BGE 80 II 197
 
33. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. September 1954 i. S. S. gegen Waisenamt Schwanden.
 
Regeste
Verwaltungsbeistandschaft gemäss Art. 393 Ziff. 2 ZGB.
Abgrenzung ihres Anwendungsgebiets gegenüber demjenigen der Beiratschaft (Art. 395 ZGB).
 
Sachverhalt
Am 11. Februar 1954 stellte das Waisenamt Schwanden den schwerhörigen S. im Sinne von Art. 393 Ziff. 2 ZGB unter Beistandschaft. Die Armen- und Vormundschaftsdirektion des Kantons Glarus wies die Beschwerde des S. gegen diese Massnahme ab und beauftragte das Waisenamt zu untersuchen, ob nicht wirksamere vormundschaftliche Massnahmen für S. zu treffen seien. Zur Begründung führte sie aus, S. sei durch seine Schwerhörigkeit und seinen Sprachfehler behindert und zudem leicht beeinflussbar. Auch verfüge er nicht über die nötigen Kenntnise und Erfahrungen in Geldsachen. Schliesslich zeige er verschwenderische Neigungen. Er sei daher zur Verwaltung seines Vermögens von ca. Fr. 30'000.-- (die bis 1949 seine Mutter besorgt hatte) nicht fähig. Eine Beistandschaft sei indessen ungenügend. Einen wirksamern Schutz gewährleiste die Anwendung von Art. 395 Abs. 2 ZGB. Wenn diese Massnahme nicht ausreichen sollte, sei die Bevormundung geboten. Im wesentlichen mit der gleichen Begründung hat der Regierungsrat des Kantons Glarus die Beschwerde des S. gegen den Entscheid der Armen- und Vormundschaftsdirektion abgewiesen und das Waisenamt eingeladen, die Errichtung einer Mitwirkungs- und Verwaltungsbeiratschaft für S. zu prüfen.
Auf Berufung des S. hin hebt das Bundesgericht die Anordnung einer Beistandschaft auf.
 
Erwägungen:
Die in Art. 393 Ziff. 2 ZGB aufgestellte Regel, dass die Vormundschaftsbehörde bei Unfähigkeit einer Person, die Verwaltung ihres Vermögens selbst zu besorgen oder einen Vertreter zu bestellen, einen Beistand zu ernennen hat, falls nicht Vormundschaft anzuordnen ist, stellt einen Anwendungsfall des im Einleitungssatze von Art. 393 ausgesprochenen Grundsatzes dar, dass die Vormundschaftsbehörde das Erforderliche anzuordnen hat, wenn einem Vermögen die nötige Verwaltung fehlt. Voraussetzung für die Errichtung einer Verwaltungsbeistandschaft nach Art. 393 ist also in jedem Falle das Vorhandensein eines Vermögens, das niemand verwaltet. Dass eine Person im Sinne von Art. 393 Ziff. 2 zur Verwaltung ihres Vermögens oder zur Bestellung eines Vertreters unfähig sei, darf also nur dann angenommen werden, wenn sie hiezu faktisch nicht in der Lage ist. Besitzt eine Person die tatsächliche Möglichkeit, ihr Vermögen selbst zu verwalten oder einen Vertreter zu bestellen, ist sie aber infolge von psychischen Störungen, Charakterfehlern, Unerfahrenheit oder dergleichen nicht imstande, dies in gehöriger Weise zu tun, so kommt nicht eine Verwaltungsbeistandschaft, sondern nur eine Beiratschaft (die nichts anderes als eine mildere Form der Vormundschaft ist, vgl. BGE 80 II 17) in Betracht.
Eine Unfähigkeit, wie Art. 393 Ziff. 2 ZGB sie hienach voraussetzt, liegt beim Berufungskläger nicht vor. Insbesondere hindert ihn seine Schwerhörigkeit nicht daran, sein Vermögen zu verwalten. Er hat damit auch tatsächlich begonnen und kann mit der Bank verkehren, wie seine Mutter es an seiner Stelle tun konnte. Wenn ein Grund zu vormundschaftlichen Massnahmen besteht'so kann er nur in der Unerfahrenheit, der starken Beeinflussbarkeit und der Neigung zu übermässigen Ausgaben liegen, die ihm zugeschrieben werden. In einem solche Falle ist nach dem Gesagten nicht eine Beistandschaft'sondern nötigenfalls eine Beiratschaft oder, wenn dies nicht genügt, eine Vormundschaft zu errichten. Die Anordnung eine Beistandschaft, die auf die Handlungsfähigkeit keinen Einfluss hat (Art. 417 ZGB) und daher gegen nachteilige Verfügungen auch gar keinen wirksamen Schutz bieten kann, ist deshalb aufzuheben. Ob die Voraussetzungen für andere Massnahmen gegeben seien oder nicht, hat das Bundesgericht im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.