BGE 92 IV 132
 
34. Urteil des Kassationshofes vom 12. Juli 1966 i.S. Schmitt gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt.
 
Regeste
Art. 157 Ziff. 1 Abs. 1 StGB.
a) Das offenbare Missverhältnis (Erw. 1);
b) Die Notlage (Erw. 2);
c) Die Ausbeutung (Erw. 3).
 
Sachverhalt
A.- Die Geotan GmbH baute im Jahre 1946/47 die drei Häuser St. Jakobsstrasse 51, 53 und 55 in Basel mit Ein-, Zwei-, Drei- und Vierzimmerwohnungen. Die Kontrollstelle für Miet- und Pachtzinse setzte am 28. November 1951 die höchst zulässigen Mietzinse fest, die nach den Wohnungsgrössen zwischen Fr. 1520.-- und Fr. 3320.-- schwankten und für die drei Häuser insgesamt Fr. 111'450.-- ausmachten.
Am 10. Dezember 1953 verkaufte die Geotan GmbH die drei Liegenschaften der Camugio AG (mit einem Aktienkapital von Fr. 60'000.--), der sie einschliesslich der Kosten auf rund Fr. 1'860,000.-- zu stehen kamen.
Infolge der inzwischen in Kraft getretenen neuen Vorschriften wurden die Liegenschaften von der Mietzinskontrolle frei.
Die Camugio AG erhöhte in der Folge die Mietzinse wiederholt, so dass sie sich auf den 1. April 1963 auf Fr. 130'377.40 beliefen. Die Erhöhung betrug gegenüber den seinerzeit bewilligten Mietzinsen durchschnittlich 17%, für die einzelnen Wohnungen zwischen 14 und 26%.
Am 25. Juli 1963 verkaufte Hugo Müller die Aktien der Camugio AG für Fr. 1'380,000.-- der Valorima AG, vertreten durch den Beschwerdeführer Karl Schmitt. Einschliesslich der von der Valorima übernommenen Hypotheken, Kosten, Gebühren und Steuern stellte sich der Gestehungspreis auf rund Fr. 3'200,000.--. Die Mittel beschaffte sich die Valorima AG grösstenteils durch Darlehen, die durch Grundpfandrechte im III., IV. und V. Rang sichergestellt wurden.
Die Valorima AG als neue Aktionärin der Camugio AG übertrug die Verwaltung der Liegenschaften der Möblierungs AG in Zürich. Verwaltungsrat der Camugio AG sowie Hauptaktionär, Verwaltungsrat und Geschäftsführer der Möblierungs AG ist Schmitt.
Schmitt kündigte mit Schreiben der Möblierungs AG vom 29. August 1963, das den Mietern am 17. September zugestellt wurde, sämtliche Mietverträge der drei Liegenschaften, erklärte sich aber bereit, neue Verträge mit erhöhten Mietzinsen abzuschliessen. Die Mietzinse, die er mit Wirkung ab 1. April 1964 verlangte, machten insgesamt Fr. 195'000.-- aus, was gegenüber dem Stand vom 1. August 1963 im Durchschnitt eine Erhöhung um 49,56%, für die einzelnen Wohnungen eine solche von rund 20 bis 63% bedeutete.
Von den 45 Mietern nahmen 44 die Mietzinserhöhung an. Nach Einleitung des Strafverfahrens reduzierte Schmitt die neuen Mietzinse noch vor ihrem Inkrafttreten von insgesamt Fr. 195'000.-- auf Fr. 180'000.--, womit gegenüber dem Stand vom 1. August 1963 eine Erhöhung von durchschnittlich 38% verblieb.
B.- Das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt verurteilte Schmitt am 27. Oktober 1965 wegen Wuchers (Art. 157 Ziff. 1 StGB) zu einer mit einer Probezeit von zwei Jahren aufgeschobenen Strafe von sechs Monaten Gefängnis und zu einer Busse von Fr. 10'000.--.
Das Appellationsgericht, an das Schmitt rekurrierte, bestätigte am 4. Mai 1966 das erstinstanzliche Urteil.
C.- Gegen das Urteil des Appellationsgerichtes führt Schmitt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Sache sei zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Nach Art. 157 Ziff. 1 Abs. 1 StGB wird u.a. bestraft, wer die Notlage einer Person ausbeutet, um sich oder einem andern für eine Vermögensleistung Vermögensvorteile gewähren oder versprechen zu lassen, die mit der Leistung in einem offenbaren Missverhältnis stehen.
1. Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung bemisst sich ordentlicherweise nach dem Preis oder Entgelt, die im Verkehr für Kredite, Sachen oder Dienste dieser Art üblich sind (s. hiezu BGE 82 IV 147). Objektiver Wert ist daher bei Mietwohnungen der Zins, der für gleichartige Wohnungen auf dem Wohnungsmarkte des Ortes üblicherweise bezahlt wird. Die Vorinstanz geht davon aus, dass die für die Wohnungen der Häuser St. Jakobstrasse 51, 53 und 55 ursprünglich bezahlten Mietzinse von rund Fr. 110'000.-- den damaligen Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkte in angemessener Weise Rechnung trugen und dass für vergleichbare, ums Jahr 1948 erstellte Wohnungen am 1. April 1964, als die vom Beschwerdeführer durchgeführten Erhöhungen in Kraft traten, durchschnittlich 115%, bei einzelnen Wohnungen, wo besondere Umstände vorlagen, wie z.B. teuere Umbauten, hohe Nebenkosten, bis zu 140% der ursprünglichen (bewilligten) Mietzinse bezahlt worden seien. Das sind tatsächliche Feststellungen, die sich auf Beweiswürdigung, namentlich auf das Gutachten Lüthi sowie Angaben des gerichtlichen Experten Furrer stützen. Sie können deshalb gemäss Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP nicht unter Berufung auf die Gutachten Baumann, Goepfert und Theurillat, welche die Vorinstanz unter eingehender Würdigung als nicht schlüssig erklärte, mit der Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden, binden vielmehr nach Art. 277 bis Abs. 1 BStP den Kassationshof. Dass die Vorinstanz rechtlich unzulässige Vergleiche angestellt und Nichtvergleichbares mit einander verglichen hätte, ist nicht ersichtlich und wird auch in der Beschwerde nicht geltend gemacht.
Dem marktgemässen Mietertrag von ursprünglich rund Fr. 110'000.-- entsprach somit am 1. April 1964 nach dem Durchschnitt vergleichbarer Wohnungen ein "gemeiner" Mietwert, wie ihn die Vorinstanz nennt, von rund Fr. 125'000.--. Dann stand aber der Betrag von Fr. 195'000.--, auf den die Mietzinse damals erhöht wurden, zu den Leistungen der Vermieterin in einem offenbaren Missverhältnis. Offenbar ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung dann, wenn es in grober Weise gegen die Masstäbe des anständigen Verkehrs verstösst, wenn die Grenzen dessen, was unter Berücksichtigung aller Umstände im Verkehr üblich ist und als angemessen gilt, erheblich überschritten sind. Das Missverhältnis muss, wie andere Gesetzgebungen sich ausdrücken, ein auffälliges sein, es muss nach dem vielzitierten Worte von BINDING (Bes. Teil I 458) sich jedem Kundigen als solches aufdrängen. Das trifft bei der Erhöhung der Mietzinse auf Fr. 195'000.-- gegenüber einem für vergleichbare Wohnungen durchschnittlich bezahlten Gesamtbetrage von Fr. 125'000 unzweifelhaft zu.
Der Beschwerdeführer macht demgegenüber geltend, es sei schon vor der Erhöhung die Modernisierung der Wohnungen im Kostenbetrage von Fr. 300'000.-- in Auftrag gegeben und inzwischen durchgeführt worden, was bei einem Ansatze von 6% einer Verzinsung von Fr. 18'000.-- rufe. Allein, darauf kommt es, wie die Vorinstanz bemerkt, nicht an. Massgebend ist der Zustand der Wohnungen im Zeitpunkt, auf den die Mietzinse erhöht wurden, also am 1. April 1964, und in diesem Zeitpunkt waren sie nach der Feststellung der Vorinstanz noch nicht instandgestellt, geschweige denn verbessert. Besondere Umstände, welche eine Erhöhung der Mietzinse über den vergleichbaren Durchschnitt von Fr. 125'000.-- hinaus gerechtfertigt hätten, lagen somit nicht vor.
Selbst wenn man aber nicht von diesem Durchschnitt ausgehen, sondern die seit 1948 eingetretene Baukostenverteuerung von 40% mitberücksichtigen wollte, so ergäbe sich erst ein Betrag von rund Fr. 155'000.-- (Fr. 110'000.-- + Fr. 44'000.--). Dann läge der geforderte Betrag von Fr. 195'000.-- immer noch um rund Fr. 40'000.-- oder 25% über dem marktmässig gerechtfertigten, und das Missverhältnis wäre auch in diesem Falle noch ein grobes und offenbares. Dabei könnte die Erhöhung des Baukostenindexes in Wirklichkeit keinesfalls im vollen Umfange in Rechnung gestellt werden, befanden sich doch die Wohnungen bei der Mietpreiserhöhung, wie bereits ausgeführt, noch im alten Zustande, waren also nicht auf den Stand von Neuwohnungen gebracht.
Zu Unrecht wendet der Beschwerdeführer auch ein, dass eine Erhöhung der Mietzinse seit Aufhebung der Mietpreiskontrolle um jährlich 5% zulässig gewesen wäre und diese sukzessiven Aufschläge total einen höhern Betrag ergeben hätten als den beanstandeten. Er scheint damit auf die Aufschläge anspielen zu wollen, welche für die unter Mietzinskontrolle stehenden Wohnungen bewilligt wurden. Diese betrugen aber laut Auskunft der eidgenössischen Mietpreiskontrolle seit Ende 1951, als die höchstzulässigen Mietzinse der drei Liegenschaften auf Fr. 111'450.-- festgesetzt worden waren, insgesamt nur 22% (1954, 1957 und 1961 je 5%, 1963 7%) bzw. rund 24% (da die Erhöhungen jeweils auf der Grundlage der früher bewilligten Aufschläge zu berechnen waren), was für die drei Liegenschaften rund Fr. 27'000.-- ausgemacht und einen Höchstbetrag von nicht einmal Fr. 140'000.-- ergeben hätte. Auch wenn man in Betracht zieht, dass die drei Liegenschaften der Mietpreiskontrolle nicht mehr unterstanden, so wären jedoch jährliche Erhöhungen um 5% selbstverständlich nur solange zulässig gewesen, als sie nicht im Ergebnis zu einem offenbaren Missverhältnis zwischen den geforderten und den marktgerechten Mietzinsen führten.
An der Sache vorbei geht sodann der Hinweis auf die Ansätze im Kleinkreditwesen. Wenn dort an Zinsen, Provisionen, Gebühren und Spesenvergütungen bis zu 18% gefordert werden dürfen (s. Interkant. Konkordat vom 8. Oktober 1957, AS 1958, 374; Urteil des Kassationshofes vom 28. Juni 1963 i.S. Valsangiacomo), so hat das seinen Grund in den mit diesen Geschäften verbundenen besondern Risiken, Umtrieben und Kosten. Davon sind die Verhältnisse beim Vermieter von Wohnungen völlig verschieden; hier bestehen, zumal beim heutigen beschränkten Wohnungsmarkt, keine derartigen aussergewöhnlichen Preisfaktoren.
Am offenbaren Missverhältnis zwischen dem Marktwert der Wohnungen und den verlangten Mietzinsen ändert auch der Preis von Fr. 3'200,000.-- nichts, auf den die Camugio-Aktien die Valorima AG beim Kauf im Juli 1963 zu stehen kamen. Gewiss ist das Verhältnis nach den gesamten Umständen zu bewerten, und dazu gehört grundsätzlich auch der Gestehungspreis der eigenen Leistung. Dabei wäre an sich unerheblich, dass Eigentümerin der Liegenschaften die Camugio AG blieb und nur ihre Aktien die Hand wechselten. Massgebend sind die wirtschaftlichen Verhältnisse, nicht die Rechtsformen des Erwerbes. Der - direkte oder indirekte - Erwerber einer Liegenschaft entgeht aber der Anwendung von Art. 157 StGB nicht dadurch, dass er einen nach dem marktgemässen Mietertrag übersetzten Preis dafür bezahlt, um dann entsprechend diesem Preis die Mietzinse in einem Umfange zu erhöhen, der zum Wert der Wohnungen in keinem anständigen Verhältnis mehr steht. Wie das Strafgericht mit Recht ausführt, wären damit der Steigerung der Mietzinse praktisch keine Grenzen gesetzt, könnte doch der Erwerber der Liegenschaft, um auf seine Rechnung zu kommen, jeden beliebigen Kaufpreis durch entsprechende Mietzinserhöhungen ausgleichen.
Damit steht die Notlage im Sinne von Art. 157 fest. Sie braucht nicht in Armut zu bestehen; es genügt jede Zwangslage, welche den Betroffenen in seiner Entschlussfreiheit dermassen beeinträchtigt, dass er sich zu der Leistung bereit erklärt (BGE 70 IV 204, BGE 82 IV 150).
Das hat der Beschwerdeführer getan. Nach den wiederum verbindlichen Feststellungen der Vorinstanzen war er sich sowohl der Übersetztheit der geforderten Mietzinse wie der Zwangslage der Mieter bewusst und führte die Mietzinserhöhungen u.a. durch, weil er damit eine Erhöhung des Verkehrswertes der Liegenschaften erreichen wollte, um sie sobald als möglich mit entsprechendem Gewinn für die Camugio AG weiterverkaufen zu können.
Seine Aktion war nichts anderes als eine unverantwortliche Preistreiberei.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.