SCHMID/JOSITSCH, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts [nachfolgend: Handbuch], 3. Aufl. 2017, N. 658 f.; ROLAND KERNER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 14 ff. zu Art. 178 StPO). Fraglich erscheint hingegen, ob der umgekehrte Rollenwechsel - von der Auskunftsperson im Sinne von Art. 178 lit. f StPO zum Zeugen - in der vorliegenden Konstellation möglich ist.
In einem publizierten Entscheid zum Teilnahmerecht gemäss Art. 147 StPO hielt das Bundesgericht fest, die beschuldigte Person habe gegenüber in anderen Verfahren beschuldigten Personen das Recht, mindestens einmal Fragen zu stellen. Die Aussagen von in anderen Verfahren beschuldigten Personen könnten mithin nur dann zu Lasten einer beschuldigten Person verwertet werden, wenn diese wenigstens einmal angemessene und hinreichende Gelegenheit gehabt habe, die sie belastenden Aussagen in Zweifel zu ziehen und Fragen an die beschuldigten Personen in den getrennten Verfahren zu stellen, wobei diese Personen gemäss Art. 178 lit. f StPO als Auskunftspersonen einzuvernehmen seien (BGE 141 IV 220 E. 4.5 S. 229 f.). Zur vorliegenden Konstellation, in welcher das erste Verfahren mittels Schuldspruch rechtskräftig abgeschlossen ist, äusserte sich das Bundesgericht nicht.
In einem nicht amtlich publizierten Entscheid hatte das Bundesgericht zu beurteilen, ob ein rechtskräftig Verurteilter, der in der gleichen Sache in einem anderen Verfahren als Zeuge einvernommen werden soll, als anderer Verfahrensbeteiligter im Sinne von Art. 105 StPO Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege hat. Das Bundesgericht verneinte die Frage mit der Begründung, es sei nicht ersichtlich, inwiefern der Verurteilte durch die grundsätzliche Pflicht, wahrheitsgemäss über die persönliche Wahrnehmung tatsächlicher Vorgänge zu berichten, unmittelbar in eigenen Rechten betroffen und insoweit auf die Bestellung eines Rechtsbeistands zur Wahrung seiner Interessen angewiesen sein könnte. Daran ändere auch nichts, dass sein Urteil je nach Ausgang des getrennten Verfahrens in Revision gezogen werden könne. Er müsse sich nicht selber derart belasten, dass er sich (zusätzlich) strafrechtlich verantwortlich machen würde (Art. 169 Abs. 1 lit. a StPO). Die vorliegend interessierende Frage, ob der Verurteilte überhaupt als Zeuge befragt werden durfte, thematisierte das Bundesgericht nicht explizit (Urteil 1B_436/2011 vom 21. September 2011 E. 2).
Einem einschlägigen Entscheid lag eine Verurteilung wegen Mordes zu Grunde. Hauptbeweismittel waren die Aussagen eines Befragten, der im Zusammenhang mit dem Mord in einem getrennten Verfahren bereits mehr als ein Jahrzehnt zuvor des Raubs, der Freiheitsberaubung und der Entführung schuldig gesprochen worden war. Das Bundesgericht erwog unter Hinweis auf Art. 178 lit. f StPO, der Befragte sei im Verfahren gegen den Beschwerdeführer nur als Auskunftsperson einzuvernehmen. Daran ändere nichts, dass er selbst bereits rechtskräftig verurteilt worden sei. Die beschuldigte Person behalte auch nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens ihre Verfahrensrolle grundsätzlich bei. Sie könne deshalb in einem späteren Verfahren gegen Mitbeteiligte nicht als Zeuge, sondern nur als Auskunftsperson befragt werden (Urteil 6B_1039/2014 vom 24. März 2015 E. 2.4.1 mit Hinweis).
Anders entschied das Bundesgericht in einem Urteil, dem ein nahezu identischer Sachverhalt zu Grunde lag, wie er vorliegend zu beurteilen ist: Die rechtskräftig wegen falschen Zeugnisses Verurteilte wurde im Verfahren gegen ihren mutmasslichen Anstifter als Zeugin einvernommen. Das Bundesgericht erwog mit Hinweis auf entsprechende Lehrmeinungen, da das Verfahren gegen die Verurteilte rechtskräftig abgeschlossen sei, sei deren Einvernahme als Zeugin im gegen den Beschwerdeführer geführten Verfahren wegen Anstiftung zu falschem Zeugnis nicht zu beanstanden (Urteil 6B_1178/2016 vom 21. April 2017 E. 2.4 mit Hinweisen).
Da sich das Bundesgericht bisher nicht vertieft mit der Möglichkeit eines Rollenwechsels nach rechtskräftiger Verurteilung auseinandersetzte, besteht vorliegend Anlass, die kontroverse Frage einer näheren Überprüfung zu unterziehen.
 
Erwägung 2.3
2.3.2 OBERHOLZER vertritt die Ansicht, die beschuldigte Person behalte nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss ihre Verfahrensrolle grundsätzlich bei. Sie könne deshalb in einem späteren Strafverfahren gegen Mitbeteiligte nicht als Zeugin, sondern nur als Auskunftsperson befragt werden, soweit sich der abzuklärende Sachverhalt auf Straftaten beziehe, die Gegenstand des ursprünglich gegen sie geführten Verfahrens gewesen seien (NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, Rz. 747). RUCKSTUHL/DITTMANN/ARNOLD postulieren den materiellen Beschuldigtenbegriff, der sich nur daran orientiere, ob jemand je im fraglichen Lebenssachverhalt mitbeschuldigt gewesen sei oder nicht. Sei er dies gewesen, dann bleibe er für diesen Lebenssachverhalt immer mitbeschuldigte Person. Damit könne der Umstand, dass das Verfahren einer Person bereits abgeschlossen sei, nicht dazu führen, dass sie im Verfahren von anderen Mitbeschuldigten nun als Zeuge auftreten könne und unter Wahrheitspflicht gestellt werde. Dem widerspreche die Definition des Zeugen in Art. 162 StPO. Zudem sei nicht einzusehen, weshalb der Zeitpunkt des Abschlusses des eigenen Verfahrens darüber entscheiden solle, ob man als beschuldigte Person oder als Zeuge im anderen Verfahren befragt werden könne, sei doch dieser Zeitpunkt beliebig manipulierbar (RUCKSTUHL/ DITTMANN/ARNOLD, Strafprozessrecht, 2011, § 9 Rz. 445).
DONATSCH schreibt, nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens durch Freispruch oder Schuldspruch sei der frühere Mitbeschuldigte gemäss Art. 178 lit. e und f StPO grundsätzlich als Zeuge einzuvernehmen. Nicht ganz identisch sei die Sachlage im Falle der Einstellung des Verfahrens gegen den Mitbeschuldigten, weil der Einstellungsverfügung nur eine beschränkte materielle Rechtskraft zukomme. Obwohl das Verfahren unter den Voraussetzungen von Art. 323 StPO wieder aufgenommen werden könne, sei der frühere Mitbeschuldigte nach der Einstellung des gegen ihn geführten Verfahrens grundsätzlich ebenfalls als Zeuge einzuvernehmen. Die Befragung als Auskunftsperson sei nur dann zulässig, wenn der Mitbeschuldigte aufgrund von seit der Einstellung bekannt gewordenen neuen Erkenntnissen zum Kreis der in Art. 178 lit. d StPO umschriebenen Personen gezählt werden müsse. Werde mit der Einvernahme des Mitbeschuldigten so lange zugewartet, bis dieser zufolge Abschlusses seines Verfahrens als Zeuge befragt werden könne, so sei dieses Vorgehen zwar grundsätzlich zulässig, es erhöhe jedoch die Gefahr einer Missachtung des Beschleunigungsgebots (DONATSCH, a.a.O., N. 36 ff. zu Art. 178 StPO mit Hinweisen).
Geht es nach PERRIER, ist die Person nach dem rechtskräftigen Abschluss ihres Verfahrens durch Schuldspruch oder Freispruch als Zeuge einzuvernehmen (CAMILLE PERRIER, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 23 zu Art. 178 StPO).
Unklar bleibt die Position von MOREILLON/PAREIN-REYMOND. Zwar verweisen sie auf das Urteil 6B_1039/2014 vom 24. März 2015, wonach die betreffende Person ihren prozeduralen Status als Auskunftsperson auch nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss behalte (vgl. oben E. 2.2). Dennoch halten sie fest, wenn das Verfahren abgeschlossen und die Person im Nachhinein zu befragen sei, habe dies als Zeuge zu geschehen, es sei denn, sie sei involviert (MOREILLON/ PAREIN-REYMOND, CPP, Code de procédure pénale, 2. Aufl. 2016, N. 19a sowie 22 zu Art. 178 StPO mit Hinweis auf PERRIER, a.a.O., N. 23 zu Art. 178 StPO).
KERNER führt aus, bei in einem anderen Verfahren beschuldigten Personen falle eine Einvernahme als Zeuge ausser Betracht, "weil die damit verbundenen Aussage- und Wahrheitspflichten in Konflikt geraten könnten mit den Interessen, welche die zu befragende Person als Beschuldigte in ihrem eigenen Verfahren verfolgt". Er bringt zum Ausdruck, dass das Aussageverweigerungsrecht der Auskunftsperson "allein dem Schutz vor Selbstbelastung dient" (KERNER, a.a.O., N. 10 f. zu Art. 178 StPO). Zur vorliegenden Konstellation äussert er sich nicht explizit.
BÄHLER hält fest, nicht jede an der Begehung irgendeiner Straftat beteiligte Person falle in einem Strafverfahren als Zeugin ausser Betracht. Massgebend müsse sein, ob die betroffene Person als Zeugin befragt in die Zwangslage geraten würde, entweder die Unwahrheit zu sagen, das heisse, ein falsches Zeugnis abzulegen, oder beim Eingestehen der Wahrheit Tatsachen bekannt geben zu müssen, die für sie selbst nachteilig sein könnten. Zu denken sei dabei vor allem an die in Art. 178 lit. d-f StPO aufgeführten Konstellationen, bei welchen die Einvernahme als Auskunftsperson bereits gesetzlich vorgesehen sei. Die Einvernahme einer Person als Zeugin sei so lange ausgeschlossen, als das Verfahren gegen sie nicht rechtskräftig abgeschlossen oder sie gemäss den gesetzlichen Bestimmungen als Auskunftsperson einzuvernehmen sei. Als abgeschlossen sei ein Strafverfahren zu betrachten, wenn eine rechtskräftige Verfahrenseinstellung oder Verurteilung beziehungsweise ein entsprechender Freispruch vorliege (JÜRG BÄHLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 12 zu Art. 162 StPO).
KAUFMANN argumentiert, Art. 178 lit. f StPO bezwecke die Vermeidung einer Konfliktsituation der beschuldigten Person, indem diese als Zeugin einer Aussage- und Wahrheitspflicht nachzukommen hätte, die ihren persönlichen Interessen in dem gegen sie gerichteten Verfahren widersprechen könnte. Sowohl nach ihrem Zweck als auch nach ihrem Wortlaut beziehe sich die Bestimmung nur auf laufende Strafverfahren. Zum einen besitze eine rechtskräftig verurteilte beziehungsweise freigesprochene Person keinen Beschuldigtenstatus mehr. Zum anderen sei die sie betreffende Straftat bereits rechtskräftig abgeklärt, die abgeurteilte Person gerate folglich nicht in einen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit der eigenen abzuklärenden Straftat. Zudem sei die verurteilte Person auch in der Stellung als Zeugin nicht gezwungen, sich selber zu belasten. Ihr stehe das Zeugnisverweigerungsrecht gemäss Art. 169 StPO zu, sollten ihr Fragen gestellt werden, mit deren Beantwortung sie sich der Gefahr erneuter strafrechtlicher Verfolgung aussetzen könnte (ARIANE KAUFMANN, Das abgekürzte Verfahren bei mehreren Tatbeteiligten, recht 2009 S. 160 f.; vgl. zur Situation bei Einstellung des Verfahrens: S. 162).
 
Erwägung 3
 
Erwägung 3.1
3.1.1 Die Gesetzesbestimmungen sind in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. An einen klaren Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde gebunden. Abweichungen vom klaren Wortlaut sind indessen zulässig oder sogar geboten, wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass er nicht dem wahren Sinn der Bestimmung entspricht. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben. Vom klaren Wortlaut kann ferner abgewichen werden, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann. Im Übrigen sind bei der Auslegung alle herkömmlichen Auslegungselemente zu berücksichtigen, wobei das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus befolgt und es ablehnt, die einzelnen Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen (BGE 143 IV 122 E. 3.2.3 S. 125; BGE 142 IV 105 E. 5.1 S. 110; BGE 139 IV 62 E. 1.5.4 S. 74; je mit Hinweisen).
3.1.2 Eine Lücke im Gesetz besteht, wenn sich eine Regelung als unvollständig erweist, weil sie jede Antwort auf die sich stellende Rechtsfrage schuldig bleibt. Hat der Gesetzgeber eine Rechtsfrage nicht übersehen, sondern stillschweigend - im negativen Sinn - mitentschieden (qualifiziertes Schweigen), bleibt kein Raum für richterliche Lückenfüllung. Eine Gesetzeslücke, die vom Gericht zu füllen ist, liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts vor, wenn der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen, und dem Gesetz diesbezüglich weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann. Von einer unechten oder rechtspolitischen Lücke ist demgegenüber die Rede, wenn dem Gesetz zwar eine Antwort, aber keine befriedigende zu entnehmen ist. Echte Lücken zu füllen, ist dem Gericht aufgegeben, unechte zu korrigieren, ist ihm nach traditioneller Auffassung grundsätzlich verwehrt (BGE 143 I 187 E. 3.2 S. 191 f.; BGE 143 IV 49 E. 1.4.2 S. 54 f.; BGE 141 V 481 E. 3.1 S. 485; je mit Hinweisen). Ob eine zu füllende Lücke oder ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln (BGE 143 IV 49 E. 1.4.2 S. 55; BGE 141 IV 298 E. 1.3.2 S. 299 mit Hinweisen). Ist ein lückenhaftes Gesetz zu ergänzen, gelten als Massstab die dem Gesetz selbst zugrunde liegenden Zielsetzungen und Werte (BGE 143 IV 49 E. 1.4.2 S. 55; BGE 141 IV 298 E. 1.3.1 S. 299; BGE 140 III 636 E. 2.2 S. 638; je mit Hinweisen). Lücken können oftmals auf dem Weg der Analogie geschlossen werden (BGE 141 IV 298 E. 1.3.1 S. 299 mit Hinweisen).
 
Erwägung 3.2
3.2.1 Nach Art. 178 lit. f StPO ist als Auskunftsperson einzuvernehmen, wer in einem anderen Verfahren wegen einer Tat, die mit der abzuklärenden Straftat in Zusammenhang steht, beschuldigt ist ("a le statut de prévenu dans une autre procédure, en raison d'une infraction qui a un rapport avec les infractions à élucider"; "chi, in un altro procedimento, è imputato per un fatto in rapporto con il reato da elucidare"). Die Bestimmung erfasst einerseits Mittäterinnen, Mittäter, Teilnehmerinnen oder Teilnehmer der abzuklärenden Tat, welche jedoch in einem andern Verfahren beurteilt werden, und andererseits Personen, die in einem anderen Verfahren einer mit der abzuklärenden Tat in Zusammenhang stehenden Straftat beschuldigt sind (BBl 2006 1209 Ziff. 2.4.4; DONATSCH, a.a.O., N. 34 f. zu Art. 178 StPO). Der Wortlaut der Bestimmung legt nahe, dass die betreffende Person nur so lange als Auskunftsperson zu befragen ist, als sie "beschuldigt ist". Dies ist nach dem rechtskräftigen Abschluss ihres Verfahrens durch Verurteilung nicht mehr der Fall.
Gemäss Art. 162 StPO ist Zeugin oder Zeuge eine an der Begehung einer Straftat nicht beteiligte Person ("personne qui n'a pas participé à l'infraction"; "chi pur non avendo partecipato alla commissione del reato"), die der Aufklärung dienende Aussagen machen kann und nicht Auskunftsperson ist. Entscheidendes Kriterium für die Zeugenstellung ist somit, dass die betreffende Person an der Begehung der (abzuklärenden) Straftat nicht beteiligt ist. Jemand, der in einem Verfahren rechtskräftig wegen der abzuklärenden Tat oder einer damit in Zusammenhang stehenden Straftat verurteilt wurde, ist und bleibt an der Begehung der Straftat beteiligt. Eine rechtskräftige Verurteilung vermag an den tatsächlichen Verhältnissen nichts zu verändern.
Während Art. 178 lit. f StPO auf die formelle Verfahrensstellung der einzuvernehmenden Person als Beschuldigte in einem anderen Verfahren abstellt, wird der Zeugenbegriff in Art. 162 StPO materiell definiert: Zeugin ist eine an der Begehung der abzuklärenden Straftat nicht beteiligte Person, unbesehen ihrer Stellung im Verfahren. Die Rolle als Auskunftsperson ist in zeitlicher Hinsicht beschränkt. Demgegenüber kann ein an der Begehung der abzuklärenden Straftat Beteiligter nach dem Gesetzeswortlaut nie als Zeuge einvernommen werden. Daraus ergibt sich, dass eine Person, die in einem getrennten Verfahren für die abzuklärende Tat oder eine damit in Zusammenhang stehende Straftat rechtskräftig verurteilt wurde, weder unter den Gesetzeswortlaut von Art. 178 lit. f StPO noch unter jenen von Art. 162 StPO subsumiert werden kann.
3.2.2 Was das teleologische Element anbelangt, so ist für die Auslegung beider Bestimmungen letztlich auf den Sinn und Zweck von Art. 178 lit. f StPO abzustellen. Dieser besteht darin, die befragte Person zu schützen. Ihre Stellung im eigenen Strafverfahren soll nicht dadurch erschwert werden, dass sie im fremden Verfahren gegen eine mitbeschuldigte Person einer Wahrheits- und Aussagepflicht unterstellt wird und dadurch in den Gewissenskonflikt gerät, entweder sich selbst zu belasten oder erneuter Straffälligkeit auszusetzen, indem sie die Aussage zu Unrecht verweigert oder falsche Aussagen macht. Im Gegensatz zur Zeugin unterliegt die Auskunftsperson der Wahrheits- und Aussagepflicht nicht. Das Aussageverweigerungsrecht der Auskunftsperson dient allein dem Schutz vor Selbstbelastung (vgl. BBl 2006 1208 f. Ziff. 2.4.4; KERNER, a.a.O., N. 10 f. zu Art. 178 StPO; BÄHLER, a.a.O., N. 12 zu Art. 162 StPO; siehe auch: KAUFMANN, a.a.O., S. 161). Demgegenüber bezweckt Art. 178 lit. f StPO nicht, Mitbeschuldigte in deren separaten Verfahren zu privilegieren, indem verhindert wird, dass sie von Tatbeteiligten durch Zeugenbeweis belastet werden (vgl. BGE 144 IV 28 E. 1.3.1).
Art. 175 lit. f E-StPO, welcher dem geltenden Art. 178 lit. f StPO entspricht, erfasst nach dem Willen des Bundesrats Mittäterinnen, Mittäter, Teilnehmerinnen oder Teilnehmer der abzuklärenden Tat, welche jedoch in einem anderen Verfahren beurteilt werden. Diese Personen können nicht als beschuldigte Personen einvernommen werden, weil ihnen diese Eigenschaft im Verfahren, in welchem sie befragt werden, nicht zukommt. Der Bundesrat hält fest, eine Einvernahme als Zeugin und Zeuge falle ausser Betracht, weil ihre Aussage- und Wahrheitspflicht in Konflikt geraten könnte mit den Interessen, welche sie im eigenen Verfahren verfolgten. Das Gleiche gelte auch, wenn in den beiden Verfahren zwar nicht die gleiche, aber konnexe Straftaten verfolgt würden (BBl 2006 1209 Ziff. 2.4.4).
Im Vorentwurf für eine Schweizerische Strafprozessordnung war die Konstellation von Art. 178 lit. f StPO noch nicht explizit geregelt. Aus dem Begleitbericht zum Vorentwurf ergibt sich jedoch, dass Mittäter des gleichen Delikts oder Täter konnexer Straftaten (z.B. Hehler, Geldwäscher), die in separaten Verfahren verfolgt werden, nach Ansicht der Verfasser Auskunftspersonen nach Art. 186 Abs. 1 lit. d VE-StPO seien (Bundesamt für Justiz, Begleitbericht zum Vorentwurf für eine Schweizerische Strafprozessordnung [nachfolgend: Begleitbericht], 2001, S. 138). Art. 186 VE-StPO, der Vorläufer von Art. 178 StPO, enthielt einen zweiten Absatz mit folgender Bestimmung: "Die Verfahrensleitung entscheidet, ob Auskunftspersonen im Sinne von Art. 186 Abs. 1 lit. d-f VE-StPO nach der Einstellung des Strafverfahrens oder nach dem Freispruch als Zeuginnen oder Zeugen einvernommen werden können." Im Begleitbericht wurde dazu festgehalten, Art. 186 Abs. 2 VE-StPO erfasse Fälle von Abs. 1 lit. d-f, in denen das Strafverfahren gegen die Auskunftsperson nachträglich eingestellt worden oder ein Freispruch erfolgt sei. Bisher sei überwiegend angenommen worden, dass nach dieser Einstellung oder dem Freispruch die betreffende Person als Zeugin oder Zeuge einzuvernehmen sei. Meistens möchten gegen ein solches Vorgehen keine Bedenken vorhanden sein. Problematisch sei es jedoch, wenn ein Restverdacht bleibe und die frühere beschuldigte Person, wenn sie als Zeugin wahrheitspflichtig würde, allenfalls Gefahr liefe, dass der Fall gegen sie wieder aufgenommen würde. Fragwürdig sei eine Zeugeneinvernahme sodann, wenn das Verfahren gegen die mitbeschuldigte Person allein aus prozessualen Gründen eingestellt worden sei. Der Entscheid, ob die frühere Auskunftsperson nach Einstellung oder Freispruch als Zeugin oder Zeuge oder aber weiterhin als Auskunftsperson zu befragen sei, werde deshalb der jeweils zuständigen Verfahrensleitung übertragen (Begleitbericht, a.a.O., S. 139). Dieses Wahlrecht stiess im Vernehmlassungsverfahren auf Kritik (Bundesamt für Justiz, Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens über die Vorentwürfe zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung und zu einem Bundesgesetz über das Schweizerische Jugendstrafverfahren [nachfolgend: Zusammen fassung des Vernehmlassungsverfahrens], 2003, S. 47 f.) und findet sich im Entwurf nicht mehr. Im Parlament wurde Art. 175 lit. f E-StPO nicht näher diskutiert (AB 2006 S 1023 f.; AB 2007 N 965).
Für die vorliegend zu beurteilende Konstellation einer rechtskräftigen Verurteilung ist dem historischen Auslegungsmoment nichts Konkretes zu Art. 178 lit. f StPO zu entnehmen. Es bleibt einzig festzuhalten, dass dem Gesetzgeber bewusst war, dass die betreffende Person gemäss damaliger Praxis nach Einstellung oder Freispruch als Zeugin oder Zeuge einzuvernehmen ist. Hätte der Gesetzgeber die Stellung als Auskunftsperson über den Abschluss des eigenen Strafverfahrens fortdauern lassen wollen, dann wäre dies in Art. 178 lit. f StPO ausdrücklich festgehalten worden. Stattdessen übernahm er Art. 186 Abs. 2 VE-StPO nicht, der in gewissen Fällen die Bei behaltung der Stellung als Auskunftsperson ermöglicht hätte. Dies legt nahe, dass nach Absicht des Gesetzgebers Art. 178 lit. f StPO bei Personen zur Anwendung gelangt, deren eigenes Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Demzufolge fällt die rechtskräftig beurteilte Person nicht unter diese Bestimmung.
Hinsichtlich Art. 162 StPO ist die historische Auslegung wenig ergiebig. Art. 162 StPO lautet weitgehend identisch wie Art. 159 E-StPO und Art. 172 Abs. 1 VE-StPO, mit der Ausnahme, dass in Letzterem noch der Plural verwendet wurde. Weder der Botschaft noch der parlamentarischen Beratung noch der Zusammenfassung des Vernehmlassungsverfahrens oder dem Begleitbericht ist etwas über den Gesetzeswortlaut Hinausgehendes zum Zeugenbegriff zu entnehmen (vgl. BBl 2006 1196 Ziff. 2.4.3.1; AB 2006 S 1017; AB 2007 N 961; Zusammenfassung des Vernehmlassungsverfahrens, a.a.O., S. 46; Begleitbericht, a.a.O., S. 127).
3.2.4 Die weiteren Auslegungselemente führen zu keiner von der grammatikalischen Auslegung abweichenden Erkenntnis. Eine Person, die in einem getrennten Verfahren für die abzuklärende Tat oder eine damit in Zusammenhang stehende Straftat rechtskräftig verurteilt wurde, wird weder von Art. 178 lit. f StPO noch von Art. 162 StPO erfasst. Damit regelt die Strafprozessordnung nicht, in welcher Rolle die verurteilte Person einzuvernehmen ist. Dies mag daran liegen, dass der Gesetzgeber eine solche Konstellation nicht vorausgesehen hat, da Straftaten gegen Mittäter und Teilnehmer grundsätzlich gemeinsam verfolgt und beurteilt werden (Art. 29 Abs. 1 lit. b StPO). Letztlich kann der Grund für die fehlende Regelung offenbleiben. Jedenfalls liegen keine Anhaltspunkte für ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers vor. Zudem bedarf die Situation zwingend einer Regelung. Es ist daher von einer Gesetzeslücke auszugehen, die vom Gericht zu füllen ist. Dabei soll es nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde (vgl. Art. 1 Abs. 2 ZGB; BGE 141 IV 298 E. 1.5.4 S. 303).
3.3 Auf die drei unterschiedlichen Varianten von Einvernahmen und Belehrungen sowie deren Auswirkungen auf die Rechtsstellung der einzuvernehmenden Person wurde eingangs hingewiesen (vgl. oben E. 2.1). Eine Einvernahme des rechtskräftig Verurteilten im konnexen Verfahren als beschuldigte oder sachverständige Person kommt vorliegend aus offensichtlichen Gründen nicht in Betracht. Beim Entscheid, ob die betreffende Person in einem konnexen Verfahren als Zeugin oder Auskunftsperson einzuvernehmen ist, sind insbesondere Sinn und Zweck des Instituts der Auskunftsperson ausschlaggebend. In den hier einzig in Frage stehenden Konstellationen, in denen zumindest ein gewisser Verdacht gegen die einzuvernehmende Person besteht (vgl. Art. 178 lit. d-f StPO), dient die Einvernahme als Auskunftsperson nach dem Gesagten dem Schutz der einzuvernehmenden Person; es soll ein Konflikt zwischen Selbstbelastung einerseits und Verstoss gegen die Wahrheits- oder Aussagepflicht andererseits verhindert werden (vgl. oben E. 3.2.2). Nach dem rechtskräftigen Abschluss des eigenen Verfahrens durch Verurteilung besteht nun aber dieser Konflikt in der Regel nicht mehr, weshalb das Schutzbedürfnis der einzuvernehmenden Person entfällt. Wer in der Schweiz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, darf wegen der gleichen Straftat nicht erneut verfolgt werden (Art. 11 Abs. 1 StPO). Vorbehalten bleiben gemäss Art. 11 Abs. 2 StPO zwar die Wiederaufnahme eines eingestellten oder nicht anhand genommenen Verfahrens und die Revision. Neben der Wiederaufnahme (Art. 323 StPO; vgl. auch Art. 310 Abs. 2 StPO) ist auch die Revision zu Ungunsten der beschuldigten Person möglich (Art. 410 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 StPO e contrario; vgl. dazu BGE 139 IV 62 E. 1.5.8 S. 77). Den damit verbundenen Bedenken ist allerdings entgegenzuhalten, dass eine Person gemäss Art. 169 Abs. 1 StPO das Zeugnis verweigern kann, wenn sie sich mit ihrer Aussage selbst derart belasten würde, dass sie strafrechtlich (lit. a; vgl. dazu Urteil 1B_436/ 2011 vom 21. September 2011 E. 2.4) oder zivilrechtlich verantwortlich gemacht werden könnte, und wenn das Schutzinteresse das Strafverfolgungsinteresse überwiegt (lit. b; vgl. KAUFMANN, a.a.O., S. 161). Da das Schutzbedürfnis der einzuvernehmenden Person nach ihrer rechtskräftigen Verurteilung entfällt, rechtfertigt es sich, sie im konnexen Verfahren als Zeugin einzuvernehmen. Hierfür spricht auch der Umstand, dass die Aufzählung in Art. 178 StPO nach dem Willen des Gesetzgebers abschliessend ist (BBl 2006 1208 Ziff. 2.4.4). Es ist nicht vorgesehen, generell befangene Personen als Auskunftspersonen einzuvernehmen (DONATSCH, a.a.O., N. 24 zu Art. 178 StPO; KERNER, a.a.O., N. 4 zu Art. 178 StPO).
Das Bundesgericht verkennt nicht, dass die gefundene Lösung die Trennung von Strafverfahren gegen mehrere Tatbeteiligte begünstigen kann. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass im schweizerischen Strafprozess der Grundsatz der Verfahrenseinheit gilt. Gemäss Art. 29 Abs. 1 StPO werden Straftaten gemeinsam verfolgt und beurteilt, wenn eine beschuldigte Person mehrere Straftaten verübt hat (lit. a) oder Mittäterschaft oder Teilnahme vorliegt (lit. b). Eine Verfahrenstrennung ist gemäss Art. 30 StPO nur bei Vorliegen sachlicher Gründe zulässig und muss die Ausnahme bleiben (zum Ganzen: BGE 138 IV 29 E. 3.2 S. 31 f., BGE 138 IV 214 E. 3.2 S. 219; Urteile 6B_1030/2015 vom 13. Januar 2017 E. 2.3; 1B_11/2016 vom 23. Mai 2016 E. 2.2; je mit Hinweisen). Es kommt hinzu, dass ein Zuwarten mit der Einvernahme bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gegen die einzuvernehmende Person die Gefahr einer Missachtung des Beschleunigungsgebots erhöht (DONATSCH, a.a.O., N. 38 zu Art. 178 StPO). Schliesslich vermag auch der vom Beschwerdeführer thematisierte Umstand, dass der Zeugenaussage im Strafverfahren höheres Gewicht zukommt als den Aussagen einer Auskunftsperson (vgl. dazu Urteile 6B_98/2016 vom 9. September 2016 E. 2.4.2; 6B_208/2015 vom 24. August 2015 E. 7.4; je mit Hinweisen), an der beabsichtigten Lückenfüllung nichts zu ändern.