BGE 85 II 281
 
44. Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Juli 1959 i.S. S. gegen Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich.
 
Regeste
Berufung an das Bundesgericht.
 
Sachverhalt
Auf Antrag der Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich stellte der Bezirksrat Zürich mit Beschluss vom 9. Januar 1959 Walter S. gestützt auf Art. 371 ZGB wegen längerer Freiheitsstrafe unter Vormundschaft. Die Direktion der Justiz des Kantons Zürich hat mit Verfügung vom 15. Mai 1959 den Rekurs des S. gegen diese Massnahme abgewiesen.
Gegen den Entscheid der Justizdirektion hat S. die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Die Justizdirektion beantragt in ihrem Begleitschreiben, auf die Berufung sei nicht einzutreten, weil der angefochtene Entscheid kein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid sei. Das Bundesgericht folgt diesem Antrag.
 
Erwägungen:
Die Berufung ist nach Art. 48 OG nur gegen Entscheide zulässig, die nicht durch ein ordentliches kantonales Rechtsmittel angefochten werden können.
Nach zürcherischem Verfahrensrecht erfolgt die Bevormundung wegen längerer Freiheitsstrafe durch den Bezirksrat auf Antrag des Waisenamtes (§ 86 des zürch. EG zum ZGB = EG). An den Entscheid des Bezirksrates schliesst sich anders als im Falle der Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Verschwendung (§ 85 EG) kein gerichtliches Verfahren an. Vielmehr kann der die Bevormundung wegen Freiheitsstrafe anordnende Entscheid des Bezirksrats nach zürcherischer Praxis wie andere Entscheide in vormundschaftlichen Angelegenheiten, die nicht vor Gericht gebracht werden können (vgl. z.B. BGE 82 II 206 /207), an die Justizdirektion als vormundschaftliche Aufsichtsbehörde zweiter Instanz weitergezogen werden. Diese Praxis ist nicht etwa bundesrechtswidrig, obwohl das ZGB die Entmündigung nicht den vormundschaftlichen Behörden im Sinne von Art. 361 zuweist, sondern die Bezeichnung der dafür zuständigen Behörden in Art. 373 den Kantonen überlässt; denn es ist den Kantonen selbstverständlich unbenommen, Angelegenheiten, für die sie die sachliche Zuständigkeit frei ordnen können, der Vormundschaftsbehörde oder den vormundschaftlichen Aufsichtsbehörden zu übertragen (BGE 64 II 336 unteres Drittel; BGE 67 II 206 oben).
Gegen Entscheide, welche die zürcherische Justizdirektion in ihrer Eigenschaft als vormundschaftliche Aufsichtsbehörde zweiter Instanz fällt, ist nach dem letzten Satzteil von § 75 EG (vgl. auch § 46 EG) der Rekurs an den Regierungsrat zulässig. (Das zürcherische Gesetz über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen vom 24. Mai 1959, das in § 89 den § 75 EG dahin abändert, dass der Rekurs an den Regierungsrat gegen Entscheide der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde zweiter Instanz unzulässig ist, wird erst am 1. Mai 1960 in Kraft treten.) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist diese Bestimmung mit dem Bundesrecht vereinbar, soweit es sich um Angelegenheiten handelt, die nicht von Bundesrechts wegen in die Zuständigkeit der vormundschaftlichen Behörden im Sinne von Art. 361 ZGB fallen, sondern für welche die Kantone die sachliche Zuständigkeit frei ordnen können, wie das nach dem Gesagten für die Entmündigung zutrifft (BGE 64 II 336 und BGE 67 II 205, bestätigt durch BGE 82 II 207 /208; wenn noch die in den Jahren 1946 und 1956, also nach den Entscheiden BGE 64 II 336 und BGE 67 II 205 erschienenen amtlichen Textausgaben des EG in einer Fussnote zu § 75 unter blossem Hinweis auf den - durch die eben genannten Entscheide eingeschränkten oder jedenfalls verdeutlichten - Entscheid BGE 47 II 15 sagen, die Bestimmung über den Rekurs an den Regierungsrat sei "durch das Bundesgericht als gesetzwidrig erklärt", so ist diese Bemerkung in ihrer allgemeinen Fassung irreführend).
Der angefochtene Entscheid hätte demnach durch Rekurs an den Regierungsrat weitergezogen werden können. Dieser Rekurs ist ein ordentliches Rechtsmittel (vgl. BGE 82 II 207 Mitte). Daher ist der angefochtene Entscheid kein letztinstanzlicher im Sinne von Art. 48 OG, so dass die vorliegende Berufung sich als unzulässig erweist.