BGE 90 II 443
 
49. Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. November 1964 i.S. Brenn gegen Brenn.
 
Regeste
Dienstvertrag. Entgegennahme von Diensten, deren Leistung nach den Umständen nur gegen Lohn zu erwarten ist (Art. 320 Abs. 2 OR). Fall eines im Elternhause lebenden Bäckers und Konditors, der als voraussichtlicher Geschäftsnachfolger seines Vaters jahrelang in dessen Betrieb arbeitet, ohne einen Barlohn zu beziehen. Stillschweigende Einigung über die Stundung der Lohnforderung.
 
Sachverhalt
A.- Cassian Brenn, Inhaber einer Bäckerei in Rueun, hatte zwei Söhne und sechs Töchter. Seinen Sohn Franz, geboren 1930, liess er auswärts eine Lehre als Bäcker und Konditor bestehen. Er beabsichtigte, ihm dereinst sein Geschäft zu überlassen.
Nach beendigter Lehre übte Franz Brenn seinen Beruf je während einiger Monate in Samedan und Trun aus. Im Anschluss an eine Operation, für deren Kosten der Vater aufkam, kehrte er 1952 in sein Elternhaus zurück. Er erhielt dort Unterkunft und Kost und arbeitete als Bäcker und Konditor im väterlichen Geschäft. Sein Vater scheint ihm ein Taschengeld gegeben zu haben. Im Dezember 1961 zahlte er ihm ausserdem Fr. 700.--. Einen weitern Barlohn erhielt Franz Brenn nicht. Dagegen konnte er von 1956 an den vom Vater angeschafften und unterhaltenen Motorwagen mitbenützen und damit hie und da für seine Rechnung kleine Taxifahrten ausführen.
Am 24. Oktober 1961 heiratete Franz Brenn. Sein Vater zahlte die Kosten des Hochzeitsmahls, liess für ihn eine Wohnung einrichten, stellte sie ihm zur Verfügung und kam für die Lebensbedürfnisse des Ehepaares auf. Franz Brenn arbeitete im väterlichen Geschäft weiter.
Am 7. Januar 1962 musste sich Franz Brenn in Spitalpflege begeben. Am 18. Januar 1962 starb er. Sein Vater trug die infolge der Krankheit und des Todes entstandenen Kosten.
B.- Mit Klage vom 6. Juni 1963/3. Januar 1964 belangten die beiden Erbinnen des Franz Brenn, nämlich dessen Witwe und ihr am 17. August 1962 geborenes Töchterchen, den Vater des Verstorbenen auf Zahlung von Fr. 48'595.50 nebst 5% Zins seit 1. Februar 1962. Sie forderten diesen Betrag als Lohn für die vom Erblasser während neun Jahren geleistete Arbeit, unter Abzug der Leistungen, die der Beklagte wegen der Hochzeit, der Krankheit und des Todes seines Sohnes gemacht hatte.
Das Bezirksgericht Glenner wies die Klage ab. Das Kantonsgericht von Graubünden hiess sie dagegen am 19. August 1964 auf Grund von Art. 320 Abs. 2 OR für den Teilbetrag von Fr. 10'903.65 nebst 5% Zins seit 6. Juni 1963 gut.
C.- Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die Auffassung, dass unter Familiengliedern selbst die auf Zeit entgegengenommenen Dienste vermutungsweise unentgeltlich geleistet würden, findet weder in Art. 320 Abs. 2 OR noch in den vom Beklagten angerufenen Urteilen des Bundesgerichtes (BGE 49 II 1,BGE 50 II 447,BGE 67 II 203) eine Stütze. Die erwähnte Bestimmung stellt einfach darauf ab, ob die Leistung der Dienste nach den Umständen nur gegen Lohn zu erwarten war. Zu den massgebenden Umständen können auch die Beziehungen unter den Beteiligten gehören. Sie sind aber von Fall zu Fall und in Verbindung mit den übrigen Tatsachen zu würdigen. Familienrechtliche Bande sprechen nicht allgemein gegen die Entgeltlichkeit.
Im vorliegenden Falle ist zu berücksichtigen, dass der Sohn des Beklagten mündig war, als er im väterlichen Geschäft arbeitete. Er tat dies, ohne nach Familienrecht dazu verpflichtet zu sein. Es verhält sich also nicht so wie z.B. im Falle von Ehegatten, die einander mit Rat und Tat Beistand schulden (Art. 159 Abs. 3, 161 Abs. 2 ZGB) und daher grundsätzlich ohne besonderes Entgelt auch im Beruf oder Gewerbe des andern mitarbeiten müssen (vgl.BGE 74 II 208,BGE 79 II 168, BGE 82 II 96 f.). Freiwillig aber leistet ein junger Mann in der Regel nicht jahrelang unentgeltliche Dienste. Die Absicht, zu heiraten, ein Geschäft zu gründen oder sonstwie für seine Zukunft vorzusorgen, legen ihm nahe, nur gegen Entgelt zu arbeiten. Es spricht nichts dafür, dass Franz Brenn anders eingestellt gewesen sei. Dass auch seine Geschwister im Elternhause gearbeitet haben sollen, ohne laufend bar entlöhnt zu werden, ist kein Grund zur Annahme, er habe aufeine Vergütung verzichtet. Er brauchte eine solche nicht ausdrücklich zu fordern, weil er voraussetzen durfte, das väterliche Geschäft werde spätestens beim Tode des Vaters auf ihn übergehen und bei dieser Gelegenheit werde seinen Diensten angemessen Rechnung getragen. Durfte er daraufrechnen, bei der Übernahme des Geschäftes ein Entgelt zu erhalten, so sind seine Dienste auch in dem nun eingetretenen und von keiner Seite vorausgesehenen Falle seines Vorversterbens als entgeltlich zu betrachten. Die Vorinstanz hat also mit Recht angenommen, zwischen Franz Brenn und seinem Vater habe ein Dienstvertrag bestanden. Die auf diesem Vertrag beruhende Lohnforderung Franz Brenns (Art. 330 OR) ist gemäss Art. 602 ZGB auf die Klägerinnen als seine Erbinnen übergegangen.
Die Art. 334 und 633 ZGB setzen voraus, dass die mündigen Kinder auf ein Entgelt zwar nicht ausdrücklich verzichtet, darauf aber auch keinen vertraglichen Anspruch erlangt haben. Wird den Klägerinnen für die Dienste, die Franz Brenn dem Beklagten leistete, eine Lohnforderung aus Dienstvertrag zuerkannt, so sind sie folglich nicht befugt, unter Berufung auf diese Dienste in einem allfälligen Zwangsvollstreckungsverfahren gegen den Beklagten oder bei der Teilung seines Nachlasses zu verlangen, dass zu ihren Gunsten Art. 334 oder 633 ZGB angewendet werde, selbst wenn man annimmt, die Erben eines vorverstorbenen Kindes seien grundsätzlich berechtigt, an dessen Stelle die Rechte aus diesen Bestimmungen geltend zu machen (vgl. zu dieser - heute nicht zu entscheidenden - Frage EGGER, 2. Aufl., N. 7 zu Art. 334 ZGB; ESCHER, 3. Aufl., N. 13 zu Art. 633, und TUOR/PICENONI N. 50 zu Art. 633 ZGB; PIOTET, SJZ 1963 S. 247). Eine doppelte Belastung des Vermögens des Beklagten ist also nicht zu befürchten.
Der Beklagte vermag auch nicht einzuwenden, die Zuerkennung einer Lohnforderung an Franz Brenn bezw. dessen Erben benachteilige seine andern Kinder. Die Ansprüche, die diesen allenfalls nach Art. 334, 633 ZGB oder Art. 320 Abs. 2 OR zustehen, bleiben gewahrt. Ob der Beklagte heute imstande ist, die Dienste aller seiner Kinder zu entlöhnen, ist für die Frage, ob jene des Franz Brenn nur gegen Entgelt zu erwarten waren, nicht entscheidend. Auch kann nicht gesagt werden, der Schutz der Klage habe zur Folge, dass jeder Vater seine mehrjährigen Kinder aus dem Hause schicken müsse, um sich vor spätern Lohnforderungen zu schützen. Der Vater kann mit seinen Kindern vereinbaren, unter welchen Bedingungen er ihre Dienste annehmen will. Wenn die Umstände dafür sprechen, dass das Kind bei sich bietender Gelegenheit ein Entgelt erwarte, darf er dagegen nicht die Dienste annehmen, ohne sie zu entlöhnen.
Die Forderungen aus Arbeit von Angestellten, Dienstboten und Arbeitern verjähren mit dem Ablauf von fünf Jahren (Art. 128 Ziff. 3 OR). Die Verjährung beginnt mit der Fälligkeit der Forderung (Art. 130 Abs. 1 OR). Sie beginnt aber nicht und steht stille, falls sie begonnen hat, "für Forderungen der Dienstboten gegen die Dienstherrschaft während der Dauer des Dienstverhältnisses" (Art. 134 Ziff. 4 OR).
Wie die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat, beabsichtigte der Beklagte, seinem Sohne Franz dereinst sein Geschäft zu überlassen. Im Hinblick hierauf und in der Erwartung, dass er das Entgelt für seine Arbeit bei dieser Gelegenheit erhalten werde, sah Franz Brenn davon ab, die laufende Auszahlung eines Barlohns zu verlangen. Aus diesen Umständen ist zu schliessen, dass der Beklagte und Franz Brenn stillschweigend vereinbarten, die Lohnforderung werde bis zur Auflösung des Dienstverhältnisses gestundet.
Sie wurde also erst mit dem Tode des Sohnes (18. Januar 1962) fällig und war somit bei Einleitung der Klage noch nicht verjährt.
Wollte man eine Stundung verneinen, so wäre die Verjährungseinrede in Anwendung von Art. 134 Ziff. 4 OR zu verwerfen. Dienstbote im Sinne dieser Bestimmung ist nicht nur, wer im Haushalt arbeitet, sondern auch, wer die Dienste in einem mit dem Haushalt eng verbundenen Gewerbe des Dienstherren leistet und mit diesem wie ein Glied der Familie in Hausgemeinschaft lebt. Das muss jedenfalls dann gelten, wenn, wie hier, der Dienstherr der Vater des Dienstpflichtigen ist. Die besondere Rücksichtnahme, die in einem solchen Verhältnis im Interesse des Familienfriedens geboten und üblich ist, pflegt den Dienstpflichtigen davon abzuhalten, seine Forderung schon während der Dauer des Verhältnisses in einer die Verjährung unterbrechenden -Weise (Art. 135 Ziff. 2 OR) geltend zu machen. Daher muss ihm gegenüber gleich wie zugunsten eines im Haushalt beschäftigten Dienstboten die Verjährungsfrist während der Dauer des Dienstverhältnisses stillstehen. Der gesetzgeberische Gedanke von Art. 134 Ziff. 4 (s. BECKER N. 4) trifft hier zu. Der Begriff des Dienstboten darf auf Personen in der Stellung, in der sich Franz Brenn gegenüber seinem Vater befand, um so eher angewendet werden, als die Auffassung vertreten wird, auch Art. 333 Abs. 1 Ziff. 3 OR beschränke ihn nicht auf die im Haushalt arbeitenden Dienstpflichtigen, sondern erfasse auch die mit dem Dienstherrn in Hausgemeinschaft lebenden landwirtschaftlichen Hilfskräfte (OSER/SCHÖNENBERGER N. 11, BECKER N. 6 zu Art. 333 OR). Es liesse sich nicht rechtfertigen, den in einer Bäckerei des Dienstherrn arbeitenden Sohn und Hausgenossen anders zu behandeln. Die Verjährung lief daher nicht, solange Franz Brenn im Dienste seines Vaters stand und mit ihm in Hausgemeinschaft lebte.
Demnach erkennt des Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichtes von Graubünden vom 19. August 1964 bestätigt.