BVerfGE 65, 377 - Strafbefehl
Tritt erst nach rechtskräftiger Erledigung eines Strafbefehlsverfahrens ein Umstand ein, der die Bestrafung des Täters wegen eines schwereren Vergehens begründen würde, steht der erneuten Strafverfolgung die Rechtskraft des Strafbefehls ebenso wie beim Urteil entgegen (Anschluß an BVerfGE 3, 248).
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 7. Dezember 1983
-- 2 BvR 282/80 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn J... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Jörgen Henning, Michael Moog, Dr. Heinz Heinzel, Bahnhofsplatz 10, Starnberg - gegen a) den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 18. Januar 1980 - 1 St 521/79 -, b) das Urteil des Amtsgerichts Starnberg vom 6. Juli 1979 - 1 Ds 58 Js 35939/78 -.
Entscheidungsformel:
Das Urteil des Amtsgerichts Starnberg vom 6. Juli 1979 -- 1 Ds 58 Js 35939/78 -- und der Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 18. Januar 1980 -- 1 St 521/79 -- verletzen Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Starnberg zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
 
Gründe:
 
A. -- I.
Der Beschwerdeführer verursachte am 8. April 1978 einen Verkehrsunfall, bei dem der Fahrer eines Motorrades schwer verletzt wurde. Das Amtsgericht Starnberg ahndete dieses Verhalten durch Strafbefehl vom 19. Juli 1978 als Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung mit einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 45 DM. Der Strafbefehl wurde am 31. Juli 1978 rechtskräftig.
Am 9. Dezember 1978 starb das Unfallopfer an den Folgen seiner Verletzungen. Auf Anklage der Staatsanwaltschaft verurteilte das Amtsgericht Starnberg den Beschwerdeführer nunmehr wegen eines Vergehens der fahrlässigen Tötung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen; der Strafbefehl wurde aufgehoben, die bezahlte Geldstrafe angerechnet.
Mit der Sprungrevision machte der Beschwerdeführer geltend, durch den rechtskräftigen Strafbefehl sei die Strafklage bereits verbraucht. Das Bayerische Oberste Landesgericht verwarf die Revision als offensichtlich unbegründet.
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, das Urteil des Amtsgerichts und der Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts verletzten den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Werde ein Strafverfahren nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen eingestellt (§ 153 a StPO), so dürfe die Tat auch dann nicht mehr als Vergehen verfolgt werden, wenn sich nachträglich Umstände ergäben, die eine erhöhte Strafbarkeit begründeten (§ 153 a Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2 StPO). Ähnliches gelte, wenn eine Tat nur als Ordnungswidrigkeit im schriftlichen Verfahren (§ 72 OWiG) geahndet worden sei (§§ 84 Abs. 2 Satz 2; 85 Abs. 3 Satz 2 OWiG). Die rechtskräftige Bestrafung im Strafbefehlsverfahren könne keine geringere Sperrwirkung nach sich ziehen als diese vergleichbaren verfahrensbeendenden Entscheidungen, die ebenfalls in summarischen Verfahren ergingen. Die von der Rechtsprechung zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung herangezogenen Argumente seien nicht überzeugend.
III.
1. Der Bundesminister der Justiz, der sich für die Bundesregierung geäußert hat, hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Zwischen der Einstellung des Verfahrens nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen gemäß § 153 a StPO und einem Beschluß nach § 72 OWiG auf der einen sowie einem Strafbefehl auf der anderen Seite bestünden keine wesentlichen Unterschiede, die eine abgeschwächte Sperrwirkung nur des Strafbefehls rechtfertigen könnten.
2. Der Bayerische Ministerpräsident, der für die Bayerische Staatsregierung Stellung genommen hat, der Präsident des Bundesgerichtshofs, der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof und der Generalstaatsanwalt bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht halten die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Sie führen hierzu im wesentlichen aus:
Die vom Beschwerdeführer gerügte Ungleichbehandlung beruhe auf sachlichen Erwägungen. Die in §§ 84, 85 OWiG, § 153 a StPO enthaltenen Regelungen beträfen besondere Sachverhalte, die sich von denjenigen grundsätzlich unterschieden, die von der Rechtskraftwirkung des Strafbefehls erfaßt würden. Ziel des § 153 a StPO sei es, einen geringfügig Gestrauchelten vor Strafmakel zu bewahren; beim Strafbefehl sei dagegen das Ziel der Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens vorrangig. Das Recht der Ordnungswidrigkeiten sei ein Sonderrechtsgebiet, dessen verfahrensrechtliche Ausgestaltung mit dem Strafverfahren nur sehr begrenzt verglichen werden dürfe. Zwar sei die vor erneuter Verfolgung errichtete Sperre hier für den Betroffenen großzügiger als im Strafbefehlsverfahren ausgestaltet; hingegen sei die Wiederaufnahme des Verfahrens zu seinen Ungunsten unter weniger strengen Anforderungen als im Strafverfahren zulässig.
 
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
Es verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß der Beschwerdeführer wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden ist, nachdem gegen ihn aufgrund derselben Tat vor dem Tod des Unfallopfers ein Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung in Rechtskraft erwachsen war.
I.
1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Fall im Spannungsfeld zwischen den rechtsstaatlich verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit, die der Fortsetzung eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens grundsätzlich entgegensteht, und der materialen Gerechtigkeit, die durch eine objektiv unrichtige Beurteilung einer Tat beeinträchtigt ist. Dabei ist hier eine wesentliche Besonderheit zu berücksichtigen: Die Tat des Beschwerdeführers ist bei Erlaß des Strafbefehls zutreffend als fahrlässige Körperverletzung beurteilt worden; der straferschwerende Taterfolg, der Tod des Unfallopfers, ist erst danach und erst nach Rechtskraft des Strafbefehls eingetreten. Dadurch ist die Erledigung des Strafverfahrens erst im nachhinein fehlerhaft im Sinne materialer Gerechtigkeit geworden.
2. Ein Verhalten im Straßenverkehr, wie es dem Beschwerdeführer vorgeworfen wird, kann -- außer durch Strafbefehl -- auch in anderer Weise geahndet werden: Gegen den Täter kann -- nach Anklage der Staatsanwaltschaft wie nach seinem Einspruch gegen einen Strafbefehl -- ein Urteil wegen fahrlässiger Körperverletzung ergehen. Das Verfahren kann gemäß § 153 a StPO unter Auflage, die der Beschuldigte erfüllt hat, eingestellt werden. Sofern die Staatsanwaltschaft das Verfahren mangels Strafantrags und wegen fehlenden besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung (§ 232 StGB) an die Verwaltungsbehörde abgegeben hat (§ 43 OWiG), kann der Täter aber auch in einem Bußgeldverfahren wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit (z. B. §§ 8, 49 Abs. 1 Nr. 8 StVO, § 24 StVG) zur Verantwortung gezogen werden; hat er gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt, kann gegen ihn wegen der Verkehrsordnungswidrigkeit ein Urteil ergehen, oder der Richter beim Amtsgericht kann gegen ihn durch Beschluß (§ 72 OWiG) eine Geldbuße festsetzen. All diese Entscheidungen können zu einem Zeitpunkt ergehen und rechtskräftig werden, in dem noch nicht vorausgesehen wird, daß die zu beurteilende Tat durch den späteren Tod des Unfallopfers anders zu qualifizieren sein wird. Dennoch ist in jedem dieser Fälle das Verfahren rechts- oder bestandskräftig durch richterliche Entscheidung -- im Falle des § 153 a Abs. 1 StPO jedenfalls unter richterlicher Mitwirkung -- abgeschlossen; es ist, wenn auch graduell unterschiedlich, auf der Grundlage eines Schuldvorwurfs eine Sanktion verhängt worden. Stirbt das Unfallopfer nach Verfahrensabschluß, ist eine erneute Strafverfolgung wegen eines Vergehens der fahrlässigen Tötung ausgeschlossen. Im einzelnen gilt:
a) Ein rechtskräftiger Verfahrensabschluß durch Urteil führt zum Strafklageverbrauch auch hinsichtlich später eintretender erschwerender Folgen der Tat (vgl. RGSt 70, 26 [30 f.]; Achenbach, ZStrW 87 [1975], S. 74 [95 ff.]; Schlüchter, Das Strafverfahren, 1981, Rdnr. 604.2; Sax in KMR, StPO, 7. Aufl., Einl. XIII, Rdnr. 28; jeweils m.w.N.). Einer "Ergänzungsklage", wie sie im Schrifttum zum Strafverfahrensrecht teilweise als zulässig erachtet wird (vgl. Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO, 23. Aufl., Einl. Kap. 12, Rdnr. 32 [Fn. 6]; Roxin, Strafverfahrensrecht, 17. Aufl., § 50 B II 4 b, S. 282; jeweils m.w.N.), stünde Art. 103 Abs. 3 GG entgegen (vgl. BVerfGE 56, 22 [31]). Die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen neuer Tatsachen zuungunsten des Angeklagten ist in § 362 StPO nicht vorgesehen.
b) Nichts anderes gilt nach § 84 Abs. 2 Satz 1 OWiG für das rechtskräftige Urteil im Bußgeldverfahren. Die Wiederaufnahme zuungunsten des Betroffenen wäre über § 362 StPO hinaus gemäß § 85 Abs. 3 Satz 2 OWiG lediglich bei Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismittel zulässig, die geeignet sind, dessen Verurteilung wegen eines Verbrechens zu begründen.
Der ohne Hauptverhandlung, lediglich nach Aktenlage ergangene Beschluß nach § 72 OWiG steht dem rechtskräftigen Urteil gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 OWiG gleich.
c) Auch die Einstellung nach Erfüllung von Auflagen gemäß § 153 a StPO, die ebenfalls keine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung des Tatvorwurfs in einer Hauptverhandlung voraussetzt, schafft ein Verfolgungshindernis: Gemäß § 153 a Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2 StPO kann die Tat nach Erfüllung der Auflagen und Weisungen nicht mehr als Vergehen verfolgt werden.
3. Den angegriffenen Entscheidungen liegt die Auffassung zugrunde, unbeschadet dieser Rechtslage lasse jedenfalls das Strafbefehlsverfahren eine Korrektur der unrichtig gewordenen strafrichterlichen Entscheidung dahingehend zu, daß nach rechtskräftigem Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung eine erneute Strafverfolgung des Täters wegen eines Vergehens der fahrlässigen Tötung möglich sei; dies ist mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes unvereinbar.
II.
1. Die Rechtsprechung zur beschränkten Rechtskraftwirkung des Strafbefehls, wonach eine Verurteilung im ordentlichen Verfahren wegen einer bereits von einem rechtskräftigen Strafbefehl erfaßten Tat für zulässig gehalten wird, wenn die Bestrafung unter einem nicht schon im Strafbefehl gewürdigten rechtlichen Gesichtspunkt erfolgt, der eine erhöhte Strafbarkeit begründet (BVerfGE 3, 248 [251] mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts; Nachweise zur neueren Rechtsprechung bei Schäfer, a.a.O., § 410 Rdnr. 8), geht auf den summarischen Charakter des Strafbefehlsverfahrens zurück, das vornehmlich der Vereinfachung und Beschleunigung dient. Hier fehlt dem Richter im Unterschied zum ordentlichen Strafverfahren, in dem er seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewinnt (§ 261 StPO), die Möglichkeit, den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat gemäß §§ 264, 265 StPO frei und umfassend zu ermitteln und so das öffentliche Interesse an einer gerechten Entscheidung uneingeschränkt zu wahren. Hierin wird auch die Rechtfertigung gesehen, den vor allem zugunsten des Beschuldigten wirkenden Grundsatz der Rechtssicherheit vor dem allgemeinen öffentlichen Interesse an einer gerechten Bestrafung des Täters zurückstehen zu lassen (vgl. BVerfGE, a.a.O. [S. 253 f.]). Die möglicherweise nicht erschöpfende Beurteilung einer Tat im Strafbefehlsverfahren beruht typischerweise auf Begleitumständen, welche dieser Verfahrensart anhaften: Die Rechtsfindung des Strafrichters allein auf der Grundlage des Akteninhalts und nicht nach der im ordentlichen Verfahren gebotenen umfassenden richterlichen Sachaufklärung in der Hauptverhandlung birgt eine erheblich größere Gefahr fehlerhafter Beurteilung der Tat.
Diese typischen Fehlerquellen waren jedoch im vorliegenden Fall gerade nicht entscheidend. Der bei der Rechtsfindung nicht berücksichtigte straferschwerende Taterfolg ist erst nach Erlaß -- hier erst nach Rechtskraft -- des Strafbefehls eingetreten; der Richter hätte ihn ebensowenig berücksichtigen können, wenn er nicht durch Strafbefehl nach Aktenlage, sondern durch Urteil aufgrund einer Hauptverhandlung entschieden hätte. Gleichwohl hat bereits das Reichsgericht auch in einem solchen Fall den Grundsatz der beschränkten Rechtskraftwirkung des Strafbefehls angewendet und die Durchführung eines neuen Strafverfahrens für zulässig erachtet (RG, DStrR 1938, S. 55; ebenso später: BGHSt 18, 141; OLG Stuttgart, JZ 1960, S. 608; OLG Saarbrücken, JR 1969, S. 430; a.A.: OLG Koblenz, JZ 1960, S. 607; LG Karlsruhe, NJW 1961, S. 88).
Die einschränkende Auslegung des Grundsatzes "ne bis in idem" durch die herrschende Rechtsprechung bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes hat das Bundesverfassungsgericht als immanente Schranke des Art. 103 Abs. 3 GG angesehen (BVerfGE, a.a.O. [S. 252 f.]), wobei es ersichtlich die typische Fallgestaltung im Blick hatte, daß die Korrektur des Strafbefehls wegen der verfahrenseigentümlichen Beschränkung auf eine summarische Prüfung veranlaßt ist (vgl. BVerfGE, a.a.O.; BGHSt 3, 13 [16 f.]). Indessen hat sich inzwischen die Gesetzeslage grundlegend geändert. Mit der Neuregelung der Rechtskraftwirkung im Bußgeldverfahren durch das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. Mai 1968 (BGBl. I S. 481) -- OWiG -- und mit der Einführung des § 153 a StPO durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) sind vom Gesetzgeber Markierungen geschaffen worden, die für die verfassungsrechtliche Beurteilung der vorliegenden Fallgestaltung in Rücksicht auf Art. 3 Abs. 1 GG entscheidend sind.
2. Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72 [88]; 60, 329 [346]; 62, 256 [274]; 63, 255 [261 f.]). Dies gilt nicht nur, wenn der Gesetzgeber mehrere Personengruppen ohne sachlichen Grund verschieden behandelt, sondern auch dann, wenn die Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften zu einer solchen, dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gelangen (BVerfGE 58, 369 [374]; 59, 52 [59]).
a) Eine unterschiedliche Rechtskraftwirkung von Strafbefehl und Strafurteil läßt sich danach rechtfertigen, wenn dem Strafbefehlsverfahren im Gegensatz zum Urteilsverfahren möglicherweise Unzulänglichkeiten anhaften, die typischerweise zu unvollständiger Sachaufklärung und unvollständiger rechtlicher Würdigung führen können, so daß hier im Interesse materialer Gerechtigkeit die Möglichkeit einer Korrektur als unumgänglich erscheint. Dies mag für eine Vielzahl von Fallgestaltungen im Blick auf den summarischen Charakter des Verfahrens zutreffen, und jedenfalls insoweit ist in der Vergangenheit auch zu Recht von der Rechtsprechung differenziert worden. Bei Fällen der vorliegenden Art, in denen der die Frage der Rechtskraftwirkung aufwerfende weitergehende Taterfolg erst nach Abschluß des Verfahrens eingetreten ist, kann dies jedoch nicht ohne weiteres gelten. Hier läßt sich nicht ins Feld führen, daß die "nachträglich" eingetretene Unrichtigkeit der Entscheidung ebenfalls typischerweise eine Folge der Besonderheit des Strafbefehlsverfahrens sei, das schon von seiner Zielrichtung her auf Vereinfachung und besondere Beschleunigung angelegt sei und sich gerade deshalb als unentbehrlich erweise (BVerfGE 25, 158 [164 f.]). Das rechtsstaatliche Beschleunigungsgebot gilt für alle Arten des Strafverfahrens; auch im Urteilsverfahren lassen sich Fallgestaltungen wie hier nicht ausschließen.
b) Einer weiteren Vertiefung der Frage, wo im einzelnen die Grenzen einer generalisierenden Rechtsprechung zur Rechtskraftwirkung von Strafbefehlen heute zu ziehen sind, bedarf es jedoch nicht. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung genügt es hier festzustellen, daß die Verschiedenheit von Urteil und summarischer Entscheidung nach Aktenlage in den Fällen nicht mehr tragfähig für eine Differenzierung ist, in denen der bei der Entscheidung unberücksichtigte Umstand erst nachträglich eingetreten ist und lediglich die Verurteilung wegen eines schwereren Vergehens begründen könnte. Denn der Gesetzgeber hat mittlerweile in anderen Verfahren, die dem summarischen Strafbefehlsverfahren ähneln, insoweit die weitere Strafverfolgung untersagt. Dies gilt sowohl für die in §§ 84 Abs. 2 Satz 2, 85 Abs. 3 Satz 2 OWiG getroffene Regelung der Rechtskraft des Beschlusses nach § 72 OWiG, der ebenso wie der Strafbefehl nach Aktenlage ergeht, als auch für das in § 153 a Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2 StPO normierte Verbot nochmaliger Strafverfolgung wegen eines Vergehens infolge einer Verfahrenseinstellung nach Erfüllung von Auflagen, die vom Richter -- wie beim Strafbefehl -- nach lediglich summarischer Prüfung beschlossen werden kann und auch verbreitet beschlossen wird. Die -- lediglich graduell unterschiedliche -- richterliche Verhängung einer Sanktion auf der Grundlage eines Schuldvorwurfs ohne notwendige umfassende Prüfung des Tatvorwurfs in einer Hauptverhandlung ist dem Strafbefehl, dem Beschluß nach § 72 OWiG und der Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO gemein.
Für die Fälle des nach Verfahrensabschluß entstandenen, die Bestrafung wegen eines schwereren Vergehens begründenden Tatumstands besteht nach alledem kein Unterscheidungsmerkmal, das eine verschiedene Behandlung der Rechtskraft des Urteils und des Strafbefehls sachlich noch rechtfertigen könnte.
Im Schrifttum wird überwiegend die Auffassung vertreten, daß wegen der Ähnlichkeit mit den Verfahren nach § 72 OWiG und § 153 a StPO die hierfür vom Gesetzgeber getroffene Regelung auf die Rechtskraftwirkung des Strafbefehls -- ungeachtet bestehender Unterschiede zwischen diesen Verfahren im einzelnen -- auch dann entsprechend anzuwenden sei, wenn die fehlerhafte Beurteilung der Tat auf typische Mängel des summarischen Verfahrens zurückgeht (vgl. Roxin, a.a.O., § 66 B IV 2, S. 361 m.w.N.). Nach der eingeschränkten Rechtskraftwirkung des Strafbefehls im Sinne der herkömmlichen Rechtsprechung (vgl. BayObLG, NJW 1976, S. 2139; BGHSt 28, 69) haben in der Tat die Strafgerichte gerade in den Fällen nochmals einzugreifen, in denen der Täter wegen eines -- wenn auch geringeren -- Vergehens durch Strafbefehl immerhin schon bestraft worden ist; ist er hingegen jeglicher Bestrafung entgangen (§ 72 OWiG, § 153 a StPO), so ist eine Korrektur von Gesetzes wegen ausgeschlossen, obgleich hier die materiale Gerechtigkeit schwerer beeinträchtigt wird. Auch diese Erwägung stützt das hier gefundene Ergebnis.
III.
Die angegriffenen Entscheidungen sind nach alledem wegen Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG aufzuheben; die Sache ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34 Abs. 4 BVerfGG.
 
C.
Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.
Rinck Wand Rottman Niebler Steinberger Träger Mahrenholz.