BGE 86 IV 177
 
44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 12. Juli 1960 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn.
 
Regeste
Art. 191 Ziff. 1 StGB; Unzucht mit einem Kinde.
 
Aus den Erwägungen:
2. a) Nach Art. 191 Ziff. 1 StGB wird bestraft, wer ein Kind unter sechzehn Jahren zum Beischlaf oder zu einer ähnlichen Handlung missbraucht. Welche Handlungen als beischlafsähnlich aufzufassen sind, sagt das Gesetz nicht. Auch aus den Gesetzesmaterialien geht nicht klar hervor, wie der Gesetzgeber diesen Begriff ausgelegt wissen wollte. Der Ausdruck beischlafsähnliche Handlung wurde aus der Lehre und Rechtsprechung zum § 175 des deutschen Strafgesetzbuches (in der Fassung vom 15. Mai 1871) übernommen. Die Tragweite, die ihm dort beigelegt wurde, kann aber für die Auslegung des Art. 191 Ziff. 1 schon deshalb nicht ausschlaggebend sein, weil § 175 einzig von der widernatürlichen Unzucht handelte und der Begriff der Beischlafsähnlichkeit zur Abgrenzung der strafbaren von der straflosen Unzucht diente, während er in Art. 191 Ziff. 1 zur Umschreibung eines der qualifizierten Fälle der Unzucht mit Kindern verwendet wird.
Nach der durch BGE 71 IV 191 eingeleiteten Rechtsprechung rechnet der Kassationshof des Bundesgerichtes die immissio inter femora zu den beischlafsähnlichen Handlungen (vgl. ferner BGE 75 IV 165; BGE 84 IV 101). Diese Rechtsprechung war dem Gesetzgeber bekannt, als er im Jahre 1950 Art. 191 Ziff. 1 StGB in die Revision des StGB miteinbezog. Dennoch hat er den Begriff der Beischlafsähnlichkeit nicht eingeschränkt, sondern lediglich die in Abs. 1 und 2 dieser Bestimmung angedrohten Mindeststrafen herabgesetzt. Das stände einer Aenderung der Rechtsprechung nicht entgegen. Zu einer solchen besteht indessen kein Anlass.
b) Der Missbrauch zu einer beischlafsähnlichen Handlung ist in Art. 191 Ziff. 1 mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten und, wenn einer der Qualifikationsgründe des Abs. 2 zutrifft, mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bedroht. Diese hohen Strafminima und der Umstand, dass Ziff. 2 sämtliche Abarten und Entartungen der geschlechtlichen Befriedigung an einem Kinde als "andere unzüchtige Handlungen" zu erfassen erlaubt und mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis, bzw. beim Vorliegen eines der Qualifikationsgründe des Abs. 2 mit Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter drei Monaten bedroht, weisen darauf hin, dass der Gesetzgeber den Begriff der Beischlafsähnlichkeit eher im engen Sinne aufgefasst hat. Es fällt daher ausser Betracht, ein Verhalten, das sich mit Beischlaf nur entfernt vergleichen lässt, nach Art. 191 Ziff. 1 zu ahnden. Die Anwendung dieser Bestimmung ist dagegen geboten, wenn der männliche Täter sein Glied mit dem Körper des Kindes in so enge Berührung bringt, dass die Vereinigung an Innigkeit derjenigen beim natürlichen Beischlaf ähnlich ist und auch in den Wirkungen, die sie auf das Seelenleben und die sittliche Entwicklung des Kindes haben kann, sich nicht wesentlich von diesem unterscheidet (vgl. BGE 76 IV 108 f., 236 f., BGE 84 IV 101 f.). Das trifft, wie der Kassationshof in Uebereinstimmung mit der Doktrin wiederholt ausgesprochen hat (BGE 76 IV 108 f., BGE 80 IV 173; BGE 84 IV 101) und übrigens auch schon bei der Gesetzesberatung hervorgehoben wurde (Prot. II Exp. Komm. Bd. IV S. 41, Votum Lang), jedenfalls beim coitus per anum und der immissio in os zu. Die gelegentlich vertretene Auffassung, nur ein solches Einführen des Gliedes in eine natürrliche Körperöffnung des Partners erfülle die Merkmale der Beischlafsähnlichkeit im Sinne von Art. 191 Ziff. 1 (vgl. z.B. Prot. II. Exp. Komm. Bd. IV S. 41 f., Votum Lang; RS 1943 Nr. 94), hat wohl den Vorteil für sich, dass sie auf ein einfaches Unterscheidungsmerkmal abstellt. Sie ist jedoch abzulehnen, weil sie darüber hinweggeht, dass andere Spielarten der unzüchtigen Handlungen mit Kindern dem natürlichen Beiwohnungsakte ebenso nahe kommen und daher auch bei einschränkender Auslegung der Art. 191 Ziff. 1 gleichfalls unter diese Bestimmung gezogen werden müssen, da ein innerer Grund, diese Fälle anders zu behandeln als den coitus per anum und die immissio in os, fehlt.
Das gilt insbesondere für die immissio inter femora. Diese ist dem Täter, gleich wie der coitus per anum und die immissio in os, Ersatz für den Beischlaf und entspricht diesem durch die Innigkeit der Vereinigung und die Vorstellung, die beim Opfer geweckt wird. Jedenfalls erreicht die Innigkeit der Vereinigung bei der immissio inter femora einen Grad, der jener beim natürlichen Zeugungsakte zumindest nahe kommt und der die Handlung eindeutig von den bloss manuellen Betastungen abhebt. Auch nach den Wirkungen auf das Seelenleben und die sittliche Entwicklung des Kindes kann die immissio inter femora nicht als wesentlich leichterer Angriff angesprochen werden als das Einführen des Gliedes in eine natürliche Körperöffnung. Indem sie nahe der Scheide, also in einer ausgesprochen sexuell erregbaren Zone des Partners vollzogen wird, führt sie dazu, das geschlechtliche Empfinden des Kindes in ähnlicher Weise zu aktivieren, wie das beim natürrlichen Beischlaf der Fall wäre. Die beim Kinde ausgelöste Empfindung, dass der Angreifer sich nach Art eines Beischläfers an ihm geil machen oder befriedigen wolle, ist es aber, die zusammen mit der Innigkeit der körperlichen Vereinigung eine Handlung als dem Beischlaf ähnlich kennzeichnet (BGE 76 IV 108). Auch nach der Strafwürdigkeit steht sie daher dem Beischlafe offensichtlich näher als den mit milderer Strafe bedrohten andern unzüchtigen Handlungen im Sinne von Art. 191 Ziff. 2 (unzüchtige Berührungen und dgl.).
3. Nach der für den Kassationshof verbindlichen Feststellung der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer seinen entblössten Geschlechtsteil in der Nähe der Scheide zwischen die nackten Oberschenkel des Mädchens gestossen. Das war eine immissio inter femora im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und daher nach dem oben in Erw. 2 Gesagten eine beischlafsähnliche Handlung. Daran ändert nichts, dass nicht festgestellt ist, der Beschwerdeführer habe sein Glied in der Richtung auf die Scheide zu bewegt. Eine solche Bewegung ist nach der Rechtsprechung des Kassationshofes nicht wesentliches Merkmal der immissio inter femora (BGE 75 IV 165). Diese ist vielmehr schon dann gegeben, wenn der Täter, wie das hier der Fall ist, mit seinem Geschlechtsteil in die Nähe der weiblichen Scham gelangt und dabei den Körper des Opfers berührt (BGE 71 IV 191; BGE 75 IV 165; BGE 76 IV 236).