BGE 114 II 361
 
68. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. September 1988 i.S. M. gegen Einwohnergemeinde Oberburg (Berufung)
 
Regeste
Art. 14 und 15 Abs. 1 BMM. Anpassung des Mietzinses an das orts- oder quartierübliche Niveau.
2. Verhältnis von Art. 14 zu Art. 15 Abs. 1 BMM. Umstände, die einen orts- oder quartierüblichen Mietzins - entgegen der Vermutung - als missbräuchlich erscheinen lassen (E. 5).
 
Sachverhalt
A.- Seit 1976 ist M. Mieter einer zum Finanzvermögen der Gemeinde gehörenden Wohnung in Oberburg. Mit Schreiben vom 17. Januar 1986 kündigte die Vermieterin dem Mieter folgende gestaffelte Mietzinserhöhung an: Der bisherige Nettomietzins von monatlich Fr. 308.-- sollte ab dem 1. Mai 1986 Fr. 392.--, ab dem 1. November 1986 Fr. 476.-- sowie ab dem 1. Mai 1987 Fr. 560.-- betragen. Gegen diese Ankündigung erhob der Mieter Einsprache beim Mietamt Oberburg. Die Schlichtungsverhandlung vom 7. April 1986 blieb ohne Erfolg.
B.- In der Folge ersuchte die Gemeinde Oberburg den zuständigen Gerichtspräsidenten um gerichtliche Feststellung, dass die geltend gemachte Mietzinserhöhung zulässig sei. Der Mieter widersetzte sich dem Gesuch, soweit der von ihm zu leistende Mietzins Fr. 392.-- übersteige, zudem wandte er sich gegen die Erhöhung der Garagenmiete von Fr. 45.-- auf Fr. 50.-- monatlich. Mit Entscheid vom 8. Oktober 1987 stellte der Gerichtspräsident von Burgdorf im Verfahren nach Art. 28 BMM fest, die geltend gemachte Erhöhung des Mietzinses sei nicht missbräuchlich. Auf Appellation des Gesuchsgegners bestätigte der Appellationshof des Kantons Bern am 4. Januar 1988 das erstinstanzliche Urteil. Den erst vor oberer Instanz gestellten Antrag, es sei festzustellen, dass es sich beim Mietobjekt um eine 3 1/2-Zimmer-Wohnung handle, wies er ab.
C.- Mit Berufung beantragt M. dem Bundesgericht festzustellen, "dass die Mietzinserhöhung vom 17. Januar 1986 missbräuchlich ist, soweit diese ab dem 1. Mai 1986 einen Mietzins von Fr. 392.-- übersteigt" (Ziff. 1) sowie "dass es sich beim Mietobjekt um eine 3 1/2-Zimmer-Wohnung handelt" (Ziff. 2). Eventuell sei die Sache zur Ergänzung des Sachverhaltes an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Gemeinderat Oberburg trägt auf Abweisung der Berufung an.
 
Aus den Erwägungen:
Was als orts- oder quartierüblicher Mietzins zu gelten hat, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts eine im Berufungsverfahren überprüfbare Rechtsfrage. Die kantonale Instanz hat deshalb genau anzugeben, welche Elemente sie verglichen hat. Sie muss konkrete Vergleiche anstellen und sich mit den im zitierten Artikel und durch die Praxis festgelegten Kriterien auseinandersetzen. Dabei sind die bei den Vergleichsobjekten verlangten Mietzinse auch auf deren neuere Entwicklung hin zu überprüfen. In der Regel genügt es nicht, wenn nur eine vergleichbare Liegenschaft vorhanden ist. Der Rückgriff auf Statistiken ist nur zulässig, wenn zuverlässiges und nach Lage, Ausstattung, Zustand und Bauperiode der Mietsache genügend differenzierendes Zahlenmaterial vorgelegt werden kann. Die Beweislast trägt der Vermieter. Der verlangte Vergleich kann nicht durch ein Gutachten über den Ertragswert des Grundstückes ersetzt werden. Sind vergleichbare Räume weder im Quartier noch in der Ortschaft vorhanden, scheinen gewisse Entscheide die Anwendbarkeit dieser Bestimmung zu verneinen (so die Zusammenfassung der Rechtsprechung durch EGLI in: ZBJV 124/1988 S. 56 mit Hinweisen auf die einschlägigen Bundesgerichtsentscheide).
a) Gegen dieses Vorgehen wendet der Gesuchsgegner in der Berufung vorab ein, bei der von ihm benutzten Wohnung handle es sich lediglich um eine 3 1/2-Zimmer-Wohnung, wie das im Mietvertrag vom 25. August 1976 ausdrücklich festgehalten sei. Ohne dass in der Zwischenzeit bauliche Veränderungen vorgenommen worden seien, sei die gleiche Wohnung im Formular für die Mitteilung der Mietzinserhöhung vom 17. Januar 1986 als 4-Zimmer-Wohnung bezeichnet worden. Das gehe nicht an, da einer der Räume den Mindestmassen der kantonalen Baugesetzgebung nicht entspreche.
Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, unter Vorbehalt der Berichtigung von offensichtlich auf Versehen beruhenden Feststellungen, gebunden (Art. 63 Abs. 2 OG; BGE 111 II 74 E. a, 301 E. 3). Wie viele Zimmer bewohnt werden, ist eine solche, für das Bundesgericht verbindliche Feststellung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das fragliche vierte Zimmer den Vorschriften des geltenden Baupolizeirechts für Neubauten entspricht, sondern allein darauf, ob es Wohnzwecken dient. Zudem ist dem Bundesgericht die Überprüfung der Anwendung des kantonalen Rechts im Berufungsverfahren ohnehin entzogen (Art. 43 Abs. 1 OG). Hingegen sind die Grösse der Wohnung und die Raumaufteilung Kriterien, die bei der Festsetzung einer Vergleichsmiete zu beachten sind.
b) Die Vorinstanz erachtet die absolute Zinshöhe, die Wohnlage, die Bauperiode und die Zimmerzahl für wesentliche Vergleichskriterien. Was die Ausstattung und den Zustand der Wohnung anbelange, müsse man sich mit verhältnismässig generellen Angaben begnügen, ansonsten das Kriterium der Orts- und Quartierüblichkeit allein schon wegen der Beweisschwierigkeiten nicht mehr praktikabel sei.
Mit den fünf vom Experten als Vergleichsobjekte genannten Wohnungen setzt sich die Vorinstanz nicht auseinander. Die dort verlangten Mieten variieren zwischen Fr. 378.-- und Fr. 800.-- monatlich. Einzig bezüglich der Abwartswohnung im Kirchgemeindehaus wird ausgeführt, sie entspreche bezüglich des Ausbaustandards und der Höhe des Mietzinses noch am ehesten dem vom Gesuchsgegner bewohnten Objekt.
Nach der Rechtsprechung muss eine gewisse Anzahl zum Vergleich geeigneter Objekte konkret mit den von der Mietzinsanpassung betroffenen Räumen verglichen werden. Unter Berücksichtigung der in der Literatur vertretenen Auffassungen und um eine einigermassen zuverlässige Aussage zu erhalten, dürften in der Regel etwa fünf vergleichbare Objekte zu fordern sein. Dabei hat sich der Richter mit den im zitierten Artikel genannten und durch die Praxis daraus abgeleiteten Kriterien konkret auseinanderzusetzen. Diese Prüfung ist im angefochtenen Entscheid unterblieben. Nicht einmal die angeblich noch am ehesten vergleichbare Abwartswohnung im Kirchgemeindehaus wird in rechtsgenüglicher Weise anhand der im Gesetze genannten und von der Praxis entwickelten Kriterien mit der Wohnung des Gesuchsgegners in Beziehung gesetzt. Einziges übereinstimmendes Merkmal sind die vier bewohnten Zimmer, wobei auf die Grösse der Wohnung - die ein wesentliches Vergleichskriterium ist - und die Aufteilung der Räume nicht eingegangen wird. Was den angeblich ungefähr gleich hohen Ausbaustandard betrifft, steht laut Feststellung der Vorinstanzen einer "alten, 1976 renovierten, schlecht isolierten, nicht ideal aufgeteilten Wohnung, deren Fussboden z.T. stark geneigt ist" eine "neuzeitlich eingerichtete und bis auf die Raumhöhe den heutigen Anforderungen entsprechende" Wohnung gegenüber. Dabei liegt der Mietzins noch knapp unter dem neu für die Wohnung im alten Schulhaus geforderten. Auf die andern massgebenden Vergleichselemente geht die Vorinstanz nicht ein.
Die Feststellungen der Vorinstanz bezüglich der zum Vergleich gestellten Wohnungen lassen die Überprüfung der Rechtsfrage nicht zu, ob der geforderte Mietzins im Sinne des BMM vergleichbar sei oder nicht. Die Sache wäre deshalb an den Appellationshof zurückzuweisen, damit er den Sachverhalt bundesrechtskonform ergänze. Darauf kann indessen verzichtet werden, wenn sich aus andern Überlegungen ergeben sollte, dass der von der Gesuchstellerin geforderte Mietzins zu einem übersetzten Ertrag führt, selbst wenn er den orts- und quartierüblichen Rahmen nicht übersteigen würde (vgl. dazu insb. E. 5).
c) Die Schwierigkeiten, aufgrund von Vergleichsobjekten zuverlässig einen orts- oder quartierüblichen Mietzins zu bestimmen, haben den Gerichtspräsidenten veranlasst, hilfsweise das Gutachten über den Mietwert der fraglichen Wohnung beizuziehen. Der Experte hat sich dabei vom Zeitbauwert des Gebäudes leiten lassen und davon für Alter, Zustand, Lage des Gebäudes und Disposition der Räume 30% in Abzug gebracht; aufgerechnet hat er hingegen einen Landanteil.
Dieses Vorgehen verbietet schon der klare Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 lit. a BMM, der einen Vergleich des angefochtenen Mietzinses mit den Mietzinsen anderer Wohnungen im Quartier oder am Ort verlangt. Es geht nicht an, dieses Kriterium durch Schätzung der Liegenschaft nach freiem Ermessen und des sich daraus ergebenden Mietwertes einer Liegenschaft oder einzelner Wohnungen zu ersetzen. Der Verkehrswert - besonders auch alter Liegenschaften - beruht ja wesentlich auf den erzielbaren Mietzinseinnahmen. Auf die Expertise kann deshalb nicht abgestellt werden, soweit sie von einem Gebäudeschatzungswert ausgeht (EGLI, a.a.O. S. 56 mit Hinweis u.a. auf den nicht publ. Bundesgerichtsentscheid vom 24. September 1985 i.S. Himstedt c. Tschanz E. 1).
5. Ergibt der Vergleich mit andern Mietobjekten, dass der vom Vermieter geforderte erhöhte Mietzins im orts- und quartierüblichen Rahmen liegt, ist nach der Praxis des Bundesgerichts weiter zu entscheiden, ob gewichtige Indizien dafür bestehen, dass die angekündigte Mietzinserhöhung der Vermieterin einen übersetzten Ertrag im Sinne von Art. 14 BMM verschafft. Art. 15 BMM enthält eine Reihe von Beispielen, bei denen zu vermuten ist, die Miete sei in der Regel nicht missbräuchlich. Diese Vermutung kann aber umgestossen werden, wenn bestimmte Hinweise darauf bestehen, dass die Miete dem Vermieter einen übersetzten Ertrag im Sinne von Art. 14 BMM verschafft, wofür der Mieter die Beweislast trägt (BGE 112 II 151 E. 1a; 108 II 137; 103 II 47 E. 3a; vgl. auch nicht publ. Bundesgerichtsentscheid vom 11. Oktober, 1983 i.S. Restobourg S.A.).
a) Der Gesuchsgegner macht denn auch geltend, es lägen gewichtige Indizien für die Missbräuchlichkeit einer Mietzinserhöhung über Fr. 392.-- hieraus vor. Einerseits sei der Mietzins seit Oktober 1976 um 115% oder seit Mai 1982 um 82% erhöht worden; demgegenüber sei der stadtbernische Mietpreisindex - der stärker anziehen dürfte als jener in der Gemeinde Oberburg - in der Zeit vom Mai 1981 bis Mai 1987 lediglich um 32,4% angestiegen. Die angekündigte Heraufsetzung der Miete um 81% liege deshalb, wie das Gericht selber feststelle, massiv über der Entwicklung des Mietpreisindexes. Anderseits habe die Gesuchstellerin Hypothekarzinssenkungen nie weitergegeben, bei -erhöhungen den Mietzins jedoch nach oben angepasst. Beide Argumente hat der Gesuchsgegner bereits den kantonalen Instanzen vorgetragen. Sie sind nach der Rechtsprechung grundsätzlich geeignet, die Vermutung der Angemessenheit des Mietzinses umzustossen (BGE 112 II 152 E. 1b; BGE 108 II 137 E. 1a). Sie haben die Vorinstanz veranlasst, die angefochtene Mietzinserhöhung noch unter dem Gesichtspunkt des Nettoertrages des von der Gemeinde investierten Eigenkapitals zu würdigen. Diese führt aus, es sei im vorliegenden Fall schlechthin ausgeschlossen, das massgebliche Eigenkapital zu bestimmen oder zu schätzen. Gestützt auf die Expertise geht sie in der Folge von einer 7 1/2%igen Bruttorendite des Verkehrswertes aus.
Das Gesetz sieht die Bruttorendite als Berechnungsgrundlage jedoch nur bei neueren Bauten vor (Art. 15 Abs. 1 lit. c BMM). Es ist somit nicht zulässig, bei älteren Liegenschaften auf diesem Umweg wieder auf eine Schätzung zurückzugreifen. Das Bundesgericht hat sich bei Mietzinsanpassungen für die "relative" Methode entschieden, das heisst, ausgehend von der letzten Mietzinsanpassung, von der vermutet wird, sie habe die Kosten des Vermieters gedeckt und ihm einen angemessenen Ertrag aus dem investierten Eigenkapital verschafft, wird die Forderung des Gesuchstellers mit der seitherigen Kosten- und Preisentwicklung verglichen (EGLI, a.a.O. S. 60, mit Hinweisen auf die einschlägige Rechtsprechung).
b) Die angekündigte Mietzinserhöhung beträgt Fr. 252.-- pro Monat. Im Vergleich zum bisherigen Mietzins von Fr. 308.-- bedeutet das eine Erhöhung um rund 80%. Laut einer Feststellung der Vorinstanz erfolgte die letzte Anpassung des Mietzinses am 1. Mai 1981, während der Gesuchsgegner sowohl eine Erhöhung auf den 1. Mai 1981, wie eine weitere auf den 1. Mai 1982 erwähnt.
Der Mieter darf mangels eines Vorbehaltes der Vermieterin nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass der Mietpreis im Zeitpunkt der letzten Erhöhung deren Kosten gedeckt und ihr einen angemessenen Ertrag verschafft hat, was von der Vermieterin, die sich nur auf Art. 15 Abs. 1 lit. a BMM beruft, auch nicht in Abrede gestellt wird. Es genügt deshalb, die seit der letzten Anpassung des Mietzinses eingetretenen Änderungen der Berechnungsgrundlage heranzuziehen, um den höchstens zulässigen Mietzins zu bestimmen (BGE 112 II 151 mit weiteren Hinweisen).
Der einzige von der Vorinstanz für die Zeit seit der letzten Anpassung festgestellte Erhöhungsfaktor ist die Preis- resp. Mietindexentwicklung. Im Formular zur Mitteilung der Mietzinserhöhung vom 17. Januar 1986 will die Vermieterin die Teuerung lediglich bis zum 31. Dezember 1985 ausgeglichen haben. Zur Preisentwicklung hat die Vorinstanz festgestellt, seit der letzten Mietzinserhöhung am 1. Mai 1981 ergebe sich bis zum 31. Dezember 1985 nach stadtbernischem Mietpreisindex eine Steigerung um rund 28%, was vorliegend Fr. 86.-- entsprechen würde. Dabei ist davon auszugehen, dass die Mietpreisentwicklung in der ländlichen Gemeinde Oberburg hinter jener der Bundesstadt zurückgeblieben ist. Noch geringer wäre die allgemeine Erhöhung der Mietkosten, wenn die Vorinstanz zu Unrecht vom 1. Mai 1981 ausgegangen und die letzte Mietzinsanpassung wie vom Gesuchsgegner behauptet tatsächlich auf den 1. Mai 1982 wirksam geworden sein sollte. Da sich der Gesuchsgegner einer monatlichen Mietzinserhöhung um Fr. 84.-- von bisher Fr. 308.-- auf Fr. 392.-- unterzieht, kann offen bleiben, ob überhaupt und unter welchen Voraussetzungen gestützt auf diese Preissteigerung der Mietzins angehoben werden könnte. Eine über diese Entwicklung hinausgehende Mietzinserhöhung würde der Gesuchstellerin jedenfalls einen übersetzten Ertrag verschaffen. Die Berufung ist demnach gutzuheissen, soweit darauf eingetreten wird.