BGE 76 II 188 - Erben Wehrle
 
28. Urteil der II. Zivilabteilung
vom 23. Juni 1950 i.S. Wehrle gegen Wehrle.
 
Regeste
1. Berechnung des verfügbaren Teils, Hinzurechnung lebzeitiger Zuwendungen nach Art. 475 und 527 ff. ZGB. In Berechnung fallen ausserdem Erbvorempfänge nach Art. 626 Abs. 1 oder 2. Ein auf den gesetzter Empfänger hat sich solche Zuwendungen an den Pflichtteil anzurechnen (Erw. 1 und 2).
2. Für den Vorempfangscharakter einer Zuwendung trägt derjenige die Beweislast, der deren Anrechnung verlangt. Beweis und Gegenbeweis, Art. 8 ZGB (Erw. 3 und 4).
3. Kriterien für die Unterstellung einer Zuwendung unter Art. 527 Ziff. 1 (626 Abs. 2) ZGB (Erw. 6 und 8).
Massgebender Wert: Art. 528 ZGB (Erw. 9).
4. Der Erblasser kann die Anrechnung nach Art. 626 Abs. 1 in der Regel nur anlässlich der Zuwendung verfügen (Erw. 6).
Immerhin ist spätere Verfügung solcher Art verbindlich, wenn sie seinerzeit gegenüber dem Empfänger vorbehalten wurde (Erw. 7).
 
Sachverhalt
 
A.
Der am 30. März 1945 als Witwer verstorbene Johann Emil Wehrle-Kerpf, geboren 1875, hat als einzige gesetzliche Erben einen Sohn und eine Tochter hinterlassen. In einem Testament vom 30. Dezember 1942 mit Nachträgen vom 14. und 17. August 1943 hatte er die Tochter auf den Pflichtteil gesetzt und sie der "Ausgleichungspflicht nach Art. 626 ZGB" für verschiedene lebzeitige Zuwendungen unterstellt, nämlich (laut dem letzten Nachtrag):
    "Fr. 25,000.- von der Aussteuer,
    Fr. 100.- Taschengeld,
    Fr. 3,600.- Sparkassenbüchli,
    Fr. 640.- Warenguthaben,
    Fr. 12,275.- Mietzins,
    Fr. 41,615.- Unterstützung und für alle Unterstützungen laut Büchli."
Zugunsten des Sohnes hatte er bestimmt: "Die Liegenschaft soll meinem Sohn zukommen... Dem Sohne Emil werden seine bezogenen Geldbeträge und meine Auslagen für denselben geschenkt, also bei meinen Lebzeiten geschenkt."
 
B.
Im Erbschaftsprozesse der beiden Geschwister bemass das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 20. Dezember 1949 den Pflichtteil der Beklagten und Widerklägerin auf Fr. 41,016.80 und rechnete ihr auf diesen Betrag Vorbezüge von Fr. 15,928.60 an. Es billigte ihr ferner einen Lidlohnanspruch von Fr. 2520.- nach Art. 633 ZGB zu, so dass der Kläger ihr insgesamt Fr. 27,606.20 zu zahlen habe.
Die Pflichtteilsberechnung des Obergerichts geht von einem berichtigten Wert des Nachlasses von Fr. 91,669.55 aus. Dazu kommen Vorbezüge:
    a) des Sohnes: für das ihm vom Erblasser verschaffte Zigarrengeschäft Fr. 4,300.-
    b) der Tochter:
    aa) Heiratsgut 11,555.95
    bb) Sparguthaben 2,502.65
    cc) Unbezahlter Mietzins 1260.-
    dd) Unterstützungen 610.- [zus.] Fr. 20,228.60
    Zusammen Fr. 111,898.15
    Der Tochter wird als Lidlohn ein Betrag von 2,520.- zuerkannt. Ein solcher Anspruch des Sohnes dagegen wird abgelehnt.
    Restbetrag Fr. 109,378.15
    Pflichtteil der Tochter (3/8) 41,016.80
 
C.
Mit der vorliegenden Berufung verlangt die Beklagte und Widerklägerin die Erhöhung des ihr vom Kläger und Widerbeklagten zu zahlenden Betrages auf Fr. 35,147.20. Sie will sich als Heiratsgut nur Fr. 8186.20 anrechnen lassen, da drei in der Aufstellung des Obergerichtes enthaltene Posten von insgesamt Fr. 3369.75 nicht auf Zuwendungen des Erblassers beruhten. Die Anrechnung des Sparguthabens von Fr. 2502.65, des Mietzinses von Fr. 1260.- und der Unterstützungen von Fr. 610.- auf ihren Pflichtteil lehnt sie gänzlich ab. Dagegen will sie in die Pflichtteilsberechnung einbezogen und dem Kläger angerechnet wissen: Fr. 5000.- für das ihm vom Erblasser im Jahr 1928/29 angeschaffte Motorboot und Fr. 6500.- (statt bloss Fr. 4300.-) für das Zigarrengeschäft.
 
D.
Der Kläger und Widerbeklagte trägt auf Bestätigung des obergerichtlichen Urteils an. Er will aber einen eigenen Lidlohnanspruch im Rahmen der betreffenden Urteilssumme berücksichtigt wissen, falls die Auslagen des Erblassers für den ihm ermöglichten Motorbootsport zur Berechnung des Pflichtteils der Beklagten herangezogen werden sollten.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die letztwilligen Verfügungen des Erblassers nehmen auf die Ausgleichungspflicht Bezug, wie sie in Art. 626 ZGB geordnet ist. Indessen zielen sie nicht auf Gleichstellung der beiden Kinder, sondern auf möglichst weitgehende Begünstigung des Sohnes vor der Tochter ab. Nur diese wird zur Ausgleichung lebzeitiger Zuwendungen des Erblassers verpflichtet, der Sohn dagegen von der Ausgleichung solcher Bezüge aus dem Vermögen des Erblassers ausdrücklich entbunden. In der Wendung "geschenkt, also bei meinen Lebzeiten geschenkt" liegt eine eindeutige Befreiung von der Ausgleichungspflicht, wie sie dem Erblasser in Art. 626 Abs. 2 ZGB bei den von Rechts wegen unter Nachkommen auszugleichenden Arten von Zuwendungen vorbehalten ist. Ausserdem ist die Tochter auf den Pflichtteil gesetzt. Die ihr auferlegte Ausgleichungspflicht bedeutet also, sie habe die betreffenden Vorbezüge auf den Pflichtteil anzurechnen und, soweit dieser dadurch gedeckt sei, aus der Hinterlassenschaft nichts mehr zugute.
 
Erwägung 2
2. Der Streit geht demgemäss um die Berechnung des Pflichtteilanspruches der Beklagten, die darauf anzurechnenden Vorbezüge und das sich dabei ergebende Restguthaben (neben sog. Lidlohnansprüchen nach Art. 633 ZGB). Art. 475 ZGB verweist für die Hinzurechnung von Werten, die sich im nachgelassenen Vermögen nicht mehr vorfinden, weil der Erblasser sie bei Lebzeiten andern Personen (Erben oder Nichterben) zugewendet hat, auf die  Art. 527 ff. Dabei hängt Art. 527 Ziff. 1 mit Art. 626 Abs. 2 zusammen. Er nennt zwar nicht alle in der letzten Vorschrift erwähnten Zuwendungen. Doch ist nicht einzusehen, weshalb sein Anwendungsgebiet enger sein sollte. In den Erläuterungen zum Vorentwurf (S. 470 der 2. Ausgabe) ist denn auch bemerkt, die gleichen Vorempfänge, die von Gesetzes wegen auszugleichen sind, hätten eine besondere Bedeutung für die Herabsetzungsklage. Art. 527 Ziff. 1 trifft insbesondere auch dann zu, wenn der Empfänger solcher Zuwendungen vom Erblasser ausdrücklich von der Ausgleichungspflicht befreit worden ist (BGE 71 II 77 Erw. 4, a). Für die Pflichtteilsberechnung fallen sodann aber auch die Vorbezüge in Betracht, die nach Art. 626 Abs. 2 tatsächlich zur Ausgleichung (oder allgemeiner: zur Anrechnung an das Erbbetreffnis des Empfängers) gelangen (BGE 45 II 12 ff.; anders Escher in der 1. Auflage des Kommentars S. 341, der jedoch der gegenteiligen Betrachtungsweise nunmehr beistimmt, 2. Aufl., zu Art. 475 N. 5, übereinstimmend mit Tuor, zu Art. 474 N. 13). Was nach Art. 626 Abs. 2 als Vorbezug zu gelten hat, muss eben ohne weiteres zum nachgelassenen Vermögen hinzugerechnet werden. Es muss deshalb auch im Gesamtbetrage enthalten sein, von dem die Pflichtteilsansprüche und damit der verfügbare Teil zu berechnen sind. Ist dem aber so, so müssen endlich auch die Zuwendungen in Berechnung fallen, die nicht von Gesetzes wegen, sondern kraft Anordnung des Erblassers im Sinne von Art. 626 Abs. 1 als Erbvorbezüge zu gelten haben. Diesen Anordnungen gegenüber kann nicht etwa der Pflichtteilsschutz angerufen werden. Der Erblasser ist befugt, lebzeitigen Zuwendungen, auch solchen an einen Pflichtteilserben, den Charakter eines Erbvorbezuges aufzuprägen, und dazu kann die Beschränkung auf den Pflichtteil kommen. Bei dessen Berechnung ist die als Vorbezug erhaltene Zuwendung zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich einerseits eine verhältnismässige Erhöhung des Pflichtteils, anderseits ist aber die betreffende Zuwendung im vollen Betrag auf den so berechneten Pflichtteil anzurechnen.
 
Erwägung 3
3. Die Aussteuer der Beklagten ist unabhängig von einer gemäss Art. 626 Abs. 1 vom Erblasser getroffenen Anordnung, von Rechts wegen gemäss Art. 475 und 527 Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 626 Abs. 2, in die Pflichtteilsberechnung einzubeziehen. Massgebend ist nach den Anordnungen des Erblassers der Anschaffungswert (vgl. BGE 45 II 14). Die Beklagte will denn auch nur die vom Obergericht mitberücksichtigten Posten Nr. 1, 15 und 16 (S. 18 und 20 des Urteils) ausgenommen wissen, weil nicht vom Vater herrührend. Dass eine Zuwendung vom Erblasser stamme, gehört zum notwendigen Tatbestand der Ausgleichung. Die Beweislast trifft deshalb nach Art. 8 ZGB die Partei, welche die Ausgleichung des betreffenden Erwerbes eines Miterben verlangt, also hier den Kläger. Das Obergericht hat dies nicht übersehen. Allerdings lautet die Zusammenfassung des Beweisergebnisses etwas unbestimmt: "Alle Indizien sprechen, gesamthaft betrachtet, eher dafür, dass die Aussteuer der Beklagten, auch soweit sie aus Deutschland stammt, vom Erblasser bezahlt wurde". Aus den vorausgehenden Erwägungen ergibt sich jedoch, dass das Obergericht vollen Beweis annimmt. Dessen Grundlagen sind vom Bundesgericht nicht nachzuprüfen (Art. 63 Abs. 2 OG). Der erwähnten Beweislastregel genügt es, dass das Obergericht auf Grund der von ihm erwähnten Indizien zu voller Überzeugung gelangt ist. Vorbehalten blieb der von der Beklagten zu führende Gegenbeweis, den das Obergericht denn auch zugelassen und gewürdigt hat. Es betrifft dies die Behauptung der Beklagten, die aus Deutschland stammenden Stücke ihrer Aussteuer seien aus Muttergut angeschafft worden. Damit hat sie die eigentliche Grundlage des Ausgleichungsanspruches, nämlich eine Zuwendung des Erblassers, in Frage gestellt. Es handelt sich deshalb nicht um selbständig von ihr zu beweisende Einredetatsachen, sondern um einen blossen Gegenbeweis. Für dessen Gelingen ist nur erforderlich, dass der vom Kläger nach der vorinstanzlichen Entscheidung an und für sich erbrachte Hauptbeweis in erheblichem Masse erschüttert werde (vgl. Kuhn, Die Beweislast, S. 26 ff., Egger, zu Art. 8 N. 18). Unter diesem Gesichtspunkt hat denn auch das Obergericht die betreffenden Vorbringen der Beklagten gewürdigt. Obschon es von einem gescheiterten "Beweis" derselben spricht, hat es nicht etwa vollen Beweis der in Frage stehenden Gegentatsachen verlangt. Das Ergebnis der Beweiswürdigung, wonach ernstliche konkrete Anhaltspunkte für die Anschaffung aus Muttergut nicht bestehen, so dass der vom Kläger erbrachte Beweis für seine Darstellung unerschüttert bleibt, ist somit rechtlich nicht zu beanstanden. Infolgedessen hat es bei der Anrechnung des ganzen Heiratsgutes der Beklagten im Betrage von Fr. 11,555.95 zu bleiben.
 
Erwägung 4
4. Das auf ihren Namen lautende, ihr vom Vater bei ihrer Verehelichung übergebene Sparheft stellt nach der obergerichtlichen Entscheidung gleichfalls Heiratsgut (oder eine Vermögensabtretung) dar und fällt damit auch unter die Anrechnungspflicht nach Art. 626 Abs. 2 ZGB. Nicht nur die dahingehende Angabe des Erblassers, sondern insbesondere die Tatsache, dass er das Sparheft bis zur Verehelichung der Tochter in seinem Gewahrsam hatte, spreche dafür, dass er selbst es geäufnet habe, und zwar zunächst als Rücklage eigener Mittel, die erst später, eben etwa bei der Heirat, auf die Tochter übergehen sollten. Diese Betrachtungsweise ist rechtlich einwandfrei. Mit dem vom Obergericht als erwiesen angenommenen Sachverhalte findet sich das vom Kläger aufgestellte Beweisthema erfüllt. Die globale Übertragung des Sparguthabens von mehr als Fr. 2000.- war kein blosses Gelegenheitsgeschenk, das nach Art. 632 der Ausgleichung entzogen wäre. Es war gleichfalls eine Frage der Beweiswürdigung, ob für die von der Beklagten geltend gemachte Möglichkeit, dass gewisse Einlagen von Patenseite herrührten, hinreichende konkrete Anhaltspunkte bestünden, um jenes Klagefundament zu erschüttern. Das Obergericht konnte dies ohne Rechtsverletzung verneinen.
 
Erwägung 5
 
Erwägung 6
Die Beklagte rügt zunächst einen Verstoss gegen Art. 8 ZGB. Aus der Schriftenhinterlegung folge keineswegs tatsächliches Wohnen am betreffenden Orte. Übrigens habe das Obergericht ihre Beweisanerbieten einfach unberücksichtigt gelassen. Aber selbst auf der vom Obergericht angenommenen tatbeständlichen Grundlage sei das Urteil nicht haltbar. Auch wenn der Erblasser sie in der angegebenen Zeitspanne bei sich aufgenommen hätte, wäre darin keine Zuwendung im Sinne von Art. 626 Abs. 2 ZGB zu sehen; eine Anordnung im Sinne von Abs. 1 daselbst aber habe der Erblasser damals nicht getroffen und nicht erst nachträglich, durch letztwillige Verfügung, treffen können.
Dieser Rechtsauffassung der Beklagten ist beizustimmen. Es kann deshalb auf sich beruhen bleiben, ob die Tatsachenfeststellungen des vorinstanzlichen Urteils aus einem bundesrechtlichen Grunde zu beanstanden wären. Will man die Aufnahme der Tochter im eigenen Hause während annähernd zwei Jahren als Zuwendung bezeichnen -- obwohl nicht etwa dargetan ist, dass der Erblasser die betreffenden Wohnräume sonst während der betreffenden Zeit ausgemietet hätte --, so trifft doch Art. 626 Abs. 2 ZGB nicht zu. Die dort angeführten Zuwendungen haben als gemeinsames Merkmal den Zweck der Existenzbegründung, -sicherung oder -verbesserung für den Empfänger. Zwar gibt die zusätzliche Wendung "und dergleichen", "et autres avantages semblables", "o simili liberalità", dem richterlichen Ermessen einen gewissen Spielraum. Jedoch sind Zuwendungen anderer Art als die vom Gesetz aufgeführten nur zu berücksichtigen, wenn eine Analogie an Hand des erwähnten gemeinsamen Merkmals als begründet erscheint. Es hält schwer, dies bei freiwilligen Unterhaltsleistungen an mehrjährige erwerbsfähige Nachkommen zu bejahen. Solche Leistungen dienen zum laufenden Verbrauch. In der Regel verschaffen sie dem Empfänger auch nicht mittelbar ein Kapital, das sich als Ausstattung oder dergleichen bezeichnen liesse und nach Art. 630 ZGB bei der Erbteilung auszugleichen wäre. Es mag dahingestellt bleiben, wie es sich bei dauernder Zuwendung des ganzen Lebensunterhaltes ohne Gegenleistung verhält, womit der Empfänger der Sorge enthoben ist, sich eine selbständige Existenz zu schaffen, und vielleicht sogar in die Lage kommt, seinen Arbeitsverdienst und sonstige Mittel als Kapital anzulegen. Ebenso ist nicht zum Falle Stellung zu nehmen, dass die Zuschüsse an den Unterhalt das übliche Mass übersteigen (wobei gewisse Autoren, insbesondere Tuor, zu Art. 626 N. 41; Escher, 2. Auflage, zu Art. 626 N. 40, die Anrechnung als Vorbezug nach Art. 626 Abs. 2 in Anlehnung an die französische und die deutsche Gesetzgebung befürworten, obschon auch in solchen Fällen ein gemäss Art. 630 anrechenbarer Wert oftmals nicht leicht festzustellen sein dürfte). Endlich kann offen bleiben, wie es sich bei Unterstützungen verhält, die der Erblasser aus rechtlicher Pflicht nach Art. 328 ZGB erbringt. Ein solcher Sachverhalt wird hier erst im bundesgerichtlichen Verfahren, übrigens nur andeutungsweise, geltend gemacht, was nach Art. 55 Abs. 1 lit. c OG ausser Betracht bleiben muss. Es ist daher auch nicht zu prüfen, ob Unterstützungen im Sinne von Art. 328 ZGB eine Rückforderung begründen (was Egger, zu Art. 329 N. 20, verneint), so dass sich die Anrechnung auf das Erbbetreffnis allenfalls als Ersatz für eine Rückleistung begründen liesse.
Nach alldem kann eine Anrechnung auf das Erbbetreffnis nicht nach Art. 626 Abs. 2, sondern nur gegebenenfalls auf Grund einer vom Erblasser gemäss Abs. 1 daselbst getroffenen Anordnung in Frage kommen. Nach dieser Bestimmung steht es dem Erblasser frei, irgendwelche Zuwendungen an gesetzliche Erben als Erbvorbezug zu bezeichnen. Diese Anordnung braucht (auch bei formbedürftigen Zuwendungen) nicht in bestimmter Form zu geschehen. Sie muss aber (von Ausnahmen abgesehen, wie sie aus besondern Vorschriften, wie etwa Art. 631 ZGB, hervorgehen können) bei der Zuwendung selbst geschehen; ist diese nicht auf Anrechnung an den Erbteil erfolgt, so kann die Anrechnung nicht später vom Erblasser einseitig verfügt und so der ohne erbrechtliche Bedeutung vorgenommenen Zuwendung nachträglich der Charakter eines Erb-Vorbezuges aufgeprägt werden. Will der Erblasser den betreffenden Erben durch letztwillige Verfügung in seinem Erbanspruche beschränken, so mag er es im Rahmen seiner Verfügungsfreiheit auf andere Weise tun, z.B. indem er ihn, wie im vorliegenden Fall, auf den Pflichtteil setzt. Dabei kann aber eben der vorbehaltlos aus dem Vermögen des Erblassers ausgeschiedene Wert nicht auf den Pflichtteil des Empfängers angerechnet werden. (Immerhin ist der Pflichtteil solchenfalls geringer, als wenn die lebzeitige Zuwendung in dem zu dessen Berechnung dienenden Grundbetrag mitenthalten wäre.) Als der Erblasser der Beklagten die Wohnung zur Verfügung stellte, lies er nichts von einer Anrechnung an deren Erbteil verlauten, und es sind keine Umstände bekannt, aus denen die Beklagte damals auf einen dahingehenden Willen hätte schliessen müssen. Es ist nicht üblich, bei vorübergehender Aufnahme einer in weniger günstigen Verhältnissen befindlichen Tochter so zu rechnen. Man pflegt sich über den zahlenmässigen Wert einer solchen Vergünstigung meistens gar nicht Rechenschaft zu geben und noch weniger an eine Anrechnung im künftigen Erbfalle zu denken. Bei dieser Sachlage ist der Posten von Fr. 1260.- aus der Pflichtteilsberechnung zu streichen.
 
Erwägung 7
7. Bei den "Unterstützungen" von Fr. 610.- handelt es sich um zahlreiche kleine Beihilfen des Erblassers in Form von Geldbeträgen und von Waren aus seinem Bazargeschäft. Es waren nicht übliche Gelegenheitsgeschenke. Für etwa die Hälfte davon liess sich der Erblassers von der Empfängerin jeweilen Quittung geben. Derartige Zuschüsse für laufende Ausgaben fallen nicht unter Art. 626 Abs. 2 ZGB. Indem der Erblasser aber die Beklagte oftmals quittieren liess, bekundete er einen nach Art. 626 Abs. 1 erheblichen Willen. Gewiss enthalten die vorliegenden Quittungen weder ein Rückzahlungsversprechen, noch ist geradezu von einer Anrechnung auf künftigen Erbschaftserwerb die Rede. Allein der Erblasser nahm von diesen Zuwendungen in einer Weise Vormerk, dass mit irgendeiner Art späterer Berücksichtigung zulasten der Empfängerin zu rechnen war. Das genügt nun speziell auch als Grundlage der Anrechnung, wie sie der Erblasser dann im Testamente vornahm: eben der Anrechnung auf das der Beklagten im Umfang ihres Pflichtteils zukommende Erbe. In diesem Punkte ist also das obergerichtliche Urteil zu bestätigen, freilich nicht einfach mit seiner Begründung, "da der Erblasser die Ausgleichungspflicht" (im Testamente) "festsetzte", sondern weil er sich das Recht zu dieser Anordnung durch das Verlangen um Empfangsbescheinigung schon anlässlich solcher Zuwendungen gesichert hatte.
 
Erwägung 8
Wie bereits in Erw. 6 bemerkt, sind jedoch von Rechts wegen nach Art. 626 Abs. 2 nur solche Zuwendungen auszugleichen, die vorgenommen wurden, um dem Empfänger eine Existenz begründen, erweitern oder sichern zu helfen. Die gleiche Voraussetzung gilt für die Anwendung von Art. 527 Ziff. 1. Darum handelt es sich bei diesem Motorboot jedoch nicht. Dieses diente keinem beruflichen Zwecke. Es war nur Sportgerät und verschaffte dem Kläger Erholung und Zeitvertreib. Auch bildet es nicht etwa den Bestandteil einer grösseren Zuwendung, die in ihrer Gesamtheit unter den Begriff der Ausstattung fiele. Vielmehr liegt eine Einzelschenkung vor, die nach dem dargelegten Zweck nicht unter Art. 626 Abs. 2 und Art. 527 Ziff. 1 ZGB fällt. Das führt zur Ablehnung der von der Beklagten verlangten Hinzurechnung, ohne dass damit ausgesprochen würde, Schenkungen fallen überhaupt nicht unter Art. 626 Abs. 2 und Art. 527 Ziff. 1 (was in einer Stelle von BGE 71 II 76 ohne nähere Erörterung gesagt ist; damit übereinstimmend Müller, Das Verhältnis von Ausgleichung und Herabsetzung, S. 36 und 122; diese Ansicht steht aber mit der Rechtsprechung betreffend sog. gemischte Schenkungen kaum im Einklang, vgl. BGE 45 II 513; die Erbrechtskommentare stehen denn auch auf anderem Boden, vgl. Tuor, zu Art. 626 N. 16 ff., Escher, dazu N. 18 ff., ferner Guhl, in der Zeitschrift des bernischen Juristenvereins 82 S. 464; Gubler, Die ausgleichungspflichtigen Zuwendungen, S. 14; etwas abweichend Oser-Schönen-Berger, zu Art. 239 OR N. 16, der unentgeltliche Zuwendungen auf Anrechnung an den Erbteil in der Regel nicht als Schenkungen betrachten will; ähnlich Becker, dazu N. 8, hinsichtlich einer Zuwendung, die nur als Vorschuss auf künftiges Erbteil erfolgt und beim Wegfall des Bestimmungsgrundes zurückzuerstatten ist).
 
Erwägung 9
9. Das Zigarrengeschäft, das der Erblasser im Jahr 1941 für den Kläger kaufte, fällt dagegen zweifellos unter den Begriff der Ausstattung gemäss Art. 527 Ziff. 1 (gleichwie Art. 626 Abs. 2) ZGB. Diese Zuwendung ist daher in die Pflichtteilsberechnung nach Art. 475 ZGB einzubeziehen. Streitig ist denn auch nur noch der anzurechnende Betrag. Die Beklagte möchte Fr. 6500.- zur Anrechnung bringen, d.h. den vom Erblasser aufgewendeten Kaufpreis von Fr. 5000.- und das gleichfalls von ihm bezahlte Betriebskapital von Fr. 1500.-. Der Kläger anerkennt dagegen bloss Fr. 4300.-, weil der Erblasser den Erlös aus dem schon etwa zwei Jahre nachher nötig gewordenen Weiterverkauf des Geschäftes, Fr. 2200.-, für sich behalten habe. Letzteres ist nach den Feststellungen des Obergerichts nicht bewiesen. Doch hält das Obergericht mit Hinweis auf Art. 630 ZGB dafür, der Kläger brauche sich eben nur den Verkaufserlös neben dem erwähnten Betriebskapital anrechnen zu lassen. Seine Anerkennung gehe darüber hinaus und genüge den Anrechnungsansprüchen der Beklagten völlig.
Diese erhebt gegenüber der Betrachtungsweise des Obergerichts verschiedene Einwendungen. Zur Frage, welchen Betrag der Kläger zur Ausgleichung zu bringen hätte, wäre er nicht von der Ausgleichungspflicht befreit, ist jedoch gar nicht Stellung zu nehmen. Zufolge der völligen Befreiung von der Ausgleichungspflicht befindet sich der Kläger in der Lage eines vom Erblasser begünstigten Erben, der sich die Anrechnung lediglich nach den Grundsätzen der Herabsetzungsklage (Art. 527 ff. ZGB) gefallen zu lassen braucht. Dabei ist er nach Art. 528 Abs. 1 ZGB bei gutem Glauben nur insoweit zur Rückleistung (oder Anrechnung) verbunden, als er zur Zeit des Erbganges aus dem Rechtsgeschäfte mit dem Erblasser noch bereichert ist. Böser Glaube des Klägers ist weder behauptet noch ersichtlich. Die erwähnte Norm kommt ihm also zugute. Seine Bereicherung beim Erbgange bestand nun eben nur im Erlös von Fr. 2200.-.
Die Einwendung der Beklagten, der Kläger habe das Geschäft schlecht geführt und dadurch den ungünstigen Weiterverkauf verursacht, ist nach Art. 528 ZGB unbeachtlich (vgl. Tuor, zu Art. 528 N. 12). Dass aber solchem Verschulden ausnahmsweise Rechnung zu tragen sein sollte, wenn der Erblasser den betreffenden Erben nur durch letztwillige Verfügung, nicht durch direkte an ihn gerichtete Erklärung, von der Ausgleichungspflicht entbunden hat, ist schwerlich einzusehen. Auch wenn man übrigens diesen Standpunkt einnehmen wollte, wäre der Antrag der Beklagten nicht begründet. Ein Verschulden des Klägers ist nämlich nicht dargetan. Die Beklagte leitet es lediglich daraus her, dass das Geschäft schon nach etwa zwei Jahren zu so niedrigem Preise weiterverkauft werden musste. Dieser Umstand ist nicht schlüssig. Der schlechte Geschäftsgang braucht nicht notwendig einem Verschulden des Klägers zugeschrieben zu werden. Er kann sehr wohl andere Ursachen haben.
 
Erwägung 10
 
Erwägung 11
    Nachgelassenes Vermögen Fr. 91,669.55
    Vorbezüge:
    a) des Sohnes Fr. 4,300.-
    b) der Tochter:
    aa) Aussteuer Fr. 11,555.95
    bb) Sparguthaben Fr. 2,502.65
    cc) Unterstützungen Fr. 610.- [zus.] Fr. 18,968.60
    zusammen Fr. 110,638.15
    Lidlohn der Tochter Fr. 2,520.-
    Rest Fr. 108,118.15
    Pflichtteil der Tochter 3/8 Fr. 40,544.30
    Deren Vorbezüge Fr. 14,668.60
    Rest Fr. 25,875.70
    Dazu der Lidlohn Fr. 2,520.-
    Gesamtforderung Fr. 28,395.70
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In teilweiser Gutheissung der Berufung wird Ziff. 1 lit. b des Urteils des Obergerichts des Kantons Zürich vom 20. Dezember 1949 dahin abgeändert, dass die vom Berufungsbeklagten der Berufungsklägerin zu zahlende Summe auf Fr. 28,395.70 erhöht wird.
Im übrigen wird die Berufung abgewiesen und das obergerichtliche Urteil, soweit es angefochten ist, bestätigt.