BVerfGE 94, 315 - Zwangsarbeit |
Zur Frage, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts besteht, nach der Ansprüche aus innerstaatlichem Recht, die auf Kriegsereignissen beruhen, nicht individuell durchsetzbar sind, sondern nur auf zwischenstaatlicher Ebene geltend gemacht werden können. |
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 13. Mai 1996 |
-- 2 BvL 33/93 -- |
in dem Verfahren zur Prüfung 1. welche Reichweite der völkerrechtliche Grundsatz hat, daß die materiellen Kriegsfolgen nur aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarung geltend gemacht werden können; ob dieser Grundsatz insbesondere auch die mit vorliegender Klage geltend gemachten Zahlungsansprüche aus geleisteter Zwangsarbeit umfaßt; 2. ob § 1 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG) -- nach wie vor -- mit dem Grundgesetz vereinbar ist -- Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Landgerichts Bonn vom 2. Juli 1993 (1 O 134/92) --. |
Entscheidungsformel: |
Die Vorlagen sind unzulässig. |
Gründe: |
A. |
Das Verfahren betrifft die Frage, ob Ansprüchen auf Arbeitsentgelt, die ehemalige jüdische Zwangsarbeiter unmittelbar gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend machen, eine allgemeine Regel des Völkerrechts entgegensteht, und ob § 1 des Gesetzes zur allgemeinen Regelung durch den Krieg und den Zusammenbruch des Deutschen Reiches entstandener Schäden (Allgemeines Kriegsfolgengesetz) vom 5. November 1957 (BGBl. I S. 1747; im folgenden: AKG), mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit die Vorschrift Ansprüche ausschließen könnte.
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I. |
Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland hat bereits in seiner am 23. Mai 1949 verkündeten Fassung die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Art. 74 Nr. 9 GG) als vorrangige Aufgabe anerkannt. Dementsprechend schloß die Bundesrepublik Deutschland Globalentschädigungsabkommen mit Israel, weiteren ausländischen Staaten sowie der Conference on Jewish Material Claims against Germany und regelte individuelle Wiedergutmachungsansprüche in Gesetzen über Rückerstattung und Entschädigung (vgl. Bericht der Bundesregierung über Wiedergutmachung und Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht sowie über die Lage der Sinti, Roma und verwandter Gruppen, BTDrucks. 10/6287, S. 8 ff.). Für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, die aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden waren und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen oder in ihrem beruflichen oder wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hatten, begründete das Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz -- BEG --; BGBl. I 1956 S. 559, zuletzt geändert durch Art. 9 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen -- KostRÄndG 1994 -- vom 24. Juni 1994, BGBl. I S. 1325) unter bestimmten Stichtags- und Wohnsitzvoraussetzungen Entschädigungsansprüche. Ein Entgelt für geleistete Zwangsarbeit sieht die Entschädigungsgesetzgebung nicht vor.
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Der militärische und politische Zusammenbruch des Deutschen Reiches im Frühjahr 1945 hatte zu einem Staatsbankrott geführt. Die Höhe der Verschuldung schloß die vollständige Befriedigung aller Verbindlichkeiten aus. Deshalb erging das Gesetz zur Einfügung eines Art. 135 a in das Grundgesetz vom 22. Oktober 1957 (BGBl. I S. 1745) sowie zu dessen Ausführung das Allgemeine Kriegsfolgengesetz. § 1 Abs. 1 AKG bestimmt über die Reichsverbindlichkeiten:
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Erlöschen von Ansprüchen
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(1) Ansprüche gegen
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1. das Deutsche Reich einschließlich der Sondervermögen Deutsche Reichsbahn und Deutsche Reichspost, ...
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erlöschen, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.
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In § 1 Abs. 2 und 3 AKG wird sodann klargestellt, daß bestehende und zukünftige Gesetze, die dennoch solche Ansprüche gewähren, unberührt bleiben. § 101 AKG bestimmt weiter:
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Londoner Schuldenabkommen
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Das Abkommen vom 27. Februar 1953 über deutsche Auslandsschulden und die zu seiner Ausführung ergangenen Vorschriften werden durch die Vorschriften dieses Gesetzes nicht berührt.
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Art. 5 Abs. 2 und 4 des Abkommens über deutsche Auslandsschulden vom 27. Februar 1953 (BGBl. II S. 331; im folgenden: Londoner Schuldenabkommen -- LondSchAbk) bestimmen:
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(2) Eine Prüfung der aus dem Zweiten Weltkriege herrührenden Forderungen von Staaten, die sich mit Deutschland im Kriegszustand befanden oder deren Gebiet von Deutschland besetzt war, und von Staatsangehörigen dieser Staaten gegen das Reich und im Auftrag des Reichs handelnde Stellen oder Personen, einschließlich der Kosten der deutschen Besatzung, der während der Besetzung auf Verrechnungskonten erworbenen Guthaben sowie der Forderungen gegen die Reichskreditkassen, wird bis zu der endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt.
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...
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(4) Die gegen Deutschland oder deutsche Staatsangehörige gerichteten Forderungen von Staaten, die vor dem 1. September 1939 in das Reich eingegliedert oder am oder nach dem 1. September 1939 mit dem Reich verbündet waren, und von Staatsangehörigen dieser Staaten aus Verpflichtungen, die zwischen dem Zeitpunkt der Eingliederung (bei mit dem Reich verbündet gewesenen Staaten dem 1. September 1939) und dem 8. Mai 1945 eingegangen worden sind, oder aus Rechten, die in dem genannten Zeitraum erworben worden sind, werden gemäß den Bestimmungen behandelt, die in den einschlägigen Verträgen getroffen worden sind oder noch getroffen werden. Soweit gemäß den Bestimmungen dieser Verträge solche Schulden geregelt werden können, finden die Bestimmungen dieses Abkommens Anwendung.
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II. |
1. Die Kläger waren zur Zeit des Zweiten Weltkriegs polnische, ungarische und deutsche Staatsangehörige. Sie wurden als Juden während des Zweiten Weltkriegs in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten verfolgt, in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht und dort in der Zeit zwischen September 1943 und Januar 1945 auf Anordnung der SS einem privaten Unternehmen als Zwangsarbeiter zur Produktion von Artilleriezündern, Granaten und Munition zugewiesen. Entlohnung erhielten sie nicht. Das Unternehmen zahlte der SS für jeden der Kläger ein Entgelt. Nach 1945 wechselten die Kläger zum Teil die Staatsangehörigkeit; die deutsche Klägerin behielt ihre Staatsangehörigkeit bei. Die Kläger verlangen von der Bundesrepublik Deutschland zur Abgeltung der geleisteten Arbeit Zahlungen in einer Höhe zwischen 8. 700 und 22. 200 DM. Sie stützen diese Ansprüche auf §§ 812, 823, 831, 683 BGB sowie das Bestehen eines faktischen Arbeitsverhältnisses.
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2. Das Gericht hat das Verfahren der deutschen Klägerin gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 1 AKG mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
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Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt:
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a) Zwar bestehe kein Anspruch nach dem Bundesentschädigungsgesetz, wohl aber seien die Voraussetzungen eines öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruchs gegen die Bundesrepublik Deutschland erfüllt. Die SS sei als Teil der Staatsmacht öffentlich-rechtlich aufgetreten und habe aus der unentgeltlich geleisteten Arbeit einen Vermögensvorteil erlangt, der nach Übernahme des Vermögens der NSDAP durch die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik sowie aufgrund des Einigungsvertrags auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen sei. Ein Rechtsgrund für diese Bereicherung bestehe nicht. Weder greife Art. 52 der Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907 (RGBl. 1910 S. 107; im folgenden: Haager Landkriegsordnung -- HLKO), da die danach erlaubten Dienstleistungen der Zivilbevölkerung nicht Kriegsunternehmungen gegen deren Vaterland dienen dürften. Noch sei ein etwaiger Rechtsgrund aus nationalsozialistischem Recht zu beachten, da die Verschleppung der Zivilbevölkerung zur Zwangsarbeit ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ein Kriegsverbrechen darstelle.
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§ 8 Abs. 1 BEG-SchlußG (gemeint ist offenbar § 8 Abs. 1 BEG in der Fassung des BEG-SchlußG [BGBl. I 1965 S. 1315]) schließe zwar Ansprüche aufgrund von Verfolgungsmaßnahmen nach anderen Vorschriften als denen des Bundesentschädigungsgesetzes grundsätzlich aus; doch gelte dies nur, soweit an ihre Stelle unter den im Bundesentschädigungsgesetz geregelten Voraussetzungen neue Ansprüche getreten seien. Auf die Forderungen der Kläger, die die Voraussetzungen des Bundesentschädigungsgesetzes ohnehin nicht erfüllten, finde die Vorschrift also von vornherein keine Anwendung.
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b) Dem Anspruch der deutschen Klägerin stehe aber der Ausschlußgrund des § 1 Abs. 1 AKG entgegen; eine abweichende Bestimmung sei nicht ersichtlich. § 1 AKG sei insoweit jedoch verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht habe § 1 AKG zwar wiederholt als verfassungsgemäß beurteilt, allerdings auch festgestellt, daß die Vorschrift nicht den gesamtdeutschen Gesetzgeber präjudiziere, die Bundesrepublik die Schulden des Deutschen Reiches nach Maßgabe des Möglichen erfüllen müsse und dabei an den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden sei. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung könne sich der -- jetzt gesamtdeutsche -- Gesetzgeber nicht mehr auf die Artikel 134 Abs. 4, 135 a GG stützen. Diese Vorschriften trügen allein den Besonderheiten der Nachkriegszeit Rechnung. Auf sie dürfe sich die Bundesrepublik heute in Anbetracht ihrer wirtschaftlichen Stärke nicht mehr berufen.
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Jedenfalls verstoße ein Erlöschen der Forderung der deutschen Klägerin gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG. Deutsche Staatsangehörige und Staatenlose würden aufgrund des Bundesentschädigungsgesetzes, ausländische Verfolgte aufgrund völkerrechtlicher Verträge entschädigt. Es sei kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, gerade die deutsche Klägerin, deren Anspruch nach dem Bundesentschädigungsgesetz an Wohnsitz- und Stichtagsvoraussetzungen scheitere, von jeder Entschädigung auszuschließen.
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3. Das Gericht hat das Verfahren auch insoweit ausgesetzt, als es die ausländischen Kläger betrifft, und dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 2 GG die Frage vorgelegt, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts bestehe, nach der die hier in Rede stehenden Ansprüche nicht individuell durchsetzbar, sondern nur auf zwischenstaatlicher Ebene geltend zu machen seien.
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a) Art. 5 Abs. 2 LondSchAbk stehe den Zahlungsansprüchen der ausländischen Kläger nicht entgegen. Denn die "endgültige Regelung der Reparationsfrage", bis zu der die Prüfung der Ansprüche zurückgestellt sei, treffe der Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 (BGBl. II S. 1317; im folgenden: Zwei-plus-Vier-Vertrag) im Zusammenhang mit dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze vom 14. November 1990 (BGBl. II 1991 S. 1328; im folgenden: Deutsch-Polnischer Grenzvertrag). Der Zwei-plus-Vier-Vertrag erfülle die Funktion eines Friedensvertrages und enthalte einen Reparationsausschluß, an den auch diejenigen Staaten gebunden seien, die zwar nicht diesen Vertrag, wohl aber das Londoner Schuldenabkommen unterzeichnet hätten. Die vier Mächte hätten aufgrund ihrer historisch gewachsenen, besonderen Verantwortung stellvertretend für alle Alliierten gehandelt, die dieses Verhalten auch zum Teil ausdrücklich, zum Teil stillschweigend gebilligt hätten.
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Der Reparationsverzicht des Zwei-plus-Vier-Vertrages selbst schließe jedoch Ansprüche der Kläger nicht aus, da diese keine Reparationen darstellten. Diese Sicht werde durch spätere staatliche Handlungen bestätigt.
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b) Auch § 1 Abs. 1 AKG schließe gemäß § 101 AKG i.V.m. Art. 5 Abs. 2 LondSchAbk die Ansprüche der ausländischen Kläger nicht aus. Zahlungsansprüche von Zwangsarbeitern fielen unter Art. 5 Abs. 2 LondSchAbk, auch wenn sie nicht als Reparationen verstanden würden. Die Vorschrift gelte unmittelbar für die polnischen, analog für die zur Zeit der Zwangsarbeit ungarischen Staatsangehörigen. Die Sonderregel des Art. 5 Abs. 4 LondSchAbk greife nicht ein, da die in ihr angesprochenen Friedensverträge auf Ansprüche von Verfolgten nicht anwendbar seien.
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c) Die Ansprüche seien auch nicht wegen Ablaufs der 30jährigen Frist analog § 195 BGB verjährt. Denn die Verjährung sei zumindest während der Geltungsdauer des Moratoriums nach Art. 5 Abs. 2 LondSchAbk und -- analog § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Verjährung von deutschen Auslandsschulden und ähnlichen Schulden vom 19. Dezember 1956 (BGBl. I S. 915; im folgenden: Verjährungsgesetz) -- während des Ablaufs von weiteren 18 Monaten gehemmt. Die Klagen seien deshalb vor dem frühestmöglichen Ablauf der Verjährungsfrist am 15. September 1992 erhoben worden.
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d) Zweifelhaft sei aber, ob dem Anspruch eine allgemeine Regel des Völkerrechts entgegenstehe. Soweit Kriegsschäden einzelner Bürger einen Reparationsanspruch begründeten, könne dieser ausschließlich als völkerrechtlicher Anspruch auf zwischenstaatlicher Ebene vom Siegerstaat gegenüber dem unterlegenen Staat durchgesetzt werden; die Ansprüche der geschädigten Staatsangehörigen gingen darin auf. Die Ansprüche der Kläger seien nicht als Reparationsforderungen einzuordnen, stünden aber in engem Zusammenhang mit der Kriegsführung, so daß es möglich erscheine, daß dieser "Grundsatz der Exklusivität des völkerrechtlichen Ausgleichs" auch auf sie Anwendung finde. Für eine solche Verallgemeinerung des Grundsatzes der "Exklusivität" auf alle aus dem Krieg herrührenden Forderungen spreche die Vielzahl der potentiellen Forderungsinhaber, die begrenzte Leistungsfähigkeit des besiegten Staates, die in der Regel zu einer Reduzierung der Reparationsforderungen im Vergleich zu dem angerichteten Kriegsschaden führe, sowie das Interesse des siegenden Staates, die erhaltene Wiedergutmachung möglicherweise nach anderen politischen Kriterien einzufordern und zu verwenden, als es den Ansprüchen seiner Staatsangehörigen entspreche. Andererseits habe der Bundesgerichtshof (vgl. BGH, MDR 1963, S. 492 f.) Zweifel an einem so verstandenen Grundsatz der "Exklusivität" geäußert. Auch stehe bei einem völkerrechtlichen Delikt außerhalb eines Krieges der völkerrechtliche Anspruch zwar grundsätzlich nur dem Heimatstaat zu; dadurch werde die Verfolgung eines sonstigen Individualanspruchs durch den Geschädigten vor den Gerichten des schädigenden Staates aber nicht ausgeschlossen. Sollte der Grundsatz der "Exklusivität" Anwendung finden, so sei zusätzlich zu fragen, ob dies auch gelte, wenn ein Betroffener seine Staatsangehörigkeit gewechselt habe.
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III. |
Die Bundesregierung hat durch Vorlage eines Rechtsgutachtens von Prof. Dr. Randelzhofer Stellung genommen. Der Gutachter hält die Vorlagen für unzulässig; die Ansprüche seien nicht hinreichend dargetan. Völkerrechtliche Individualansprüche seien nicht gegeben und würden zudem vom zwischenstaatlichen Reparationsanspruch absorbiert. Deutsches innerstaatliches Recht fände keine Anwendung; außerdem seien die Voraussetzungen der dort gewährten Anspruchsgrundlagen nicht erfüllt. Auch hätten sowohl Ungarn als auch Polen rechtswirksam auf eventuelle Individualansprüche verzichtet. Schließlich verstoße § 1 Abs. 1 AKG nicht gegen das Grundgesetz, da es sich um eine Kriegsfolgenregelung handele, bei der dem Gesetzgeber ein besonders weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt sei.
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B. |
Die Vorlagen sind unzulässig.
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I. |
Die Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ist unzulässig, da weder die Entscheidungserheblichkeit des § 1 AKG noch die Überzeugung von seiner Verfassungswidrigkeit hinreichend dargelegt ist.
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1. Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des § 1 AKG bereits mehrfach bejaht hat (vgl. BVerfGE 15, 126 [149 f.]; 19, 150 [165]; 23, 153 [166]; 24, 203 [214 f.]). Eine erneute Vorlage kommt dann in Betracht, wenn tatsächliche oder rechtliche Veränderungen eingetreten sind, die eine Grundlage der früheren Entscheidungen berühren und deren Überprüfung nahelegen (vgl. BVerfGE 87, 341 [346] m.w.N.). Hier verweist das vorlegende Gericht auf die nunmehr erreichte Wiedervereinigung Deutschlands und auf die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 15, 126 [149]) mögliche, erneute Prüfung der Entschädigungsfrage durch einen gesamtdeutschen Gesetzgeber. Außerdem nimmt es den Gedanken der Verfassungsrechtsprechung auf, wonach § 1 AKG durch die begrenzte finanzielle Leistungskraft der Bundesrepublik Deutschland nach dem Krieg gerechtfertigt wird, und stellt dem gegenüber, daß Deutschland inzwischen wirtschaftlich erstarkt sei.
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2. Das Gericht hat jedoch nicht hinreichend begründet, daß § 1 AKG entscheidungserheblich ist.
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a) Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG ist unzulässig, wenn der Vorlagebeschluß entgegen § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen läßt, daß das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit, und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde (vgl. BVerfGE 7, 171 [173 f.]; stRspr). Das Gericht muß sich dabei eingehend mit der Rechtslage auseinandersetzen und die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der zur Prüfung vorgelegten Norm von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 65, 308 [316]; stRspr). Im übrigen ist für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern sie nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 44, 297 [299]; stRspr).
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b) Abgesehen davon, daß das Landgericht nicht darlegt, warum es für den von ihm zugrunde gelegten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für gegeben hält, begründet der Vorlagebeschluß nicht, inwiefern auf die hier zu beurteilenden Sachverhalte der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch Anwendung findet. Hierzu wäre angesichts des für die Geltung des öffentlichen Rechts in Betracht zu ziehenden Territorialitätsprinzips darzulegen gewesen, ob die territoriale Zugehörigkeit von Auschwitz zu Polen dadurch aufgehoben war, daß der Bezirk Kattowitz, zu dem Stadt- und Landgemeinde von Auschwitz gehörten (vgl. Die Ostgebiete des Deutschen Reiches und das Generalgouvernement der besetzten polnischen Gebiete in statistischen Angaben, 1940, S. 73, 60, 55), nach der Besetzung 1939 Bestandteil der Provinz Schlesien und damit unmittelbar des Deutschen Reiches werden sollte (vgl. § 4 des Erlasses über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 8. Oktober 1939, RGBl. I S. 2042; zum Inkrafttreten RGBl. I 1939 S. 2057). Dem dürfte allerdings die aufgrund des Verbots des Angriffskrieges durch den Vertrag über die Ächtung des Krieges vom 27. August 1928 (RGBl. II 1929 S. 97 -- Briand-Kellog-Pakt) geltende Rechtsunwirksamkeit einer Annektion entgegenstehen (vgl. zum Annektionsverbot Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., S. 52, 606 f.; Bindschedler, Annexation, in: Encyclopedia of Public International Law, vol. 1, S. 168 [170 f.]; im Ergebnis auch BGH, DVBl 1959, S. 434). Sodann wäre zu begründen gewesen, ob das Territorialitätsprinzip generell den Anwendungsbereich des öffentlichen Rechts bestimmt (vgl. einerseits BGHZ 31, 367 [371]; Kegel, Internationales Privatrecht, 7. Aufl., S. 847 und andererseits Klaus Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965, S. 142 und passim), welchen Inhalt es im Rahmen des hier betroffenen Sachgebiets hat (zu den verschiedenen Ausprägungen vgl. etwa BVerfGE 84, 90 [123] zum Enteignungsrecht, BVerfGE 14, 221 [237]; 51, 356 [367] zum Sozialversicherungsrecht und BVerfGE 13, 31 [38]; 38, 128 [136] zum Wiedergutmachungsrecht) und ob es für die Rechtsquellenfrage erheblich ist, daß das Deutsche Reich bestimmte Teilrechtsbereiche und einige Einzelvorschriften des deutschen Rechts ausdrücklich für anwendbar erklärt hat, im übrigen aber von der Fortgeltung polnischen Rechts ausgegangen ist (vgl. §§ 7, 8, 12 des Erlasses über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete sowie die dazu ergangenen Verordnungen etwa in RGBl. I 1941 S. 597 und RMBl. 1941 S. 98, 257, 295). Insbesondere erörtert das Landgericht nicht, ob die hier zu beurteilenden Sachverhalte, in denen deutsche Hoheitsgewalt auf fremdem Territorium ausgeübt worden ist, es nahelegen, daß die Bundesrepublik Deutschland sich nicht auf eine etwaige Unanwendbarkeit deutschen Rechts berufen kann.
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c) Das Gericht hat sich auch nicht mit der geltend gemachten Einrede der Verjährung der Ansprüche der deutschen Klägerin auseinandergesetzt. Das Gericht geht vom Bestehen einer 30jährigen Verjährungsfrist analog § 195 BGB aus, die jedoch analog Art. 5 Abs. 2 LondSchAbk und § 1 Abs. 2 des Verjährungsgesetzes keine Anwendung finde. Da aber Art. 5 Abs. 2 LondSchAbk -- und damit auch der darauf bezogene § 1 Abs. 2 des Verjährungsgesetzes -- nur von Ansprüchen ausländischer Staaten und deren Staatsangehöriger spricht, fehlt es an jeder Ausführung des Landgerichts zu der Frage, warum die 30jährige Verjährungsfrist für die deutsche Klägerin nicht eingreifen soll.
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3. Auch die Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 1 AKG ist nicht hinreichend dargelegt. Das Gericht muß sich zur Begründung seiner Auffassung, die vorgelegte Norm sei verfassungswidrig, jedenfalls mit naheliegenden Gesichtspunkten auseinandersetzen, sowie die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 79, 240 [243 f.]; 86, 52 [57]). Eine vertiefte Auseinandersetzung liegt nahe, wenn das Bundesverfassungsgericht sich -- wie hier (vgl. BVerfGE 15, 126 [149 f.]; 19, 150 [165]; 23, 153 [166]; 24, 203 [214]) -- bereits mit der Norm befaßt hat (vgl. BVerfGE 79, 240 [245]).
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a) Das Gericht deutet an, daß es eine Abweichung von den bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu § 1 Abs. 1 AKG aufgrund der Wiedervereinigung für notwendig hält. Es hätte sich dabei aber deutlicher mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auseinandersetzen müssen, daß § 1 AKG die gesamtdeutsche Staatsgewalt, die Art. 146 GG a.F. im Auge habe, nicht präjudiziere (vgl. BVerfGE 15, 126 [149]). Damit ist erkennbar gemeint, daß nach der Wiedervereinigung eine erneute Entscheidung über die Reichsverbindlichkeiten möglich, nicht jedoch, daß sie notwendig ist.
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b) Das Gericht erläutert auch nicht näher, warum sich seiner Ansicht nach die Bundesrepublik Deutschland wegen ihrer heutigen wirtschaftlichen Stärke nicht mehr auf Art. 134 Abs. 4, 135 a Abs. 1 GG stützen dürfe. Es hätte sich insbesondere mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinandersetzen müssen, nach der eine verbesserte Finanzlage nicht zur nachträglichen Änderung einer vom früheren Standpunkt aus nicht sachwidrigen Regelung verpflichtet. Wirtschaftliches Wachstum bedeutet also nicht, daß sämtliche in der Vergangenheit abgeschlossenen Entschädigungsregelungen von neuem aufzurollen sind; sonst wäre eine wirksame Planung der staatlichen Tätigkeit für die Zukunft ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 27, 253 [288 f.]; 41, 126 [187]).
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Das Bundesverfassungsgericht hat den Auftrag des Gesetzgebers, zwischen Wiedergutmachungsleistungen und sonstigen Staatsaufgaben Prioritätsentscheidungen zu treffen, für die Situation nach der Wiedervereinigung bestätigt, die den Staat vor neue Wiedergutmachungspflichten und zugleich vor die Aufgabe des Wiederaufbaus in den neuen Bundesländern stellt. Bei der Gewichtung der einzelnen Staatsaufgaben und der Einschätzung von wirtschaftlicher Lage und finanzieller Leistungskraft des Staates kommt dem Gesetzgeber ein besonders weiter Beurteilungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 84, 90 [130 f.] unter Hinweis auf BVerfGE 27, 253 [284 f.]).
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c) Der Vorlagebeschluß legt auch nicht hinreichend dar, warum das "Erlöschen" (vgl. BVerfGE 15, 126 [149 f.]) der Ansprüche der deutschen Klägerin nach § 1 Abs. 1 AKG gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn ein vernünftiger, einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung im jeweiligen Sachbereich fehlt (vgl. BVerfGE 24, 203 [215]; 84, 239 [268]; 93, 121 [134]).
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Das Recht der Wiedergutmachung geht von dem Befund aus, daß ohne Schaffung besonderer Ansprüche eine Geltendmachung von Wiedergutmachungsforderungen nicht möglich wäre (vgl. Moses, Die jüdischen Nachkriegs-Forderungen, Tel Aviv 1944, S. 16 ff., insbes. S. 39 f.). Vor diesem Hintergrund hätte das Gericht sich zunächst mit der von § 1 Abs. 1 AKG nahegelegten Erwägung befassen müssen, inwiefern im Bereich des Entschädigungsrechts neben dem Bundesentschädigungsgesetz und etwaigen völkerrechtlichen Regeln weitere Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen können. Das Bundesentschädigungsgesetz sucht einen -- wie auch § 8 BEG zeigt -- abschließenden Ausgleich; die Anwendung eines ungeschriebenen Erstattungsanspruchs bedarf deshalb besonderer Begründung.
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Das Bundesentschädigungsgesetz gewährt für nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen Entschädigung, jedoch kein Entgelt für geleistete Zwangsarbeit (vgl. Zorn, in: Entschädigung für NS-Zwangsarbeit, Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 14. Dezember 1989, Zur Sache 6/90, S. 104). Insoweit wird die deutsche Klägerin nicht anders behandelt als andere Opfer nationalsozialistischer Verfolgung.
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Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung ist auch nicht für einen Vergleich mit denjenigen ausländischen Verfolgten dargetan, für die Globalabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den jeweiligen Heimatstaaten abgeschlossen worden sind. Das Landgericht prüft schon nicht, ob aufgrund dieser Globalabkommen tatsächlich Entlohnung für geleistete Zwangsarbeit gezahlt worden ist. Vor allem aber ist nicht ersichtlich, warum eine deutsche Klägerin den Personen, die aufgrund derartiger Vereinbarungen nur einen globalen Härteausgleich erhalten, gleichgestellt werden muß, wenn ihr grundsätzlich die Möglichkeit offensteht, Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz zu erhalten, die sie nur im Einzelfall wegen Nichterfüllung der Wohnsitz- und Stichtagsvoraussetzungen nicht beanspruchen kann.
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Schließlich beruht die Unterscheidung zwischen deutschen und ausländischen Klägern nach der insoweit für das Bundesverfassungsgericht maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts auf § 101 AKG i.V.m. Art. 5 Abs. 2 LondSchAbk. Das Gericht hätte sich deshalb mit dem Sinn des Art. 5 Abs. 2 LondSchAbk sowie dem weiten Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers bei der Regelung der Folgen von Krieg und Zusammenbruch des nationalsozialistischen Systems (vgl. BVerfGE 23, 153 [168]; 24, 203 [215]) und bei der Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen (vgl. BVerfGE 36, 1 [14 f.]; 55, 349 [365]; BVerfGE 94, 12 [35]) auseinandersetzen müssen. Weiterhin hätte das Gericht die verfassungsrechtlichen Auswirkungen seiner Ansicht darlegen müssen, wonach die ausländischen Kläger mit ihren Ansprüchen nur aufgrund des Zwei-plus-Vier-Vertrages in Verbindung mit dem Deutsch-Polnischen Grenzvertrag durchdringen könnten. Die Ungleichbehandlung beruhte danach auf veränderten Umständen des Jahres 1990 und gäbe wiederum Anlaß, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gebundenheit gesetzlicher Regelungen in den jeweils zugrundeliegenden Umständen (vgl. BVerfGE 27, 253 [288 f.]; 41, 126 [187]; 84, 90 [125, 131]) und damit zur Gleichheit in der Zeit zu bedenken.
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II. |
1. Auch die Vorlage nach Art. 100 Abs. 2 GG ist unzulässig. Gegenstand dieses Normenverifikationsverfahrens sind nur die allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG, also das universell geltende Völkergewohnheitsrecht sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze (vgl. BVerfGE 23, 288 [317]). Alle übrigen völkerrechtlichen Regeln und insbesondere das Völkervertragsrecht haben die Fachgerichte selbst anzuwenden und auszulegen. Die verfassungsgerichtliche Nachprüfung ihrer Entscheidungen folgt den dafür geltenden allgemeinen Maßstäben für die Kontrolle von Gerichtsentscheidungen (vgl. BVerfGE 18, 441 [450]; 59, 63 [89]).
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Das Gericht hat die bei Art. 100 Abs. 2 GG vorausgesetzte Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Regel des Völkerrechts (vgl. BVerfGE 15, 25 [30]) nicht hinreichend dargelegt. Auch für die ausländischen Kläger hätte begründet werden müssen, warum der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch anwendbar ist; erst dann könnte ein völkerrechtlicher Grundsatz Bedeutung erlangen.
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2. Der Senat sieht sich veranlaßt, auf Folgendes hinzuweisen:
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a) Das Gericht belegt die für eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 2 GG genügenden Zweifel (vgl. BVerfGE 23, 286 [316, 319]) am Bestehen eines völkerrechtlichen Grundsatzes der "Exklusivität" mit Stimmen in der Literatur (vgl. etwa Féaux de la Croix, Schadensersatzansprüche ausländischer Zwangsarbeiter im Lichte des Londoner Schuldenabkommens, NJW 1960, S. 2268 [2269]; Dolzer, in: Entschädigung für NS-Zwangsarbeit, a.a.O., S. 199) und einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, MDR 1963, S. 492 [493]). Die Annahme, ein solcher Grundsatz könne auch Ansprüche ausschließen, die das deutsche Recht gewähre, beruht jedoch auf einer nicht ausreichenden Unterscheidung zwischen Ansprüchen nach Völkerrecht und nach nationalem Recht.
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aa) Die traditionelle Konzeption des Völkerrechts als eines zwischenstaatlichen Rechts versteht den Einzelnen nicht als Völkerrechtssubjekt, sondern gewährt ihm nur mittelbaren internationalen Schutz: Bei völkerrechtlichen Delikten durch Handlungen gegenüber fremden Staatsbürgern steht ein Anspruch nicht dem Betroffenen selbst, sondern nur seinem Heimatstaat zu (vgl. Verdross/Simma, a.a.O., S. 878 f. m.w.N.; Kokott, Zum Spannungsverhältnis zwischen nationality rule und Menschenrechtsschutz bei der Ausübung diplomatischer Protektion, in: Ress/Stein, Der diplomatische Schutz im Völker- und Europarecht, 1996, S. 45 ff.). Der Staat macht im Wege des diplomatischen Schutzes sein eigenes Recht darauf geltend, daß das Völkerrecht in der Person seines Staatsangehörigen beachtet wird (vgl. Mavrommatis Palestine Concessions Fall, StIGH, Série A, No. 2, S. 12; Reparation for Injuries Fall, ICJ Rep. [Fn. 1: International Court of Justice -- Reports of Jugdements, Advisory Opinions and Orders.] 1949, S. 184; Nottebohm Fall, ICJ Rep. 1955, S. 24; Barcelona Traction Fall, ICJ Rep. 1970, S. 44). |
Dieses Prinzip einer ausschließlichen Staatenberechtigung galt in den Jahren 1943 bis 1945 auch für die Verletzung von Menschenrechten. Der Einzelne konnte grundsätzlich weder die Feststellung des Unrechts noch einen Unrechtsausgleich verlangen. Auch hatte er weder nach Völkerrecht noch in der Regel nach dem innerstaatlichen Recht des einzelnen Staates einen subjektiven, durchsetzbaren Anspruch darauf, daß sein Heimatstaat den diplomatischen Schutz ausübt (vgl. Doehring, Die Pflicht des Staates zur Gewährung diplomatischen Schutzes, 1959, S. 11 ff., 47 ff.). Erst in der neueren Entwicklung eines erweiterten Schutzes der Menschenrechte gewährt das Völkerrecht dem Einzelnen ein eigenes Recht, berechtigt andere Völkerrechtssubjekte auf der Grundlage von Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zur Intervention bei gravierenden Verstößen und entwickelt vertragliche Schutzsysteme, in denen der Einzelne seinen Anspruch auch selbst verfolgen kann (vgl. Henkin, Human Rights, in: Encyclopedia of Public International Law, vol. 2, 1995, S. 886 ff.; Beyerlin, Humanitarian Intervention, in: ibid., S. 926 ff.).
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bb) Das Grundprinzip des diplomatischen Schutzes schließt aber einen Anspruch nicht aus, den das nationale Recht des verletzenden Staates dem Verletzten außerhalb völkerrechtlicher Verpflichtungen gewährt und der neben die völkerrechtlichen Ansprüche des Heimatstaates tritt. Dies zeigt sich bereits an dem Grundsatz, daß der Staat den diplomatischen Schutz erst ausüben darf, wenn der betroffene Staatsangehörige den innerstaatlichen Rechtsweg erschöpft hat (vgl. Mavrommatis Palestine Concessions Fall, StIGH, Série A, No. 2, S. 12; Interhandel-Fall, ICJ Rep. 1959, S. 27). Damit wird die Möglichkeit eines eigenen Anspruchs des betroffenen Individuums auch nach nationalem Recht vorausgesetzt (vgl. Brownlie, Principles of Public International Law, 4. Aufl., S. 495, 497; Claim of Finnish Shipowners [Finnland/Great Britain], Reports of International Arbitral Awards, vol. III, S. 1479 [1484, 1490 ff.]; Ambatielos Claim [Greece/United Kingdom], ibid., vol. XII, S. 83 [120 ff.]). Das gilt insbesondere dann, wenn in der staatlichen Verletzungshandlung sowohl ein Bruch des Völkerrechts als auch des nationalen Rechts liegt (vgl. Brownlie, a.a.O.).
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cc) Diese Anspruchsparallelität gilt auch für etwaige zwischenstaatliche Ansprüche aufgrund von Zwangsarbeit im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg. Das vorlegende Gericht knüpft seine Zweifel an die These, Ansprüche aus Kriegshandlungen könnten nur von Staat zu Staat geltend gemacht werden, weil der Krieg ein zwischenstaatliches Verhältnis sei (vgl. Gurski, Kriegsforderungen, AWD 1961, S. 14 f.). Die Regelung von Reparationen bleibe zwischenstaatlichen Friedensverträgen vorbehalten, um so die unübersehbare Geltendmachung zahlreicher Einzelforderungen zu verhindern (vgl. Féaux de la Croix, a.a.O., S. 2269; dagegen Domke, Individualansprüche für völkerrechtliche Deliktshaftung?, Schweizerische Juristenzeitung 1962, S. 2 [4 ff.]). Selbst wenn sich aus diesen Erwägungen eine ausschließliche Staatenberechtigung ergäbe und diese Ausschließlichkeit auf -- nach Auffassung des Gerichts nicht reparationsrechtliche -- Ausgleichsansprüche übertragbar wäre, beträfe der Grundsatz auch hier nur völkerrechtliche Ansprüche (vgl. Granow, Ausländische Kriegsschädenansprüche und Reparationen, AöR 77 [1951/52], S. 67 [68 ff.]; Dolzer, a.a.O., S. 199; Düx, in: Entschädigung für NS-Zwangsarbeit, a.a.O., S. 141; Hahn, ibid., S. 150; Eichhorn, Reparation als völkerrechtliche Deliktshaftung, 1992, S. 71 ff.). Hingegen bleibt es dem das Völkerrecht verletzenden Staat unbenommen, der verletzten Person aufgrund des eigenen, nationalen Rechts Ansprüche zu gewähren. Deshalb wird in ständiger Rechtspraxis nicht in Frage gestellt, daß das Bundesentschädigungsgesetz individuelle, aus eigenem Recht der Verletzten durchsetzbare Ansprüche gewährt und diese Ansprüche durch das an Kriegshandlungen anknüpfende Völkerrecht auch insoweit nicht berührt werden, als sie an Tatbestände anknüpfen, die mit Kriegsgeschehen zusammenhängen.
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Die Anspruchsparallelität besteht erst recht, wenn der Ausgleichsanspruch nicht aus dem Sonderrecht für Kriegsfolgen oder Verfolgungsschäden abgeleitet wird, sondern aus einem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Stellt der Erstattungsanspruch nach Auffassung des Gerichts eine Ergänzung und somit einen Teil des Wiedergutmachungsrechts dar, so bliebe er ebenso wie dieses Rechtsgebiet vom Völkerrecht unberührt. Sieht das Gericht den Erstattungsanspruch hingegen außerhalb des Wiedergutmachungsrechts, so stünde er in keinerlei spezifischem Zusammenhang mit der Regelung von Kriegsfolgen. Eine völkerrechtliche Ausschlußnorm, die gerade Kriegsfolgen betreffen soll, würde also noch weniger greifen können als bei Ansprüchen nach dem Bundesentschädigungsgesetz.
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b) Im übrigen besteht auch eine solche Regel des Völkergewohnheitsrechts über die "Exklusivität" nicht, nach der Entschädigungsregelungen im Zusammenhang mit Kriegsfolgen nur im Rahmen von völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere von Friedensverträgen getroffen werden könnten oder bestehende Verträge über solche Entschädigungen abschließend wären (in diese Richtung aber Féaux de la Croix, a.a.O., S. 2269).
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Eine solche Regel würde zumindest eine entsprechende Staatenpraxis, d.h. eine dauernde und einheitliche Übung unter weitgestreuter und repräsentativer Beteiligung voraussetzen. Daß eine solche Praxis nicht besteht, zeigen Friedensverträge, in denen die Staaten im Zusammenhang mit der Reparationsfrage auf Ansprüche gegeneinander verzichten. Diese Verzichtserklärungen betreffen regelmäßig nur Ansprüche der Staaten wegen einer Schädigung ihrer Staatsangehörigen, nicht aber Ansprüche der Staatsangehörigen selbst (vgl. etwa Art. 3 des Friedensvertrages zwischen Österreich/Ungarn und Finnland vom 29. Mai 1918 [Martens/Triepel, Nouveau Recueil General de Traités, 3e série, Bd. 12, S. 15]; Art. 8 des Friedensvertrages zwischen Rußland und Estland vom 2. Februar 1920 [LNTS, vol. 11, S. 51], Art. 1 Buchst. a des Deutsch-Russischen Vertrages von Rapallo vom 17. Juli 1922 [RGBl. II 1922 S. 677], Art. 58 Satz 1 des Friedensvertrages von Lausanne zwischen Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Griechenland, Rumänien, Serbo-Kroatien-Slowenien und der Türkei vom 24. Juli 1923 [LNTS, vol. 28, S. 12]; Art. 5 des Friedensvertrages zwischen Lettland und Rußland vom 11. August 1920 [LNTS, vol. 2, S. 212]).
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Soweit Friedensverträge Individualforderungen ausschließen, regeln sie die Ansprüche der Staatsangehörigen ausdrücklich neben den Forderungen der Staaten (vgl. etwa Art. II Abs. 2 der Deutsch-Polnischen Übereinkunft vom 31. Oktober 1929 [RGBl. II 1930 S. 549]; Art. 111 des Friedensvertrages von Lausanne vom 24. Juli 1923 [LNTS, vol. 28, S. 12]; Art. 14 Buchst. b des Friedensvertrages der Alliierten mit Japan vom 8. September 1951 [UNTS, vol. 136, S. 45]; Ziff. VI der Sowjetisch-Japanischen Vereinbarung vom 19. Oktober 1956 [EA 11, 1956, S. 9287]).
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Auch aus der übrigen Staatenpraxis wird deutlich, daß den Staaten die Unterscheidung zwischen staatlichen und individuellen Ansprüchen bewußt gewesen ist. Dies gilt etwa für Art. 71, 137, 258, 260 Abs. 2 Satz 3 des Versailler Vertrages vom 28. Juni 1919 (RGBl. S. 687), Art. 43, 112, 209 des Vertrages von Saint-Germainen-Laye zwischen den Alliierten und Österreich vom 10. September 1919 (Martens/Triepel, Nouveau Recueil General de Traités, 3e série, Bd. 11, S. 691), Art. 96 des Vertrages von Trianon zwischen den Alliierten und Ungarn vom 4. Juni 1920 (Martens/Triepel, Nouveau Recueil General de Traités, 3e série, Bd. 12, S. 422), Art. 2 Abs. 1 der Deutsch-Polnischen Übereinkunft vom 31. Oktober 1929 (RGBl. II 1930 S. 549) und das sog. Litvinoff-Abkommen vom 16. November 1933 zwischen den USA und der UdSSR (American Journal of International Law, Supplement 28 [1934], S. 10). Diese Staatenpraxis setzte sich nach 1945 fort, etwa in Art. 30 Abs. 4 des Friedensvertrages der Alliierten mit Ungarn vom 10. Februar 1947 (UNTS, vol. 41, S. 135), Art. 28 Abs. 4 des Friedensvertrages der Alliierten mit Rumänien vom 10. Februar 1947 (UNTS, vol. 42, S. 3), Art. 26 Abs. 4 des Friedensvertrages der Alliierten mit Bulgarien vom 10. Februar 1947 (UNTS, vol. 41, S. 21), Art. 76 Abs. 1 des Friedensvertrages der Alliierten mit Italien vom 10. Februar 1947 (UNTS, vol. 49, S. 3), Art. 19 Buchst. a und c des Friedensvertrages der Alliierten mit Japan vom 8. September 1951 (UNTS, vol. 136, S. 45), Art. 3 des Pariser Reparationsabkommens vom 14. Januar 1946 (UNTS, vol. 555, S. 69), Art. 6 des Vertrages der Deutschen Demokratischen Republik mit Finnland vom 3. Oktober 1984 (Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, Vermögensgesetz, Kommentar, Anhang II/4) und Art. 7 des Vertrages der Deutschen Demokratischen Republik mit Österreich vom 21. August 1987 (BGBl. für die Republik Österreich 1988 S. 1887; vgl. dazu Österreichischer Verfassungsgerichtshof, RIW 1993, S. 1027).
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c) Das Fehlen einer Regel des Völkergewohnheitsrechts, nach der Individualentschädigungen im Zusammenhang mit Kriegsereignissen allein völkervertragsrechtlich geregelt werden können, schließt jedoch nicht aus, daß einzelne Verzichtserklärungen -- wie etwa die polnische Erklärung vom 23. August 1953 (Zbiòr Dokumentow 1953, Nr. 9, S. 1830 [1831]) -- oder völkerrechtliche Verträge -- wie etwa der Zwei-plus-Vier-Vertrag, das Londoner Schuldenabkommen und der Friedensvertrag der Alliierten mit Ungarn vom 10. Februar 1947 (UNTS, vol. 41, S. 135) -- solche Ansprüche zum Erlöschen bringen. Die Entscheidung hierüber obliegt dem vorlegenden Gericht.
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III. |
Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.
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Limbach, Graßhof, Kruis, Kirchhof, Winter, Sommer, Jentsch, Hassemer |