BGE 72 II 145 - Pseudonym Peter Surava
 
24. Urteil der II. Zivilabteilung
vom 24. Mai 1946 i.S. Gemeinde Surava gegen Peter Surava.
 
Regeste
Namensschutz. Legitimation einer öffentlichrechtlichen Körperschaft (Gemeinde) zur Anrufung des privatrechtlichen Namensschutzes nach Art. 29/30 ZGB (Erw. 1). -- Unter welchen Voraussetzungen ist eine Gemeinde dadurch, dass jemand sich im Wege der Namensänderung gemäss Art. 30 ZGB ihren Namen zulegt, in ihren Interessen verletzt? (Erw. 2-4).
(Art. 29, 30; 52 Abs. 2, 53, 59 Abs. 1 ZGB).
 
Sachverhalt
 
A.
Der Beklagte wurde am 15. April 1912 in Zürich geboren und erhielt die Vornamen Hans Werner zum Familiennamen Hirsch seines Vaters, der, deutscher Reichsangehöriger und mit einer Schweizerin verheiratet, im Jahre 1915 durch Naturalisation in Zürich mitsamt dem Sohne das Schweizerbürgerrecht erwarb. Im August 1941 stellte Hans Werner Hirsch beim Regierungsrat des Kansons Zürich das Gesuch um Änderung seines Namens in Peter Surava. Zur Begründung seines Begehrens führte er aus, er habe seit 1937 unter dem Pseudonym Peter Surava gelegentlich skisportliche Zeitungsartikel -- er betätigte sich als Skilehrer auf Lenzerheide -- und im Jahre 1940 ein kleines Buch betitelt "Tagebuch eines Skilehrers" veröffentlicht und sich damit beim Publikum einen gewissen Namen gemacht. Im genannten Jahre habe er dann in der Administration der Zeitung "Die Nation" eine Stelle erhalten und in dieser gelegentlich auch politische Artikel für sein Blatt unter dem Namen Peter Surava geschrieben. Er fügte bei, der Vorstand der "Nation" werde ihn zum zeichnenden Redaktor befördern, was notwendigerweise die Preisgabe des Pseudonyms für die von ihm verfassten und für die "Nation" bestimmten Artikel nach sich ziehen würde. Es wäre dann damit zu rechnen, dass manche Leser ihn verdächtigen würden, ein Pseudonym gewählt zu haben, um die jüdische Herkunft, die aus dem Namen Hirsch abgeleitet würde, zu verheimlichen. Dabei sei er gar nicht Jude. Könnte er mit der Beförderung zum zeichnenden Redaktor das Pseudonym nicht weiterführen, so müsste die unter diesem erworbene Sympathie und Verbundenheit mit der Leserschaft schwer leiden.
Mit Beschluss vom 30. Oktober 1941 bewilligte der Regierungsrat des Kantons Zürich dem Gesuchsteller die Abänderung seines Namens in "Peter Surava". Nach der spätern Erklärung des Regierungsrates war ihm dabei nicht bekannt, dass eine kleine bündnerische Gemeinde Surava besteht, ansonst er wahrscheinlich dem Namensänderungsbegehren nicht stattgegeben hätte.
Im Jahre 1944 erhob die Gemeinde Surava Klage gegen Peter Surava mit dem Rechtsbegehren, die Namensänderung sei, soweit sie den Familiennamen anbetrifft, gerichtlich aufzuheben und festzustellen, dass der Beklagte kein Recht auf den Namen Surava habe; demgemäss sei gerichtlich anzuordnen, dass die entsprechenden Eintragungen in den Zivilstands- und Bürgerregistern von Zürich sowie in den Ausweisschriften des Beklagten wieder auf den Namen Hirsch abzuändern seien.
 
B.
In Aufhebung des Urteils des Bezirksgerichts Zürich, das die Klage guthiess, wies sie das Obergericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 11. Dezember 1945 ab. Die Begründung geht davon aus, Art. 59 Abs. 1 ZGB behalte für die öffentlichrechtlichen Körperschaften das öffentliche Recht nicht nur soweit es vom Zivilrecht abweiche, sondern in seiner Gesamtheit vor. Es sei daher auf sie das öffentliche Recht geschlossen anzuwenden. Der Name einer Gemeinde sei im öffentlichen Recht begründet und betreffe überwiegend die Interessen der Gesamtheit. Zwar besitze auch die öffentlichrechtliche Körperschaft privatrechtliche Persönlichkeit. Eine Gemeinde trete aber mit ihrem Namen nicht als Privatrechtssubjekt auf; sie nehme damit nicht am Privatrechtsverkehrs teil und trete damit dem Einzelnen nicht als gleichberechtigte Person gegenüber. Der Gemeinde müsse daher auch in einem Falle wie dem vorliegenden die Berufung auf den privatrechtlichen Namensschutz versagt bleiben...
 
C.
Mit der vorliegenden Berufung hält die Gemeinde Surava an ihren Klagebegehren fest. Der Beklagte trägt auf Abweisung der Berufung an.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Gegenstand des vorliegenden Prozesses bildet die -- rein privatrechtliche -- Frage, ob die Namensänderung des Beklagten berechtigt war oder nicht. Diese Frage aber kann nach Art. 30 Abs. 3 ZGB von jedermann, der sich durch die Namensänderung verletzt fühlt, vor den Richter gebracht werden. Die Formel "wer durch die Namensänderung verletzt wird" (toute personne qui...) lautet ganz allgemein, umfasst also alle Verletzten, seien es nun natürliche oder juristische Personen, und bei den letztern besteht kein Grund, einen Unterschied zu machen, je nachdem es sich um juristische Personen des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts handelt. Auch diese sind aller (privatrechtlichen) Rechte fähig und teilhaftig, die nicht die natürlichen Eigenschaften des Menschen zur notwendigen Voraussetzung haben (Art. 53 ZGB), insbesondere des Rechtes auf den Namen. Wenn in bundesgerichtlichen Entscheiden der Vorbehalt des Art. 59 Abs. 1 ZGB dahin ausgelegt wurde, dass dieser Artikel die öffentlichrechtlichen Körperschaften und Anstalten schlechthin und ausschliesslich dem öffentlichen Recht unterstelle und auch beim Fehlen einer öffentlichrechtlichen Regelung eine Anwendung des Bundesrechts als subsidiäres Recht unzulässig sei (BGE 48 II 418, 63 II 30), so stand dabei immer nur die Haftbarkeit öffentlichrechtlicher Körperschaften gegenüber Privaten in Frage. Der Vorbehalt des Art. 59 Abs. 1 ist kein totaler; die juristischen Personen des öffentlichen Rechts sollen wohl nach gewissen Seiten dem öffentlichen Recht unterstehen (Gründung, Organisation, Verantwortlichkeit), keineswegs aber grundsätzlich und in allen Beziehungen von der Anwendung des Privatrechts ausgeschlossen sein. Nachdem in Art. 52 Abs. 2 die öffentlichrechtlichen Körperschaften ausdrücklich als eine Art der juristischen Personen genannt sind, um mit andern vom Erfordernis der Eintragung ausgenommen zu werden, wäre gar nicht verständlich, wieso sie im Gesamtbegriff der juristischen Personen schlechthin in Art. 53 nicht auch eingeschlossen und in den Grenzen dieser Bestimmung der privatrechtlichen Rechte teilhaftig sein sollten. Das Recht der Persönlichkeit des öffentlichen Rechts schliesst die Privatrechtspersönlichkeit in sich; sobald die Körperschaft nach dem für ihre Konstituierung allein massgebenden öffentlichen Recht als juristische Person des öffentlichen Rechts besteht, kommt ihr die Privatrechtliche Persönlichkeit ipso jure ebenfalls zu. Ob ein Kanton durch Einführung eines öffentlichrechtlichen Namensschutzes für Gemeinden, der weniger weit ginge als der privatrechtliche der Art. 29/30 ZGB, die Gemeinden von der Anrufung des letztern ausschliessen könnte, kann dahingestellt bleiben; denn es steht fest und ist auch von der Vorinstanz anerkannt, dass keinerlei Spezialbestimmungen über den Schutz des Namens der öffentlichrechtlichen Körperschaften bestehen. Die Anwendbarkeit des zivilrechtlichen Rechtsbehelfs auf solche könnte allenfalls höchstens dann noch verneint werden, wenn in den fraglichen Rechtsbeziehungen die Körperschaft sich auf ihr Hoheitsrecht stützte, d.h. hoheitlich und nicht als einfaches Privatrechtssubjekt, als gleichberechtigte Person gegenüber dem Privaten aufträte. Die klagende Gemeinde beruft sich jedoch auf keinerlei Vorrecht, sondern handelt wie eine natürliche Person, die legitimerweise Surava hiesse und dem Beklagten das Recht auf diesen Namen bestritte. Die Argumentation der Vorinstanz vermag keine zureichende Begründung dafür zu geben, dass die klagende Gemeinde schlechter behandelt werden sollte als ein Privater, indem ihr der Rechtsschutz versagt würde, welchen Art. 29 und 30 ZGB dem zur Verfügung stellen, der einer Anmassung seines Namens entgegentreten will. Dass der Name der Gemeinde seine Grundlage in einem Akt des öffentlichen Rechts hat, ist ohne Bedeutung; streitig ist nicht die Rechtmässigkeit dieses ihres Namens, sondern einzig das Recht des Beklagten, sich dessen als seines eigenen zu bedienen.
Die Legitimation der Klägerin zur Namensschutzklage, insbesondere der Klage auf Anfechtung einer Namensänderung nach Art. 30 Abs. 3 ZGB, ist mithin grundsätzlich zu bejahen (ebenso Egger, Art. 30 N. 14 und Art. 59 N. 14). Dies ist auch die Lösung des französischen Rechts (vgl. Dalloz, Rép. prat. unter "Nom", Nr. 103), sowie des deutschen (vgl. Staudinger, N. 21 zu § 12 BGB: "Als Persönlichkeitsrecht ist das Recht auf den erworbenen Namen Privatrecht, gleichviel ob der Namenserwerb auf Grund von Bestimmungen des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts erfolgte").
 
Erwägung 2
 
Erwägung 3
3. Es ist mithin zu prüfen, ob der Beklagte durch die Annahme des Namens Surava die Interessen der Klägerin verletzt hat, was das Bezirksgericht bejaht, die Vorinstanz dagegen eventualiter ebenfalls verneint. Das Obergericht schränkt indessen damit die Rechte des legitimen Namensträgers allzusehr ein.
In den drei vom Bundesgericht bisher beurteilten Fällen der Anfechtung von Namensänderungen (BGE 52 II 103 ff. Eynard, 60 II 387 ff. Dedual, 67 II 191 ff. Segesser) hob jeweilen die klagende Partei in erster Linie die Verwechslung hervor, die zwischen ihrer Familie und den zur Tragung ihres Namens ermächtigten Dritten eintreten könnte. Diese Gefahr besteht im vorliegenden Falle allerdings nicht. Die Gefahr einer Verwechslung bildet jedoch keineswegs die Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Namensschutzes nach Art. 30 Abs. 3, wenn dies auch der häufigste Fall der Interessenverletzung ist. Das Gesetz spricht lediglich von einer Verletzung, einer Beeinträchtigung (Art. 29 Abs. 2), ohne zu präzisieren, worin diese bestehen kann und muss. Es rechtfertigt sich, diesen Begriff eher weit zu interpretieren und anzuerkennen, dass die Aneignung eines Namens seitens eines Dritten auch ohne Verwechslungsgefahr eine Verletzung der Interessen des bisherigen Trägers bedeuten kann, wenn sie geeignet ist, zufolge einer blossen Gedankenassoziation in der Meinung des Publikums eine in Wirklichkeit nicht bestehende Beziehung zwischen diesem und jenem herzustellen. Eine Gemeinde hat daher ein Interesse daran, dass ihr Name nicht von einer ihr fremden Person entlehnt werde, jedenfalls wenn es sich nicht um einen untypischen, bereits Allgemeingut gewordenen oder als Geschlechtsname gebräuchlichen Gemeindenamen handelt. Auf diesen Standpunkt stellt sich auch die zürcherische Verwaltungsbehörde; der Regierungsrat äusserte sich dahin, er hätte die Namensänderung nicht bewilligt, wenn ihm präsent gewesen wäre, dass es eine Gemeinde Surava gibt. Die Vorinstanz scheint im Grunde prinzipiell gleicher Ansicht zu sein, will aber den Schutz von Gemeindenamen auf solche beschränken, die ein besonders hohes Ansehen geniessen. Diese Unterscheidung darf jedoch nicht massgebend sein. Allerdings handelte es sich in den erwähnten drei vom Bundesgericht beurteilten Anfechtungsfällen um vorteilhaft bekannte Familiennamen. Dieser Umstand wurde jedoch nie als eine notwendige Voraussetzung des Namensschutzes bezeichnet. Es muss genügen, dass der Name durch seine relative Seltenheit charakteristisch sei. Dies trifft bei einem Gemeindenamen, der in der Schweiz nur einmal vorkommt, in besonderem Masse zu. Der Namensschutzanspruch der Klägerin hängt auch nicht davon ab, ob die literarische oder politische Betätigung des Beklagten dazu angetan war, die erwähnte Vorstellungsassoziation, die den Autor Surava mit der Gemeinde gleichen Namens in Beziehung bringt, den Gemeindeangehörigen besonders unerwünscht zu machen. Selbst wenn er gänzlich unbekannt wäre, hätte die Gemeinde ein Interesse gehabt, den Fremden nicht gegen ihren Willen sich indirekt als einen der ihren zugezählt zu sehen. Denn die einmal bewilligte Namensänderung besteht für alle Zeiten und zugunsten einer Nachkommenschaft, von der man weder die Verbreitung voraussehen, noch zum voraus beurteilen kann, was für ein Licht einmal von ihr auf die ursprüngliche Trägerin ihres Namens zurückfallen wird.
 
Erwägung 4
4. Es bleibt noch die Frage zu prüfen, ob trotzdem so wichtige Gründe für die Namensänderung vorlagen, dass das Interesse des Beklagten an der Annahme des Namens Surava das im Vorstehenden umschriebene Interesse der Klägerin, ihn für sich allein zu behalten, überwog. In dieser Hinsicht führte der Beklagte lediglich den Vorteil ins Feld, sein bisheriges Pseudonym, unter dem er durch seine schriftstellerische und journalistische Tätigkeit bekannt geworden sei, in der ihm winkenden Stellung eines zeichnenden Redaktors als bürgerlichen Namen beibehalten zu können. Über den Grad der Popularität des Autornamens Surava im Zeitpunkt der Namensänderung im Oktober 1941 machen die Vorinstanzen keine näheren Feststellungen. Aus den Akten geht immerhin hervor, dass der Beklagte bis zu jenem Zeitpunkt das "Tagebuch eines Skilehrers", das zwei Auflagen erlebte, publiziert hatte, dass aber alle bei den Akten befindlichen, mit dem Pseudonym gezeichneten Zeitungsartikel aus den Jahren nach 1941 stammen; hinsichtlich der vorausgegangenen Zeit, die für die Berechtigung zur Namensänderung allein massgebend sein könnte, ist nichts nachgewiesen. Aber selbst wenn feststände, dass das Pseudonym im Jahre 1941 bereits in weiten Kreisen bekannt war und der Beklagte durch die Rückkehr zum angestammten Namen eine gewisse Einbusse an Prestige bei der Leserschaft zu befürchten hatte, könnte er darauf sein Interesse nicht begründen. Denn dieser nachteilige Bruch in der Kontinuität hatte seinen Ursprung ja ausschliesslich darin, dass der Beklagte sich vorher eigenmächtig den Namen der Gemeinde in Verletzung ihres Namensrechtes als Pseudonym angemasst hatte. Eine Usurpation kann natürlich nicht nachträglich zur Rechtfertigung ihrer Legalisation, hier der amtlichen Namensänderung, angerufen werden. Zum Ausschluss des guten Glaubens bei der Wahl des Namens genügt, dass der Beklagte sich der Existenz einer Gemeinde dieses Namens bewusst war, was nicht bestritten ist; er wählte den Namen eines seinem sportlichen Tätigkeitsgebiet benachbarten Dorfes. Es spielt daher keine Rolle und kann dahingestellt bleiben, ob bei seiner Wahl nur der -- an sich nicht rechtswidrige -- Wunsch wegleitend war, seine wirkliche Identität geheimzuhalten, um allfälligen Mutmassungen bezüglich Herkunft und Rasse vorzubeugen, oder ob er damit positiv die Nebenabsicht verband, wegen des charakteristischen Klangs des Namens gerade als ein Sohn Rhätiens angesehen zu werden; jedenfalls zeigen die Reklame zum "Tagebuch" sowie einzelne Rezensionen, die in seiner Schreibweise gewisse geistige Merkmale des Vollblutbündners entdecken und herausstreichen, dass dieser Irrtum tatsächlich vorkam, ins Publikum getragen und vom Beklagten jedenfalls nicht verhindert wurde. Für den allein legitimen Zweck, seine Identität zu verhüllen, stehen einem Autor genügend Namen zur Verfügung, die entweder der reinen Phantasie angehören oder bereits so verbreitet sind, dass sie nicht mehr das besondere Rechtsgut einer bestimmten -- natürlichen oder juristischen -- Person bilden.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In Gutheissung der Berufung und Aufhebung des angefochtenen Urteils wird
a) die vom Regierungsrate des Kantons Zürich am 30. Oktober 1941 bewilligte Änderung des Namens "Hans Werner Hirsch" in "Peter Surava" mit Bezug auf den Familiennamen aufgehoben,
b) festgestellt, dass der Beklagte kein Recht auf den Namen "Surava" hat,
c) die Abänderung der den Beklagten betreffenden Eintragungen in den Zivilstands- und Bürgerregistern von Zürich sowie in den Ausweisschriften des Beklagten auf den Namen "Peter Hirsch" angeordnet.