BVerfGE 72, 105 - Lebenslange Freiheitsstrafe
Zu den verfassungsrechtlichen Erfordernissen bei der Anwendung des § 57a StGB.
 
Beschluß
des Zweiten Senates vom 24. April 1986
- 2 BvR 1146/85 -
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn E ... - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Hans Herbert Gutschmidt, Ludwigstraße 46, Gießen - gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. vom 5. Juni 1985 - 3 Ws 102/85 -.
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
 
Gründe
 
A.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen einen strafgerichtlichen Beschluß, durch den die Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe abgelehnt worden ist. Der im Zeitpunkt der Entscheidung nahezu 88jährige Beschwerdeführer hatte eine solche Strafe seit mehr als 22 Jahren verbüßt; er hält die weitere Vollstreckung auch mit Blick auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde für grundrechtswidrig.
I.
Durch das Zwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz (20. StR- ÄndG) vom 8. Dezember 1981 (BGBl. I S. 1329) wurde § 57 a in das Strafgesetzbuch - StGB - eingefügt. Die Vorschrift lautet:
    (1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
    1. fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
    2. nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
    3. die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.
    § 57 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend.
    (2) Als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 gilt jede Freiheitsentziehung, die der Verurteilte aus Anlaß der Tat erlitten hat.
    (3) Die Dauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. § 56 a Abs. 2 Satz 1 und die §§ 56 b bis 56 g, 57 Abs. 3 Satz 2 gelten entsprechend.
    (4) Das Gericht kann Fristen von höchstens zwei Jahren festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.
§ 57 Abs. 1 StGB, auf den § 57 a Abs. 1 StGB Bezug nimmt, hat den Wortlaut:
    (1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
    1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
    2. verantwortet werden kann zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, und
    3. der Verurteilte einwilligt.
    Bei der Entscheidung sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.
Die am 1. Mai 1982 in Kraft getretene Vorschrift des § 57 a StGB geht zurück auf den Regierungsentwurf eines Siebzehnten Strafrechtsänderungsgesetz (17. StRÄndG; BTDrucks. 8/3218). Mit ihm sollte dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juni 1977 (BVerfGE 45, 187) zur Verfassungsmäßigkeit der Androhung lebenslanger Freiheitsstrafe für den Heimtücke- und den Verdeckungsmord Rechnung getragen werden. Nach dieser Entscheidung gehört zu einem menschenwürdigen Strafvollzug, daß dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. Deshalb bedürfe es einer gesetzlichen Regelung derjenigen Voraussetzungen, unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden könne (BVerfGE 45, 187 [LS 3, 229, 245 f.]).
II.
1. Das Schwurgericht bei dem Landgericht Frankfurt a. M. hat den Beschwerdeführer am 16. September 1966 zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt. Aufgrund der - nach teilweiser Abänderung durch das Revisionsgericht - rechtskräftigen Erkenntnisse ist er des Mordes aus niedrigen Beweggründen in 54 Fällen schuldig. Aus den Feststellungen des Schwurgerichts ergibt sich:
Der im Jahr 1897 geborene Beschwerdeführer absolvierte die Volksschule, war Teilnehmer des ersten Weltkrieges und arbeitete überwiegend in einer Spinnerei. Mitte der dreißiger Jahre trat er der Sudetendeutschen Partei bei, die 1939 in die NSDAP eingegliedert wurde. Im selben Jahr wurde er Mitglied der allgemeinen SS und 1940 zu einer SS-Totenkopfeinheit einberufen. Im Herbst 1940 wurde er in das Konzentrationslager Auschwitz versetzt. Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges hatte er dort, im Nebenlager Birkenau und in weiteren Konzentrationslagern verschiedene Positionen inne; unter anderem war er Leiter der sogenannten Aufnahmeabteilung. 1944 wurde er zum SS-Oberscharführer befördert. Im Mai 1945 geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er Ende 1947 entlassen wurde. Bis zu seiner Festnahme am 1. Oktober 1962 arbeitete er in einer Spinnerei in Hof.
Der Beschwerdeführer hat den tatrichterlichen Feststellungen zufolge in 50 Fällen bei den sogenannten Selektionen auf der Rampe im Lager Birkenau Personen zur Tötung in den dortigen Gaskammern bestimmt. Zum Kreis dieser Opfer, die in die Gaskammern geschickt wurden, gehörten Frauen, die schwanger waren oder sich von ihren Kindern nicht trennen wollten, Kinder und alte, gebrechliche Menschen. In zwei weiteren Fällen führte der Beschwerdeführer selbst acht jüdische Frauen aus Holland und später eine jüdische Ärztin mit ihrer Tochter der Vergasung zu. Bei der Auflösung des Theresienstädter Lagers bestimmte er eine Mutter und deren beide Töchter zur Tötung in den Gaskammern. Nach einem Aufstand im Lager Birkenau ordnete das damalige Reichssicherheitshauptamt Erschießungen an. Daran beteiligte sich auch der Beschwerdeführer; er erschoß mit seiner Pistole mindestens einen Häftling.
Nach dem Schwurgerichtsurteil handelte der Beschwerdeführer aus niedrigen Beweggründen im Sinne des Mordtatbestandes (§ 211 StGB). Dazu führte das Gericht aus: Er habe die Anschauungen derer geteilt, die das in den Konzentrationslagern vollzogene Vernichtungsvorhaben geplant und befohlen hätten, und dieses zu seinem eigenen Anliegen gemacht. Maßgeblich für seinen Entschluß, hierbei mitzuwirken, sei allein eine auf weltanschaulicher Intoleranz beruhende Gegnerschaft zu den Opfern gewesen; diese habe er aller Wahrscheinlichkeit nach unbesehen von den damaligen Machthabern übernommen. Auch soweit er auf Befehl seiner Vorgesetzten gehandelt habe, sei er für seine Taten verantwortlich; ihm sei bekannt gewesen, daß die insoweit erteilten Befehle Verbrechen zum Gegenstand gehabt hätten.
Für jeden Einzelfall des Mordes hat das Schwurgericht die lebenslange Zuchthausstrafe verhängt, ohne dies allerdings in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen.
2. a) Der Beschwerdeführer, der seit 1962 in Haft ist, heiratete im Februar 1984 seine in Hof lebende Frau, mit der er zwei - inzwischen erwachsene - Kinder hat. Nachdem ihm ab 1983 einige Male Ausgang und Urlaub aus der Haft gewährt worden war, wurde er im September 1984 in eine Abteilung für offenen Vollzug verlegt.
b) Auf Antrag des Beschwerdeführers beschloß das Landgericht Marburg am 2. November 1984, die Vollstreckung des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß § 57 a StGB zur Bewährung auszusetzen. Dabei bezog sich die Strafvollstreckungskammer auf ein psychiatrisch-psychologisches Sachverständigengutachten, in dem dargelegt wird: Der Beschwerdeführer sei nicht gefährlich. Schon zur Zeit der Verurteilung habe er in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten geführt. Es sei nicht möglich, die von ihm begangenen Straftaten aus seiner Persönlichkeit zu erklären oder aus diesen Taten auf eine primärpersönliche Gefühlsarmut verbunden mit einem Hang zur Grausamkeit zu schließen. Mittlerweile seien Persönlichkeit und Psyche sowie auch die körperliche Verfassung des Beschwerdeführers durch das Alter geprägt, wenngleich er noch verhältnismäßig rüstig sei. Seine Verteidigungsposition, in der er persönliche Schuld leugne, erlaube ihm kein distanziertes Urteil über die Tötungsmaschinerie in den Konzentrationslagern.
Die Strafvollstreckungskammer hob weiter hervor: Das überaus große Unrecht, welches die Schuld des Beschwerdeführers präge, und sein persönlicher Schuldanteil, der dadurch gekennzeichnet sei, daß er bedenkenlos an den Tötungen mitgewirkt und seine Opfer grob mißhandelt habe, wögen schwer. Gleichwohl führe eine zusammenfassende Bewertung aller zu berücksichtigenden Umstände inzwischen zu dem Schluß, daß nach mehr als 22jährigem Freiheitsentzug die Schwere der Schuld die weitere Strafvollstreckung nicht mehr gebiete; diese sei vielmehr mit der verfassungsrechtlich geschützten Würde des Beschwerdeführers im Blick auf sein Alter unvereinbar. Er habe sich zwar gegen all das vergangen, was die Wertordnung unserer Verfassung schütze; dennoch könne ihm das Recht auf Achtung seiner Würde nicht abgesprochen werden.
c) Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin hob das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. durch den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluß vom 5. Juni 1985 die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer auf: Die besondere Schwere der Schuld des Beschwerdeführers gebiete über die bisherige Dauer von 22 Jahren und acht Monaten hinaus die weitere Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Die Sozialprognose des Beschwerdeführers sei zwar günstig; das könne aufgrund seines Alters, des Charakters seiner Taten, seiner tadelsfreien Führung im Strafvollzug sowie seiner in jeder Hinsicht geregelten Entlassungssituation nicht zweifelhaft sein. Indessen wiege seine Schuld besonders schwer. Der Unrechts- und Schuldgehalt der seiner Verurteilung zugrundeliegenden Straftaten werde - nach Maßgabe des Schwurgerichtsurteils in Verbindung mit dem Beschluß des Revisionsgerichts - dadurch gekennzeichnet, daß der Beschwerdeführer durch 54 Mordtaten insgesamt 64 Menschen aus niedrigen Beweggründen getötet und dadurch 54mal lebenslange Freiheitsstrafe verwirkt habe. Es stehe außer Frage, daß dies eine weit über das Mindestmaß von 15 Jahren hinausgehende Strafvollstreckung rechtfertige. Selbst wenn man berücksichtige, daß der Beschwerdeführer in das Unrechtssystem einer Gewaltherrschaft verstrickt gewesen sei, so habe er doch nach den Feststellungen des Schwurgerichtsurteils in mehreren Fällen ohne konkreten Befehlsdruck auf eigene Initiative gehandelt.
Es bestünden keine rechtlichen Bedenken, in die Bewertung der Schuldschwere die mehrfache Verwirkung der lebenslangen Freiheitsstrafe einzustellen, wenngleich die gesetzliche Bestimmung des § 57 a StGB diesen Fall nicht ausdrücklich regele. Denn das Gerechtigkeitsgebot und der Grundsatz angemessenen Schuldausgleichs erforderten, daß die in § 57 a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgesehene Mindestverbüßungszeit dann unter Umständen ganz erheblich überschritten werde, wenn das sich aus mehreren Straftaten ergebende Handlungsunrecht und die persönliche Schuld das für die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe vorausgesetzte "Mindestmaß" an Schuld deutlich übersteige.
Die Notwendigkeit der weiteren Strafvollstreckung im Sinne des § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB begründete das Oberlandesgericht mit dem Gerechtigkeitsgebot und dem Grundsatz angemessenen Schuldausgleichs in Verbindung mit den Gesichtspunkten der Sühne sowie der Vergeltung für begangenes Unrecht. Dem hohen Alter des Beschwerdeführers komme bei der Abwägung aller Umstände zwar besondere Bedeutung zu. Der Beschwerdeführer habe aber von 1947 bis 1962 in Freiheit gelebt und sei erst 1966 im Alter von 68 Jahren zu lebenslanger Strafe verurteilt worden. Bei dieser Sachlage stehe das Alter als solches einer weiteren, über das gesetzliche Mindestmaß beträchtlich hinausgehenden Vollstreckung nicht entgegen. Solange diese Mindestdauer der Strafverbüßung nicht erreicht sei, könne hohes Lebensalter ohnehin den weiteren Vollzug einer etwa erst gegen einen Betagten verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe nicht hindern. Allerdings verstärkten sich im Altersbereich des Beschwerdeführers zunehmend die Wirkungen des Freiheitsentzuges; zugleich wachse der Erwartung des betagten Verurteilten, noch zu Lebzeiten aus der Strafhaft entlassen zu werden, größere Bedeutung zu. Die mit dem Freiheitsentzug verbundenen Einschränkungen würden hier hingegen weitgehend gemildert durch die Bedingungen des offenen Vollzuges, in dem sich der Beschwerdeführer befinde, und der ihm den Kontakt zu seiner Ehefrau und zu einem sozialen Leben ermögliche. Überdies sei seine körperliche und geistige Verfassung, sehe man von altersbedingten gesundheitlichen Einschränkungen ab, relativ gut; ein durch den Freiheitsentzug verursachter Persönlichkeitsabbau sei nicht festzustellen. Weiter könne für die Würdigung nicht ganz unbedeutend sein, daß der Beschwerdeführer nach seiner Verurteilung niemals Einsicht in das Unrecht seiner Straftaten gezeigt und deshalb eine Schuldverarbeitung nicht stattgefunden habe. Wenngleich zweifelhaft sei, ob er in seinem Alter überhaupt noch die Fähigkeit besitze, seine persönliche Schuld zu bejahen, so werde seine Einstellung doch dadurch gekennzeichnet, daß er schon im Jahre 1971 in einem Gnadengesuch nicht bereit gewesen sei, die Feststellungen des Schwurgerichts anzuerkennen. Seine völlige Uneinsichtigkeit in das grauenvolle Gesamtgeschehen in dem Konzentrationslager Auschwitz trete überdies dadurch hervor, daß er bei einer Anhörung im Jahre 1983 erklärt habe, der Dienst im Konzentrationslager sei für das Lagerpersonal manchmal so schwer gewesen wie für die Lagerinsassen. Abschließend führte das Oberlandesgericht aus: Die Straftaten lägen zwar mehr als vierzig Jahre zurück. Das Bewußtsein von dem begangenen Unrecht und bewirkten Leid sei aber sowohl bei den ehemaligen Häftlingen des Konzentrationslagers Auschwitz und den Angehörigen der Opfer als auch bei einem großen Teil der deutschen und ausländischen Bevölkerung lebendig. Trotz des hohen Alters des Beschwerdeführers sei folglich die verhängte Strafe unter den Bedingungen eines die Würde des Gefangenen achtenden Strafvollzuges weiter zu vollstrecken.
III.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Er macht geltend: Das Oberlandesgericht verkenne die Bedeutung und Reichweite dieser Rechte, die eine weitere Strafvollstreckung nicht zuließen. In dem angegriffenen Beschluß werde sein Alter von mittlerweile 88 Jahren zwar miterwogen; ihm werde indessen nicht das gebotene Gewicht beigelegt. Das hohe Alter begrenze ohne weiteres den noch verbleibenden Lebensspielraum erheblich. Daran ändere auch sein altersbedingt eingeschränkter, aber doch relativ guter körperlicher und geistiger Zustand nichts. Der Mensch im höheren Lebensalter lebe aufgrund eines physiologischen Rückbildungsvorganges schicksalhaft in einer Grenzsituation; erfahrungsgemäß könne es plötzlich zu oft schweren Komplikationen kommen (Hinweis auf BVerfGE 64, 261 [282]). Die gewährten Vollzugslockerungen könnten hier keine Rolle spielen. Sie hätten mit seinem Alter unmittelbar nichts zu tun, seien erst nach zwanzigjähriger Haft angeordnet worden, folgten im übrigen aus den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen und könnten darüber hinaus wegen seiner altershalber verminderten Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit nur sehr begrenzt den Kontakt zur Familie und zum sozialen Leben ermöglichen.
Das Oberlandesgericht verstoße gegen die Menschenwürde, wenn es ihm vermeintlich mangelnde Einsicht nachsage. Er habe durch sein Verhalten im Vollzug Einsicht praktiziert; bloßer Lippenbekenntnisse bedürfe es nicht. Im übrigen müsse ein weitergehendes ausdrückliches Sichbekennen seine Möglichkeiten überfordern. Mit fortschreitendem Alter und langer Vollzugsdauer entwickle sich eine "Versteinerung", die es dem Verurteilten praktisch unmöglich werden lasse, den "Schutzumhang" des Verdrängens und des Vergessens zu zerreißen.
Nachdem seine Straftaten mehr als 40 Jahre zurücklägen und er seit mehr als 22 Jahren inhaftiert sei, davon allein 20 Jahre ohne jegliche Hafterleichterungen, verliere auch die Sühne, um die es allein noch gehen könne, ihre Berechtigung und werde sinnlos.
IV.
Der Hessische Minister der Justiz hat zu der Verfassungsbeschwerde nicht Stellung genommen.
 
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Die angegriffene Entscheidung war mit den verfassungsmäßigen Rechten des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG noch vereinbar.
I.
Gegen die Vorschrift des § 57 a StGB ist von Verfassungs wegen nichts zu erinnern. Mit ihrer Einführung hat der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Gebot entsprochen, dem rechtskräftig zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten eine konkrete und grundsätzlich auch realisierbare Chance zu erhalten, seine Freiheit zu einem späteren Zeitpunkt wiederzugewinnen (vgl. BVerfGE 45, 187 [245]; 64, 261 [272]; Regierungsentwurf eines Siebzehnten StRÄndG, BTDrucks. 8/3218 S. 5). Die Regelung konkretisiert in der Strafvollstreckung den Schutz der Menschenwürde. Es träfe deren Kern, wenn der Verurteilte ungeachtet der Entwicklung seiner Persönlichkeit jegliche Hoffnung auf Freiheit aufgeben müßte und damit von vornherein zum Versterben in der Haft verurteilt würde; das gilt auch für denjenigen, der mit besonders schwerer Tatschuld beladen ist (vgl. BVerfGE a.a.O.).
Der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen, unter denen die weitere Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, in einer Weise bestimmt, die sich ersichtlich in dem durch das Grundgesetz vorgegebenen Rahmen hält. Insbesondere begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die Vollstreckung der Strafe über die 15jährige Mindestverbüßungszeit hinaus gebieten kann (§ 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB). Gegen diese Bestimmung läßt sich nicht ins Feld führen, daß Strafe unter der Herrschaft des Grundgesetzes niemals Selbstzweck sein darf (so aber Beckmann, NJW 1983, S. 537 [539, 542]). Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, es sei Aufgabe des Strafgesetzgebers, die Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe sinnvoll zu regeln, und es hat weiter im Blick auf die Aussetzungskriterien ausgeführt, es könne beispielsweise daran gedacht werden, zur "Festlegung des Entlassungszeitpunktes auch den Unrechts- und Schuldgehalt" der der Verurteilung zugrundeliegenden Tat "zu berücksichtigen"; eine derartige Differenzierung könne dem besonderen Charakter des jeweiligen Einzelfalles gerecht werden (BVerfGE 45, 187 [251]). Der Gesetzgeber hat diesen Gedanken aufgegriffen und so dem Schuldgrundsatz auch für die gerichtliche Aussetzungsentscheidung Geltung verschafft, nicht zuletzt in Rücksicht darauf, daß das individuelle Schuldmaß bei der hier in Rede stehenden absoluten Strafe oft nicht bei der Strafbemessung im Erkenntnisverfahren zum Ausdruck kommt (vgl. BVerfGE 64, 261 [271 f.]; Ruß in Leipziger Kommentar zum StGB, 10. Aufl., § 57 a Rdnr. 5ff. m. w. N.; Dreher/Tröndle, StGB, 42. Aufl., § 57 a Rdnr. 7).
II.
1. Ob im Einzelfalle die weitere Vollstreckung einer rechtskräftig ausgesprochenen lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57 a StGB zur Bewährung auszusetzen ist, ist zunächst eine Frage der Auslegung und Anwendung des sogenannten einfachen Rechts. Die dem Strafvollstreckungsrichter abverlangte Entscheidung gebietet u. a. eine prognostische Bewertung und eine vollstreckungsrechtliche Gesamtwürdigung, die ureigene richterliche Aufgabe sind. Das Bundesverfassungsgericht prüft diese Entscheidung nicht in jeder Hinsicht nach. Es hat allerdings dann einzugreifen, wenn das zuständige Fachgericht bei der Sachverhaltswürdigung oder bei der Handhabung des § 57 a StGB in objektiv unvertretbarer Weise vorgegangen ist und damit gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Willkürverbot verstoßen hat oder wenn es bei der nach § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB erforderlichen Prüfung, ob die besondere Schuldschwere die weitere Vollstreckung der Strafe gebietet, die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite der Menschenwürde, der freien menschlichen Persönlichkeit und ihres grundsätzlichen Freiheitsanspruchs verkannt hat (Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG). Die insoweit dem Strafvollstreckungsrichter übertragene Abwägung, die eine eingehende Prüfung voraussetzt, verletzt indessen nicht schon dann die Grundrechte des Verurteilten, wenn die in bezug auf die hier notwendigerweise allgemein gehaltenen normativen Vorgaben des einfachen Rechts vorgenommene fachrichterliche Würdigung und Wertung fragwürdig sein mögen. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht seine eigene Wertung des Einzelfalles nach Art eines Rechtsmittelgerichts an die Stelle derjenigen des zuständigen Richters zu setzen. In derartigen Fällen läßt sich vielmehr eine Grundrechtsverletzung nur feststellen, wenn der zuständige Richter entweder nicht erkannt hat, daß in seine Abwägung Grundrechte einwirken, oder wenn seine Entscheidung auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung dieser Grundrechte beruht (vgl. BVerfGE 18, 85 [93]).
2. Im einzelnen gilt hier:
Nach dem Grundgesetz ist es vornehmste Pflicht des Rechtsstaates, die Würde des Menschen, die zu den tragenden Konstitutionsprinzipien gehört, und die freie menschliche Persönlichkeit als oberste Werte zu achten (vgl. BVerfGE 6, 32 [36]; 7, 377 [405]; 50, 166 [175]). Das Recht auf Achtung seiner Würde kann auch dem Straftäter nicht abgesprochen werden, mag er sich in noch so schwerer und unerträglicher Weise gegen alles vergangen haben, was die Wertordnung der Verfassung unter ihren Schutz stellt (BVerfGE 64, 261 [284]). In der Strafvollstreckung ist ebenso wie im Erkenntnisverfahren zu beachten, daß die menschliche Würde unmenschliches, erniedrigendes Strafen verbietet, und daß der Täter nicht unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs zum bloßen Objekt der Vollstreckung herabgewürdigt werden darf (vgl. BVerfGE 28, 389 [391]; 45, 187 [228]). Bei Fallgestaltungen der hier gegebenen Art ist danach besonders zu berücksichtigen, daß das fortschreitende Lebensalter eines hochbetagten, zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten im Falle einer Vollstreckung der Strafe, die infolge besonders schwerer Schuld (§ 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB) die Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren (§ 57 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) weit übersteigt, für die Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung ständig an Gewicht gewinnt. Das gründet nicht nur darin, daß sich der Übelscharakter der Strafe nach bereits außergewöhnlich langer Haftdauer im hohen Alter mehr und mehr verstärkt und mithin auch die Intensität des Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht regelmäßig wächst; der hochbetagte Gefangene sieht darüber hinaus auch eine nur sehr begrenzte Zukunft vor sich (vgl. BVerfGE 64, 261 [283]). Es ist zwar von Verfassungs wegen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, daß eine lebenslange Freiheitsstrafe im Wortsinne ein Leben lang vollstreckt wird, insbesondere dann, wenn die Schwere der Schuld die Vollstreckung über die Mindestverbüßungsdauer hinaus gebietet und der Verurteilte sich inzwischen in vorgerücktem Alter befindet (vgl. BVerfGE 64, 261 [272]). Ihren grundrechtlichen Bezugspunkt würde eine Handhabung des § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB indessen verfehlen, die davon ausginge oder doch darauf hinausliefe, eine Entlassung in die Freiheit könne bei besonderer Schuldschwere trotz günstiger Prognose und weit über 15 Jahre hinausreichender Strafverbüßung erst dann in Betracht gezogen werden, wenn körperliche oder geistige Gebrechlichkeit eingetreten oder der Tod nahe sei. Es wäre mit der Würde des Menschen unvereinbar, die vom Bundesverfassungsgericht geforderte konkrete und grundsätzlich auch realisierbare Chance, der Freiheit wieder teilhaftig zu werden (BVerfGE 45, 187 [245]; 64, 261 [281]), auf einen von Siechtum und Todesnähe gekennzeichneten Lebensrest zu reduzieren. Dies wäre mit den Erfordernissen einer dem Gerechtigkeitsgedanken verpflichteten staatlichen Strafrechtspflege nicht zu vereinen.
III.
Es ist nicht feststellbar, daß das Oberlandesgericht die Vorschrift des § 57 a StGB in objektiv unvertretbarer Weise ausgelegt und angewandt oder - im Zeitpunkt seiner Entscheidung - das Gebotensein weiterer Strafvollstreckung in grundsätzlicher Verkennung von Bedeutung und Tragweite der Grundrechte aus Art. 2i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG bejaht hätte.
1. Verfassungsrechtlich unangreifbar legt es § 57 a Abs. 1 StGB dahin aus, daß die hohe Zahl der Mordtaten des Beschwerdeführers, derentwegen er die lebenslange Freiheitsstrafe vielfach verwirkt hat, der Aussetzung des Strafrestes nicht grundsätzlich entgegenstehe, allerdings bei der Bewertung der Schuldschwere (§ 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB) zu berücksichtigen sei (vgl. dazu BVerfGE 45, 187 [251]; OLG Karlsruhe, NStZ 1983, S. 74 [75]; Stree in Schönke/Schröder, StGB, 22. Aufl., § 57 a Rdnr. 6 ff.). Ebensowenig verletzt seine Würdigung, der Beschwerdeführer habe solche besonders schwere Schuld zu tragen, spezifisches Verfassungsrecht; das stellt auch der Beschwerdeführer nicht in Abrede.
2. Auch die Feststellung des Oberlandesgerichts, die besondere Schwere der Schuld gebiete hier die weitere Strafvollstreckung, begegnet - bezogen auf den Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidung - noch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Gericht hat die von ihm für bedeutsam erachteten Gesichtspunkte aufgegriffen, in seine Bewertung eingestellt und ersichtlich im Blick auf die Grundrechte des Beschwerdeführers gewürdigt. Die Beschlußgründe lassen deutlich erkennen, daß es die die Mindestverbüßungsdauer (§ 57 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) erheblich übersteigende Haftzeit von damals 22 Jahren und acht Monaten zum Lebensalter des Beschwerdeführers in Beziehung gesetzt und auch das zunehmende Gewicht des hohen Alters erkannt hat. Dabei hat es auch nicht übersehen, daß sich die Wirkungen des Freiheitsentzuges im Altersbereich des Beschwerdeführers verstärken und daß seiner Erwartung, noch zu Lebzeiten aus der Strafhaft entlassen zu werden, größere Bedeutung zukommt (vgl. Beschlußgründe S. 16). Endlich ist nichts dafür ersichtlich, daß der Beschwerdeführer, der sich im Zeitpunkt der Entscheidung in einem für sein Alter relativ guten körperlichen und geistigen Zustand befunden hat, entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts gänzlich außerstande gewesen wäre, Schuld zu verarbeiten und anzunehmen.
Nach alledem erweist sich die Entscheidung des Oberlandesgerichts vor allem im Blick auf die große Zahl von 54 Mordtaten und auf die Art der Beteiligung des Beschwerdeführers hieran auch bei Berücksichtigung seines hohen Alters von damals 87 Jahren verfassungsrechtlich als vertretbar. Es läßt sich nicht feststellen, daß der Beschluß auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite der verfassungsmäßigen Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG beruht. Ebensowenig läßt seine Begründung eine Art. 3 Abs. 1 GG verletzende Willkür erkennen. Eine gegenteilige Entscheidung lag zwar ersichtlich nicht fern; das erhellen die Gründe des im Rechtszuge vorangegangenen Beschlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts. Eine Grundrechtswidrigkeit ist aber nicht schon darin zu sehen, daß die Anwendung des Strafrechts, insbesondere damit verbundene Wertungen durch den dazu berufenen Richter, zu einem Ergebnis geführt hat, über dessen "Richtigkeit" sich streiten läßt (vgl. BVerGE 18, 85 [93]).
IV.
Der Senat sieht sich veranlaßt darauf hinzuweisen, daß mittlerweile, sollte eine neuerliche Entscheidung nach § 57 a StGB zu treffen sein, dem Alter des nunmehr auf die Vollendung des 89. Lebensjahres zugehenden Beschwerdeführers eine solch überragende Bedeutung bei der geforderten vollsrfGEä(28¸È&treckungsrechtlichen Gesamtwürdigung beizumessen sein dürfte, daß sich eine weitere Strafvollstreckung unter Wahrung der verfassungsrechtlichen, vornehmlich durch die Menschenwürde gezogenen Grenzen kaum wird vertreten lassen. Denn auch die Bedingungen des offenen Vollzuges mildern die Wirkungen des Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht nur sehr begrenzt (vgl. BVerGE 64, 261 [283]).
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