BGE 77 IV 164 - Konkurs nach Spekulation
 
36. Urteil des Kassationshofes vom 10. Juli 1951 i. S. Schaufelberger gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
1.  Art. 166 StGB, Art. 957 ,OR. Durch blosses Aufbewahren von Unterlagen und Belegen wird die Pflicht zur Führung von Geschäftsbüchern nicht erfüllt.
2.  Art. 165 Ziff. 1 StOB. Schon eine einzige gewagte Spekulation kann den Tatbestand des leichtsinnigen Konkurses oder Vermögensverfalles erfüllen.
1.  Art. 166 CP et 957 C0. Pour satisfaire à l'obligation de tenir une comptabilité, il ne suffit pas de conserver des pièces justi-ficatives.
2.  Art. 165 ch. 1 CP. Une seule spékulation hasardée peut suffire.
1. Art. 166 CP e art. 957 CO. Per sodisfare all'obbligo di tenere una contabilità non basta conservare i documenti giustificativi.
2.  Art. 165 cifra 1  CP. Una sola speculazione  avventata puô bastare.
 
Sachverhalt
 
A.
Erich Schaufelberger wurde vom Obergericht des Kantons Zürich am 1. Dezember 1950 der Unterlassung der Buchführung (Art. 166 StGB) und des leichtsinnigen Konkurses (Art. 165 StGB) schuldig erklärt und zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von zwei Monaten verurteilt. Das Gericht warf ihm vor, er habe als unbeschränkt haftender Gesellschafter der Kommanditgesellschaft E. Schaufelberger & Co., über die am 11. Mai 1949 der Konkurs eröffnet wurde, vom Juni 1948 bis Ende März 1949 bewusst und gewollt keine Geschäftsbücher geführt, damit der missliche Vermögensstand der Gesellschaft nicht ersehen werden könne. Ferner habe er im April/Mai 1947 in gewagter Spekulation auf Kredit für mindestens Fr. 25,000. bis 30,000. Zellwolle gekauft, obschon er sich habe sagen müssen, dass der schweizerische Markt in absehbarer Zeit wieder mit reiner Wolle und Baumwolle beliefert werde. Er habe die gekaufte Ware nachher mit 50 bis 60% Verlust abstossen müssen. Durch den Ankauf der Ware habe er seine Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt.
 
B.
Schaufelberger führt gegen das Urteil Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 268 ff. BStP mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache sei zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen.
Er macht geltend, die Verurteilung wegen Unterlassung der Buchführung verletze Art. 166 StGB, weil das Obergericht annehme, es sei unerheblich, ob er die Belege für die Buchhaltung aufbewahrt habe, und zwar so, dass ein Sachverständiger die Buchhaltung auf Grund der Belege ohne Schwierigkeit hätte nachführen können. Im übrigen sei fraglich, ob im Hinbliok auf die Beschlagnahme der Buchhaltung durch die Behörden und mit Bücksicht darauf, dass die Uhrengeschäfte des Beschwerdeführers nichts mit seinem Textilunternehmen zu tun hatten, überhaupt ein Verschleierungsvorsatz nachgewiesen sei. Zur Verurteilung wegen leichtsinnigen Konkurses sodann genüge eine einzelne Handlung des Täters nicht. Das Gesetz verlange nicht eine Spekulation, sondern Spekulationen. Nötig sei eine verwerfliche Tendenz des Schuldners.
 
C.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
 
D.
Schaufelberger hat das Urteil des Obergerichts auch mit der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde angefochten. Sie ist vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 17. Mai 1951 abgewiesen worden.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung :
1.  Wer verpflichtet ist, seine Firma in das Handelsregister eintragen zu lassen, ist gehalten, diejenigen Bücher ordnungsgemäss zu führen, die nach Art und Umfang seines Geschäftes nötig sind, um die Vermögenslage des Geschäftes und die mit dem Geschäftsbetriebe zusammenhängenden Schuld- und Forderungsverhältnisse sowie die Betriebsergebnisse der einzelnen Geschäftsjahre festzustellen (Art. 957 OR). Verletzt der Schuldner die ihm durch diese Bestimmung auferlegte Pflicht zur ordnungsmässigen Führung der Geschäftsbücher, so dass sein Vermögensstand nicht oder nicht vollständig ersichtlich ist, so wird er, wenn über ihn der Konkurs eröffnet worden ist, naoh Art. 166 StGB bestraft. Darnach entgeht der Strafe nicht schon, wer irgendwie Vorsorge trifft, dass im Falle der Konkurseröffnung durch nachträgliche Erstellung oder Nachführung von Geschäftsbüchern sein Vermögensstand vollständig ermittelt werden kann, z.B. wer die "Unterlagen und Belege" aus dem Geschäftsbetrieb aufbewahrt. Der Schuldner selber muss Bücher führen, d.h. fortlaufend systematische, vollständige und klare rechnerische Aufzeichnungen über die Geschäftsvorgänge machen, so dass durch blosses Ziehen der Bilanz jederzeit die Vermögenslage des Geschäftes ermittelt werden kann. Das hat der Beschwerdeführer für die Zeit vom Juni 1948 bis Ende März 1949 nicht getan. Am 11. Mai 1949 ist dann über die Firma E. Schaufelberger & Co., für die er die Bücher hätte führen sollen, der Konkurs eröffnet worden. Die objektiven Voraussetzungen der Bestrafung des Beschwerdeführers (vgl. Art. 172 StGB) sind somit erfüllt, gleichgültig ob der Beschwerdeführer Unterlagen und Belege aufbewahrt hat oder nicht.
Der Beschwerdeführer hat nicht nur mit Wissen und Willen die Bücher nicht geführt, sondern er hat, wie Art. 166 StGB voraussetzt (BGE 72 IV 19), auch gewusst und gewollt, dass wegen seiner Unterlassung der Vermögensstand der Gesellschaft nicht oder nicht vollständig ersehen werden könne. Dieses Wissen und dieser Wille sind verbindlich festgestellt, indem das Obergericht im angefochtenen Urteil erklärt, der Beschwerdeführer habe die Bücher nicht nachgeführt, um den misslichen Vermögensstand daraus nicht ersichtlich zu machen. Der Kassationshof hat die Beweiswürdigung, auf der diese tatsächliche Feststellung beruht, nicht zu überprüfen (Art. 277bis Abs. 1, Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP).
2.  Nach Art. 165 Ziff. 1 StGB wird der Schuldner nach Eröffnung des Konkurses bestraft, wenn er "durch argen Leichtsinn, unverhältnismässigen Aufwand, gewagte Spekulationen oder grobe Nachlässigkeit in der Ausübung seines Berufes seine Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt oder im Bewusstsein seiner Zahlungsunfähigkeit seine Vermögenslage verschlimmert hat". Dass diese Bestimmung von "Spekulationen" ( "spéculations", " speculazioni" ) spricht, bewahrt den Schuldner nicht vor Strafe, wenn er seine Zahlungsunfähigkeit bloss durch eine einzige gewagte Spekulation herbeigeführt hat. Es ist nicht zu ersehen, weshalb erst die Wiederholung der Spekulation strafbar machen sollte, wenn schon eine einzige gewagte Spekulation die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners herbeiführt oder die Vermögenslage des Zahlungsunfähigen verschlimmert. Das Gesetz will nicht, dass der Schuldner auf Kosten der Gläubiger auf gewagte Weise spekuliere. Dass er eine Neigung zur Spekulation habe, verlangt es nicht. Bestraft wird der Schuldner wegen seines die Gläubiger schädigenden Verhaltens. Es wäre unvernünftig, ihn straflos zu lassen, wenn er seinen Gläubigern durch eine einzige Spekulation grossen Schaden zufügt, dagegen zu bestrafen, wer durch zwei oder mehr Spekulationen die Gläubiger nur geringfügig schädigt. Das kann das Gesetz nicht wollen, so wenig z.B. die Wendungen "Schulden vortäuscht" und  "vorgetäuschte Forderungen anerkennt" in den Bestimmungen über betrügerischen Konkurs und Pfändungsbetrug (Art. 163 Ziff. 1 Abs. 3, Art. 164 Ziff. 1 Abs. 3 StGB) den Sinn haben können, dass straflos ausgehe, wer bloss eine einzige Schuld vortäuscht oder bloss eine einzige vorgetäuschte Forderung anerkennt. Art. 1 StGB, auf den sich der Beschwerdeführer beruft, verlangt diese Auslegung nicht; er verbietet nicht, eine Strafbestimmung nach ihrem wahren Sinne ausdehnend auszulegen (vgl. BGE 71 IV 148 ; 72 IV 103).
Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer die Zellwolle im Werte von Fr. 25,000. bis 30,000. durch eine einzige Bestellung eingekauft oder ob er mehrere Bestellungen aufgegeben, also wiederholt spekuliert hat. Dass es im April und Mai 1947 gewagt war, mit Zellwolle zu spekulieren, und dass der Einkauf dieser Ware die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeigeführt hat, bestreitet der Beschwerdeführer nicht, wie er auch das Bewusstsein und den Willen, gewagt zu spekulieren, nicht in Abrede stellt.
 
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.